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Ausgabe:

1955 Nr. 6

Spalte:

345-347

Kategorie:

Neues Testament

Titel/Untertitel:

Paulus Apostel, Der Brief an die Römer 1955

Rezensent:

Fendt, Leonhard

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Theologische Literaturzeitung 1955 Nr. 6

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begriff rede und darum Gehorsam gegenüber den Geboten Jesu
dem „Gesetz Christi" fordere. Diese Beweisführung ist, was
den Begriff „Gesetz Christi" anbetrifft, sehr erwägenswert, aber
das Bild wäre erst dann vollständig, wenn der Gehorsam gegen
die Gebote Jesu einbezogen wäre in den Gehorsam des SovXog
gegen den xvQiog Jesus Christus.

Das schön gedruckte Buch enthält neben zahlreichen Druckfehlern
auch ein paar Fehler, die nicht ohne weiteres berichtigt werden können
: S. 133 steht mehrfach das falsch akzentuierte iptvtiaftil.'poi und
aMXrpoi und das unverständliche vri'fini (statt ipgvfMte ?); S. 216 Z. 13
,st das unverständliche „gotisch K" wohl eine falsch aufgelöste Druckanweisung
für das Siglum Ä = Koine; S. 219 letzte Zeile ist der syrische
Text am Ende der Zeile völlig durcheinander geraten; S. 222 steht
die unverständliche Übersetzung „unser Wort zu Ihnen" statt „unser
Wort an euch".

Marburg/Lahn Werner Oeorj; Kümmel

A 11 Ii a u s, Paul: Der Brief an die Römer. Übers, u. erkl. 7., verb.
Aufl. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1953. IV, 139 S. gr. 8° =
Das Neue Testament Deutsch. Neues Göttinger Bibelwerk. Hrsg. v.
P. Althaus. Teilbd. 6. Kart. DM 4.40.

Diese nun in 7. Auflage vorliegende Rm.-Erklärung von
Paul Althaus hat von ihrem Verfasser drei Vorzüge mitbekommen
: 1.) die exegetische Grundlage wird immer auf der letzten
Höhe gehalten; 2.) die systematischen Formulierungen sind geradezu
vollendet; 3.) die praktischen Hinweise entfernen sich
nicht vom Rm — muß es aber sein, so steht dies ausdrücklich
verzeichnet. Das sind Vorzüge, die in irgendeinem Maße auch
den anderen guten Rm-Erklärungen zugesprochen werden müssen
; aber bei Althaus machen sie die Substanz aus. Vielleicht
darf man auch auf die ältere Form des Göttinger Bibelwerkes
(..Die Schriften des Neuen Testaments für die Gegenwart erklärt
" ed. Johannes Weiß) hinweisen, wo (Band II von 1908^
kein geringerer als Adolf Jülicher den Rm bearbeitete. Bei Jülicher
bekamen wir die philologisch-historische Rückführung des
Rm auf die Elemente der Religion, und das von einem Meister
(aber wievieles sieht man heute wieder anders!); d.h. Paulus
wurde am Rm seiner Religion und ihrer Hintergründe überführt.
Wir konnten Jülichers Rm-Erklärung aus der Hand legen mit
dem Bewußtsein: „Ja, so war der Paulus des Rm!" Aber wir wurden
die Frage nicht los: „Was soll uns dieser damalige Paulus,
dieser damalige Rm?" Auch Jülichers Formulierungen des Ertrags
der Rm-Exegese waren glänzend, nämlich im Sinne der historischen
Theologie jener Zeit, und d. h., daß Jülicher unsern Blick
mehr rückwärts auf die Vergangenheit als vorwärts in unsere
Gegenwart lenkte. Das aber macht die Rm-Erklärung von Paul
Althaus für uns so „modern", daß sie uns nicht bloß den „Paulus
damals" und den „Rm damals" vorlegt, sondern für den Ertrag
der Exegese Formulierungen findet, mit welchen man in der
Gegenwart zu Werke gehen kann — und mit welchen man dennoch
hart am Paulus und am Rm bleibt.

Aber man hat gegen die Kommentare der Systematiker, besonders
gegen die des reformationsgewaltigen Rm, den Verdacht:
sie bewegten sich, insonderheit in ihren Formulierungen, auf den
Rädern der Kompromisse! (Wie dies einst Erich Seeberg der Predigt
vorwarf). Nun, niemand ist weiter entfernt von Kompromissen
und apologetischen Künsten als Paul Althaus, sowohl in
seinem Werk „Die christliche Wahrheit" als hier in seinem Rm-
Kommentar. Es geht ihm stattdessen um die klarere Einsicht in
die Texte und um die Lenkung der Systematik durch die Texte.
Ein bekanntes Beispiel hiefür ist die Sache mit Rm. 1, 19—23
(bzw. Rm. 2, 14); unentwegt wirft Althaus den „andersgläubigen
" Theologen und ihren Schülern seine Auslegung dieser
Stellen auf eine ursprüngliche allgemein-menschliche Gotteserkenntnis
aus der Schöpfung (und ein ebensolches Ethos aus dem
Gewissen) auf die Schreibtische. Unentwegt legt er den „inwendigen
Menschen" von Rm. 7, 22 zugunsten des unerlösten Menschen
aus. Warum? Bloß, weil die Texte das besagen — wenn anders
die Worte des Rm das ausdrücken, was Paulus den Römern
schreiben wollte. Dem steht auch für Althaus gegenüber die unwiderlegliche
These des Rm: Für Juden und Heiden gibt es Erlösung
nur durch Christus Jesus! Die „Andersgläubigen" zogen
daraus den Schluß: Also ist es mit Rm. 1, 19-23 und Rm. 2, 14
als einer selbständigen Sache aus, man muß diese Stellen umfärben
! Hingegen Althaus läßt diese Stellen in ihrer ganzen Kraft
gelten und führt nicht bloß an, daß die Menschheit gemäß dem
Rm mit dieser „ahnenden Erkenntnis Gottes" ja nicht Ernst
machte zu praktischer Anerkenntnis des überweltlichen Gottes,
sondern daß (wieder nach dem Rm) die Ur-Schuld und die Zorn-
verfallenheit nimmermehr dadurch aufgehoben worden wäre,
wenn etwa die Menschheit die Ordnungen des Gewissens (Rm.
2, 14) glänzend erfüllt hätte! Aber zu dieser ausschließlichen Erlösungs
-These brauchte offenbar der Paulus des Rm keine Verzerrung
des unerlösten Menschen, wie es etwa Kohlbrügge in
mächtigen Predigten voraussetzte.

Auch in der Frage der „Rechtfertigung bei Paulus", in der
Unterscheidung „Rechtfertigung jetzt — einst beim letzten Gericht
", in der Einreihung der „Werke" in den Zusammenhang
„Gnade und Gericht", in den heißen Gebieten „Gesetz und
Evangelium" (dazu schrieb Althaus das Heft „Gebot und Gesetz
", Gütersloh 1952) wird man die Kompromißlosigkeit anerkennen
müssen, mit welcher Althaus dem Paulus die Lehrkanzel
einräumt, auch dann, wenn ein Systematiker nur zu gerne
ein „Ich verstehe das so" anbrächte, ein lutherischer Dogmatiker
z. B. zugunsten Luthers Einwürfe machte. Gerade Luther, der
auch für Althaus ein Kirchenvater ist wie nur überhaupt einer,
dieser Luther hat mit seiner Berufung auf den Rm und mit seinen
Formulierungen aus dem Rm nur da recht, wo er den Rm so
hört, wie Paulus ihn sprechen läßt. Althaus gehört entschieden
zu denjenigen Theologen, welche eine Glaubenssache nicht durch
ein Lutherzitat als gelöst ansehen, sondern des Lutherwortes Ort
in der Bibel zum Kriterium machen. Das kommt zu größter Eindringlichkeit
bei der Auslegung, die Althaus den schicksalsschweren
Stellen Rm. 7, 7—13 und Rm. 7, 24—25 angedeihen läßt. Althaus
hört auf Paulus — und vernimmt etwas anderes, als was
Luther niederschriebI Zu Rm. 7, 7—13 formuliert Althaus: „Paulus
redet von dem Menschen ohne Jesus Christus, vor der Taufe,
noch ohne den Geist Gottes, in erster Linie von dem Juden und
seiner Lage unter dem Gesetz." „Paulus erzählt die traurige Geschichte
der Sünde im Menschen als seine eigene Geschichte, aber
nicht biographisch, sondern theologisch, d. h. er berichtet nicht
ein Erlebnis, sondern stellt seine vorchristliche Geschichte nach
ihrem wesentlichen, das Gottesverhältnis betreffenden Gehalte
dar, wie er sich ihm von hintennach im Glauben an Jesus Christus
erschlossen hat." Dagegen Luther proponiert in den Scholien
zum Rm (ed. Ficker, Leipzig 1925, S. 168): Apostolus ab
hoc textu (nämlich Rm. 7, 7 ff.) usque in finem loquitur in persona
sua et spiritualis hominis et nequaquam in persona tantum
carnalis. Erst recht weicht Paulus nach der Auslegung unseres
Kommentators von Luther ab an der Stelle Rm. 7, 14—25. Denn
Luther schrieb zu Rm. 7,25 (Die Scholien ed. Ficker S. 176): Vidc
nunc, quod supra dixi, quod simul saneti, dum sunt iusti, sunt
peccatores. Althaus aber erkennt in Rm. 7, 14 ff. die Weiterführung
von Rm. 7, 5 (rj/im, }vr)Qyfnn)', während das vvv von
Rm. 8, 1 ff. die Weiterführung von Rm. 7, 6 (vvv) 66), eben das
Nunc christianum ist. Unumwunden erkennt Althaus hier den
Dissensus zwischen Paulus und Luther an. Aber Luther deucht es
ihm wert, auf den seelsorgerlichen Hintergrund des Satzes
„Saneti, dum sunt histi, sunt peccatores" untersucht zu werden.
Ganz abgesehen vom Rm des Paulus. Und da zeigt es sich, daß
freilich auch der Christ in einem „Zwiespalt" lebt, der etwa
Gal. 5, 16—24 angedeutet ist, aber jedenfalls von Luther aus der
ganz anderen Situation (bei Paulus „missionarisch", bei Luther
„innerchristlich", dazu seit Paulus ein differenzierteres Sündenbewußtsein
) geschöpft wurde. Mit Rm. 7 hat aber dieser
„Zwiespalt" nichts zu tun! (Vielleicht mit dem Seufzer Rm. 8,
23?). „Die Reformatoren haben ihre Erkenntnis des Christenlebens
als bleibend sündig in Rm. 7 wiederfinden wollen. Damit
tun sie dem Paulus-Text Gewalt an." (Zu diesem Thema schrieb
Althaus das Buch „Paulus und Luther über den Menschen",
2. Auflage, Gütersloh 1951).

Will man weitere Beispiele der „rücksichtslosen" Paulus-
Exegese, so lese man die Ausführungen, die Althaus zu Rm. 8,
29 f. über die Praedestination im Rm und die Imperative macht
(„Der Gedanke der Erwählung ist als ein Satz des Glaubens von
einer .absoluten' metaphysischen Wahrheit streng unterschie-