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Ausgabe:

1955 Nr. 5

Spalte:

299-301

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Kinder, Ernst

Titel/Untertitel:

"Allgemeines Priestertum" im Neuen Testament 1955

Rezensent:

Schulze-Kadelbach, Gerhard

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Theologische Literaturzeitung 1955 Nr. 5

300

Neue, auf das man so selten trifft, bieten die Anwendungen des
Leidensproblems auf die Kirche! Dies findet sich schon ständig
in dem Bisherigen und wird in extenso durchgeführt in den
beiden letzten Kapiteln (V: „Das Leiden als Wesensmerkmal
der Kirche"; VI: „Das Leiden als Einheitsband der Kirche").
Dadurch, daß das Thema des Leidens nicht nur im Blick darauf
entfaltet wird, was die Kirche individualethisch und persönlich-
seelsorgerlich zu seinen Fragen zu sagen hat, sondern, daß es
eben auf die Kirche selbst angewandt wird, werden fruchtbare
Anregungen für weitere Durchdenkung und Anwendung gegeben.

Der faßliche und ansprechende Stil der Studie und die Klarheit
und Eindringlichkeit ihrer Gedankenführung machen sie auch
zum Studium für Nicht-Theologen und für den Unterricht auf
höherer Stufe sehr geeignet.

Münster (Westf.) E.Kinder

Kinder, Ernst: „Allgemeines Priestertum" im Neuen Testament. —
Per eis, Otto: Apostolat und Amt im Neuen Testament. —
Sommerlath, Ernst: Amt und allgemeines Priestertum.

Mit einem Bericht von E. Wilkens. Berlin: Luth. Verlagshaus 1953.
9 5 S. 8° = Schriften des Theol. Konvents Augsburgischen Bekenntnisses
H. 5. DM 3.80.

Die drei hier veröffentlichten Vorträge sind auf der 5. Tagung
des Theologischen Konvents Augsburgischen Bekenntnisses
Anfang Oktober 1951 in Fulda gehalten worden und haben bereits
dort durch ihre weitgehende Übereinstimmung die Hörer
überrascht und beunruhigt. Der Leser wird in ihnen einerseits ein
eindrucksvolles Zeugnis der Einheitlichkeit des Konvents finden,
wird aber trotzdem oder gerade deshalb den vorgetragenen Thesen
besonders prüfend gegenübertreten.

Das Ergebnis des 1. Referates ist eindeutig: Das NT kennt
das, was im kirchenpolitischen Raum „allgemeines Priestertum"
genannt wird, nicht. Der Verfasser gewinnt seine Position, indem
er im AT ein „institutionelles und satisfaktorisches" Priestertum
von einem „existentiellen" unterscheidet und beide in der Weise
zu einander ins Verhältnis setzt, daß durch das erste, das er kurz
auch das „levitische" nennt, das zweite, das cum grano salis als
„allgemeines Priestertum" bezeichnet werden kann, immer neu
für den ihm aufgetragenen Dienst bereitet wird. Das „levitische"
ist durch Christus erfüllt und damit grundsätzlich erledigt, das
„allgemeine Priestertum" dagegen wird durch das Priestertum
Christi „erst richtig aktualisiert", es eignet der christlichen Gemeinde
als solcher und ist „niemals etwas in »sich selbst«", sondern
richtet durch sein lebendiges Dasein Zeugendienst aus, und
zwar innerhalb der Gemeinde selbst, als auch der Welt gegenüber.
So gesehen, können das „allgemeine Priestertum" und das besondere
Amt in keiner Weise in Konkurrenz geraten, sondern
durch das besondere Amt wird die christliche Gemeinde für ihr
Priestertum ausgerüstet, wie andererseits das kirchliche Amt
innerhalb des christlichen Priestertums der Gemeinde steht. Die
hier angedeuteten Grundgedanken sind wohl geeignet, gegenüber
schwärmerischen Tendenzen der Gegenwart einen notwendigen
Dienst zu tun. Aber kann sich der Verfasser für seine Thesen
wirklich auf das Neue Testament berufen? Ganz gewiß gibt es
im NT das vielberufene allgemeine Priestertum im Sinne des
kirchenpolitischen Kampfes nicht. Aber auch das vom Verfasser
herausgearbeitete „allgemeine" Priestertum wird nicht von dem
NT vertreten. Die unmittelbaren ntl. Aussagen, die man hier
anführen kann, beschränken sich, wie auch der Verfasser zugibt,
auf ganz wenige Stellen. „Königliches Priestertum" ist im NT
eine Selbstbezeichnung der Christen neben zahlreichen anderen,
wie „die Heiligen" 1. Kor. 16, 1; „die Armen" Gal. 2, 10; das
„Israel Gottes" Gal. 6, 16; selbst an der Kardinalstelle für das
„königliche Priestertum" l.Petr. 2, 9 tritt dieser Ausdruck inmitten
anderer auf: „auserwähltesGeschlecht",„heiligerStamm",
„Volk des Eigentums" und es erscheint doch bedenklich, unter
eine der koordinierten Selbstprädikationen die anderen zu sub-
summieren, noch dazu unter eine, die aufs ganze gesehen nur
sehr wenig bezeugt ist. Die Hauptthese des Verfassers ist also in
ihrer Gültigkeit nicht zu bestreiten, sondern zu radikalisieren.
Darüber hinaus wird es sich lohnen, über manche Einzelheit des
Referates weiter zu sprechen, insbesondere scheinen mir die ntl.
Aussagen über das „allgemeine" Priestertum nicht nur „auch".

sondern „grundlegend" als eschatologisch-apokalyptisch verstanden
werden zu müssen.

Alles, was zu diesem ersten Referat grundsätzlich in Zustimmung
oder als Frage geäußert worden ist, gilt auch mutatis
mutandis für das zweite. Pereis hat in fünf Leitsätzen, denen
eingehende Erläuterungen und Begründungen angefügt sind, ein
fest umrissenes Bild vom Amt der Kirche gezeichnet, das sich als
Ganzes, wie es dasteht, auf das NT berufen kann, insofern sich
die einzelnen Aussagen, wie der Verfasser zeigt, mit Stellen und
Vorstellungen aus dem NT belegen lassen. Und doch wird man
fragen müssen, ob es dieses kirchliche Amt so zu irgend einer
Zeit und an irgend einem Ort innerhalb des Urchristentums gegeben
hat. Denn so gewiß in der Darstellung der synoptische und
johanneische Christus, die Apostelgeschichte und die Pastoralbriefe
ausdrücklich mit den ihnen zugehörenden Aussagen herangezogen
werden, so liefern sie eben doch Mosaiksteine, die vom
Verfasser zu seinem Gesamtgemälde zusammengefügt werden
, ein Verfahren, demgegenüber die Frage nach der rechten
Hermeneutik wieder einmal in ihrer Dringlichkeit sichtbar wird.
Im übrigen wird man nicht nur vielen Einzelheiten gern zustimmen
, sondern vor allem auch den Satz anerkennen, der dem Verfasser
offenbar besonders am Herzen liegt, daß die innerhalb des
NT nachweisbare Stellung des Amtsträgers in der Kirche als
„besonderes Glied" „neben anderen auch nötigen und stets mündigen
Gliedern" weder nach der hierarchischen, klerikalen noch
nach der kongregationalistischen, säkular-demokratischen Richtung
hin verschoben werden darf.

Das geschlossene Bild vom Amt und allgemeinen Priestertum
, das offenbar hinter den beiden ersten Vorträgen stand und
bald mehr, bald weniger bewußt die Untersuchungen beeinflußt
zu haben scheint, wird im dritten Vortrag in systematischem
Aufbau allseitig entfaltet. Dabei werden nicht nur landläufige
Ansichten zurechtgerückt, sondern auch gelegentliche Äußerungen
Luthers vom Gesamtverständnis des Reformators her kritisch
beleuchtet. Es werden erörtert: l) Das Amt als göttliche Stiftung
(sein Ursprung, seine Autorität, die ihm gegenüber bestehende
Gehorsamspflicht, sein Dienstcharakter). 2) Die Gründung des
Amtes im Wesen der Kirche (das zum Bestände der Kirche notwendige
geistliche Amt ist nicht aus dem allgemeinen Priestertum
abzuleiten, sondern der Amtsträger wird in das auf göttlicher
Stiftung beruhende Amt berufen «rite vocatus», und zwar
in gottesdienstlicher Feier und einem dem Amt entsprechenden
Charakter dieser Feier). 3) Die Gründung des Amtes in Person
und Werk Christi (es besteht völlige Entsprechung zwischen dem
kirchlichen Amt und dem Amt Christi selbst; das Proprium dieses
Amtes ist das publice docere, d. h. inhaltlich die re-praesen-
tatio Christi durch Verkündigung des Wortes und Verwaltung
der Sakramente, zu denen die Absolution hinzuzurechnen ist).
4) Das allgemeine Priestertum (es ist ein Dienst und hat Pflichten
, manche von ihnen ergeben sich als Notmaßnahmen, so die
Erteilung der Absolution und das „Lehre-urteilen"; ohne Einschränkung
ist das „Laien-Apostolat" allen gläubigen Gliedern
der Gemeinde aufgetragen; die Dienstpflicht des allgemeinen
Priestertums ist dabei vom Wesen des Priesterlichen her zu bestimmen
als ein Eintreten vor Gott für den anderen und an
Stelle des anderen). 5) Amt und allgemeines Priestertum in ihrer
gegenseitigen Zugehörigkeit. Beide sind füreinander da und
beide bedürfen einander. Das wird an einer Reihe Gegenüberstellungen
aufgezeigt: subjektive Entscheidung — objektive Heilswirklichkeit
; Mannigfaltigkeit der Gaben — Einheit des Wortes
Gottes; Selbständigkeit des einzelnen Christen — Katholizität
der Kirche; brüderliche Gleichheit aller Glieder der Kirche — Autorität
der sorgenden und helfenden Väter. Wie das jeweils erste
dem allgemeinen Priestertum zugeeignet ist, so hat das Amt das
jeweils zweite zu wahren. Wird man in manchen Einzelheiten
des umfassenden Referates anders urteilen und zum Ganzen
manche Frage auf dem Herzen haben, so wird man sich doch den
in der gegenwärtigen kirchlichen Lage klärenden und wegweisenden
Ausführungen zu Dank verpflichtet wissen.

Der Bericht über die Aussprache (unter die vier Gesichtspunkte
gestellt: Priestertum, Apostolat, Amt, Kirche), zeigt sehr
deutlich, was schon die beiden ersten Referate erkennen ließen,