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Ausgabe:

1955 Nr. 1

Spalte:

32-33

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Mulert, Martin

Titel/Untertitel:

Hermann Mulert 1955

Rezensent:

Heussi, Karl

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Theologische Literaturzeitung 1955 Nr. 1

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Jesu und die Ereignisse seines Lebens als Heils-Taten und Heils-
Ereignisse aufzuzeigen und aufzuweisen, wie die Heilsgeschichte in
ihnen ihr Ziel und Ende, ihre Krönung und Vollendung gefunden
hat". In diesem Rahmen sind die ältesten Jesusprädikate, die sich
vor allem in den Petrusreden der Ag. finden, zu verstehen
(S. 112 ff.).

Offen bleibt, ob „Lamm (Gottes)" nach l.Ptr. 1, 18 f. hier einzureihen
ist (114). Obwohl man in dem Prädikat „Gottesknecht" „die
älteste Erklärung des Geheimnisses der Person und des Werkes von Jesus
" zu erblicken hat, ist es doch, im Gegensatz zu den Jesus-Prädikaten
„Christus" und „Kyrios", „nicht ein Name oder Titel Jesu geworden.
Gottesknedit ist eine seltene und feierliche Bezeichnung Jesu. Über ihr
liegt die Weihe der Liturgie" (Did. 9, 2 f.; 10, 2 f.; 1. Klem. 59, 3 f.
vgl. mit Ag. 4, 27 und 30 und 3,13. 26; S. 116—122). Das Kyrios-
Prädikat interpretiert der Verf. aus Ag. 2, 36, d.h. für ihn: aus einer
v o r kultischen Bedeutung heraus, ebenfalls „heilsgeschichtlich" (127).
Dagegen werde „die rein heilsgeschichtliche Bedeutung des Kyrios Jesus"
durdi das Gebet des Stephanus (Ag. 7, 60) überschritten. „Aus dem Bewahren
des Glaubens, daß Jesus der Christus sei, wird das Bleiben beim
Kyrios (Ag. 11,23)". „Paulus hat auf dem Wege nach Damaskus nicht
den Auferstandenen, sondern den Kyrios gesehen (Ag. 9, 27)" (128). So
fällt dem Gebet des Märtyrers Stephanus eine nicht leicht zu überschätzende
Bedeutung für die Tatsache zu, daß Jesus im Kult der Gemeinde
vornehmlich als Kyrios angerufen werden konnte und durfte.

Dem entspricht die These, daß im Christus-Hymnus von
Phil. 2, 6—11 eine „Synthese der Gottesknechts- und der Kyrios-
theologie" vorliege (130—154).

Es sei kurz hervorgehoben, daß der Verf. die Alternative: cthisdie
oder (heilsgeschichtlich-)soteriologische Interpretation bei der Exegese
von Phil. 2, 6 ff. nicht mitmachen will, Käsemanns Interpretation (die er
umbiegt) zwar berücksichtigt, die „Seinsweise" des „Knechts" aber anders
versteht: „Mit der Gottesknechts- und Namen-Jesu-Theologie der
Proskynesis verbindet sich in der Akklamation dieKyriostheologie" (144).
„In der Kyrioshuldigung des ganzen Kosmos dieses von Paulus übernommenen
Hymnus hat sich das petrinisdie Kerygma von Jesus Christus
dem Kyrios aller (Ag. 10,36) liturgisch entfaltet" (145). Audi der Name
Jesus sei in diesem Hymnus Würdename; das entspreche dem Christusverständnis
des „petrinisch-galiläischen Überlieferungskreises" (143).
„Die Trias: Kyrios-Jesus-Christus besagt also: Herr-Erretter-Gcsalbter des
Herrn" (144). Der Hymnus entfaltet den Satz: Gott wird Mensch „im
Nacheinander der verschiedenen heilsgeschiditlichen Ereignisfolgen und
in der Kontinuität des in Jesus verwirklichten Heilsgeschehens" (146).
Das „Kyrios-Dasein dieses Menschen Jesus" kann infolge dieses Hymnus
nicht mehr „adoptianistisch" verdeutet werden (151). Während das Ky-
rios-Prädikat bei Petrus nur „heilsgeschichtlich-messianisches Prädikat des
Menschen Jesus" war, zeigt sich jetzt, wie schon im Gebet des Stephanus,
daß das Wort „Herr" „solche Gewalten einschließt, die Jesus selbst seinem
Vater zugeschrieben hat". Hier im Hymnus dagegen „steht Jesus
auf gleicher Linie mit Gott dem Vater" (150 f.). Aber diese „fortschreitende
Klärung der Herrnaussage" hat „sich nicht im hellenistischen, sondern
im vor-hellenistischen palästinensischen Raum vollzogen" (151).

Aber auch der Inhalt der „Paradosis des Apostels Paulus von
Jesus als dem Christus" (159—166) deckt sich weitgehend mit der
petrinischen Paradosis. Während in den Briefen des Paulus „die
theologische Reflexion" vorherrscht, die den „schon geweckten
Glauben" „vertiefen" will (165), ergibt das paulinische „Mis-
sions-Kerygma" in der Ag., daß sich Paulus wie in 1. Kor. 15,3—5
so in der antiochenischen Rede, Ag. 13, 26—37, an das traditionelle
„Kompositionsschema" der urapostolischen Paradosis gehalten
hat (163 f.).

Das Kompositionsschema in Ag. 13, 26—37 baue sich auf dem
„aramäischen" „antithetischen Parallelismus membrorum" auf:

I. „1. Glied: a) Das Leiden und der Tod Jesu xaxä rag yga-

<pdg

b) Die Grablegung Jesu ohne Bezug auf die yqa-
rpal als bloßes Faktum berichtet.
2. Glied: a) Die Auferwedcung Jesu xara rag yga<p<ig

b) Das Erscheinen des Auferstandenen vor denen,
die mit Jesus von Galiläa nach Jerusalem hinaufzogen
, wiederum ohne Bezug auf die ygatpai
als bloßes Faktum berichtet" (163).

Dem entspreche das Schema in 1. Kor. 15, 3—5:

II. „1. Glied: a) Tod Jesu xara räg ygaqpdg

b) Grablegung ohne Bezug auf die ygatpai

2. Glied: a) Auferweckung am dritten Tage xara rag yga-

<pag

b) Erscheinen des Auferstandenen vor Petrus und
den Zwölfen ohne Bezug auf die ygaqpai
(164).

Die Gleichheit des Schemas hier wie dort zeige, daß Paulus
das Schema „durch die Paradosis vorgeschrieben" und daß „das
Kerygma von Jesus als dem Christus... in der Paradosis bereits
eine feste Formel geworden" war (164). Auch für Paulus sei „das
geschichtliche Faktum Jesus, d. h. die geschichtlichen Ereignisse,
die mit dem Namen und der Person Jesu verbunden sind, Ausgangspunkt
und Grundlage seiner Verkündigung so gut wie für
Petrus" gewesen. „Auch das Christuskerygma des Paulus wird
dadurch bestimmt, daß diese geschichtlichen Ereignisse: Abstammung
von David und Vorläufer Johannes, Abendmahl und Verrat
des Judas, Kreuz und Grablegung, Auferweckung und Erscheinen
vor den Zwölfen als Heilsereignisse mit Hilfe der alttcsrament-
lichen Prophetie aufgewiesen werden" (165; vgl. 28 f.).

Aber darf man den paulinischen Grundriß so leichthin mit
dem lukanischen kombinieren? „Heilsgeschichtlich" denkt Paulus
doch eigentlich nur im Zusammenhang von Rom. 9—11; und
auch dort erhebt sich das Problem, wie z. B. Rom. 11, 32 zu verstehen
ist (siehe meine Hermeneutik, Cannstatt 1954, S. 149 ff.).
Es mag sein, daß die Theologie der Auferstehung Jesu schon in
der Tradition von l.Kor. 15, 3—5 heilsgeschichtlich gedacht ist.
Jedenfalls liegt in l.Kor. 15, 3—8 eine Kombination von Auf-
erstehungstheologie fe.yfQ'ßfjvai) und Erhöhungstheologie (orprJrj-
vat) vor, in dem vorpaulinischen Hymnus Phil. 2, 6—11 dagegen
nicht, und ebensowenig in der Theologie des Hebräerbriefs. Paulus
hat die Auferstehungstheologie akzeptiert, aber er hat sie zugleich
im Sinne von Phil. 2, 6—11 „vertieft", wie z. B. Rom. 8, 3
zeigt. Nimmt man an, daß die Erhöhungstheologie die ältere ist
(vgl. Ag. 2, 36 ohne das Obiekt xvniov), dann wird man urteilen,
daß sich Paulus trotz seiner Rezeption wieder der Erhöhungstheologie
genähert, aber in der Tat, um in einer späteren Sprache zu
reden, deren „adoptianistisches" (s. o.f) Mißverständnis ausgeschaltet
hat. Nun wird man dem Verf. zugeben können, daß das
Schema von 1. Kor. 15, 3—5 in Ag. 13, 30 f. durchblickt. Aber es
ist bezeichnend, daß l.Kor. 15, 6 ff. in Ag. 13, 31 wegfällt und
daß die Zeugen in Ag. 13, 31 nach dem Modell von Ag. 1,21 f.
verstanden sind. Der Schriftbeweis für die Auferstehung Jesu wird
in Ag. 13 erst mit V. 32 ff. gebracht, während Jesu Auferweckung
in V. 30 ohne Schriftbeweis ausgesagt ist (die vg. fügt noch tertia
die an). Außerdem erstreckt sich der Schriftverweis in Ag. 13, 29
auf die ganze Passion, zweifellos einschließlich der Grablegung:
Jesus muß vom „Holz" der Verfluchten weggenommen werden
(vgl. Dt. 21, 23). Die ..Glieder" im Schema I 1 b und 2 a entsprechen
nicht mehr den Gliedern im Schema II 1 b und 2 a; anders
ausgedrückt: das Schema von 1. Kor. 15, 3—5 ist in Ag. 13, 29—31
zerbrochen. Damit entfallen auch die vom Verf. gezogenen Schlußfolgerungen
, auf denen seine Geschichtskonzeption beruht.

Tübingen Ernst Fuchs

KIRCHENGESCHICHTE

M u I c r t, Martin: Hermann Mulert. Sein Leben, Wesen und Wirken.
Berlin: Töpelmann 19 54. VII, 62 S. m. 1 Bildnis. 8°. Lw. DM 6.—.

Wie der Verfasser selbst bemerkt, werden es überwiegend
Freunde Hermann Mulerts sein, die das kleine Buch lesen. Ihrer
sind sehr viele. Sie werden sich an der Hand dieser anschaulichen
Schilderung das Bild der Persönlichkeit, des Lebens und Wirkens
des trefflichen Mannes gern vergegenwärtigen. Insbesondere wird
die Umwelt deutlich, aus der H. M. stammte. Wir erfahren u. a.,
daß die Vorfahren bis zum Jahre 1678 hinauf sämtlich Pastoren
im Sächsischen gewesen sind. Dies spricht Bände. Man ahnt, welche
Unsumme an Zucht, Pflichterfüllung, selbstloser Hingabc,
aber auch intellektueller Schulung vorangehen mußte, damit ein
solcher Mensch seinen Mitmenschen geschenkt werden konnte.
Der Verf. des kleinen Buchs, ein Schwestersohn H. M.s, ist praktischer
Arzt. So ist es verständlich, daß die Stellung H. M.s innerhalb
der theologischen Problemgeschichte eben nur angedeutet