Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1955 Nr. 10

Kategorie:

Liturgiewissenschaft, Kirchenmusik

Titel/Untertitel:

Neuerscheinungen

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

595

Theologische Literaturzeitung 1955 Nr. 10

596

genommenen Bedeutung „Liebreiz" (vgl. Schilling 61 f., 3) und
hat daher einige Mühe, die zugehörigen Ausdrücke zu erklären.
Schilling dagegen findet in venus die geheimnisvolle Kraft, die
der Mensch in seinen Götteranrufungen betätigt (charme), und
entwickelt daraus ein magisch-religiöses System, das sich im
venerari der Gläubigen und in der antwortenden venia der
Gottheit äußert und auch noch venenum (Zaubertrank), vene-
natum (kraftgeladenes Gewand der Flaminica) und venerium
(Glückswurf) impliziert, eine Art von Frömmigkeit, die er zu dem
juristischen System geregelter Paktierung zwischen Mensch und
Gottheit in Gegensatz stellt und im späteren Venuskult immer
wirksam bleiben läßt. Ist das „venusische" System für Schilling
der Sache wie den Namen nach echt römisch, so ist Venus für Koch
zwar italisch benannt, aber als Gottheit von vornherein identisch
mit Aphrodite, die auf italischem Boden nur eine verhältnismäßig
geringfügige Sonderentwicklung genommen zuhaben braucht; freilich
bleibt unter dieser Voraussetzung schwer verständlich, wie
die schon menschengestaltig vorgestellte Göttin als Neutrum benannt
werden konnte: das scheint mir nur möglich, solange es sich
bei „Venus" um ein noch nicht anthropomorphisiertes Gefühl handelte
, dergleichen ich Lexis III 2, 226 ff. besprochen habe (vgl.
diese Ztschr. 1953, 254). In diesem Punkte ist Schilling in besserer
Position, wenn er die Anthropomorphisierung unter dem nachträglichen
Einfluß der etruskischen und dann der rein griechischen
Aphrodite vor sich gehen läßt, aber für ihn ist es wieder nicht
leicht zu erklären, wie sich der göttliche Exponent des magischreligiösen
Charme gerade an Aphrodite anschließen und damit zu
einer individuellen Wesensgestalt kommen konnte.

Als Vehikel dieser Entwicklung hat Schilling neben dem privaten
Matronenkult der Venus Calva in Rom selber den latinischen
Bundeskult in Lavinium angesetzt, wo Venus Ende des 6.
oder Anfang des 5. Jhdts. mit der von den Etruskern aus Sizilien
übernommenen Frutis (etruskisch = Aphrodite) identifiziert
wurde und schon mit der ebenfalls sizilisch-etruskischen Aeneasle-
gende in Konnex kam. Der gleichen Legende wuchs sie zu, als sie
im Geiste der venusischen Frömmigkeit an den Vinalia priora die
Repräsentation der nach der Sage von Aeneas inaugurierten Weinspende
übernahm. Die Adaptation an die etruskische Turan
(= Aphrodite), auf pränestinischen Spiegeln des 5. und 4. Jhdts.
(zur Datierung vgl. Koch 14 f.) faßbar, brachte ihr die Aspekte
der Totengöttin und der Victrix, und schließlich erhielt sie das
Patronat des von den Etruskern nach Aphrodite benannten Monats
Aprilis. Mit der 2. Hälfte des 4. Jhdts. setzt Schilling entsprechend
der allgemeinen Zeitströmung den direkten Einfluß der
griechischen Aphrodite an, welcher der Venus alle entscheidenden
Züge des Originals gab; griechisch ist ihm auch die Gartengöttin,
die verhältnismäßig spät aus Campanien nach Rom kam. Koch
stimmt mit Schilling insoweit, als auch er die erste Hauptwelle,
die Aphrodite ins Land brachte, am Ende der Königszeit von Etru-
rien ausgehen läßt; aber die Göttin hieß nach ihm damals Frutis
oder Turan, Venus dagegen erst, als eine zweite Hauptwelle sie
Ende des 4. Jhdts. aus dem samnitisch-campanischen Räume nach
Rom trug.

Beide Gelehrte betonen gleichermaßen die große Expansionskraft
, mit der Venus an dem Doppelfest der Vinalia dessen ursprünglichen
Herrn Juppiter in den Hintergrund drängte und Gottheiten
wie Cloacina, Murcia und Libitina (Mefitis s. Koch 4 ff.) in
sich aufnahm. Wie schon in einer früheren Abhandlung (Rev. Phil.
III. Ser. 23, 1949, 27 ff.), an die Koch mit gewissen Modifikationen
angeknüpft hat, stellt Schilling auch in seinem Buche eine
römische Reaktion seit Ende des 3. Jhdts. heraus: sie zeigt sich,
abgesehen von der moralischen Wendung der Verehrung der Venus
Verticordia, besonders darin, daß der Kult der Venus Erycina
auf dem Kapitol (215 v.Chr.) nationalen Charakter annahm,
während er im Tempel vor der Porta Collina (181 v. Chr.), der
wie der erste Venustempel (295 v. Chr.) außerhalb der sakralen
Grenze des Pomeriums lag, besonders mit seinem Dirnenwesen
den fremden Aspekt wahrte. Ende des 2. Jhdts. verschwammen
aber die beiden Linien, und die Göttin blieb fürderhin, auch über
eine gewisse Reaktion des Augustus hinweg, dem Synkretismus
offen. Unter besonderer Beachtung dieses Gesichtspunktes verfolgt
Schilling in fesselnder Darstellung, wie sich Sulia, Pompeius

und Caesar in wechselnder Nüancierung unter das Patronat der
Venus stellten, und hebt in einem letzten Kapitel über die dichterische
Gestaltung hervor, wie sich die Göttin auch hier als
conciliatrix bewährte, bei Lucrez als Bürgin des politischen wie
des seelischen Friedens und bei Vergil als Mittlerin der Göttergnade
für die neuen Trojaner. So klingt das Leitmotiv der venia
bis zum Schlüsse des Buches durch, das nicht nur seine Thesen
mit sorgsamer Umsicht begründet, sondern auch eine trotz einer
gewissen Kargheit des Materials wohldokumentierte und auch
reichbebilderte Geschichte des Venuskults bis zur Zeit des Augustus
mit einigen Griffen darüber hinaus darbietet.

Bonn Hans II e r t c r

ALTES TESTAMENT

C o o d i n g, D.W., M. A., Ph. D. (Trinity College, Cambridge): Re-
censions of the Septuagint Pentatcuch. London: The Tyndale Press
1955. 24 S. S. 1/6.

Dies ist The Tyndale Old Testament Lecture, 1954, die Verf.
kurz nach Fertigstellung seiner Dissertation ,The Greek Deute-
ronomy' hielt. Das Hauptmaterial für diesen Überblick über die
Rezensionen im griech. Pentateuch ist der noch unveröffentlichten
Dissertation entnommen; erfreulicherweise zieht Verf. aber den
ganzen Pentateuch in den Bereich seiner Studien. Da der Vortrag
vor Theologen, aber nicht für Fachmänner der Textkritik gehalten
ist, ist Mühe darauf gewandt, den zum Teil nicht eben einfachen
Sachverhalt ohne viel Voraussetzungen verständlich zu
machen.

NT und LXX sind beide oft revidiert worden. Bei der LXX
bedeutet das aber darum einen tieferen Eingriff in den ursprünglichen
Bestand, weil sie eine Übersetzung ist und Revisoren
daher u. U. auf den Urtext zurückgingen. Trotz all dieser Komplikationen
zweifelt Verf. nicht daran, daß die LXX ursprünglich
eine festumschriebene Übersetzung aus dem Hebräischen war, und
daß es theoretisch möglich ist, ihren Text auf seine ursprüngliche
Reinheit zurückzuführen. Die entgegenstehende Meinung stamme
mehr aus vagen Analogien zur Geschichte anderer Übersetzungen
wie der Targume, der Vulgata und der Engl. Kirchenbibel als
aus Einzeluntersuchung und sorgsamer Analyse des Quellenmaterials
. Und da dies Material das einzige ist, worauf wir eine Untersuchung
stützen können, erwartet Verf. — mit Recht — von
dessen Analyse Gewinn.

Wenn man sich der Diskussion über die frühen Deuterono-
miumpapyri in den dreißiger Jahren erinnert, wird solche Untersuchung
bedeutsam. Zuerst war es Chester Beatty 963 (IIp),
dann Ryiands 458 (II3!). 963 schien in Num. B viel näher zu
stehen als A, in Deut, aber viel näher zu A als zu B. Keiner der
vielen Erklärungsversuche überzeugte. Mit B und A als festen
Alternativformen, wie es die Swetesche Ausgabe nahelegte,
konnte man auch nicht weiterkommen. Hier bringt G. die Lösung
. Er beginnt, wie sichs gebührt, mit der durch die Asterisken
und Obelen leicht zu erkennenden Rezension des Origenes, zeigt
aber sogleich, daß damit nicht alles getan ist. 963, zu früh, um
durch die Hexapla beeinflußt zu sein, teilt doch einige ihrer aste-
risierten Lesungen. So stammen auch entsprechende Lesungen in
B und A nur zum kleineren Teil aus ihr, und ähnliches gilt für
„Weglassung" obelisierter Stellen.

In Deut, und den vorhergehenden Büchern ist das Bild auch
sonst nicht gleich. Deut., „ein Predigtbuch", mit seinen festgeprägten
Phrasen und Redewendungen, zeigt, vielleicht schon im
Urtext, jedenfalls aber in der LXX, gegen 200 Beispiele von Varianten
, die Assimilationen an verwandte Stellen darstellen. Sie
durchkreuzen alle Gruppeneinteilung und sind kein Ausfluß bewußter
Revisionstätigkeit. Diese Erscheinung sowie die andre,
eine ursprüngliche Abwechslung im Ausdruck zu uniformieren,
sind zur Herausarbeitung von Gruppen unbrauchbar; erst nach
deren Ausscheidung bleibt der brauchbare Rest. In den quantitativen
Varianten, die den Griechen dem Hebräer angleichen, taucht
eine weitverbreitete Revision auf, die von Origenes unabhängig
war und, wie Verf. bündig beweist, älter als er ist. Von ihr ist
B unabhängig und frei, aber nicht allein, sondern mit einigen