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Ausgabe:

1955 Nr. 1

Spalte:

37-39

Kategorie:

Liturgiewissenschaft, Kirchenmusik

Autor/Hrsg.:

Baumstark, Anton

Titel/Untertitel:

Liturgie comparée 1955

Rezensent:

Fendt, Leonhard

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Theologische Literaturzeitung 1955 Nr. 1

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einigen Jahren zu erwarten sein wird. Die Schwierigkeiten, die
sich genauen Identifizierungen von kleineren Ortschaften und
Höfen entgegenstellen, lassen das freilich verstehen. Wer die bei
dem um die Herausgabe besonders verdienten Stadtarchivdircktor
Dr. Gerhard Pfeiffer selbstverständliche Gründlichkeit in solchen
Arbeiten kennt, wird sich aber gerne noch dazu in Geduld fassen
und nur umso höhere Erwartungen hegen.

Nürnberg Matthias Simon

LITURGIEGESCHICHTE UND KIRCHENMUSIK

Baumstark, A.: Liturgie comparec. Principes et Methodes pour
l'ctude historique des liturgies diretiennes. 3e ed. revue par Dom
Bernard Botte OSB. Chevetogne: fiditions de Chevetogne [1953].
XV, 289 S. 8° — Collection Irenikon. B. Fr. 165.—.

Dieses berühmte Buch (dessen Titel deutsch und abstrakt
etwa „Historische Liturgievergleichung" hieße) ist aus Vorträgen
entstanden, welche Anton Baumstark (f 1948) im Jahre 1932 vor
belgischen Mönchen hielt. Nun hat Bernhard Botte die 3. Auflage
1953 so veranstaltet, daß er den Text der 2. Auflage durchaus
beibehielt, aber in Anmerkungen (in eckigen Klammern) Hinweise
auf Bottes eigene Bücher und Aufsätze und auf die inzwischen
veränderte Lage mancher Themen gab; besonders vervollständigte
Botte die Literaturangaben bis zum Jahre 1953. Dabei verfuhr
Botte zurückhaltend und vorsichtig, so daß man in der
3. Auflage keineswegs einen ,,Baumstark-Botte" vor sich hat,
sondern immer noch „den Baumstark".

Es geht aber Baumstark in diesem Buche um den Aufbau
und die Empfehlung einer „historisch-vergleichenden Liturgiewissenschaft
". Da heutzutage die Liturgien in ihrem Reichtum
sachgemäß erkannt sind, kann man darangehen, die Formen zu
vergleichen, wie man es in der Linguistik oder in der Biologie
gelernt hat. Daß Baumstark als Nicht-Theologe, aber Philologe
und Religionsgeschichtlcr, diese Arbeit aufgreifen kann, das
rechtfertigt er so: Zwar das Objekt dieser Liturgiewissenschaft
gehört der Theologie an, aber nicht auch die Arbeitsmethode; sie
unterscheidet sich nicht von der Methode der exakten Wissenschaften
, speziell der Naturwissenschaften und insonderheit der
Vergleichenden Grammatik. So urteilt Baumstark! Er sieht demgemäß
in der „Liturgievergleichung" eine empirische historische
Wissenschaft. Es gilt nach Erforschung der Facta die Unterschiede
und die Übereinstimmungen zu finden und so zu den „Gesetzen"
der liturgischen Entwickelung vorzudringen. Für die Auffindung
der Unterschiede muß man die ethischen, kulturellen und sprachlichen
Unterschiede in der Heimatgegend jeder Liturgie in Rechnung
setzen; so versteht man z. B. , daß der liturgische Stil Roms
konzis, der der Griechenwelt wohlklingend und ausführlich, der
Spaniens und Galliens, jeder in anderer Weise, Nachhall der antiken
Rhetorik ist; daß der keltische die keltische Spontaneität,
der germanische die germanische Tiefe, ja der gallikanisch-mero-
wingische die syrische Verwandtschaft erweist. Die Übereinstimmungen
wiederum entspringen entweder aus einem im Altertum
der Liturgie gemeinsamen primitiven Besitz — oder aus einem
sekundären Einfluß des einen Typus auf den anderen; so kommt
man etwa auf die intimen Beziehungen zwischen der Liturgie
Roms und der in Africa proconsularis; oder zwischen Rom und
Alexandrien; oder zwischen der gallo-iberischen Liturgie und dem
syrisch-byzantinischen Typus; oder zwischen Jerusalem und Armenien
; aber auch auf Rom und Jerusalem als Zentren der Frömmigkeit
, auf Byzanz als Zentrum der Macht. Bei allem aber gilt
es, sich auf Facta zu stützen, nicht auf vorgefaßte Ideen. Und
hier tritt dem katholischen Forscher Baumstark die dogmatische
Voraussetzung seiner Kirche, die er teilt, in den Weg. Er urteilt
so: Nie darf die historische Liturgievergleichung den Vermutungen
Raum geben, welche etwa der Theologe um seines dogmatischen
Systems willen machen könnte. Gewiß sei die „Doppelte Wahrheit
" der Modenlisten abzulehnen, es gebe für den Katholiken
keinen Widerspruch zwischen Wissenschaft und Dogma. Aber die
Facta behalten ebenso ihre ganze Wucht — und es sei Aufgabe
der Theologen, die historisch erwiesenen Facta mit dem unveränderlichen
Charakter des Dogmas in Übereinstimmung zu bringen
! Ein katholischer Historiker nehme gewissenhaft die Wahrheit
des Dogmas bedingungslos an, doch nicht weniger rücksichtslos
konstatiere er die Facta, die sich aus seiner Forschung ergeben!
Veritas non erubescit nisi abscondi, habe Papst Leo XIII. gesagt !
(Also nicht „Doppelte Wahrheit", aber zwei getrennte Wege zur
Wahrheit — und den Theologen wird der Brückenbau vom Dogma
zur Forschung zugewiesen!) Es ist also jeder „Apriorismus" auszuschließen
; aber Arbeitshypothesen sind notwendig als Hinführung
zu den faktischen Unterschieden und Übereinstimmungen
(z. B. die Hypothese der Entlehnungen aus dem synagogalcn,
hellenistischen, gnostischen Kult, dem Privatkult, der Magie).
Wie schließlich z.B. die Vergleichende Grammatik auf solchen Wegen
zu „Gesetzen" kommt, so wolle auch die Liturgievergleichung
aus den Facta „Gesetze" gewinnen, die dann den Liturgieforscher
weiter führen zu neuen Stationen — „Gesetze der liturgischen
Entwickelung".

Jede Entwickelung im Liturgischen beschreibt Baumstark als
„progressive Weiterbildung alter Formen hin zu neueren Formen
". Und da sieht er die Fragen aufstehen: 1.) Welches ist das
Wesen und die Richtung dieser Entwickelung? 2.) Auf welche
Weise geschah diese Entwickelung? Er setzt zwei Antithesen:
Steht am Anfang der Entwickelung Uniformität oder Varietät?
Ist der Anfang bescheiden oder reichhaltig? Die Antwort Baum-
starks besagt: Je weiter wir zurückgehen, umso größere Varietät
treffen wir an; der Weg ging also von der Varietät zur Uniformität
der Liturgie, nicht umgekehrt, wie man früher annahm.
Ferner: Je weiter wir zurückgehen, umso bescheidener der liturgische
Besitz — je weiter wir vordringen, umso größer der liturgische
Reichtum. Man muß hier allerdings einrechnen: Die Folgezeit
machte in der Liturgie Verkürzungen! Jene neuen Elemente,
welche den liturgischen Reichtum bezeugen, wurden zunächst
neben die alten Elemente gesetzt, dann an ihre Stelle,
wobei die alten entweder ganz verschwanden oder nur Spuren
hinterließen (wie die Lesungen aus dem AT in der römischen
Messe und das Große Fürbittgebet in Rom). Dabei erhielten sich
alte Elemente ausnahmsweise an „liturgisch hochwertigen Tagen
", z. B. am Karfreitag. Man wird Baumstark dahin zu verstehen
haben: Varietät und Bescheidenheit am Anfang, Uniformität
und Reichtum später — aber innerhalb dieses Großgesetzes
mancherlei Kleingesetze. Aus dem Kanon Baumstarks für die
Erkenntnis alter Elemente interessieren die Thesen: 1.) Das an
Elementen einfachere Stück ist das ältere; 2.) das, was synagogale
Parallelen hat, ist das ältere; 3.) das, was überall vorkommt, ist
das ältere; 4.) kommt ein Element nur in dem einen oder dem
anderen Ritus vor, so handelt es sich um ein jüngeres Element;
5.) kann man einen Bedeutungswandel oder einen Platzwechsel
feststellen (von einem Ritus zum anderen), so hat man ein jüngeres
Element.

Die weiteren Kapitel des Buches (Die Struktur der großen
liturgischen Einheiten — das liturgische Gebet — liturgische Formeln
— liturgische Poesie — Psalmodie und Lektionen — die liturgische
Handlung — die alten großen Feste — das Sanctorale -
die Fasten) arbeiten in diesem Sinn an den Liturgien, und diese
Arbeit ergibt teils weithin anerkannte Resultate, teils geistvolle
Baumstark-Hypothesen, teils einige Fehlschläge (aber auch sie
können die Forschung weiterführen). Eine besonders wichtige Zugabe
ist die großartige Bibliographie zu 15 Liturgiegebieten, und
hier verdankt man Botte eine starke Bereicherung.

Botte aber ist es auch, welcher sich dagegen stellt, daß
Baumstark wirkliche „Gesetze der liturgischen Entwickelung"
habe finden können. Botte deutet die Gefahr an: Logische Konstruktionen
für historische Realitäten zu nehmen! Aber dagegen
hat sich doch Baumstark selbst energisch gewehrt; er versteht
unter „Gesetzen" Beobachtungen an den Facta, und zwar Beobachtungen
, welche immer nur Zwischenlösungen darstellen und zu
weiteren Beobachtungen führen sollen; er selbst warnt vor jedem
„Apriorismus", sogar vor dem der theologischen Systematik.
Aber der Weg zu seinen Beobachtungen ist allerdings mit Hypothesen
gepflastert und darunter sind einige, die Baumstark als
Resultate wertete, z. B. seine Hypothese, Weihnachten sei als
Fest des nßoovaioe; aufgekommen, oder seine Thesen zum römischen
Kanon (die er am Ende selbst zurücknahm). Aber muß
man nicht Baumstark das Recht einräumen, in ganz verfahrenen
oder in dunkeln Anliegen der L.iturgieentwickelung sich mit „1q-