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1955 Nr. 5

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Kirchengeschichte: Reformationszeit

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Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 1955 Nr. 5

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Wirken, ihre Stellung zu den Männern der Reformation sollten
in den heutigen Auseinandersetzungen über die Stellung der
unverheirateten Frau in der Kirche und über die Diakonie ernstlich
beachtet werden.

Eine ganz andere Gestalt ist W i b r a n,d i s Rosenblatt
, deren Leben aufgeht in der liebevollen Fürsorge für
Ehemann und Kinder und für alle, die in einem gastlichen Pfarrhaus
jener Zeit Aufnahme suchen. Sie war viermal verheiratet
, zuerst in Basel mit dem Humanisten Cellarius und nach seinem
frühen Tode mit dem Reformator Oekolampadius, dann
in Straßburg mit den Reformatoren Capito und Butzer. Trotzdem
ihre Ehegatten ihr immer wieder durch den Tod entrissen
wurden, nimmt Wibrandis stets aufs neue unerschrocken und
tapfer in hingebungsvoller Herzenswärme die schwere Aufgabe
auf sich, diese von Mühen und Arbeit für die werdende Kirche
überhäuften Männer von aller „Haussorge und zeitlichen Geschäften
" zu entlasten, die Kinder zu erziehen, die vielen durchreisenden
Gäste zu betreuen und so ihren Ehegatten die Geborgenheit
und Pflege zu geben, deren sie so dringend bedurften.
Auch Wibrandis wuchs schon während ihrer kurzen Ehe mit
Oekolampad in den Freundeskreis der Schweizer und Oberdeutschen
Reformatoren hinein. In ihrem Leben zeigt sich, wie
die damaligen Führer der Reformation, die aus dem priesterlichen
Zölibat kommen, sich mit ihren Frauen bemühten, die Ehe als
Gottes Ordnung nach seinem Willen in gegenseitiger Verehrung
und Liebe neu zu gestalten. Auch Wibrandis steht hochgeachtet
von dem Freundeskreis neben ihren die Verantwortung für die
Kirche tragenden Ehegatten.

In der vornehmen Olympia Morata ist dieselbe
Glaubensfreudigkeit lebendig wie in den drei genannten Frauen.
Das hochbegabte, schöne und kindliche Mädchen lebt — vor allem
am Hofe von Ferrara von ihrem 14. bis 22. Jahr — ganz den
Studien und in der Ideenwelt des klassischen Altertums. Schon
mit 14 Jahren kann sie griechisch sprechen und über die stoische
Philosophie Ciceros einen lateinischen Vortrag halten. Dann
wird sie vom evangelischen Glauben in Calvinischer Form ergriffen
, wenige Jahre später erfaßt sie in Deutschland durch
Luthers Schriften den ganzen Trost der Rechtfertigung. Von nun
an steht sie „in Christi Sold". In Schweinfurt, wohin ihr Gatte,
der ihr gleichgesinnte deutsche Arzt Grundler gerufen wird
(1550), besucht sie Arme, Kranke und Alte. Mit inniger Teilnahme
verfolgt sie das Geschick der evangelischen Glaubensgenossen
in Frankreich und Italien. Sie bittet einmal Flacius
Illyrikus eine deutsche Lutherschrift, ein andermal einen italienischen
Glaubensflüchtling den großen Katechismus ins Italienische
zu übertragen. In einem Briefe legt sie wenige Monate vor ihrem
Tode der Prinzessin Anna von Este, ihrer einstigen Studiengefährtin
, der Gattin von Franz von Guise, dringend ans Herz,
sich der unschuldig zum Tode verurteilten Hugenotten anzunehmen
. Trotz ihres innerlich und äußerlich so gewandelten Lebens
bleibt Olympia ihren lateinischen und griechischen Studien treu.
Sie schreibt Abhandlungen und Briefe an befreundete humanistische
Gelehrte in klassischem Latein, unterrichtet ihren jungen
Bruder und eine kleine Pflegetochter in den Sprachen, überträgt
Psalmen in kunstvolle griechische Verse, die sie — komponiert
von ihrem Manne — im Freundeskreis vorsingt. In den Jahren
1553 und 1554 erlebt sie mit ungebeugtem Mut und festem
Gottvertrauen alle Kriegsschrecken der Belagerung und Plünderung
Schweinfurts, die Flucht aus der brennenden Stadt und
den Verlust aller Habe, auch der eigenen Schriften und ihrer geliebten
Bücher. In all diesen Drangsalen bleibt Gottes Wort ihr
Trost. In Heidelberg eröffnet sich ihrem Manne eine neue Tätigkeit
und sie selbst erhält „zur Zierde seiner Hochschule" von
Friedrich II. von der Pfalz einen Lehrauftrag für Griechisch. Aber
die anmutig-zarte innigliebende Frau wird von schwerer Krankheit
ergriffen und stirbt im Seuchenjahr 1 555 mit 29 Jahren,
tiefbetrauert auch von ihren gelehrten Freunden, die von ihr
Bedeutendes für die humanistische Wissenschaft erwarteten.

Argula von Grumbach geb. 1492 stammt aus
dem alten sehr reichen oberfränkischen Adelsgeschlecht der
Stauffer, das aber zu Argulas Lebzeiten im Kampf gegen die aufstrebende
Herzogsmacht verarmte. Sie lebte wie Olympia viele

Jahre an einem Fürstenhof — in München. Dort lernt sie nicht
nur „Zucht und Gottesfurcht" und alle fraulichen Fertigkeiten,
sondern auch die Gewandtheit in der schriftlichen Handhabung
der deutschen Sprache. Aus der Bibel und aus den deutschen
Schriften Luthers gewann sie in der Stille ihrer ersten Ehejahr3
in eifrigem Studium eine ungewöhnliche Bibelkenntnis und eine
große Selbständigkeit evangelischen Glaubens. Von da an steht
ihr ganzes Leben unter dem fordernden Wort: Wer mich bekennet
vor den Menschen, den will ich auch bekennen vor meinem
himmlischen Vater. Schon früh korrespondierte Argula mit
Speratus, Spalatin und anderen evangelisch gesinnten Männern.
Speratus sandte 1522 ihren Bericht über die Verfolgungen in den
Niederlanden an Luther weiter, der die mutige Zeugin für den
evangelischen Glauben der Fürbitte eines Freundes empfahl. Als
die Verfolgung auch nach Bayern übergriff, schrieb Argula von
Grumbach anklagend ihre ersten Sendschreiben, — die gleich als
kleine Heftchen erschienen — an die ganze Universität Ingolstadt
und an den Herzog Wilhelm von Bayern, den sie ermahnt,
„sich nicht länger von den Geistlichen am Affenseil führen zu
lassen", sondern allem armen Volk das Evangelium predigen zu
lassen. Bald darauf verteidigt sie ihren Schritt mit Berufung auf
die heilige Schrift dem Ingolstädter Rat gegenüber. Im gleichen
Jahr 1523 reist sie zum Reichstag nach Nürnberg, um bei den
Fürsten — freilich ohne besonderen Erfolg — für die Sache des
Evangeliums zu werben. Ihr Gatte wurde vom Herzog wegen
ihres Eintretens für das Evangelium seines Amtes entsetzt, so daß
die Familie noch mehr verarmte. Argula trat später nur noch einmal
in einem Schreiben an den Rat von Regensburg öffentlich
hervor. Sie widmete sich, um die Kosten der Erziehung ihrer
Kinder aufzubringen, ganz der Bewirtschaftung ihrer restlichen
Güter. Aber sie verfolgte auch weiter die evangelische Sache mit
wärmster Anteilnahme, wie sich aus ihrem Briefwechsel mit
Spalatin und anderen — auch mit Luther selbst — ergibt.
15 30 besuchte sie ihn auf der Coburg; er ließ sich von ihr erzählen
, was sie von den politischen Vorgängen wußte. Luther
hat Frau Argula „ein besonderes Werkzeug Christi" genannt.

Dies Buch, das auf genauestem Quellenstudium beruht,
füllt eine Lücke in unsrer Kenntnis der Reformationsgeschichte
aus. Wir erfahren, wie sehr das Leben dieser Frauen in das
kirchliche Geschehen hineinverflochten ist, mit welch erstaunlicher
Selbständigkeit und Selbstverständlichkeit sie den neuen
Glauben mittragen, wie er ihren Blick weitet, ihre Gaben entfaltet
, ihr Verantwortungsbewußtsein aufruft. An manchen
Stellen weiten sich diese Lebensbilder unwillkürlich zu einer Darstellung
der Kirchengeschichte jener Zeit.

Berlin Magdalene von Tiling

A 11 h a u s, Paul: Luthers Wort von der Ehe.

Luther. Mitteilungen der Luthergesellschaft 1953, 2 S. 1—10.
Bakhuizen van den Brink, J. N.: Bonaventura Vulcanius

en Leiden.

Varia Historica, 1954 S. 151—164.
Bodenstein, Walter: Luther und die neue Agendenform.

Freies Christentum 7, 1955 Sp. 28. 31—33.
Boesch, Paul: Die englischen Flüchtlinge in Zürich unter Königin

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Zwingliana IX, 1953 S. 53 1—535.

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Dresler, A.: Hat Gutenberg in Bamberg die 36zeilige Bibel gedruckt?
Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel 10, 1954 S. 701—704.

Dreß, Walter: Die Zehn Gebote in Luthers theologischem Denken.
Wissenschaftliche Zeitschrift der Humboldt-Universität zu Berlin. Gesellschafts
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—218.

F a r n e r, Oskar: Bullinger-Briefe.

Zwingliana X, 1954 S. 103—108.
— Heinrich Bullinger als Hausvater.

Zwingliana X, 1954 S. 97—103.