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Ausgabe:

1955 Nr. 1

Spalte:

7-20

Autor/Hrsg.:

Söhngen, Oskar

Titel/Untertitel:

Der Weg des Kirchbautages von Hannover 1946 bis Erfurt 1954 1955

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Theologische Literaturzeitung 1955 Nr. 1

8

VII.

Nun ist ohne Zweifel die Gemeinschaft von H. Qumrän
eine Gruppe, deren Führung Priester innehaben. Es ist mehr als
•wahrscheinlich, daß gerade die organisatorischen Maßnahmen:
strenge Rangordnung und Gemeinwirtschaft ihr Vorbild in der
priesterlichen Organisation haben, wie sie die Chronik darstellt.
In einem Punkt allerdings mußte sie notwendigerweise abweichen
: da sie sich von der Jerusalemer Priesterschaft aus Gründen,
die hier nicht näher zu untersuchen sind, abgespalten hat, mußte
sie den Abstammungsnachweis als Norm für die Zugehörigkeit
fallen lassen und dafür den freiwilligen Eintritt in die Gruppe
aufgrund einer Bundesverpflichtung einsetzen, zumal sie über den
Kreis der doch wohl geringen Zahl von priesterlichen Mitgliedern
hinaus auch Laien aufzunehmen bereit war. Dafür hatte sie, wie
im Vorstehenden gezeigt, Vorbilder im Alten Testament. So ist
zum wenigsten die äußere Organisation nichts völlig Neues; im

Gegenteil, der TMrrn iiTra hat an ältere geschichtlich überkommene
Formen anknüpfen können, wenn er auch diese Formen
straffer durchgebildet und verpflichtender gestaltet hat. Ja selbst
für die umfangreichen Strafbestimmungen dürfte er Vorbilder
gehabt haben, zum mindesten innerhalb der priesterlichen Organisation
. Das Neue liegt darin, daß er eine für einen Stand geschaffene
besondere Organisation vielleicht mit Anregungen aus
älteren Gruppenzusammenschlüssen verbindet und auf eine aus
Priestern und Laien gemischte Gruppe überträgt, die nun aufgrund
ihrer Selbstheiligung durch das Halten des in bestimmter
Richtung interpretierten Gesetzes in Verbindung mit einem
strengen Dualismus und einer glühenden Heilserwartung gegenüber
dem offiziellen Priestertum der Zeit und der um das Jerusalemer
Heiligtum sich scharenden Gemeinde den gleichen Anspruch
erhebt, den einst die heimkehrende Golah dem im Lande
Verbliebenen gegenüber erhoben hatte, nämlich: das wahre Israel
zu sein.

Der Weg des Kirchbautages von

Von Oskar S ö

„Am Anfang unserer Bewegung steht die Konferenz." Mit
diesem lapidaren Satz beginnt Erich Stange seine Darstellung
der Geschichte der Deutsch-Christlichen Studentenvereinigung1.
Wenn ich mich manchmal gefragt habe, ob nicht vielleicht auch
die Häufung der Kirchbautagungen in den letzten Jahren — unsere
Erfurter Tagung ist bereits die siebente in der mit 1946 beginnenden
Reihe — eine Auswirkung der modernen Kongreß- und
Tagungsseuche sei, dann hat mich immer die Erinnerung daran
beruhigt, daß es ein Stadtsuperintendent war, der aus der Verantwortung
seines Amtes den Anstoß dazu gegeben hat. Als Gerhard
Kunze zur ersten Kirchbautagung nach Hannover einlud,
standen hinter diesem Entschluß die brennenden Nöte einer erbarmungslos
zerschlagenen Stadt, von deren 37 evangelischen
Kirchen 13 völlig zerstört und nicht eine einzige unbeschädigt
war. Das war das konkrete Hier und Jetzt, mit dem sich die
Versammelten auseinandersetzen sollten, prüfend, miteinander
austauschend, stets im Ausblick auf konkrete Ratschläge und Hilfen
, und durch die straffe Verhandlungsführung Kunzes war dafür
Sorge getragen, daß dieser Ausgangspunkt keinen Augenblick
in Vergessenheit geriet. Es gehört zur Eigenart evangelischen
Glaubens, daß ihm die praktischen Nötigungen zum Handeln immer
theologisch legitimer erscheinen werden, als die Antriebe aus
einer rein prinzipiellen, darum letztlich in die eigene Initiative
gegebenen Betrachtung der Dinge. Wo ihm konkrete Aufgaben
und Nöte von Gott vor die Füße gelegt sind, da weiß sich der
Glaube eigentlich aufgerufen und ins Element gesetzt. Und wo
eine Unternehmung dazu bestimmt ist, solche Not zu beheben
und zu wenden, da ist dem Glauben ihre Not-Wendigkeit einsichtig
und gewiß. Von da scheint sich mir auch die Rechtfertigung
unserer Kirchbautagungen herzuleiten: Sie sind eine
not-wendige Einrichtung im wörtlichen Sinne, und ihre Häufigkeit
entspricht der alle bisherigen Vorstellungen und Maßstäbe
weit überbietenden Häufung der Not. Das Erbe eines verlorenen
Weltkrieges läßt sich nicht in einigen wenigen Jahren verarbeiten;
man soll auch nicht den Versuch dazu machen, wenn man sich
nicht selber um den Segen bringen will, der noch stets in Gottes
Gerichten beschlossen gelegen hat. Darum vermag ich mich auch
nicht uneingeschränkt darüber zu freuen, wenn aus manchen westdeutschen
Landeskirchen berichtet wird, daß voraussichtlich schon
in den nächsten Jahren sämtliche Bauschäden des letzten Weltkrieges
beseitigt und sämtliche Baulücken geschlossen sein werden
. Man höre nur die „Erfolgsbilanz" einer großen Landeskirche
aus dem Oktober 1953: Von den Kirchen — dabei handelt
es sich um Hunderte an der Zahl — 78%, von den Pfarrhäusern —
ebenfalls vielen Hunderten — 76,5%, von den Gemeindehäusern
71% wiederaufgebaut; z. Zt. im Wiederaufbau bzw. Neubau:
174 Kirchen, 89 Pfarrhäuser, 84 Gemeindehäuser und 93 andere
Gebäude; in der Planung etwa 35 Kirchen, 30 Pfarrhäuser und

') Ein Menschenalter deutscher christlicher Studentenbewegung.
Berlin 1920. S. 7.

Hannover 1946 bis Erfurt 1954

i n g e n, Berlin

60 Gemeindehäuser2. Es ist mir eine ernste Frage, ob der Arbeitsausschuß
des Kirchbautages sich nicht verpflichtet fühlen
sollte, solche Landeskirchen zur Mäßigung im Tempo des Wiederaufbaus
zu mahnen: Was wachsen soll, wirklich wachsen soll,
braucht Zeit!

I.

Auf die konkrete Not der zerstörten und beschädigten Kirchen
, der durch den Krieg unterbliebenen Instandsetzungen und
Neubauten, der zahlreichen seit 1945 entstandenen neuen Gemeinden
ohne Kirchen und eigene Gemeinderäume waren alle
Kirchbautagungen ausgerichtet. Lassen Sie mich das an einigen
Beispielen deutlich machen und damit zugleich ein wenig von der
Arbeitsleistung der bisherigen Tagungen andeuten:

Das grundlegende Gespräch zwischen Städte-
planer und Kirchbaumeister, das schon in Hannover
begonnen hatte, wurde 1948 in Berlin und 1953 in Köln im
leibhaften Gegenüber der beiderseitigen Partner fortgeführt; in
Köln vertrat den Stadtbauplan kein Geringerer als der führende
katholische Kirchenbauer Rudolf Schwarz. Es ging dabei um
die Dringlichkeitsstufen des Wiederaufbaus, um das Schicksal und
die, wie man meinte, in Zukunft notwendigerweise differenzierte
Bestimmung der Citykirchen, um die Aufteilung der künftigen
Städte in Geschäftsviertel, Grünflächen und Wohnflächen und um
die Frage, wo die Kirchen ihren Standort haben sollten, ob in der
Insellage der Grünflächen oder im flutenden Verkehr der Wohnviertel
. Die Stellung der Kirche im Stadtbild wurde behandelt,
und damit auch die Frage, ob die Kirche heute noch den Anspruch
erheben solle und dürfe, mit ihrer Baumasse und ihrem Turm als
städtebauliche Dominante gewertet zu werden. Als Stachel wirkte
dabei die schon in Hannover von Gerhard Kunze aufgeworfene
Frage, ob denn überhaupt im letzten Jahrhundert in Westeuropa
ein überzeugender hoher Turm gebaut worden sei, der mehr ist
als eine summenhafte Aufeinanderschichtung von Horizontalgliedern3
.

Besonders nachhaltig ist auf den Kirchbautagungen die Frage
diskutiert worden, wie es mit dem Wiederaufbau der
denkmalwerten Kirchen aus der Zeit der Romanik,
der Gotik, des Barock und des Klassizismus gehalten werden solle.
In Hannover und, 1949, in Lübeck hatte man sich damit schon
beschäftigt. In Köln, 1953, stand diese Frage im Mittelpunkt der
ganzen Tagung. Paul Schütz stellte sie in den großen Zusammenhang
der „Restauration als geistigen Problems". Günther
Grundmann warnte in seinem Vortrag „Wiederherstellung
oder Erneuerung zerstörter Kirchen?" eindringlich vor der Fas-

J) „Kirche in der Zeit". Evang. Informations- u. Nachrichtendienst.
Düsseldorf 1953. S. 215.

3) Kunze, Gerhard: Evangelischer Kirchenbau vor neuen Aufgaben
. (Veröffentlichungen der Evang. Gesellschaft für Liturgieforschung.
Heft 2) Göttingen 1947. S. 14.