Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1955 Nr. 9

Titel/Untertitel:

Zeitschriftenschau: Territorialkirchengeschichte

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3, Seite 4

Download Scan:

PDF

537

Theologische Literaturzeitung 1955 Nr. 9

538

ten weiter, L hatte sich einerseits von „Aufzählung" über „Erzählung
" zu „sprachliche Äußerung" entwickelt, andererseits von
„Zählung" zu „Rechnung, Rechenschaft" und in der Philosophie
zu „Denken, Vernunft", letzteres in der hellenistischen Zeit mit
stark religiöser Färbung (TheolWb IV 76 f. Debrunner, 79 ff.
Kleinknecht). So eignete sich Rh besonders für die at. Gottesworte
, L für die nt. Botschaft (soweit sie in den Rahmen der
„Hellenisierung des semitischen Monotheismus" gehört).

Es sind also, wenn ich recht sehe, vier Problemkreise: ein
traditionsgeschichtlicher, ein theologischer, ein stilistischer und
ein terminologischer, die natürlich ständig durcheinander laufen;
aber das Ganze, das sie bilden, wird — wie immer — erst dann
klar, wenn die Teile zunächst sauber geschieden und nach ihrem
Wesen studiert werden. Ich habe den Eindruck, Repo berücksichtige
die dritte und vierte Betrachtungsweise zu wenig und betone
vor allem zu stark die erste, wobei er unter Tradition weit überwiegend
an schriftliche Quellen denkt, vor allem im weit umfangreicheren
analytischen Teil, d. h. in der Einzelexegese, weniger
im synthetischen Teil. Das prägt sich besonders in dem exkursartigen
Kapitel „Die Schreibweise des Verfassers [Lukas] und sein
Verhältnis zu den Quellen" (S. 48—58) aus. „Lk. scheint also im
allgemeinen seine Quellen ziemlich zuverlässig wiedergegeben zu
haben, sogar hinsichtlich des Wortlauts . . ." (S. 55). . . „Aber ist
es dann nicht unwissenschaftlich, zu behaupten, daß Lk. mit dem
Sondergut anders verfahren sei als mit jenen Quellen (Mk, Q),
für die es Kontrollmöglichkeiten gibt" (S. 56). Was bleibt da noch
vom Schriftsteller übrig? Lukas war doch gewiß sowohl griechisch-
rhetorisch gebildet als auch im AT (d. h. wohl in der LXX) bewandert
; er beherrschte beide Stile und war zum Schreiben nicht
auf sklavische Wiedergabe von Vorlagen angewiesen. Andern Autoren
billigt Repo ein freieres Verfahren zu: „Das freie Zitieren
der LXX nach dem Gedächtnis war in der urchristlichen Zeit sehr
gewöhnlich" (S. 86); der Verfasser des Hb hat „in viel größerem
Umfang als z. B. Paulus die Stilmittel der griechischen Rhetorik"
beherrscht (S. 99); ja sogar dem biedern Verfasser des Pastor
Hermae traut er es zu, daß er „zu der Rh-Tradition jüdischen und
judenchristlichen Ursprungs. . . offensichtlich auch durch die
mündliche Überlieferung der Gemeinde eine Beziehung" hatte . . .
und „sich an die jüdische paränetische und liturgische Tradition
angeschlossen hat" (S. 122). Und da sollen die Stilverschiedenheiten
des Lukas mit den Extremen von Lk. 1—2 bis Apg. 26 rein
auf den Vorlagen beruhen? Credat Judaeus Apella, non ego!

Zentral wichtig ist die Auseinandersetzung Repos mit Kittel
(TheolWb IV 115 ff.) über die Ausdrücke für „Wort Gottes" und (im
gleichen Sinn prägnant) „Wort" (S. 190—196). Aus der LXX übernimmt
das NT sowohl das ältere semitisierende Sijfin &tov, tevgiov
(als semitistisch charakterisiert auch durch das Fehlen des Artikels) wie
auch das jüngere, besser griechische 6 X.öyn: xnv fteov, xov xrnlav
(Repo I 125 ff., Debrunner ThLZ 1953, 220); über das vielverschlungene
Ineinander und Auseinander der beiden Wendunsen im NT findet sich
bei Repo in der Einzelexegese und im synthetischen Teil viel Überzeugendes
. Förderlich wäre auch die Heranziehung von Cremer-Kögel
(409 f.) gewesen!

Der Semitismus des „kerygmatischen Fachausdrucks" ro nfjua zovzo,
za Q-fjfiaxa zavra (182. 200 f.) verrät sich auch in der ständigen Nachstellung
des Pronomens; vgl. Blaß-Debrunner § 292 Anhang; rnvza za
grj/iaza steht nur J 8,20 und 10,21, und zwar am Satzanfang. Mit
Recht wird Repo 205 bei Lk. 9, 28 iirxä rot'? Xöyovg xorzovg stutzig;
er glaubt, diese Wendung habe „offenbar schon zur Form der Erzählung
gehört, die die Sonderüberlieferung des Lk. vermittelt hat, wenn nicht
Lk. selbst anstelle des ursprünglichen Rh L gesetzt hat . . ., um so die
Spredibetontheit klarer herauszuarbeiten" (S. 23); dazu S. 32: „die entsprechende
übersetzungssemitische LXX-Formel /irzä rn nrjuaxa xavxa
(I 148 ff.) ist deutlich sachbetont" (d. h. sie bedeutet „nadi diesen Ereignissen
") „und somit dem griechischen Sprachgefühl fremd"; Anm. 2:
..Anstelle der entspr. Übergangsformel gebraucht Lk. nach griediisdier
Weise (I 162) einen verkürzten adverbialen Ausdruck {/ierd zavra,
5s7, 10i)." Wenn nun aber //rrr'i tobt Xiyavs xobxovt Lk. 9, 28 „sprechbetont
" ist, d.h. „nach diesem Gespräch" (Lk. 9, 18—27) bedeutet oder
„nach diesen Worten" (lesu: 9,21—27), so ist das gewöhnliches Griechisch
und hat mit den Formeln iifza ra i't'iimra razra und /irszd xovg
Xdyovf to&tovt der LXX nichts zu tun. Oder am Ende doch etwas? Die
Prüfung ergibt folgendes: in der LXX (Repo I 148 f.) ist fiexä xa gr)-
ftaxa xavxa die ältere wörtlidiere Übersetzung, //frö rovg Xdyovg xov-
xovg die jüngere, halbgräzisierte (XSyove statt ni'/iinxa besser griechisch,
ajjer Xöyoi — Ereignisse ungriechisch). Ganz anders das NT: //«rd zä

gtjfiara xavra fehlt ganz, dafür steht usxa xovxo J 5 mal, fiexa xavxa
30 mal (davon Lk. 5, Apg. 4 mal). Das iifto. xovg X.öynrg rnvrovg von
Lk. 9, 28 ist im NT völlig isoliert. Wir haben also die Wahl: entweder
heißt es „nadi diesem Gespräch, diesen Worten" — was mir wahrscheinlicher
ist — oder Lk. verwendet die spätere, weniger semitistische Formel
.

Auf seinen Lieblingsgedanken, daß bei der Wahl von Rh der lautliche
Anklang an das Grundwort 'mr eine beträchtliche Rolle gespielt
habe, will der Vf. trotz meiner starken Skepsis (ThLZ 1953, 220) nicht
verzichten; ich muß gestehen, daß midi seine Verteidigung (164 f.)
nicht überzeugt; seine Erweiterung der Hypothese auf aram. pitghmh
(eventuell mit spirantischem g = Zäpfchen-r// zu rh.ema (S. 165)
und sogar auf lat. verburn zu rhemu1 scheint mir den Gedanken
eher ad absurdum zu führen als zu retten! Doch freuen wir uns lieber
am Schlußentscheid: „Keinesfalls kann die Assoziation zwischen ,ver-
bum' und Rh für Hermas etwas anderes bedeutet haben als eine schwache
Bestärkung in seiner Bevorzugung von Rh." Ich leugne solche Möglichkeiten
nicht grundsätzlich: für d/a.Tnr zu hb. 'hb und für ixxktjola
zu hb. qhl z.B. lasse ich sie gelten (ThLZ 1953, 220, anerkannt von
Repo 195 Anm. 1). Man könnte sie auch im Anschluß an evom'^in&ai
erwägen. Sicher ist evojzifea&ai eine „bibl. Wortbildung, in LXX
(Hatch-Redp. hat sv 37 St.) meist die Entsprechung von 'zn hi." (Horst
TheolWb V 558, 14 f.), und die einzige nt. Stelle des Worts: Apg. 2, 14
eviozioav&E za. örjiiazä nov (vgl. LXX Ps 5, 1; 53,4; Hi 32, 11;
34, 162, aber Genesis 4, 23 iveoziaande ftov xovg Xöyovg besser griechisch
) steht in der Pfingstrede des Petrus an die ärfiosc 'Iovhaloi Kai oi
xazoixovvze; 'hnovmilr)u irävxeg (vgl. Repo 39 f.). Der Lautanklang
kommt allerdings nur für ovg = 'özän in Betracht, kaum für eirund
gar nicht für ivwii^eafrai ~ hä'"zin — und überhaupt: wie
sollte man 'ozän anders übersetzen als mit ov; (oder önlov, <ozd-
o(ov)?Die Lautassoziation hat also, wenn überhaupt, auf keinen Fall
einen irgendwie bestimmenden Einfluß ausgeübt! Und letztlich wird
man grundsätzlich sagen müssen: auch wenn bei der erstmaligen
Übersetzung eines semitischen Worts oder bei einer allfälligen Wahl
zwischen verschiedenen Übersetzungen der Lautanklang mitgespielt hat,
so war er gewiß nach der längst erfolgten Einbürgerung der Übersetzung
unwesentlich oder vergessen.

Eine letzte kritische Bemerkung: Mt. 12, 36 itäv gfj/ta ägyöv S
X.aXrjoovaiv oi avtroconoi, ajioömaovaiv jicgl avxov Xoyov. Der einfache
sprachliche Exeget wird sagen: grj/ia, jräv ßfj/ia, gfj/ia XaXsTv und der
voranstehende Nominativus absolutus sind Semitismen, Xoyov äxoSi-
Sövai enthält eine der vielen geläufigen profanen Bedeutungen von
Xöyog und ist eine Formel des Geschäftslebens, ihr Zusammentreffen in
einem Vers ist Zufall und hat mit dem Verhältnis Rh-L nichts zu tun.
Repo 204 geht von seinem Bedeutungsschema aus: Rh und L haben
..sachbetonte Bedeutungsfunktionen", bei Rh sind sie konkret, bei L
abstrakt-intellektuell. „Beide Äquivalente kommen dort" (Mt. 12, 36)
„nebeneinander im gleichen Kontext vor . . .". „Dies Prinzip der Teilung
der sachbetonten Bedeutungsfunktionen unter Rh und L tritt schon
in der LXX hervor." — Im Anfang war — das Schema!

Ich habe mich absichtlich fast ganz auf die das NT betreffenden
Abschnitte beschränkt; sie sind ja durch den Umfang als die
wichtigsten gekennzeichnet. Aber die Fortführung der Studien über
das NT hinaus darf nicht übersehen werden; die Verwendung von
Rh liefert einen Beitrag zur Frage, wie in der nachneutestament-
lichen Zeit die Bibelsprache des NT (und der LXX) in verschiedener
Weise je nach dem Bildungsstand und den literarischen Neigungen
der Verfasser nachwirkt. Die Kirchengeschichte der ersten
Jahrhunderte wird davon mit Nutzen Kenntnis nehmen.

Zum Formalen: Erfreulicherweise hat der Vf. jetzt den unglücklichen
Ausdruck „semologisch" durch den gangbaren „semasiologisch"
ersetzt und für die Korrektheit des Deutsdien eine Hilfe herangezogen;
nur die „Aramäismen" und das „caesaräisch" statt „cäsareisch" sind geblieben
; die Bildung geht so: 'Eßgalog — eßgatCriv — ißgato/xög
und so 'Aga/uaiog aramäisch — dgatiata/iög Aramaismus; Kaiaägeia
— Kaiadgmog Caesarea Caesareus — Cäsarea cäsareisch.

Druckfehler sind im griechischen Text nicht selten; ich nenne nur
S. 66 Sdog, 113 zweimal öXiya, 145 ßndrxo)v, TlavXnv, und das wiederholte
gijua ctygov statt noy"" (S. 19, 18 5, 202, 204); anderes korrigiert
sich leicht. Der deutsche Text ist beneidenswert druckfehlerfrei;
die „Paranäsetradition" S. 125 (statt „Paränesetradition") ist wohl nach
der letzten Korrektur hineingeschlüpft.

Btrn A. Debrunner

1) S. 151. 127 mit bezeichnendem Schwanken zwischen Zuversicht
und berechtigter Vorsicht.

2) Seltsamerweise ist &voytloao&& ra gijiiaxä fxov bei Nestle'1 nicht
fett und bei Merk" nicht kursiv gedruckt.