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1955 Nr. 9

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Theologische Literaturzeitung 1955 Nr. 9

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bieten. Damit verringert sich ständig die Aussicht auf die Bewältigung
des Ganzen durch einen Forscher, die aber zugleich immer
dringender wird. Eine handbuchartige Bearbeitung der Gesamtkunstgeschichte
ist sicher sehr nützlich, notwendiger muß es
aber erscheinen, eine Gesamtdarstellung von einer Forscherpersönlichkeit
zu erhalten, da jedes echte Teilverständnis an den
Überblick, an eine Einsicht in das Allgemeine gebunden bleibt.
Daß wiederum jede tiefere Gesamtdarstellung eine eindringende
Kenntnis der Teilgebiete bedingt, also nicht nur Zusammenfassung
sein kann, sondern zugleich Forschung sein muß, zeigt sich
in dem ersten Bande der Kunstgeschichte Hamanns in der bewunderungswürdigen
Konsequenz des Einarbeitungsganges, der
sich in einigen Hauptpunkten auch durch dem Bande voraufgehende
Veröffentlichungen des Verfassers erkennen läßt. Einigen
mutigen Vorstößen fachfremder Kunstforscher, die Kunst
Ägyptens aus der festen Verhaftung in Sprache und Sachwelt
Ägyptens zu lösen, war zunächst kein Erfolg von Dauer beschie-
den, so fruchtbar die Einwirkung allgemeinkunstgeschichtlicher
Methoden sich in Sonderuntersuchungen von Ägyptologen zeigte.
Hamann hat sich dieses Feld zunächst in einer gesondert erschienenen
ägyptischen Kunstgeschichte erobert7, so wie er einige
Jahre später als eine weitere Vorarbeit seines die Kunstgeschichte
des Altertums zusammenfassenden Werkes eine Geschichte der
griechischen Kunst veröffentlichte8. Für die Berechtigung, das
Hoheitsgebiet der klassischen Archäologie zu betreten, hatte sich
der Kunsthistoriker durch eine monumentale Veröffentlichung
der olympischen Plastik9 und durch verschiedene Einzeluntersuchungen
zur antiken Kunst schon ausgewiesen10.

Die ungeheure Fülle des Gebotenen zu charakterisieren, ist
ebenso unmöglich als sich mit den zahlreichen ganz persönlichen,
oft eigenwilligen Einzelaussagen auseinanderzusetzen. Die Größe
der zusammenfassenden Leistung wird erst dann völlig deutlich,
wenn man sich vergegenwärtigt, daß einige Hauptgebiete, wie
die Kunst der Vorgeschichte oder die Kunst des Alten Orients
bis in die letzten Jahre hauptsächlich in archäologisch-sachkundlichen
Einzelstudien behandelt worden sind. Mit den nicht seltenen
kleineren kunstgeschichtlichen Gesamtdarstellungen ist das
Werk schon wegen seines ausführlichen Eingehens auf die Einzelgebiete
nicht zu vergleichen. Als einziges ähnliches Werk zur
Kunstgeschichte des Altertums wäre die Antike Kunst von Ludwig
Curtius im Handbuch für Kunstwissenschaft zu nennen.
Sie setzt erst mit Ägypten ein, behandelt die Kunst Vorderasiens
verhältnismäßig kurz und ist ein Torso geblieben; der Mangel
an einer ausreichenden Kunstgeschichte des Hellenismus ist bis
heute sehr fühlbar geblieben. Hamann gibt nur einen kurzen einführenden
Abriß der Kunst der Vorgeschichte, Ägypten dagegen
wird ausführlich (und vor dem Alten Orient) behandelt. Hier,
wie überall in diesem Buche gibt ein für sich stehendes Einführungskapitel
, Vorausgegangenes und Folgendes miteinander verklammernd
, eine zusammenfassende Charakteristik, an die sich
dann eine übersichtliche, gruppenweise Besprechung der einzelnen
Denkmäler in zeitlicher Anordnung anschließt. Auf 220 Seiten
wird die Geschichte und Entwicklung der ägyptischen Kunst ausführlich
verfolgt, das Festhalten an ihrem Wesen wird betont,
die Kunst der Zeit Amenophis IV. daher eher unter- als überbewertet
, wie man überhaupt die Wandlungen innerhalb der ägyptischen
Kunst gelegentlich gern etwas stärker hervorgehoben
sähe, z. B. in einer näheren Analyse der klassizistischen Kunst
in Abydos. Überall ist der Hauptwert darauf gelegt, vor allem
das Sachliche gedrängt und verläßlich zu geben und die Werke
in vorzüglich charakterisierenden Beschreibungen zu würdigen.
Religionsgeschichtliche, kulturkundliche oder soziologische Be-

7) Ägyptische Kunst, Wesen und Geschichte, 1943 vernichtet, Neudruck
1944, 314S. Krit. Bespr. R. Anthes DLZ 70, 1949, 109—113.

8) Griechische Kunst, Wesen und Geschichte. München 1949, 459 S.

") Olympische Kunst, Marburg 1923, Neuausgabe Burg b. Magdeburg
1936; R.Hamann und E. Buschor, Die Skulpturen des Zeustempe's
zu Olympia. Marburg 1924.

10) Vgl. u. a. den Aufsatz: Original und Kopie, Marburger Jahrbuch
f. Kunstwiss. 15, 1949—1950, 135—156, hier in 146—148 ausführliche
Betrachtung zur Stehenden Göttin in Berlin, (vgl. im vorliegenden Buch
p. 484—48 5); Herakles findet Telephos, Abhandlungen d. Akad. d.
Wiss., Berlin, Philol. Kl. 1952 (9) Berlin 1953.

trachtungen werden nicht als Leitlinien durchgezeichnet, sondern
sind nur da, wo sie nötig erscheinen, in kurzen Bemerkungen
eingestreut. Knappe Vortexte zu jedem Kapitel stellen den Kontakt
zur allgemeinen Geschichte her. Eine stilgeschichtliche Betrachtungsweise
hilft die so wenig bearbeitete, noch kaum völlig
übersehbare Welt des Alten Orients ordnen, die in 100 Seiten
etwas zu stark zusammengerafft zu sein sdieint. Den Überblick
über die griechische Kunst leitet eine zusammenfassend abwägende
Würdigung in der Rückschau auf die ägyptische Kunst ein,
die Gesamtcharakteristik zu Plastik und Architektur ist ein Höhepunkt
des Buches. Die mit der kretisch-mykenischen Kunst beginnende
Darstellung nimmt mit fast 370 Seiten weit mehr Raum
ein als die römische Kunst, die sich mit 100 Seiten begnügen
muß. Eine beträchtliche Zahl auch weniger bekannter Werke
griechischer Kunst werden, zugleich in guten Abbildungen, vorgeführt
, die bekannten Stücke zu einem großen Teil mit neuen
Fotos, überall ist das Effektvolle vermieden und auch im Text
mehr Bedacht auf die wichtigen Werke als auf die Vorführung von
seltener behandelten genommen.

Stoffreich werden geduldig die wichtigen frühen Giebel behandelt
, auf die modische Bevorzugung archaischer Funde wird
verzichtet, Olympia ist eingehend, auch im Verhältnis zum Parthenon
besprochen. Phidias' allumfassende Bedeutung wird recht
entschieden eingeschränkt, dafür die Strahlkraft der Parthenonkunst
in der Wirkung auf die nachfolgende Skulptur dargestellt.
Der Hermes des Praxiteles findet sich als Original verteidigt, die
attischen Grabmäler werden ausführlich besprochen. Viele methodische
Möglichkeiten, die sich dem Kunsthistoriker aus dem
Vergleich der Wachstumsverhältnisse verschiedener Kulturen ergeben
, werden mit unbefangenem Blick genutzt, so wird z. B. der
Artemistempel zu Ephesos mit Architektur des 19. Jhdts. verglichen
. Das Streben, Beweggründe künstlerischen Gestaltens zu
fassen, führt zu höchst nachdenkenswerten Aussagen über die
Lebensbedeutung der sichtbaren Form und des Eros in der griechischen
Kunst. Auffällig ist die recht kritische, ja stellenweise
abwertende Stellungnahme zur hellenistischen Kunst, die stärker
bei der Besprechung des Pergamonaltars, weniger bei der Nike
von Samothrake zum Ausdruck kommt.

Die weit knappere Darstellung der römischen Kunst nach den
Übersichten zur italischen und zur etruskischen Kunst läßt eine
gewisse Zurückhaltung spüren, gegen die Erwartung wird die Architektur
, auch das Pantheon recht kurz abgehandelt. Ausführlicher
ist die Plastik bis ins 3. Jhdt. betrachtet, das Zeitalter Hadrians
sehr lebendig dargestellt, den Sarkophagen ein besonderes
Augenmerk gegönnt. Die stehende Niobe des Thermenmuseums
wird übrigens als ein römisches Original angesprochen. Der endliche
Barbarisierungsprozeß ist in knapper, kunstgeschichtlicher
Analyse einprägsam beschrieben, bemerkenswert das Verweisen
von Palmyra zur indischen Plastik.

Illustrationen in des Wortes wahrer Bedeutung, erhellende
Abbildungen sind dem Buche in reicher Zahl beigegeben, sie bilden
nicht nur einen wichtigen Bestandteil des Bandes, sie können
geradezu als ein selbständiger, nachschlagbarer Teil des Werkes
bezeichnet werden. Beruht die Darstellung fast völlig auf eigener
Anschauung, ein unschätzbarer Vorzug des Werkes, so stellen
die Abbildungen einen nicht geringen Teil der Lebensarbeit des
Verfassers dar, — der Quellennachweis der Fotos weist aus, in
wie umfassendem Maße Foto Marburg, von Richard Hamann begründet
und entwickelt, an der Bebilderung beteiligt ist. Die Abbildungen
sind in unterrichtender Weise beschriftet und mit Datierungen
versehen, es bleibt nur der unbescheidene Wunsch, daß
weiterhin auch Maßangaben eingearbeitet werden möchten. Eine
besondere Wohltat ist es, auch im Text nirgends nach versteckten
verklausulierten Meinungen suchen zu müssen, sondern überall
eine bündige Auskunft zu erhalten.

Ein Verzeichnis der wichtigsten Werke und Künstler in
knappster Fassung, mit Abbildungsnachweisen und Publikationszitaten
versehen, ist eine wichtige, über das Buch hinausweisende
und mit ständigen marginalen Textverweisen zugleich in die Darstellung
selbst zurückführende Hilfe. Ein erklärendes Wörterverzeichnis
und ein umfangreiches Register, das folgerichtig auch die
Abbildungen berücksichtigt, bildet den Schluß.