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Ausgabe:

1955 Nr. 1

Spalte:

19-24

Autor/Hrsg.:

Müller, Alfred Dedo

Titel/Untertitel:

Die Zukunft der Pastoraltheologie 1955

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Theologische Literaturzeitung 1955 Nr. 1

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das gesteckte Ziel zu erreichen. Auf diesem Gebiet warten auch
noch andere Aufgaben und Möglichkeiten auf uns, von denen in
den nächsten Tagen die Rede sein soll, wenn über die Schaffung
einer Werkschule für angewandte kirchliche Kunst in Erfurt berichtet
wird.

Ich bin am Ende meiner Ausführungen. Daß es sich bei dem
Unternehmen des Kirchbautages um mehr als das Steckenpferd
einiger kleiner Fachkreise handelt, ist, hoffe ich, deutlich geworden
. Ob Sie dem Kirchbautag darüber hinaus das Prädikat einer
not-wendigen Einrichtung zuerkennen werden, müssen Sie mit
sich selber ausmachen. Ein weiter Weg liegt vor uns, ein Weg,
dessen Bewältigung an unser aller Eifer, Beharrlichkeit und Hingabe
große Anforderungen stellen wird. Das Gelingen der Aufgabe
freilich ist nicht in unsere Hand gegeben, — wie auch der
rechte Kirchenbauer vor dem gelungenen Werk stets urteilen
wird, daß das Beste daran Gnade ist. Und so dürfen wir uns gerade
dann, wenn wir gewillt sind, mit ganzer Kraft im Kirchbautag
mitzuarbeiten, für das, was einmal werden wird, jenes schönen
Gleichnisses des chinesischen Weisen und Laotse-Schülers
Dschuang Dsi getrösten, das so wundersam mit der Wahrheit
des Evangeliums zusammenstimmt:

„Der Herr der gelben Erde wandelte einst jenseits der Grenzen
der Welt. Da kam er auf einen sehr hohen Berg und schaute
den Kreislauf der Wiederkehr. Da verlor er seine Zauberperle.
Er sandte Erkenntnis aus, sie zu suchen, und bekam sie nicht wieder
. Er sandte Scharfblick aus, sie zu suchen, und bekam sie nicht
wieder. Er sandte Denken aus, sie zu suchen, und bekam sie nicht
wieder. Da sandte er Absichtslos aus (eine andere Übersetzung
lautet: Da sandte er Selbstvergessen aus). Und Absichtslos fand
die Perle. Der Herr der gelben Erde sprach: „Seltsam fürwahr,
daß gerade Absichtslos fähig war, die Perle zu finden!""

34) Das wahre Buch vom südlichen Blütenland. Verdeutscht von
Richard Wilhelm. Jena 1923. S. 86.

Die Zukunft der Pastoraltheologie

Eine grundsätzliche Frage zu Wolfgang Trillhaas: „Der Dienst der Kirche am Menschen. Pastoraltheologie"

Von Dedo Müller, Leipzig

liehe Beratung, die Kirchenzucht, der Dienst der Kirche an den
Außenstehenden) und behandelt in einer „speziellen Seelsorgelehre
" die praktischen Einzelaufgaben (Taufe und Seelsorgc,
Jugendseelsorge, Seelsorge und Ehe, Seelsorge bei geschlechtlicher
Verirrung, Schutz des Lebens, Krankheit und Seelsorge, Seelsorge
an den Trauernden). Diese Anlage des Buches verpflichtet den
wohlwollenden und nachdenklichen Leser — und darauf bleibt
jeder Autor angewiesen —, den ersten Teil im Hinblick auf den
zweiten und den zweiten vom ersten her zu lesen. Es wäre unbillig
, in einem Buch von nur 248 Seiten eine vollständige Behandlung
aller speziellen Aufgaben der Seelsorge von heute zu
erwarten. So ist etwa die im modernen Arbeitsleben und in der
sozialen und politischen Struktur der Gegenwart oder die in der
wissenschaftlich-weltanschaulichen und religiösen Lage unserer
Zeit beschlossene seelsorgerliche Problematik nicht in extenso
behandelt; aber es ist deutlich, daß etwa die Kapitel „Geistliche
Beratung" und „Dienst der Kirche am Außenstehenden" die
grundsätzliche Offenheit dieser Seelsorgelehre für diese Aufgabengebiete
bekunden und wichtige Gesichtspunkte für ihre
Bewältigung enthalten. Das Entscheidende ist ja nicht, daß in der
praktischen Ausführung alles gesagt, sondern daß in der systematischen
Grundlegung alles enthalten ist. Bei aller selbstverständlichen
individuellen Verschiedenheit der Beurteilung
und der Behandlung im einzelnen wird man im ganzen etwa in
den schwierigen Fragen der Seelsorge bei geschlechtlicher Verirrung
dem Autor das Urteil, daß er um das Problem der rechten
Mitte zwischen grundsätzlicher Beratung und praktischer Wegweisung
genau Bescheid weiß, nicht vorenthalten können. Wer
das nicht merkt, dem kann der Vorwurf nicht erspart werden,
daß er sich nicht die Zeit zu ruhiger Lektüre nimmt, die ja freilich
eine unerläßliche Voraussetzung für das Verstehen in einer
so schwierigen Sache ist. Daß der Verfasser dem verständlichen
Verlangen nach Einzelberatung nicht durch den Versuch einer
Kasuistik entgegenkommt, wird man nur billigen können. Das
sehr schwierige Problem einer evangelisch verstandenen
Kasuistik würde den Raum einer so gedrängten Übersicht über
die Probleme zweifellos überschreiten. Man geht schwerlich fehl,
wenn man an dem weit verbreiteten Verlangen nach kasuistischer
Beratung nicht nur die Bequemlichkeit, die sich eigenes Nachdenken
ersparen möchte, sondern auch die Unkenntnis der
Schwierigkeiten nicht zu gering veranschlagt. Man kann hier
dem Verfasser nur zustimmen, wenn er meint, daß ein Lehrbuch
der Seelsorge ebensowenig wie der Praktischen Theologie überhaupt
ein „Kochbuch" sein und eine Kasuistik enthalten kann,
die der Kirche die praktischen Entscheidungen abnimmt. Es kann
nicht mehr als „durch die Bereitstellung richtiger theologischer
Gesichtspunkte für die richtigen Entscheidungen tüchtig machen
" (10) — und sich dabei der Gefahr bewußt bleiben, daß

Nicht lange nach Erscheinen des Trillhaasschen Buches war
in einer praktisch-theologischen Zeitschrift, — deren Name des
Sängers Höflichkeit verschweigen mag —, eine Rezension zu lesen
, die nicht nur dadurch auffiel, daß sie in einem ungewöhnlichen
Maß dem Dämon erlegen war, den man mit Schopenhauer
nur als Journaille bezeichnen kann, sondern die auch mit alarmierender
Deutlichkeit zeigte, daß von kirchlicher nicht minder
wie von aller anderen Betriebsamkeit eine eigentümlich lähmende
Wirkung auf die Fähigkeit zu sachlicher Besinnung ausgehen
kann. Was den einzelnen Praktiker angeht, so mag man ihm —
und davon soll auch jener Rezensent nicht ausgenommen sein —
alles Verständnis entgegenbringen und alle Ehre antun. Quan-
doque bonus dormitat Homerus. Es soll nicht verkannt werden,
daß auch der wegbahnende Praktiker, von der Größe seiner Aufgabe
und oft auch von schmerzlichen Enttäuschungen überwältigt,
aller theoretischen Erwägung gegenüber ungeduldig und mißtrauisch
werden kann. Wenn aber — ganz abgesehen von dem
Quod licet Jovi non licet bovi — der Praktiker sich der Notwendigkeit
theologischer Besinnung mit einer gewissen schnodderigen
Grundsätzlichkeit und Überheblichkeit entzieht, dann muß
gesagt werden, daß es um alle Art von kirchlicher Praxis schlimm
steht, die sich nicht mit der hellsten theologischen Wachheit
verträgt und die sofort nervös wird, wenn ihr der dafür freilich
nötige Zeitaufwand zugemutet wird.

Demgegenüber kann man der grundlegenden Absicht des
Trillhaasschen Buches nur warm und nachdrücklich zustimmen,
daß es die Seelsorge „in ihrer theologischen Bedeutung
untersuchen, ihre theologischen Voraussetzungen
aufspüren und ihre theologischen
Zusammenhänge zeigen" und daß es von daher ihre
„kirchliche Legitimität" untersuchen will (7). Man muß schon
das konkrete Beobachten und Denken verlernt haben, wenn
man — wie jene Besprechung — leugnen will, daß „trotz der
Fülle von Erfahrungen und Beispielen, mit denen die Veröffentlichungen
über die Seelsorge angefüllt sind" „meist der protestantischen
Pastoraltheologie ein systematisches Eingehen auf
die speziellen Fragen der Praxis, der speziellen Moraltheologie
und auch der Pastoralmedizin" fehle und daß „ohne diesen systematischen
Ausbau der speziellen Pastoral" „die Lehrbücher meist
in erbaulicher oder theologischer Allgemeinheit stecken bleiben
und die Fenster zur rauhen Wirklichkeit doch nicht aufschließen
" (7).

Die Lehre vom pastoralen Dienst, die Tr. im 2. und 3.
„Hauptteil" des Buches bietet, hält sich genau an diese Absicht
und die in ihr enthaltene Beschränkung. Sie entwickelt in einer
„allgemeinen Seelsorgelehre" die theologischen und kirchlichen
Grundlagen und Methoden (unter den Überschriften: der Leib
Christi, der Einzelne, die Stufen der Seelsorge, die Beichte, geist-