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Ausgabe:

1955

Spalte:

325-336

Autor/Hrsg.:

Kähler, Ernst

Titel/Untertitel:

Theologia viatorum 1955

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Theologische Literaturzeitung 1055 Nr. 6

326

Theologia

Die Jahrbücher der Kirchlichen

Von Ernst K ä h

Unter dem Titel Theologia viatorum erschien 1939 bei
Christian Kaiser in München ein Band theologischer Aufsätze.
Diese stammten aus dem Kreise der Dozenten der Berliner Kirchlichen
Hochschule der nationalsozialistischen Zeit; — kein Wort
durfte von dieser besonderen Gemeinschaft sprechen, aus der die
Ve-rfasser kamen — um so stärker band sie die gemeinsame Aufgabe
.

Im bewußten Anschluß an diesen Band hat nun die Kirchliche
Hochschule Berlin weitere Jahrbücher unter dem gleichen
Titel erscheinen lassen, in denen in der Hauptsache wissenschaftliche
Aufsätze eines Teiles ihrer Dozenten vereinigt sind. Hinzu
kommen grundsätzliche Überlegungen zu den Problemen der
Kirchlichen Hochschule als solcher, sowie Jahresberichte und
statistisches Material.

Angesichts der über vierzig Beiträge, die in den hier zu
besprechenden ersten vier Bänden (I—IV; enthalten sind, und in
Anbetracht der Vielfalt der wissenschaftlichen Gebiete, aus denen
Themen behandelt werden, — sie reichen vom Alten Testament
bis zu Bismarck und Rilke, von germanischer Philologie bis zu
Wundfragen der Soziologie, — ist die Aufgabe eines einzigen
"erichterstatters eigentlich unlösbar. Dennoch glaubte der Rezensent
, die in dieser Zeitschrift mehrfach befolgte Praxis nicht
Völlig nachahmen zu sollen, auf Grund deren faktisch nur die
Titel der Aufsätze angezeigt werden. Erfahrungsgemäß sind Jahrbücher
ebenso wie Zeitschriften für die in ihnen erschienenen
■Aufsätze nicht nur Archiv, sondern auch Grab. Diesem Übelstand
, der ja nicht nur ein technisches, bibliographisches Problem
darstellt, sollte durch eine ausführlichere Besprechung jedenfalls
der historischen und exegetischen Aufsätze ein wenig gewehrt
werden. Die vier Bände sind dabei als Einheit genommen und ihr
Inhalt nach Disziplinen geordnet. Vor dieser Auflösung der einzelnen
Bände muß aber erwähnt werden, daß die drei jüngeren
Unter ihnen als ganze einen persönlichen Dienst tun oder einem
besonderen Thema dienen sollen: der 1950 erschienene Band
stellt eine Gabe der Hochschule an Bischof D i b e 1 i u s vor
aIlem in seiner Eigenschaft als ihr „Ehrenpräsident" zu seinem
siebzigsten Geburtstag dar; dieser Bestimmung verdankt auch der
Beitrag von Kurt Scharf („Bischof D. Dr. Otto Dibelius," II,
3~15) seine Entstehung. Der nächste Band ist dem inzwischen
verstorbenen Kurator der Kirchlichen Hochschule, Geh. Rat
Q u a a t z, zu dessen fünfundsiebzigstem Geburtstag gewidmet,
der vierte trägt den im Blick auf Evanston gewählten Untertitel
"Beiträge zur Eschatologie", will freilich auch zugleich ein persönlicher
Gruß an Heinrich Vogel, den Fünfzigjährigen, sein.

Aus der alttestamentlichen Wissenschaft
liegen zwei Beiträge vor.

Fritz M a a ß stellt die „Wandlungen der Gemeindeauffassung in
Israel und Juda" (II, 16—32) dar. Es geschieht im Anschluß an die einschlägigen
neueren Untersuchungen von Rost, Dahl und Eißfeldt, fügt
arjer auch die Schrift „Vom Kampf der Kinder des Lichts gegen die Kinder
der Finsternis" in das Gesamtbild ein, und zwar für die Makka-
Werzeit. Das Bild ist klar und eindrücklich gezeichnet; neben der Bergung
der literarischen Dokumente als ganzer, die natürlich den
nauptteil einnimmt, ist bei jeder Epoche auch der Hinweis auf den
Wechsel in den Bezeichnungen aufgenommen.

Die innere Spannung, mit der der Aufsatz beginnt, ist freilich nicht
durchgehalten; sein erster Satz lautet: „Das Volk Israel ist seit seinen
Anfängen ebenso wie das späte Judentum durch Gottesbegegnung und
Glauben zusammengehalten worden"; und er schließt: „Der letzte gül-

') Theologia Viatorun. Jahrbuch der Kirchlichen Hochschule
Berl in 1948/49. Hrsg. im Auftrage des Dozentenkollegiums v.
=rwin Reisner. Berlin: de Gruyter [1948]. VII, 215 S. 8°. Pp.
°M 12.50.

— II. 1950. Hrsg. v. Walter D e 1 i u s. Berlin: de Gruyter. 247 S.
LW. DM 12.-.

— III. 1951. Hrsg. v. Hcinr. Vogel. Berlin: de Gruyter. IX,
'87 S. Lw. DM 12.80.

6 — IV. 1952. Beiträge zur Eschatologie. Hrsg. v. Martin Schmidt.
B«lin: Lettner-Verl. [1953]. 320 S. s". Lw. DM 13.20.

viatorum1

Hochschule Berlin 1948—1952

I e r, Greifswald

tige Gemeindebegriff Judas war der einer exklusiven Gesetzesgemeinde."
Die Gesamtthese, die im Eingang ausgesprochen ist, zielt deutlich auf
eine theologische Bewertung des Ablaufs der Geschichte Israels; die Betrachtung
schließt jedoch rein beschreibend. Es zeigt sich das alte Problem
, in welchen Kategorien man denn nun über das Alte Testament,
und nicht nur über dieses, sprechen soll: in theologischen (gemein-
schaftsbildend ist „die Begegnung mit der größten Wirklichkeit", S. 17)
oder in humanistisch-religionsgesdiichtlidien („Hosea wollte den alten
Bund retten...; Jesaja begann, die neue Gemeinde ... zu schaffen",
S. 22). Letztere sind dem Gegenstand zweifellos inadäquat, weil sie im
Grunde atheistisch sind. Es empfiehlt sich zumindest eine klare Trennung
der Kategorien.

Der zweite alttestamentliche Beitrag ist „Eine Begriffsuntersuchung"
von Claus Westermann (IV, 19—70) zu den Vokabeln des Höffens
und Wartens im hebräischen Alten Testament. Sie ergänzt und modifiziert
den Artikel ifoitg xil. aus dem Theologisdien Wörterbuch zum
Neuen Testament (Bultmann) in aufschlußreicher und überzeugender
Weise. Nach einer kurzen Besinnung über die möglichen Bedeutungsinhalte
des Hoffens überhaupt werden die einschlägigen Begriffe samt
ihrer Statistik vorgeführt. Es folgen Interpretationen charakteristischer
Stellen, die nadi gemeinsamen Inhalten gruppiert sind. Der Ertrag dürfte
in vierfacher Beziehung wichtig sein: Die Differenzierung der Bedeutungsinhalte
könnte der Lexikographie zugutekommen; die Exegese wird
manches Bestätigende oder Kritische notieren müssen (so z.B. zu Mi. 5, 6
S. 53; Hos. 12, 7 S. 57 f.); die Formgeschichte ist bereichert um die
Erkenntnis, daß der Begriff des Hoffens auf Jahwe dem ja deutlich abgrenzbaren
jeweiligen „Bekenntnis der Zuversicht in den Klagepsalmen"
entstammt; und die alttestamentliche Theologie ist über die letztgenannte
Feststellung hinaus dahingehend belehrt, „daß der Begriff der
Hoffnung . . ., wo er auf Gott bezogen ist, seinen Ursprung nicht in der
Prophctie, sondern im Reden der Psalmen hat" (S. 70). Es lohnt wirklich
, sich von dem barbarischen redaktionellen Zustand des Aufsatzes
nicht abschrecken zu lassen!

Aus dem Bereich des Neuen Testamentes finden
sich fünf Beiträge.

Günther Härder legt zwei Untersuchungen zu Markus vor:
„Das Gleidinis von der selbstwachsenden Saat Mark. 4, 26—29" (I, 51
—70) und „Das eschatologische Geschichtsbild der sogenannten Kleinen
Apokalypse Markus 13" (IV, 71—107). Das Gleidinis hält H. für ursprünglich
ohne Einleitungsformel überliefert und für eine edite Parabel,
d. h. auch er lehnt eine allegorische Interpretation ab. Die bisherigen
Deutungsversuche stellen als Skopus entweder die Sicherheit der Entwicklung
des Reidies Gottes heraus, müssen dann aber den Schlußvers
ausscheiden, oder sie betonen „die Unabhängigkeit vom Tun des Men-
sdien", womit jedoch das Bild verschoben wird. Den entscheidenden
Blickpunkt bietet der Schlußvers: die Ernte wird zeigen, wer der Herr
der nur scheinbar sich selbst überlassenen Saat ist. Dieses Verständnis
wird zwar nicht gewonnen, aber bestätigt durch das neutestamentliche
Zeugnis von Gottes Gericht als einem Suchen der Frucht sowie dem
Zeugnis vom scheinbaren Preisgegebensein der Gemeinde an die Welt.
Liegt es wirklich in der Absicht der Parabel, auch hiervon zu reden, wird
man der Ansicht Härders, es handle sich um Gemeindebildung, zustimmen
müssen. Übersehen hat H. anscheinend die von Rud. Otto („Reich
Gottes und Menschensohn", 2. Aufl., S. 83) vertretene Meinung, diese
Verse bildeten ursprünglich den Absdiluß des Sämannsgleichnisscs, —
jedenfalls setzt er sich mit dieser Ansicht nicht auseinander.

Der Aufsatz Härders über die sog. Kleine Apokalypse geht dem
Unterschied der Geschichtsbilder nach, die bei den Synoptikern den in
Mark. 13 p. gesammelten Stoff in charakteristischer Verschiedenheit gestaltet
haben. Zunächst wird in einem großen Abschnitt (IV, 71—96)
eine fortlaufende Untersuchung von Mk. 13 und den entsprechenden
Paralleltexten gegeben, die freilich nicht immer streng begrenzt ist auf
die Absicht des ganzen Aufsatzes, sondern auch anderweitig wichtige
Beobachtungen notiert, z. B. eine Analyse der Namensnennungen in den
Einleitungsversen (71 f.) oder eine Betrachtung über den literarischen
Charakter des Redestoffes, der hier verarbeitet ist. Die Folgerungen
weiden in einem zweiten Abschnitt gezogen (97—107). Bei allen Fassungen
resultiert, daß sie nicht eigentlich ausgeführte Apokalypsen, sondern
Absdiiedsreden sein wollen, Paraklesen angesichts der Nöte der
Gemeinde und angesichts der verzögerten Parusie. Die zweifellos vorliegenden
spätjüdischen apokalyptischen Materialien werden aktualisiert
durch das Gekommensein des Christus und die Existenz der Kirche. Für
die einzelnen Evangelisten ergibt sich folgendes: Lukas gestaltet die
Texte als Deutung bereits geschehener, aber auch noch zu erwartender
geschichtlicher Abläufe, b»stimmt von Rom. 11,25 her. Für seine End-