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Ausgabe:

1955 Nr. 10

Spalte:

545-546

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Barth, Karl

Titel/Untertitel:

La prière d'après les catéchismes de la réformation 1955

Rezensent:

Albertz, Martin

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Theologische Literaturzeitung 1955 Nr. 10

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Von solchen nicht künstlichen, sondern tiefen, lebendigen,
der Wirklichkeit selbst entsprechenden Vergleichen sind die Werke
der alten Väter und Lehrer voll, wenn sie nicht nur das Neue,
sondern auch das Alte Testament auslegen und sich in das geheimnisvolle
Leben der Kirche vertiefen und von ihr handeln als
von dem Leib Christi, der Braut Christi, unserer Mutter. Uns,
die wir in einer anderen Zeit und in einer anderen Geistesverfassung
leben als die alten Väter, erscheinen Ausdrucke wie
„Kirche, der Leib Christi, die Braut Christi" als unklare und unbestimmte
Bilder, die zum Verständnis der Kirche nicht genügen,
denn wir sind nicht an die bildliche, sondern an die abstrakte,
logische Definition gewöhnt. —

Also ist nach der Lehre des NT und der alten Kirchenväter
die Kirche der Leib, Christus ihr Haupt. Sie sind zusammen, so
wie das Haupt nicht abgetrennt vom Leibe leben kann. Daraus
ergibt sich: das wahrhaft christliche Leben ist unmöglich außerhalb
der Kirche: man kann nicht leben „ohne sich zu halten an
dem Haupt, aus welchem der ganze Leib durch alle Gelenke und
Fugen Handreichung empfängt und zusammengehalten wird und
also wächst zur göttlichen Größe" (Kol. 2, 19). Wie zur Zeit
der Sintflut unter den Lebenden nur diejenigen am Leben
blieben, die sich in der Arche befanden, so haben das wahre ewige
Leben nur diejenigen, die in die Kirche eingingen und in ihr verblieben
, in ihr leben (1. Petr. 3, 20 f.). „V/er nicht die Kirche zur
Mutter hat, der hat auch nicht Gott zum Vater", lehrt der
hl. Cyprian von Karthago.

III. Beziehung des Herrn Jesus Christus und des Hl. Geistes zur

Kirche

Nicht selten wurde in den theologischen Systemen die Frage
aufgeworfen: Wird die Tätigkeit des Hl. Geistes nicht verdunkelt
durch das Wirken Christi, des Heilandes?

Wie kann man die Tätigkeit des Hauptes der Kirche, des
Herrn Jesus Christus von den Wirkungen des Hl. Geistes unterscheiden
? Der hl. Gregor, der Theologe, sprach den Gedanken aus:
„nach der Himmelfahrt des Herrn finden die körperlichen Taten
Christi ein Ende; es beginnen die Werke des Geistes" (Wort 41;
Werke Bd. 4, 7). In dem Sendschreiben der östlichen Patriarchen
[von 1848. Sch.] ist gesagt, daß Christus, der Heiland, die Kirche
durch den Hl. Geist lenkt, von dem Er ungetrennt und ungeteilt
ist. In der „Ordnung für den Beitritt zur Orthodoxen Kirche"
lesen wir: „Ich glaube und bekenne, daß der Grund, das Haupt und
der höchste Hierarch und Erzhirte der Heiligen Orthodoxen Katholischen
Kirche unser Herr Jesus Christus ist, und daß der Leiter
und Lenker dieser Kirche der Hl. Geist ist." (Dogmatische Theologie
des Erzbischofs P h i 1 a r e t von Tschernigow § 294).

Die orthodoxe Dogmatik bewahrt die Lehre, daß der Herr
Jesus Christus „das Haupt der Kirche, der Hl. Geist aber der unmittelbare
Leiter, das lebenspendende Element (= Anfang), die
Seele der Kirche" ist (eben dort § 294).

Der Klausner Theophanes' urteilt ebenfalls: „In der Einrichtung
alles für unsere Rettung Notwendigen wirkte hauptsächlich
der Herr Jesus Christus, ungetrennt jedoch vom Hl. Geist; aber
an der Rettung eines jeden wirkte hauptsächlich der HI. Geist, j«-
doch ungetrennt von dem Herrn und Heiland" („Brief an eine
Persönlichkeit", St. Petersburg 1881, 52). Das Werk des Hl.
Geistes besteht in der ständigen Heiligung des Menschen. Es ist
darauf gerichtet, die Menschen mit der Kraft von oben zu umhüllen
, ihnen vielfältige geistige Gaben zu schenken, sie heilig, göttlich
, vollkommen zu machen.'Der Hl. Geist ist der Begründer des
geistigen Lebens. Er erweckt in den Menschen das geistige Leben,
erneuert und erhält es.

„Wie es zum Feuer untrennbar dazu gehört, daß es wärmt, und
zum Lichte, daß es leuchtet, so gehört zum Geiste untrennbar,
daß er heiligt, belebt, daß er Segen und Gerechtigkeit ist. (Ba-
sileios der Große vom Hl. Geist an Amphilochios.)

J) Feofan „Zatvornik", Bischof v. Vladimir, gest. 1894. Hochgebildeter
Starze, der seine Seelsorge brieflich ausübte. Seine Briefe in deutscher
Übersetzung von Nicolai von Bubnoff: Russische Frömmigkeit.
Briefe eines Starzen. Wiesbaden: Metopen-Verlag 1947.

Die Gnadengaben des Hl. Geistes, die überschwenglich in
der Kirche ausgegossen sind, sind nicht zu zählen. Als der Leiter
der Kirche ist er die Quelle der kirchlichen Gesetzgebung. Als
die Apostel die ersten Kirchengesetze vortrugen, leiteten sie
diese von der Person des Hl. Geistes ab: „es gefällt dem Hl. Geist
und uns" (Apg. 15, 28).

Die Glieder der Kirche sind vor allen Dingen Kinder oder
Geburten des Hl. Geistes, denn „wer nicht von oben, vom Geiste
geboren wird, der kann das Reich Gottes nicht sehen und nicht
dorthin kommen (Joh. 3, 3; — andere Lesart als Luther —); und
dasjenige „was vom Geist geboren ist, ist Geist" (Joh. 3, 6). So
sind die weiteren Gaben, die dem neugeborenen Gliede der Kirche
geschenkt werden, alle darauf gerichtet, ihn zu vergeistigen,
ihn zu heiligen, zu reinigen, Gott zu nähern. [So sind die Gaben
des Geistes, die den Gläubigen] In den Mysterien der Kirche [gegeben
werden. Durch diese Gaben] wird die fleischliche vergängliche
menschliche Natur zu göttlicher Würde emporgeführt und
erhöht zum Bilde der von dem Gott-Menschen angenommenen,
zum Himmel gefahrenen und zur Rechten Gottes sitzenden
menschlichen Natur. „Durch den Hl. Geist wird jede Seele lebendig
. Durch den HI. Geist geschieht die Vergottung Aller" (Antiphonen
des 4. und 6. Tones).

Der Darlegung der Tätigkeit des Hl. Geistes in der Kirche
ist eine große Zahl von Kirchenliedern und Gebeten im Pfingst-
Gottesdienst und dem Festtag des Hl. Geistes (=2. Pfingsttag,
Sch.) gewidmet.

IV. Die wesentlichen Eigenschaften der Kirche

Aus der Lehre von der Kirche als dem Leibe Christi leiten
der hl. Apostel Paulus und die hl. Väter und Lehrer der Kirche
nach ihm die Lehre von den wesentlichen Eigenschaften der
Kirche ab, die in dem Glaubensbekenntnis ausgesprochen sini:
Ich glaube an die Eine, Heilige, Allgemeine (sobornuju) und
Apostolische Kirche.

Die Kirche ist E i n e, aber sie besteht aus zwei Teilen, der
himmlischen und der irdischen Kirche. Die Lebensbedingungen
beider sind verschieden. Die himmlische Kirche bilden die Engel,
Heiligen und die in Glauben und Buße Entschlafenen (Heb. 12,
22 ff.). Dieser Teil der Kirche ist unsichtbar und wird triumphierende
Kirche genannt, da er im Himmel weilt, „in dem
himmlischen Jerusalem", und triumphiert, indem er an dem
Ruhm und der Seligkeit Christi Anteil nimmt. Die Kirche, die aus
dem Leben der Glieder auf Erden besteht, ist die sichtbare, irdische
und heißt streitende (kämpfende) Kirche, da sie einen beständigen
Kampf mit vielen sichtbaren und unsichtbaren Feinden
führen muß. Trotz des Unterschiedes im Aufbau und der Lebensbedingungen
befinden sich die himmlische und die irdische Kirche
in harmonischer Einheit in enger Verbindung und Wechselbeziehung
. Sie bewahren die Einheit in der Zweiheit und die Zweiheit
in der Einheit. Sie sind vereinigt durch den Hl. Geist in Christus
als in einem unsiditbaren Haupte, zu einem Leibe.

Die Kirche ist immer zu allen Zeiten ihrer Existenz Eine.
Der leibliche Tod zerreißt weder den Bund der Gestorbenen mit
dem Herrn Jesus selbst, noch ihren Bund mit den auf der Erde
Gebliebenen, im Gegenteil, er festigt und erhöht ihn. Dieser lebendige
und unzerstörbare Bund zwischen der irdischen und der
himmlischen Kirche kommt darin zum Ausdruck, daß wir die
Kirche mit Ikonen schmücken und uns vor ihnen kniefällig verneigen
, daß wir die Reliquien ehren, ferner im Gebete für die
Entschlafenen, in der Anrufung und Verehrung der von Gott
verklärten Heiligen. Die himmlische Kirche ist der irdischen nahe:
die himmlischen Kräfte sind unsichtbar zusammen mit den Priestern
in der Liturgie, die Partikeln der heiligen Gebeine liegen
[eingenäht] in Altardecken auf den Altären; Partikeln [der Oblaten
] werden zu Ehren und Gedenken der heiligsten Herrscherin,
der Gottesmutter, und der Heiligen während der Proskomidie
[Zurüstung der Opfergaben] auf die Opferschale gelegt.

Die Orthodoxe Kirche lehrt die Einheit der himmlischen
und der irdischen Kirche und begegnet damit der falschen Konsequenz
, daß man absichtlich oder unabsichtlich die irdische Kirche
von der himmlischen absondert, sowie der Forderung der Anerkennung
eines besonderen sichtbaren Hauptes für die irdische