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1955 Nr. 5

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Philosophie, Religionsphilosophie

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Theologische Literaturzeitung 1955 Nr. 5

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ker herantrage, der nicht darin gelebt hat (S. 255). K. hält sich
streng an das geschichtlich Mögliche, nimmt also von seinem
Standpunkt aus mit Recht nicht zur Kenntnis, daß Hartmann eine
eng umrissene Frage an Leibniz stellt, nämlich „welche Bedeutung
die alten Probleme der Metaphysik für unsere Zeit noch behalten
haben". K. sucht nach einem unverstellten Blickpunkt und lehnt
deshalb alle Etikettierungen, wie sie neuerdings wieder beliebt
Werden, ab. Er sieht Gefahren herankommen, „wenn die Beruhigung
am Begriff eintritt" (S. 274), wenn die Frage gestellt wird,
°b Leibniz der letzte Scholastiker oder der erste deutsche Idealist
war. Er gibt die einfache Antwort „Leibniz war Leibniz". Dieser
sieht sich selbst im Wandel der Geschichte, deren kontinuierlicher
Ablauf nicht abreißt, er ist der „angeregte Anreger" (S. 266). In
seinem Philosophieren wagt er mit der prästabilierten Harmonie
Jenen „abenteuerlichen Versuch" (Gottfried Martin), über alle gegensätzlichen
Anschauungen hinweg die Bewegung von Geist und
Materie in Einklang zu bringen, von einem Ursprung abzuleiten,
den von Descartes zugelassenen Dualismus durch die Monadenlehre
zu überwinden.

In konsequenter Anwendung des Kontinuitätsprinzips hat
Leibniz die Lösungen für seine Probleme gefunden. „Gegensätze
zwischen Bekanntem und Unbekanntem (schwinden), weil sie
sich in kleinen und kleinsten Abschnitten unablässig aufheben
und ineinander übergehen" (S. 274). Ein übergreifender Zusammenhang
wird so hergestellt, der in der Philosophie des Übergegensätzlichen
seine Begründung findet. Kanitz konzentriert
seine Untersuchung auf neun Fragen: 1. Wie kann man das Allgemeine
erfassen? Bei Leibniz durchdringen sich Metaphysik,
Logik und Erkennen unter Bevorzugung des Metaphysischen. Auf
metaphysisch-logischem Wege wird von ihm das Allgemeine gesucht
. 2. Gibt es zwei Arten des LInendlichen? Das absolut Unendliche
ist nach Leibniz die Summe aller Möglichkeiten und
Wirklichkeiten. Diese schließt ein die unendliche Reihe der
Wirklichkeiten, die kontinuierlich aus den Möglichkeiten hervortreten
. Die tiefsinnige Ausdeutung des Verhältnisses von Möglichkeit
und Wirklichkeit ist Leibniz' entscheidende Leistung
(S. 84). 3. Gibt es eine Grenze zwischen organischer und anorganischer
Natur? Diese Frage ist nur formell zu bejahen, da
uns nach Leibniz der rechte Beobachterstandpunkt fehlt. Das
Unbewegtsein lebloser Dinge erscheint nur so. Leibniz gibt fünf
Unterscheidungen: a. Entelechie, b. erste Materie (beide sind
nur begrifflich voneinander zu trennen), c. Die wirkliche Welt
kennt nur die Vereinigung von a und b in der „vollständigen
Monade" oder der einzelnen Substanz, welche d. die zusammengesetzte
„zweite Materie" bilden. Der Zusammenschluß geschieht
entweder aggregathaft (anorganisch) oder es wird eine organisierende
Obermonade tätig (organisch). Die Wirksamkeit des
dynamischen Prinzips ist deshalb beim anorganischen Zusammentritt
nicht sichtbar (S. 96). Weil a und b nur zusammen existieren
können, muß Leibniz die Auffassung der Atomisten ablehnen
. 4. Zum Verhältnis von Gott und Welt wird wieder die
tiefsinnige Deutung des Verhältnisses von Möglichkeit und Wirklichkeit
herbeigezogen. Gott als die Summe aller Möglichkeiten
läßt nach dem Prinzip des Besten die Welt aus sich hervorgehen.
Beide können daher keinen Gegensatz darstellen. Vom Materialismus
unterscheidet sich Leibniz dadurch, daß Gott es ist, welcher
die vollständige Übereinstimmung gestiftet hat (S. 117).
5. Das Verhältnis von Seele und Körper wird durch die prästabi-
lierte Harmonie zu Lösung gebracht. 6. Die in die Unendlichkeit
reichende Verknüpfung aller Teile des Universums führt zur
Monadenlehre. Es gibt keine Substanz „die nicht zu den Realitäten
aller Substanzen in Beziehung stünde" (Leibniz an De Vol-
der). Die repraesentatio mundi schließt jedoch jede Einwirkung
im Sinne einer Substanzveränderung aus, was Leibniz mit der
Fensterlosigkeit der Monaden bildlich umschreibt (S. 156). 7. Die
menschliche Erkennensgrenze ist nicht absolut festlegbar; das Erkennen
, ewig unzureichend, schreitet aber ständig fort. 8. Vernunftglaube
und christlicher Glaube sind unvereinbar wegen der
christlichen Lehre von der Verdammnis. Für Leibniz sind auch
Gut und Böse durch eine unendliche Zahl kontinuierlicher Übergänge
gekennzeichnet. 9. Freiheit und Determination schließen
sich für Leibniz nicht aus, weil die Freiheit des Menschen in seiner
Selbstbestimmung liegt. Die Schwierigkeit besteht in dem

lebenslangen Suchen nach dem, was für den Menschen das
Beste ist.

Der ständige Blick auf das Unendliche verhindert den Abschluß
der Philosophie des Übergegensätzlichen, sie gibt keine
endgültigen Aussagen, sie bleibt offen für die Probleme. Diese
Schlußfolgerung zeigt, daß K. sich an Leibniz' Vorbild hält. Mit
ihm verlangt er beim Übergang von einer Aussage zur anderen
eine präzise und begrifflich klare Feststellung, so daß die Aufhebung
der Gegensätze erreicht und die Philosophie vorangebracht
werden kann, aber er sieht auch, daß sich zugleich wie im Leben
immer neue Gegensätze erheben, deren Klärung und verstehendes
Auflösen Aufgabe bleibt.

Berlin _ Kurt Müller

B u r g e 1 i n, Pierre: L'experience religieuse comme probleme.

Etudes Theologiques et Religieuses 1953 S. 86—109.
D e m e t z, Peter: Kafka, Freud, Husserl: Probleme einer Generation.

Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschidite VII, 1955 S. 59—69.
Desroche, Henri: Areas and Methods of a Sociology of Religion

The Work of G. Le Bras.

The Journal of Religion XXXV, 1955 S. 34—47.

Fuchs, Emil: Karl Marx und das Christentum.

Wissenschaftliche Zeitschrift der Karl-Marx-Universität Leipzig, Gesellschafts
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H e r b e r g, Will: Biblical Faith and Natural Religion.
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J o e s t, Wilfried: Zur Auseinandersetzung mit Kierkegaard.

Verkündigung und Forschung. Theologischer Jahresbericht 1951/52
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Mols, Roger: Croissance et limites de la sociologie religieuse.
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SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

Keller-Hüschemenger, Max: Die Kirche und das Leiden.

Versuch einer systematischen Besinnung über ein Menschheitsproblem
vom Worte Gottes und der Kirche her. München: Kaiser 1954.
J 56 S. gr. 8° = Beiträge zur ev. Theologie. Theol. Abhandl., hrsg.
V. E. Wolf, 20. DM 8.50.

Der Band enthält eine dogmatisch-ethische Studie über das
Leiden in biblisch-reformatorischer Sicht, die dem Vf. aus den
notvollen Ereignissen und Erlebnissen im Laufe der Kriegsjahre
erwachsen ist. (Aus den Notverhältnissen des Krieges und der
Nachkriegszeit erklärt Vf. formale Mängel wie weitgehende Zitierung
aus zweiter Hand u. ä.) Wenn gesagt wurde „enthält",
so möchten damit die beiden ersten Kapitel in gewisser Weise
ausgeklammert werden, die in etwas essayistischer Art eine allgemeine
Phänomenologie des Leidensproblems und seiner Überwindung
(Kap. I) und grundsätzliche Reflexionen über seine verschiedenen
Sinndeutungen (Kap. II) bieten, die wohl recht ansprechend
und auch (etwas wahllos) mit mannigfachen christlichen
und nicht-christlichen Zitaten gewürzt sind, auch eine brauchbare
allgemeine Orientierung geben, aber doch diesem Problem
in seiner Tiefe und Existentialität nicht gerecht werden, auch
nicht eigentlich zu der Substanz dieser Studie selbst passen — abgesehen
von der zweien Hälfte des Kap. II, wo der wichtige Ansatz
beim Kreuz Christi gewonnen wirdl

Das Corpus der Studie setzt mit Kap. III ein: „Das Leiden
als Not und Herrlichkeit der Kirche", in welchem der Doppelcharakter
der eigentümlich biblischen Sicht des Leidens (im Blick
sowohl auf den Einzelnen als auch auf die Kirche) aufgezeigt und
herausgearbeitet wird: Leiden als Gerichtsstrafe über die Sünde
und Erziehungsmittel Gottes zur „Verklärung". Kap. IV („Das
Leiden als Kraft der Kirche") macht dies für die evangelische
Ethik fruchtbar, wobei Auseinandersetzungen mit außerchristlichen
Bewältigungsversuchen wie auch mit katholischer Sicht
und Praxis geführt werden. Sind es auch gängige Gedanken, die
sich hier finden, so darf man doch für diesen „Versuch" einer
systematischen Entfaltung wie für die vielen charakteristischen
Belege und all die Abgrenzungen dankbar sein. — Wichtiges