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1955

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Missionswissenschaft

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einheitliche Osten auch hier eine ganze Skala von Unterschieden
aufweist, und zwar steht, um wenigstens das zu sagen, in Ägypten
mit seiner Mittlerstellung des Pharao zwischen Gott und
Mensch und dem den Toten vergottenden Osirisglauben der
Mensch der Gottheit näher als in Vorderasien'5. Eines aber, und
ein Entscheidendes, eint den Vorderen Orient und Ägypten und
stellt diese religiöse Welt der des Griechentums gegenüber: Die
Götter sind hier überall Herren des Schicksals und besitzen infolgedessen
eine Majestät, die den griechischen Göttern fehlt,
weil sie schicksalsunterlegene Wesen sind'". Umgekehrt können
die Griechen mit den Göttern in einer Weise verkehren — es sei
nur an Gebetsgestus oder Gebetsanreden erinnert —, wie sie
Freunden, ja Verwandten zukommt und wie sie dem demütig vor
der Gottheit niedersinkenden Orientalen in der Regel nicht möglich
ist. Nun aber geschieht im Hellenismus nach langen Zeiten
großen, doch weithin getrennten Formscharfens das Wunder der

15) Dazu vgl. demnächst Einiges in meinem Beitrag „Die Erwählung
zwischen Gott und König in Ägypten", Festschrift A. Wedemeyer zum
80. Geburtstag.

16) Die Zeugnisse reichen einerseits quer durch die griechische Re-
ligionsgcschichte; sie beginnen mit der Ilias und erreichen in Lukian
von Samosatas „Überführtem Zeus" ihre letzte Konsequenz. Anderseits
bestehen sie z. B. aus Göttertiteln und -funktionen, die für alle
in Frage kommenden Religionen Monographien lohnten — vgl. z. B.
das Material für den ägyptischen Gott Ptah bei M. Sandman-Holmberg,
The God Ptah, 1946, S. 64 ff.

I Durchdringung, und auf der raum-zeitlichen welthistorischen
Brücke, die Syrien im Hellenismus zwischen Orient und Okzident
bildet, verkündet Jesus von Nazareth den majestätischen Gott,
den Herrn der Welt und auch der kleinsten menschlichen Geschicke
, der doch zugleich der gütige und liebende Vater ist und
der aus seiner Machtvollkommenheit heraus in einem Jenseits
von irdischer Gerechtigkeit den verlorenen Sohn in Gnaden aufnimmt17
. Wenn Gott sich so verkündigen wollte, wie er sich
hier im Herzstück des Evangeliums tatsächlich verkündigt, wenn
er also in dieser Form und mit dieser Botschaft geschichtlich sichtbar
werden wollte, so konnte er sich, jedenfalls auf dem Boden
des weiten westlichen Bereiches der Alten Welt, keine bessere
Zeit und keinen besseren Ort auswählen, als er es, wie wir es
im Glauben annehmen, wirklich getan hat. Selbstverständlich
bleibt ein Letztes unauflösbar: In Geheimnis hüllt sich die exakte
historische und damit zugleich die individuelle Realisierung, in
der sich Gott offenbarte. Aber der Historiker kann bei richtiger
Optik mit einfachen und in der Hauptsache altbekannten Fakten
unmittelbar an das letzte Geheimnis heranführen und damit die
Besonderheit und Einzigartigkeit des Christentums auf seine

j Weise sichtbar und faßlich machen.

17) Zu den vielen Dingen, die hier heranzuziehen oder auch noch
i zu untersudien wären, gehört eine saubere Arbeit über die aramäische
j Vateranrede 'abba, wie sie J. Jeremias vorzulegen beabsichtigt, vgl. inzwischen
ZNW 45, 1954, S. 131 f.

liELIGlONSWlSSENSCHAIT

Boyce^Mary: The Manichaean Hymn-Cycles in Parthian. London:
Oxford University Press (Geoffrey Cumberlege), 19 54. VIII, 199 S..
4Taf., 8° = London Oriental Series Vol. 3 30 s/- DM 18.80.

Diese wichtige orientalistische Textedition wird in einer
theologischen Zeitschrift angezeigt, weil sie nichts Geringeres
enthält als die Texte, aus denen Richard Reitzenstein vor
über dreißig Jahren sein „Iranisches Erlösungsmysterium" (Bonn
1921) rekonstruiert hatte. Es ging ihm damals bekanntlich darum,
zunächst in der manichäischen und mandäischen Literatur, dann
aber in weiteren Religionsurkunden der in verschiedenen Zeiten
dem Perserreich eingegliederten Völker einschließlich der Juden
die Wirkung einer auf iranischem Boden ausgebildeten Lehre
nachzuweisen, welche die Seele oder den inneren Menschen als
Gottwesen faßt, das aus der Lichtwelt in die Materie herabgesandt
und aus ihr durch einen konsubstanzialen Erlöser wieder
befreit und zurückgerufen wird. Das gewaltige Material, mit dem
Reitzenstein in seinem unglaublich schwer zu bewältigenden
Buche den Leser überschüttet — H. S. Nyberg hat in seiner
Rezension in Monde Oriental 17, Uppsala 1923, p. 80 ff. einen
Weg hindurch gebahnt —, hat sein Zentrum in einer Reihe von
Turfanfragmenten, zu deren Erklärung in erster Linie der mani-
chäische Bericht über das Schicksal der Seele nach dem Tode im
arabischen Fihrist des Ibn an-Nadim und der sog. awe-
stische Yast 22 (heute Hädöxt-Nask genannt) herangezogen werden
. Näherhin handelt es sich um die im damals „arsacidischer
Norddialekt", heute „parthisch" genannten Dialekt verfaßten
Fragmente M 96, M 439, M l75, M91, M 774, M 88 und TU
D 178 I—IV, die F. W. K. M ü 11 e r (Berlin) damals zur Edition
vorbereitete. Reitzenstein durfte die Aufzeichnungen und Übersetzungen
Müllers benutzen und ließ sich weitere Turfantexte von
dem Göttinger Iranisten F. C. Andreas vorübersetzen; dieser
trat jedoch kurz vor der Ablieferung des Manuskriptes von der
Mitarbeit zurück und wollte seine Übersetzungen nicht mehr freigeben
. So blieb es bei der Veröffentlichung der weitgehenden,
von Reitzenstein selbst als vorläufig bezeichneten religionsge-
schiditlichen Folgerungen, denen immerhin noch die Übersetzungen
Müllers zur Stütze dienten. Die für die religionsgeschichtliche
Wortforschung wichtigeren Termini oder gar der Urtext wurden
nicht mitgeteilt. Reitzenstein war sich über die Tragweite dieser
Unterlassung völlig klar und mahnte selbst seine Nachfolger zur
Vorsicht, indem er seine Arbeit als Vorbereitung auf die von ihm
für die nächste Zeit erwartete philologische Textausgabe bezeichnete
. Trotzdem haben seine Thesen bis auf den heutigen Tag
allenthalben und nicht zuletzt in der neutestamentlichen Wissenschaft
bedeutende Nachwirkungen gezeitigt. Zur Veröffentlichung
der Fragmente durch F. W. K. Müller kam es nicht mehr. Erst
W. H e n n i n g nahm sie im Zuge der Herausgabe des wertvollen
Andrea s'schen Nachlasses wieder in Angriff, legte aber zu-
I nächst zahlreiche nicht minder wichtige andere Texte vor und fand
I keine Zeit, dem hier interessierenden Zyklus weiter nachzugehen
(Preface p. VII). So übertrug er die Publikation, an der er jedoch
ständig selbst weiter mitarbeitete, seiner Schülerin M. B o y c e,
die sich ihrer Aufgabe meisterlich entledigt hat.

Die Verf. diskutiert zunächst die Zugehörigkeit und den literarischen
Charakter der Fragmente (p. 1—8). Nachdem das

i Fragment M 7, in dem Zarathustra als Erlöser auftritt und das
Reitzenstein deshalb zu seinem Ausgangs- und immer wieder angezogenen
Grundbeleg gemacht hatte, von der Forschung nicht
als altiranisch anerkannt werden konnte, mußte es nun um die
Frage gehen, ob die nach Reitzenstein das „große Erlösungsmysterium
" repräsentierende, oben bezeichnete Textgruppe wirklich
das sechste, vollständigere „Glied" (handäm) einer „abgekürzten
Totenmesse" sei, die Reitzenstein in dem von Müller publizierten
Fragment M 4 glaubte finden zu können. Hier schafft
nun die Verf. vollkommene Klarheit durch den Nachweis, daß
es sich bei dem Text, durch den Reitzenstein auf diese Ansicht

■ geführt wurde, um das sechste eines gleichfalls in „Gliedern"
aufgebauten, aber von M 4 ganz unabhängigen Hymnenzyklus
handelt; die vollständige Fragmentensammlung, die Henning
und der Verfasserin vorlag, enthielt die anderen Glieder dieses
Zyklus. Aus ihnen ergab sich auch, daß die Worte „angad
rösnän" („Der Lichter reicher...", sc. „Geliebter") nicht der
Titel des sechsten Gliedes sowohl des Fragmentes M 4 wie des
Hymnenzyklus sind, wie Reitzenstein annahm, sondern ausschließlich
der Titel des ganzen Hymnenzyklus; es sind die Anfangsworte
seines ersten handäm. Zahlreiche dadurch geklärte
Indizien wie inhaltlicher Zusammenhang, Versbau, Schriftduktus
ermöglichten es dann, die Fragmente eines zweiten, grundsätzlich
schon von Lentz identifizierten Zyklus „huwidagmän"
(„Glücklich für uns...") von angad rösnän zu unterscheiden.
Die Tabelle p. 62—65 gibt Auskunft darüber, welchem Teile welches
Zyklus' ein jedes Fragment zugeordnet ist. Es sind jetzt insgesamt
114 Fragmente aus über 40 Handschriften, die der Verf.
in Photokopien nadi den Originalen der Berliner Akademie zur
Verfügung gestanden haben. Nur 15 Fragmente konnten nicht
lokalisiert werden; diese sind p. 174—178 gesondert veröffentlicht
.