Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1955 Nr. 10

Spalte:

559-560

Kategorie:

Psychologie, Religionspsychologie

Autor/Hrsg.:

Custance, John

Titel/Untertitel:

Weisheit und Wahn 1955

Rezensent:

Holtz, Gottfried

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

599

Theologische Literaturzeitung 1955 Nr. 10

600

(S. 18)? Ich kann mit diesen Formulierungen keine klaren Vorstellungen
verbinden und muß auch sagen, daß die Zusammenhänge
, die Kraus zwischen der Gestalt und dem Wirken der Weisheit
und Jesus Christus aufweist, nicht überzeugend sind und oft
in recht äußerlichen Parallelen zwischen der Ausmalung des Wirkens
der Weisheit und Jesu Christi bestehen (vgl. S. 15 f.). Es ist
viel Richtiges und Bedeutsames in der Auslegung von Kraus zu
lesen; aufs Ganze gesehen muß ich freilich den Prinzipien seiner
Auslegung grundsätzlich widersprechen, so beachtenswert das Bemühen
ist, der „Weisheit" ihre Stelle im Zusammenhang des
Offenbarungsgeschehens zu geben.

Bethel J. Fichtner

NEVES TESTAMENT

Vogels, Heinrich Josef: Evangelium Colbertinum. Codex Lat. 254
der Bibliotheque Nationale zu Paris. Hrsg. u. unters. 1. Text. II. Untersuchungen
. Bonn: Hanstein 1953. 166 S. u. 182 S. gr. 8° = Bonner
Biblische Beiträge, hrsg. v. F. Nötscher u. K. Th. Schäfer. Bd. 4 u. 5.
DM 17.-. u. DM 23.-.

Nur eine Handschrift ist es, die die Evangelien in altlateinischer
Version vollständig und ohne Lücken enthält, der Codex
Colbertinus (Paris, Bibl. Nat. lat. 254; XII. Jhdt., Sigel c, Fischer
Nr. 6). Der dieser Handschrift allein schon dadurch zukommende
Wert wird erhöht durch die teilweise sehr alten Lesarten, die sich
in ihr erhalten haben. Um so bedauerlicher war es, daß bis jetzt
keine zuverlässige Edition dieser Handschrift allgemein zugänglich
war. Die Erstedition durch P. Sabatier, der den Colbertinus in
Bibliorum sacrorum latinae versiones antiquae seu Vetus Italica,
Band III, Paris 1751, oben abgedruckte und die anderen Zeugen
dagegen kollationierte, ist eine Rarität, eine zweite Edition durch
J. Beisheim, Christiania 18 88, war unbrauchbar.

B. ließ nämlich in fast allen seinen Ausgaben die notwendige Sorgfalt
vermissen, so daß diese schon nach verhältnismäßig kurzer Zeit
durch neue und zuverlässigere ersetzt werden mußten. So wurde z. B.
Belsheims Edition des Corbeiensis (fi2), Christiania 18 87, durch E. S.
Buchanan (Old Lat. Bibl. Texts V, Oxford 1907) ersetzt, die Ausgabe
des Vercellensis (a), Christiania 1894, durch A. Gasquet (Collect. Bibl.
Lat. III, Rom 1914), die des Veronensis (b), Prag 1904, durch E. S. Buchanan
(OLBT VI, Oxford 1911). Diese Reihe hat nur zwei Ausnahmen
: die erste bildet Belsheims Edition des Aureus Holmiensis (aur),
Christiania 1878, weil sie den an eine Handschriften-Edition zu stellenden
Anforderungen Genüge tat; die zweite die Ausgabe des Colbertinus
, sie aber nur, weil sich bis heute kein neuer Editor gefunden hatte.
So war man auf eine Edition angewiesen, von der der Editor gestehen
mußte: „ . . . editionem Petri Sabatier cum ipso codice festinanter con-
tuli et hanc editionem ita paravi" (S. III). Die Folge des „festinanter"
war auf jeder Seite spürbar; dem Ref. als Mitarbeiter der Kommission
für spätantike Religionsgeschichte der Deutschen Akademie der Wissenschaften
liegt ein von Matzkow nachkollationiertes Exemplar der Bels-
heimschen Ausgabe vor, die pro (Kleinoctav-) Seite durchschnittlich 12
Korrekturen aufweist.

Diesem schmerzlichen Übelstand ist nun in den vorliegenden
Heften abgeholfen. Das erste bietet neben den Prologen und
Kapitellisten den Text der Handschrift (ohne die vorhandenen
Sektions- und Kanonzahlen) im fortlaufenden Satz, jedoch nach
den capitula unterteilt. Dabei sind Orthographie, Interpunktion
und Großschreibung sehr genau wiedergegeben, Folien- und Spaltenangaben
verweisen auf die Handschrift.

Die Genauigkeit der Textwiedergabe geht so weit, daß die recht
häufigen Kompendien in der der Handschrift eigentümlichen Rechtschreibung
aufgelöst, aber nicht besonders gekennzeichnet werden. So
steht z. B. für michi (Ref. stieß bei der Vergleichung am Film nur
einmal auf ein ausgeschriebenes michi), für p" durchgängig pre-, da die
Handschrift weitgehend e für ae setzt (iudei, demonium usw.), aber
auch pre- ausschreibt. Ferner glaubt der Editor, die meist stark gekürzten
Adverbien usw. wie numquid, umquam, tamquam jeweils mit n
als nunquid usw. wiedergeben zu müssen, n vor p aber immer zu assimilieren
, obwohl eine Unterscheidung der Kürzung für m und n nicht
möglich ist. Dieser Konsequenz muß aber in einem Punkt widersprochen
werden: Das vorherrschende cepit usw. transkribiert V. immer mit

coepit usw., obwohl in Luc. u. Joh. sich nur einmal deutlich ein cepit

o

findet (Luc. 19, 45), ansonsten aber die für ae übliche Kürzung vorherrscht
.

Leider aber wird zu diesen Grundsätzen der Textwiedergabe
nirgends Stellung genommen, wie überhaupt jeder Hinweis auf
die Rechtschreibung, auf Häufigkeit und Eigenart der Kompendien
fehlt. Die einzige Bemerkung zum Text und seiner Wiedergabe
findet sich Heft II S. 5, Anm., und bezieht sich auf die Kennzeichnung
der Zweispaltigkeit beim Textabdruck. Dieses Versäumnis
ist um so bedauerlicher, da V. — wohl aus Sparsamkeitsgründen
— statt eines Photos der Handschrift nur auf tab. 3 3 seiner
Codicum Novi Testamenti specimina, Bonn 1929, verweist.
Dennoch ist die Zuverlässigkeit und Genauigkeit der Textwiedergabe
unanfechtbar.

Da dem Ref. nur für das Luc- und Joh.-Evangelium Filme zur
Verfügung standen, mußte er sich für Matth, und Marc, auf eine Vergleichung
mit der von V. ebenfalls benutzten Itala-Ausgabe von Jü-
licher-Matzkow (Bd. I: Matth.-Ev., Berlin 1938; Bd. II: Marc.-Ev., Berlin
1940) begnügen. Bei der Vergleichung von Matth. 18—21 und
Marc. 4—7 fiel nur auf: Marc. 6, 49 liest Vogels viderent, Sabatier, der
nachkollationierte Beisheim und Jülicher-Matzkow wohl richtiger vi-
derunt. Für Luc. 1—6, am Film und an Jülicher-Matzkow Bd. III: Luc-
Ev., Berlin 1954, verglichen, ist zu notieren: Luc. 1,77 statt plebi:
plebis; Luc. 6, 34. 35 statt fenerantur und Fenerate: faenerantur und
Faenerate. Für Joh. sind zu erwähnen: Joh. 7, 18 statt iniustitia: inius-
ticia; Joh. 17, 6 statt quaecunque: quecunque bzw. quecumque. Als
Druckfehler fielen auf: Joh. 10, 3 statt cius: eius; Luc. 1,27 ist das o
in desponsatam ausgefallen. Zu den Heft II S. 7, Anm., aufgezählten Korrekturen
ist hinzuzufügen: Joh. 4, 47 ut zu et rogabant. Weiterhin zu
erwähnen wäre noch, daß die Wiedergabe der Eigennamen fast durchgängig
mit kleinen Anfangsbuchstaben erfolgte, während die Handschrift
weit häufiger die Namen mit Majuskeln anlauten läßt, und daß vereinzelt
vorkommende Randlesarten — z. B. Luc. 1, 19 asto vel assisto; Luc. 2, 32
gentium vel oculorum — nirgends angeführt wurden. Diese Corrigenda,
die den Bestand des nachkollationierten Textes bis auf zwei Fälle nicht
in Frage stellen, können nur für die Qualität der Ausgabe zeugen.

Heft II bietet nach einer leider nur sehr knappen Darlegung
der Charakteristiken von Handschrift und Schreiber (S. 5—8) Untersuchungen
zum Einfluß der Vulgata auf den jungen Altlateiner.
An Hand von Musterkollationen zu den einzelnen Evangelien
kommt der Editor zu dem Ergebnis, daß der Colbertinus in den
einzelnen Evangelien mehr oder weniger einen Texttypus bietet,
den man auf die Formel ff + vg = c bringen könne. Eine allgemein
anerkannte Affinität von c zum Corbeiensis (ff) zugestanden
, scheint dieses Ergebnis doch überspitzt. Denn in nicht
wenigen Lesarten steht gerade gegen c das Zeugnis von vg und
ff. Die Erklärung seitens des Editors, daß ff bereits einen korrigierten
Text vom Typ c bietet, entwertet den Einwand nicht, sondern
verstärkt ihn nur. Aber es ist überhaupt die Frage zu erheben,
inwieweit eine so junge Handschrift wie c noch einen bestimmten
altlateinischen Texttyp repräsentiert, muß doch der Editor neben
dem engen Verhältnis zwischen ff und c ein ebenfalls enges
zwischen e und c erwähnen. Aber auch zu a am d r1 bestehen
stellenweise gewisse Beziehungen, so daß c doch weitgehend das
Bild jüngerer Handschriften zeigt, in denen neben vg-Einfluß ein
Typ vorherrscht, aber auch andere Texttypen bereits deutliche
Spuren hinterlassen haben. Dennoch bleibt ohne Zweifel, daß sich
in c stellenweise älteste Lesarten über ein Jahrtausend hin erhalten
haben.

Den Hauptteil der Untersuchungen aber nimmt eine Kollation
von c ein, in die, was nur aufs wärmste zu begrüßen ist,
die gesamte Überlieferung einbezogen ist. Dabei beschränkt sich
der Editor aber leider nur auf Lesarten, die im Griechischen Entsprechungen
haben können, so daß also viele Varianten, die nur
Synonyma zum griechischen Text darstellen, wegfallen.

Zur Genauigkeit der Zeugennennung ist zu bemerken, daß deutlich
spürbar wird, wo die Leggsche Ausgabe des griechischen und die Jülicher-
Matzkowsche des altlateinischen Textes aufhören, welche V. weitgehend
benutzte. Für Luc. und Joh. dagegen war er angewiesen auf Tischendorfs
octava maior, auf v. Sodens Textband und auf Wordsworth-White,
Ausgaben, die Fehler und Ungenauigkeiten unvermeidlich machten.

So bleibt das Bild der altlateinischen Überlieferung und der
Stellung von c in ihr unvollkommen. Aber darauf kommt es dem
Editor letztlich gar nicht an. Er versucht vielmehr mit dieser
Kollation seine mehrfach vorgetragene These zu unterbauen, daß
an den Anfängen der altlateinischen Evangelien-Übersetzung
eine Evangelienharmonie gestanden haben müsse — der Editor
denkt an eine vom Diatessaron Tatians bestimmte Harmonie,