Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1955 Nr. 6

Spalte:

368-370

Kategorie:

Praktische Theologie

Titel/Untertitel:

Allgemeines Evangelisches Gebetbuch 1955

Rezensent:

Fendt, Leonhard

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

367

Theologische Literaturzeitung 1955 Nr. 6

368

Mt. 8, 1—13 (Die Heilung des Aussätzigen und des Hauptmannsknechtes
) enthält die These: Dem Evangelium sind die Heilungen
nicht so wichtig, wie der Glaube dieser zwei Männer. Uns aber
will der Evangelist nicht bloß von diesem vergangenen Glauben
erzählen, sondern uns zeigen, „welche Möglichkeiten des Glaubens
uns offen stehen, wenn wir den Glauben, von dem uns
hier berichtet wird, erkennen als den Glauben, der unser
Glaube werden darf". „So meint es das Evangelium
immer." (Das ist eben die Frage!). — Die Auslegung des Gleichnisses
Mt. 20, 1—15 (Die Arbeiter im Weinberge) beginnt mildem
Satz: „Wir wissen es, ohne daß lange Überlegungen dazu
nötig wären: Die Murrenden sind im Unrecht. Und wir wissen
dies, obwohl wir im gleichen Augenblick fühlen, daß w i r damit
angesprochen sind." — Das Gleichnis vom Säemann und Samen
(Lk. 8, 4—15) „sagt uns von der Erfolglosigkeit allen
menschlichen Wirkens ... es will uns getrost machen, daß er
(Gott) dies (nämlich den Erfolg) tut, audi dann, wenn es so aussieht
, als wäre unser Leben ganz und gar ohne Erfolg". (Hier
sdieint sich das Prinzip „Anrede" zu rädien!) — Über Lk. 18, 31
—43 predigt Bartsch vom „doppelten Unverständnis" der Menschen
Jesus gegenüber, nämlich dem Leidensweg des Meisters
gegenüber, und seiner Sendung an die Armen und Geschlagenen
dieser Welt gegenüber. Und eben „dieses doppelte Unverständnis
begleitet seither nicht nur den Herrn Jesus, sondern in gleicher
Weise auch seine Gemeinde". — Jesus wird in der Wüste
versucht (Mt. 4, 1—11): Die Perikope zeigt uns, wie sich der
Teufel tarnt und wie Jesus ihn entlarvt. — Über die Kananäerin
(Mt. 15, 21—28): Die Heiden von heute haben das vor uns voraus
, daß ihnen, wenn sie Christen werden, die großen Taten
Gottes lebendig gegenwärtig sind — so sollten auch wir uns
unseres Christseins wieder freuen können. — Seine Abschiedspredigt
in der Schweiz hielt Bartsch über Mk. 2, 1—12: „Mein Sohn,
deine Sünden sind dir vergeben" — dies Wort ist in der biblischen
Erzählung der Mittelpunkt, und in gleicher Weise redet
Jesus heute zu uns! — Eine Himmelfahrtspredigt in der Heilstätte
Mölln (Lauenburg) über Apg. 1, 1—12 sagt: „Wir müssen
uns fragen, was Himmelfahrt bedeutet, wenn wir nicht mehr so
an einen Himmel glauben können, wie es jene Männer taten, die
diese Geschichte zuerst erzählten." Jesus wird den Jüngern genommen
, also haben wir ein Trauerereignis vor uns. Dennoch ist
er der Lebendige, und das Aufhören der Erscheinungen bedeutet
nicht einen neuen Tod, sondern so wird der Osterglaube ins
Recht gesetzt. „Es ist also nichts anderes als der Osterglaube, der
an Himmelfahrt seine erste und immer wiederkehrende große Erschütterung
erfährt und diese Erschütterung meistert einfach im
getrosten Festhalten an diesem Glauben." „Das Himmelfahrtsfest
ruft zu solchem Glauben." (Die Formulierung ist nicht ganz
glatt; offenbar soll es heißen: Die Jünger sind erschüttert, aber
nicht ihr Osterglaube, an welchem sie nun festhalten.) — Endlich
die Pfingstpredigt über Apg. 2, 1—17 und 36—41: Das, Pfingst-
wunder bestand und besteht darin, daß Menschen zum Glauben
an Jesus kommen, und das durch das armselige Wort des Petrus,
dieses galiläischen Fischers! „In gleicher Weise dürfen wir bis
heute das Wirken Christi unsichtbar erfahren. . . immer ist es
Gott selbst gewesen, der zu mächtig wurde, daß es nichts anderes
mehr gab als demütig und freudig ihm zu folgen.. . durch
eine menschliche Rede, die durch gar nichts von anderer Rede
unterschieden ist, durch nichts ausgewiesen wird als Gottes
Wort." (Wirklich?). Die Feuerflammen und das Windesbrausen
sind „nur Zeichen, die auf das eigentliche Wunder hinweisen
sollen".

Bartsch schreibt im Vorwort zu diesen Predigten: „Das
letzte Urteil über die Berechtigung dieses (sc. homiletischen)
Vorgehens wird der Gemeinde vorbehalten bleiben. Sie wird
entscheiden müssen, ob sie hier die Anrede Gottes zu hören vermag
, der seine Gemeinde ruft unter seine Gewalt und Liebe, der
ihr Gericht und Gnade in seinem Worte zusprechen lassen will. '
Wird aber, so darf man fragen, die Gemeinde nicht auch darüber
entscheiden müssen, ob sich bei dieser Predigtart (auch wenn
sich in einer solchen Predigt jedesmal Gottes Wort „ereignet")
auch das Neue Testament ganz und ohne Abstrich wieder erkennt
! Schließlich kommt es doch nicht einseitig auf jenes „Sich
ereignen" an, sondern zweiseitig auf den Text und den usus des

Textes. Oder gilt bloß noch die Wirkung? An dieser Stelle wird
auch für die fortschrittlichste Homiletik die Notwendigkeit und
Tragweite einer unabhängigen Erforschung des NT sichtbar.
Denn nur von dort kann man die Antwort auf die Frage erwarten
: „Was entspricht wirklich dem NT?" (und nicht bloß der
homiletischen Parole, die gewiß mit allem Gewicht, auch in der
von Bartsch vertretenen Wucht, gespürt werden muß).

Augsburg Leonhard Fendt

Allgemeines Evangelisches Gebetbuch für die Kirche
, ihre Gemeinden, Werke und Verbände, für die Familie und für
die stillen Stunden des Einzelnen. Hrsg. von Hermann Greifenstein
, Hans Hartog u. Friedrich S c h u 1 z. Hamburg: Furche-
Verlag 1955. 504 S. kl. 8°. Lw. DM9.80.

Der Titel „Allgemeines Gebetbuch" geht hier ebenso auf
die Verbindung des liturgischen Betens der Kirche mit dem
„Hausschatz" des mehr privaten Betens als auch auf eine unkomplizierte
Darbietung von Gottesdiensten, welche sich sonst
konfessionell gegeneinander abzuschließen pflegen. Oder, wenn
man auf die Geschichte anspielen will: „The Book of Common
Prayer" (1549, bzw. 1552 usw.) einerseits, der große „Habermann
" (zuerst Wittenberg 1567) anderseits: diese beiden genera
orandi verbindet unser „Allgemeines Evangelisches Gebetbuch"
zu einem Buch (aber nicht zu einem genus). Und aus unserer
Zeit: Die „Gebete für das Jahr der Kirche" (2. Aufl. 1946),
welche Gerhard Ritter sammelte, auf der einen — das „Christliche
Hausbuch" (4. Aufl. 1953) von Walter Lötz auf der anderen
Seite. Als die ersten Auflagen des „Allgemeinen Gebetbuches
der lutherischen Konferenz" (1. Aufl. 1883) eine ähnliche
Verbindung versuchten, erschien der Umfang von 686 Seiten als
zu unhandlich. Heute hat das vorliegende „Allgemeine Evangelische
Gebetbuch" des Furcheverlags 500 Seiten (ohne die Inhaltsangabe
) — aber niemand wird das Buch als unförmlich empfinden
, vielmehr als freundlich und handlich. Inhaltlich empfing
das Buch eine besondere Note durch das Verlangen der evangelischen
Studentengemeinden nach einem solchen Gebetbuch.
Das gab Niveau und Breite zugleich, da die evangelischen Studentengemeinden
aus allen Fakultäten Zustrom haben.

Blickt man in die Geschichte der evangelischen Gebetbücher
, so entdeckt man: Eine große Schwierigkeit war immer die
Einteilung! Unser Buch bringt die Gebete in zwei Abteilungen:
„Das Gebet der Gemeinschaft" — „Das Gebet des Einzelnen",
ohne daß auf diese Weise Zwangslogik eindringt. Die Abteilungen
fungieren restlos als Hilfsmittel, um das Beste hereinzuholen
.

Es enthält nun die Abteilung „Das Gebet der Gemeinschaft" zunächst
die Kirchen-Liturgien unserer Zeit: den „Sakramentsgottesdienst"
(„Deutsche Messe" oder „Messe I") aus der „Agende für evangelisch-
lutherische Kirchen und Gemeinden", Band I (Entwurf von 1953), welche
Agende sich im Sakramentsgottesdienst an die „Kirchenagende I"
(Gütersloh 1948) anlehnt. Aus dieser „Kirchenagende I" stammt auch
der Predigtgottesdienst ohne Abendmahl, den unser Buch als dem „ober-
deutsdien Predigtgottesdienst entsprechend" notiert. Es folgt eine interessante
„Messe II" („Feier des Herrenmahls für kleinere Gemeinschaften
"), in welcher das große liturgische Desiderium „Wiederherstellung
des eucharistischen Dankgebetes" zur Erfüllung kommt. Die Abendmahlsfeier
der Brüdergemeine (1941) wird um ihres Gemeinschaftscharakters
willen dargeboten, die Feier des Herrenmahles nach reformiertem
Bekenntnis (Reformiertes Kirchenbuch 1951) spricht für sich
selbst. (Man denkt aber an den Sturm der Liturgiker, die sich gegen
König Friedrich Wilhelms III. endgültige Agende erhoben, weil dort neben
den lutherischen Formularen immer auch die reformierten auftraten
!). — Für die Werktage bekommt man in unserem Buche zwei Anleitungen
für die „Morgenwache", je eine für den „Abendsegen" und
das „Nachtgebet", auch für die „Wochcnschlußandacht". Das „Stundengebet
" wird mit Laudcs, Terz, Vesper und Komplet weise erneuert.
Audi die Litanei erhält ihr Recht. Beachtenswerte Arbeiten sind die zwei
Formulare für die „Gemeindebeichte" und das Formular für die „Einzelbeichte
". Auch der Ausgestaltung der Gottesdienste zu ökumenischen
Feiern kommt das Buch zu Hilfe. Eine bekannte Lücke schließt die Anweisung
zur Einführung von Helfern in den Dienst der Gemeinde. Gebete
der Tischgemeinschaft — bei Beratungen — ein Reisesegen vervollständigen
den Gebetsschatz. Es folgen Rubriken: Ordnungen für die
Fürbittgebete — für die Lesungen nach dem Kirchenjahr — Kirchenkalender
von 1953—1966. Daran schließen sich praktischer Weise: Eingangsgespräche
— Sendungsworte — Segenssprüche — ein Verzeichnis von
Liedstrophen. Dann folgt das hochinteressante Hymnarium (auch eine