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1955 Nr. 5

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Theologische Literaturzeitung 1955 Nr. 5

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Henri Gregoires (Melanges d'archeologie et d'histoire offerts ä Ch. Picard
, 1, Paris 1949, 401 ff.), daß auch sein Bakchosname auf diese Stiergestalt
hinweise, zeigt Tondriau, daß eben dieser stiergestaltige Dionysos
in hellenistischer Zeit zum Gott des Königtums wurde; seine Hörner
nahmen die Nachfolger Alexanders in ihre Bildnisse auf, ja mancher begegnet
als Neos Aiovvaoq in der Pose des reinkarnierten Gottes. Eine
übersichtliche Zusammenstellung der Belege erhöht noch den Wert der
Abhandlung. — Einen neuen Versuch, den Junobeinamen Covella zu
deuten, liefert Marcel Renard S. 401 ff. — Mit der Bewertung des
Selbstmordes im römischen Rechtsdenken befaßt sich eine profunde Studie
von A. Vandenbossche (S. 471 ff.). Sie beweist, daß das Prinzip
des Liber mori vielfältigen Einschränkungen unterworfen war. Sie zeigt
weiter, welch starken Einfluß die griechische Philosophie auch auf diesen
Teil des Strafrechts ausübte. — Auf die Religion der Gallier beziehen
sich die Bemerkungen Victor Tourneurs S. 467 ff. Er zeigt, daß
unter simulacra (Cäsar, B. G. 6, 17, 1) nicht Götterbilder zu verstehen
sind, sondern Symbole, vielleicht Steine, Bäume und dergleichen; denn
die gallischen Götter waren gestaltlos und unsichtbar — erst unter römischem
Einfluß nahmen sie menschliches Aussehen an.

Wir kommen jetzt zu den Beiträgen aus dem Bereich der Alten
Kirche. In den Streit um die Authentizität der Vita Constantini des
Eusebios greift Paul Orgels S. 575 ff. zugunsten Henri Gregoires ein,
der bekanntlich Byzantion 13/1938/561 ff. eine solche Authentizität aufs
nachdrücklichste anfocht. Danach beziehen sich die Kapitel II 6—18 der
Vita auf die Vorgänge des Jahres 314, wiewohl sie als der Liquidierung
des Licinius unmittelbar voraufgehend dargestellt werden. Die letzten
Arbeiten zur Frage, zu welchen Kurt Aland, Forschungen und Fortschritte
28/1954/213 ff., Stellung nimmt, konnten von Orgels noch nicht
benutzt werden, wie andererseits Aland auf seine Beweisführung noch
nicht eingehen konnte; man darf daher weiteren Untersuchungen mit
Spannung entgegensehen. — Zu einem vielumstrittenen Relief des
Trierer Domschatzes (abgebildet bei Oskar Wulff, Die altchristliche Kunst,
Neubabelsberg 1913, 194 Abb. 196) ergreift Stylianos Pelekanidis
S. 361 ff. erneut das Wort. Er datiert das Stück in das erste Viertel des
5. Jahrhunderts, sieht er doch in ihm ein Dokument des letzten Stadiums
der spätantiken Volkskunst, in welchem sich bereits Vorstufen des byzantinischen
Stils sichtbar machen. Dargestellt sei die im September 415
erfolgte Überführung der Reliquien des Joseph (Jakobs Sohn) und des
Zacharias (des Vaters des Täufers) nach Konstantinopel, über die das
Chronicon paschale I 572 f. Bonn berichtet. P. V. Laurent meldet in
der Byzantinischen Zeitschrift 47/1954/268 zu Pelekanidis' Arbeit eine
kritische Stellungnahme P. Grumels an, welche im Bd. 12 der Revue des
etudes byzantines erscheinen soll. — Dem Rechtsfall des Boethius widmet
Charles Henry Coster S. 45 ff. eine eingehende Untersuchung:
Scharf wendet er sich gegen die von William Bark, The American histori-
cal review 49/1944/410 ff. vertretene Auffassung, daß Boethius an einer
gegen Theodorich gerichteten Verschwörung teilgenommen habe, welche
im Jahre 523 aufgedeckt worden sei. Nach Coster ist Boethius vielmehr
ein Opfer der arianerfeindlichen Maßnahmen Justins I. geworden. Seine
Verhaftung fand wahrscheinlich erst statt, nachdem Papst Johannes I.
seine Gesandtschaftsreise nach Konstantinopel angetreten hatte, und
seine Hinrichtung erst nach der Rückkehr des Papstes. — Auf den Beitrag
M. M o 1 e s über die Zoroaster-Renaissance unter den ersten Sassa-
niden und die Herausbildung einer Zoroaster-Orthodoxie (S. 289 ff.) sei
beiläufig hingewiesen.

Schon mit den letztgenannten Arbeiten wurde das weite Feld der
Byzantinistik berührt. Wir haben für dieses noch einige Beiträge
der Festschrift zu nennen. Drei Miszellen zu Schriften des arabischen Gelehrten
Abu'l Hasan 'Ali Mas'udi (1. Hälfte des 10. Jahrhunderts) legt
der am 30. Juli 1954 der Wissenschaft durch den Tod entrissene Orientalist
Ernest Honigmann vor. In seinem Liber commonitionis et re-
cognitionis, pg. 154 de Goeje, spricht Mas'udi von dem Geschichtswerk
eines Mönches Athenaios aus Ägypten; Honigmann zeigt S. 177 f., daß
sich hinter dieser Bezeichnung der Chronograph Annianos alias Panodo-
ros verbirgt, der unter dem Patriarchen Theophilos (385—412) schrieb.
Daß das ansonsten kirchlich perhorreszierte Kalenderfest in Syrien, Jerusalem
, Ägypten und andernorts als christliches Fest begangen wurde,
steht im 56. Kapitel von Mas'udis „Goldenen Wiesen"; darauf macht
Honigmann S. 179 ff. aufmerksam. Schließlich bespricht er S. 182 ff. eine
Erwähnung des Titels Baadcvg 'Pcoftaicov im Liber commonitionis etc.,
pg. 167 s. de Goeje. — Mit einer von P. Darrouzes entdeckten wohl
konstantinopolitanischen Patriarchenurkunde, bzw. richtiger der undatierten
Abschrift einer solchen aus dem ausgehenden 13. oder beginnenden
14. Jahrhundert, macht S. 19 ff. Charles Astruc bekannt. Es
handelt sich um die Bestätigung einer Schenkung zugunsten des Kyrikos-
Klosters (in Sozopolis in Thrazien?). — Daß die Wiederentdeckung Stra-
bons wesentlich dem byzantinischen Humanisten Gemistos Plethon zu
verdanken ist, legt Milton V. A n a s t o s S. 1 ff. dar; vielleicht ist
sogar Columbus in seinen Planungen durch Plethons Exzerpte bestärkt
worden.

Auf weitere vier Arbeiten aus anderen Wissenschaftsgebieten sei
kurz verwiesen. Alexandre Philipsborn legt S. 373 ff. dar, daß es

in Indien Krankenhäuser frühstens seit dem Jahre 400 gibt; wirklich sichere
Nachrichten setzen sogar erst mit dem 11. Jahrhundert ein. Bei
den vieldiskutierten „Krankenhäusern" Asokas (273—232 v. Chr.) dagegen
handelt es sich augenscheinlich um Heilmitteldepots. — Charles
Hyart vergleicht S. 185 ff. die Übersetzungen der Sanskritdichtung
von Nala und Damajanti durch Bopp, Rückert und W. A. Shukowski
(1783—1852); während die beiden deutschen Übertragungen als Arbeiten
sachkundiger Gelehrter geeignet sind, an den Urtext heranzuführen, gibt
Shukowski eine Nachdichtung von starkem poetischen Reiz. — Unsere
Kenntnisse über die epische Dichtung der Sarmaten resümiert S. 517 ff.
George Vernadsky. Er stellt folgende Themenreihe heraus: l) Göttersagen
, 2) Heldensagen, 3) die Sage von der Jungfräulichen Schlange
(die von Vernadsky S. 52 5 Anm. 3 genannte Herodotstelle scheint mir
ohne jede Beweiskraft), 4) Amazonensagen, 5) Erzählungen von heiligen
Tieren, 6) die Sage vom Zauberbecher (Herod. 4, 66), 7) Erzählungen
von kriegerischen Königinnen, 8) Erzählungen von Zügen durch
die Steppe. — Last not least sei auf Stanislaus Kots profunde Untersuchung
über die Reformation im Großherzogtum Litauen (S. 201 ff.) hingewiesen
, eine wertvolle Ergänzung zu den in dieser Zeitschrift 79/1954/
595 ff. von A. Starke besprochenen Arbeiten.

Berlin Johannes Iritis eher

Aland, Kurt: Erich Klostermann zum 85. Geburtstag.

Forschungen und Fortschritte 29, 1955 S. 60—61.
Haut er, Charles: Hommage au Doyen Henri Strohl. Travaux du

Doyen Henri Strohl.

Revue d'Histoire et de Philosophie Religieuses 34, 1954 S. 193—197.
Meyer, Rudolf: Paul Kahle zum 80. Geburtstage.
Forschungen und Fortschritte 29, 1955 S. 61— 63.

RELIGIONSWISSENSCHAFT

S c h m i d t, P. Wilhelm, Prof. D. Dr., S.V.D. f: Der Ursprung der Gottesidee
. Eine historisch-kritische und positive Studie. Bd. XI, 3. Abt.:
Die Religionen der Hirtenvölker V.: Die asiatischen Hirtenvölker. Die
primär-sekundären Hirtenvölker der Jakuten und der Sojoten-Karagas-
sen sowie der Jenisseier und die Synthese der benachbarten Nicht-
hirtenvölker. Münster: Aschendorff 1954. XXVII, 734 S. gr. 8°.
DM 45.— ; Geb. DM 50.—.

P. Wilhelm Schmidt ist am 10. 2. 54 von uns gegangen. Er
hat das Erscheinen der beiden letzten Bände seines gewaltigen
Werkes nicht mehr erlebt. Band X, der hauptsächlich die Mongolen
, Tungusen und Yukagiren behandelt, ist in ThLZ 1953,
S. 91/92 besprochen worden. Jetzt liegt, von Fritz Bornemann
S.V.D. besorgt, Band XI vor, der noch vom Verfasser selbst korrigiert
und mit einem Vorwort versehen ist. Der noch fehlende
Abschlußband XII, dessen Manuskript fertiggestellt ist, soll 1955
erscheinen.

Ähnlich wie Bd. X behandelt auch Bd. XI eine Reihe von
nordasiatischen Völkern, die unter sich verschiedenartig sind,
aber im Hinblick auf ihre geographische Nachbarschaft und gegenseitige
Beeinflussung gemeinsam untersucht werden. Die Jakuten
gehören zu den primären Hirtenvölkern der türkischen
Sprachgruppe, sind aber durch ihre Abwanderung nach Osten
unter den Einfluß von Nichthirtenvölkern, insbes. der mongolischen
Burjäten gelangt. Als wesentlich Neues zeigt P. W. Schmidt,
daß bei ihnen zwei verschiedene Religionen zu unterscheiden
sind, die westjakutische des „Besten Vaters", in der die alttürkische
Himmelsreligion trotz schamanistischer Einflüsse lebendig
geblieben ist, und die ostjakutische Religion des „Weißen Schöpfers
", in der die Spannung zwischen Himmel und Unterwelt stärker
hervortritt.

Die Sojoten sind aus türkisierten Samojeden hervorgegangen,
die Karagassen wiederum durch sojotische Kolonisierung geprägt
worden. Beide haben von den Abakan-Tataren die Himmelsreligion
und den Unterweltgott Erlik übernommen.

Das schwierigste Problem bieten die — als Sprachgruppe im
Aussterben begriffenen — Jenisseier, von Castren irreführend als
Jenissei-Ostiaken bezeichnet, wohl besser mit Findeisen nach
ihrem eigenen Namen Keto genannt. Sie stehen sprachlich unter
ihren Nachbarn isoliert da. P. W. Schmidt hat schon früher auf
mögliche Zugehörigkeit zum chinesisch-tibetischen Sprachstamm
hingewiesen. Ebenso wie die Sprache gibt die Religion der Keto
viele Rätsel auf, die auch bei P. W. Schmidt trotz Verarbeitung