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Ausgabe:

1955 Nr. 5

Spalte:

296-298

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Kanitz, Hans Joachim

Titel/Untertitel:

Das Übergegensätzliche gezeigt am Kontinuitätsprinzip bei Leibniz 1955

Rezensent:

Mueller, Kurt

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Theologische Literaturzeitung 1955 Nr. 5

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wahrt, wird bei Hegel aus ihr eine begriffliche Erkenntnis seines
ewigen Seins (177).

Das 3. Kapitel behandelt: Der Logos und die Welt. Gott
ist die absolute Idee. Nur von dieser Idee aus ergibt sich als
Thema für die Theologie, die Beziehung dieser Idee zur Welt zu
begreifen. Die Welt ist nicht die Idee Gottes, sondern „der Abfall
von der Idee" (178). Hier werden die Probleme der Schöpfung
, der Geschichte und des Bösen eingehend behandelt.

Bei der Schöpfung macht Verf. zunächst auf die Übereinstimmung
zwischen Hegel und der Kirchenlehre aufmerksam. Sie
ist ein Werk des dreieinigen Gottes. Sie geschieht aus dem
Nichts unter ausdrücklicher Ablehnung der Emanationslehre (18 5).
Aber der Gegensatz tritt doch hinter dieser Übereinstimmung
klar hervor. Es fehlt auch hier das Geheimnis genau so wie bei
der Trinitätserkenntnis, das vom Glauben aus gegenüber allem
Begreifen behauptet werden muß.

Hegel versteht die Welt als eine Endlichkeit in der Unendlichkeit
Gottes; als ein „Moment in Gott selbst", ohne die Andersartigkeit
zwischen Gott und Welt anzuerkennen. An die Stelle
der mit Recht abgelehnten Emanation ist bei Hegel die dialektisch
notwendige Entwicklung getreten, weil er jeglichen Dualismus
überwinden will. Dabei hat sich Hegel aber weder zum
Monismus noch zum Pantheismus bekannt, den er stets zurückgewiesen
hat (187). Hegel ist kein Pantheist gewesen, was sich
durch den Vergleich mit Spinoza klar erweisen läßt (193). Hegel
hat die Persönlichkeit Gottes gefordert. Hegels Schöpfungslehre
wird vom Verf. als dialektischer Panentheismus bezeichnet, um
sie damit in ihrem Gegensatz zur biblischen Auffassung zu begreifen
; denn die Schrift kennt keine dialektisch spekulative Ableitung
der Welt aus Gott (194). Genau so ist die biblische Auffassung
von dem Walten Gottes in der Geschichte nicht mit Hegels
Erkenntnis des göttlichen Weltplanes gleichzusetzen. Hinter
der Offenbarung Gottes in der Geschichte steht immer der verborgene
Gott (201). Auch in Hegels Lehre über das Böse wird
der biblische Ernst nicht getroffen, weil die Sünde auf dem Wege
zur geistigen Freiheit als notwendig erscheint (209). Hegel hat
versucht, das Böse und die Sünde in das System seiner Ideenlehre
einzubeziehen. Aber von Luther aus ist eine spekulative Erklärung
der Sünde schlechterdings unmöglich (212).

Im 4. Kapitel über den absoluten Geist wird gezeigt, wie
Hegel mit diesem Gegensatz zwischen Gott und dem Bösen in
der Welt fertig wird, der in einem Dualismus auseinanderzubrechen
droht. Der Zwiespalt bedarf einer Versöhnung. „Gott, der
sein .Anderes' setzte, muß dieses .Andere' wieder aufheben oder
aus seinem .Anderen' wieder zu sich selbst zurückkehren" (212).
Diese Versöhnung begreift Hegel als eine Notwendigkeit in Gott.
Auf den Sündenfall muß sie folgen (218). Die Art, wie Gott sich
als die ewige Persönlichkeit vollendet, bezeichnet den Prozeß
dieser Versöhnung. Unter diesem Thema behandelt Verf. abschließend
das Wesen der Religion, die Menschwerdung und die
Versöhnung. Zunächst stimmt Verf. unter Berufung auf P. Althaus
und R. Seeberg Hegel zu, daß die Religionen auf eine Selbstbezeugung
Gottes zurückgehen und daß in ihnen Offenbarungen
Gottes vorliegen. Aber er lehnt mit Recht den Entwicklungsgedanken
für die Religionsgeschichte ab.

Bei der Menschwerdung hat Hegel ebenso wie bei der Schöpfung
, Geschichte und Sünde die Lehre von der absoluten Idee
Gottes her begründet. Dadurch ist die Menschwerdung zu einem
logisch-dialektischen Entwiddungsprozess und inhaltlich zu einer
an sich geltenden Wahrheit von der Einheit Gottes mit der
menschlichen Natur umgedeutet worden (231). Gott mußte nach
Hegel Mensch werden, um dem Menschen die Idee von der Einheit
Gottes mit dem Endlichen deutlich zu machen. Auf diese
Weise konnte Hegel dem Geheimnis des Kreuzes nicht gerecht
werden. Der Sinn des Kreuzes liegt für ihn darin, daß der Prozeß
der Selbstentfaltung der absoluten Idee veranschaulicht wird. Die
Genugtuung Christi beruht darin, daß Gott sich selbst genug tut,
indem er seine Selbstentäußerung wieder verneint (239).

In der Geschichte Christi werden durch die Auferstehung
und die Himmelfahrt die Selbstentäußerung und die Rüdekehr
der göttlichen Idee zu sich selbst sichtbar gemacht. Dasselbe Geschehen
soll sich auch in dem Leben der einzelnen Christen vollziehen
. Nicht nur das Christusgeschehen, sondern auch das Geschehen
der Christen ist eingeschlossen in Hegels Lehre von dem
trinitarischen absoluten Geist. Die Rückkehr des menschlichen
Geistes zu seinem Ursprung vollendet sich allein im Christentum
(240).

Zusammenfassend bezeichnet Verf. Hegels Gotteslehre als
eine säkularisierte christliche Eschatologie. Sie ist christlich, weil
sie vom Letzten, von der Versöhnung her denkt. Aber sie ist
verweltlicht, weil sie das „esdiatologische Futurum in das Präsens
unserer Existenz projiziert" (257).

Verf. hat trotz seiner scharfen Kritik nicht versäumt, voreiligen
Verurteilungen der Hegeischen Gedanken entgegen zu
treten. Den Denker selbst sucht er in seiner christlichen Verantwortung
zu verstehen und zu würdigen. Verf. hat sich einer
schweren Aufgabe unterzogen. Aber seine Arbeit ist eine gute
Grundlage auch für die Auseinandersetzungen heute, die zwischen
„Marx und Hegel" noch keineswegs abgeschlossen sind. Wenn
Marx bei Schopenhauer gerühmt hat, daß er mit seinem Pessimismus
der Vergöttlichung des Diesseits durch Hegel entgegengewirkt
habe, wodurch am längsten der wissenschaftliche Fortschritt
aufgehalten worden sei, dann wird durch ihn ein berechtigtes
Anliegen des Realismus vertreten. Aber die Gefahr ist in
Verzug, daß der Mensch nun seinerseits sich verabsolutiert und
seine eigentliche Aufgabe am Menschen verfehlt, weil er Gott
nicht mehr sieht.

An drei Punkten hätten wir noch eine schärfere Abgrenzung
gegenüber Hegel gewünscht:

1) Es fragt sich, ob Verf. bei seiner Bejahung der Versöhnung
von Vernunft und Glaube nicht zu sehr noch in der Thematisierung
Hegels gefangen ist. Kann eine solche Versöhnung
überhaupt ein echtes theologisches Ziel vom Neuen Testament
her sein? Ist wirklich Hegels Satz richtig: „Was wäre sonst der
Mühe wert zu begreifen, wenn Gott unbegreiflich ist?" (XII, 5).
Hier wird doch die Bemächtigung Gottes zur eigenen Sinnbejahung
mißbraucht.

2) Bei dem Verhältnis von Offenbarung und Religion müßte
Verf. noch näher auf das theologische Anliegen eingehen, das den
qualitativen Unterschied zwischen Religion und Offenbarung behauptet
. Von der abschließenden Christus-Offenbarung aus kann
zwar in den anderen Religionen ein Walten Gottes anerkannt
werden, weil sich durch diese Offenbarung Gott als der Herr der
Geschichte erweist. Außerhalb dieser christlichen Offenbarung
verstehen sich aber diese Religionen selbst als Leistungsreligionen
und befinden sich dadurch tatsächlich im Gegensatz zur Offenbarungsreligion
.

3) Weil Hegel nicht von der Christologie her denkt, kommen
bei ihm auch die Pneumatologie und Ekklesiologie trotz aller
Geistlehre zu kurz; denn Gottes heiliger Geist ist nur durch das
der Kirche anvertraute Christuswort wirksam und kann nur in
ihrer Predigt — bei aller Erkenntnisbegrenzung — als die Wahrheit
, die uns selig macht, erkannt werden. Die Heilserkenntnis
schließt nicht eine totale Gotteserkenntnis ein, setzt aber die
Christusbegegnung innerhalb der Kirche voraus.

Hinter dieser Hegelarbeit liegt ein jahrelanges Studium, das
zu einem gediegenen und wirklich weiterführenden Werk hat
kommen dürfen.

Eisenach H. E. Eisenhuth

Kanitz, Hans Joachim: Das Übergegensätzliche gezeigt am Kontinuitätsprinzip
bei Leibniz. Hamburg: R. Meiner [1951]. 302 S. gr. 8°.
Kart. DM 12.-.

H. J. Kanitz gibt keinen Gesamtüberblick über Leibniz' Philosophie
, sondern er zeigt in ständiger Anlehnung an das Kontinuitätsprinzip
die Vielseitigkeit und Problematik des Leibniz-
sdien Denkens. Er geht dabei methodisch äußerst geschickt vor.
Durch Einführung des Begriffes „Das Übergegensätzliche" gewinnt
er die Möglichkeit, die oft gezeigten „Widersprüche" in Leibniz'
Philosophie zu bestreiten und, wie man zugeben muß, weitgehend
aufzulösen. Sein Hauptangriff richtet sich dabei gegen Nicolai
Hartmanns kritische Stellungnahme zu Leibniz' Metaphysik
(S. 155 ff., 253 ff.). Die polemische Auseinandersetzung gipfelt in
dem Vorwurf, daß Hartmann eine Kategorienfülle an einen Den-