Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1955 Nr. 4

Spalte:

241-243

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Weber, Hans-Oskar

Titel/Untertitel:

Die Stellung Cassians zur Mönchstradition 1955

Rezensent:

Weber, Hans-Oskar

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

241

Theologische Literaturzeitung 1955 Nr. 4

242

muß. Sie setzt ebenfalls voraus, daß das Pneuma als eschatologisches
Grundprinzip der paulinisdien Ethik angesehen werden muß.

Innerhalb des Pneuma-Begriffs unterscheidet der Verf. zwischen
einer indikativischen und einer imperativisdien Anwendung. Damit
wird das seit Bultmann und Windisch immer wieder behandelte Thema
des Verhältnisses von Indikativ und Imperativ aufgenommen. Der Verf.
glaubt, daß dieses Problem von grundlegender Bedeutung für das Verständnis
von l. Kor. 7 ist.

Es ist eine These dieser Arbeit, daß alle bisherigen Versuche, das
Verhältnis von Indikativ und Imperativ zu bestimmen, letzten Endes
daran gescheitert sind, daß man immer wieder die Lösung unmittelbar
in der eschatologischen Existenz selbst gesucht hat. Demgegenüber wird
hier zu zeigen versucht, daß das Problem mit der menschlichen Existenz
ganz allgemein gegeben ist und daß es innerhalb der esdiatologischen
Existenz nur seine besondere Formulierung erhält..

Rein anthropologisch stellt sich das Problem von Indikativ und
Imperativ, weil der Mensdi in der Distanz von sich selbst lebt; in der
eschatologischen Existenz ist dann aber das Problem noch in einer spezifischen
Weise dadurch gegeben, daß Gott durch den Geist das neue
Selbst setzt, und zwar einmal in der Taufe, allen Christen in gleicher
Weise, und dann auch noch in den Charismen, einigen Christen
in besonderer Weise gegeben. Sowohl in der Taufe wie in den
Charismen handelt es sich um ein indikativisches Setzen des neuen
Selbst. Daneben aber steht die „Frucht" des Geistes (Gal. 5, 22) als
Imperativ, der in dem Liebesgebot seine Zusammenfassung findet. Das
heißt: Charisma und Agape werden beide auf den Geist zurückgeführt,
aber sie fließen aus dieser Quelle in verschiedener Weise. In der einen
Weise wirkt der Geist indikativisch, in der anderen imperativisch. Die
eine Weise ist die des Charismas, die andere die der Agape: das Charisma
ist Geistes gäbe, die Agape Geistes w a n d e 1. Dieser Unterschied
ist fundamental für Paulus und ist in seinen Ausführungen in l.Kor. 7
vorausgesetzt.

In l.Kor. 7 warnt Paulus seine Leser, das göttlich „gesetzte"
Charisma (in diesem Fall die Ehelosigkeit = continentia) als ein unter
dem Imperativ stehendes Ideal mißzuverstehen. Wo der Gläubige versucht
, sich dessen durch eigene Anstrengung zu bemächtigen, was seiner
Natur nach ein Charisma ist, da spielt er ein gefährliches Spiel, das
ihm leicht zum eigenen Schaden gereichen kann (v. v. 1—7). Und was
die charismatisch Begabten angeht (z. B. die „parthenoi" in v. v. 25-
38), so sollen sie das in der Gnade geschenkte Charisma nicht zu einem
die im Geist gegebene Gemeinschaft zerbrechenden Instrument werden
lassen. Diese grundsätzliche Abgrenzung von Ethik und Geistesgaben
bestimmt die Antworten des Apostels in l.Kor. 7.

Eine Exegese von 1. Kor. 7, die die strenge Scheidung von Agape
und Charisma: Ethik und Geistesgaben berücksichtigt, zeigt, daß Paulus
eine weit freundlichere Einstellung zur Ehe hatte, als das gewöhnlich
angenommen wird. Paulus hat auch innerhalb der eschatologischen
Existenz die Ehe als das Normale angesehen, und in der Ehelosigkeit
= continentia ein Charisma gesehen, das durch das Kriterium der
„Erbauung" der Agape untergeordnet wird.

Im Lichte dieser fundamentalen Unterscheidung von Charisma und
Agape betrachtet, ergeben sich dann noch die folgenden exegetischen
Einsichten:

Erstens, nicht die Ehe als solche, sondern die Wiederverheiratung
ist eine „Konzession" (v. v. 8 u. 9);

zweitens, v. v. 10 u. 11 handeln nicht von der Scheidung, sondern
von der Wiederverheiratung und vom Witwenstande;

drittens, der Abschnitt über die Mischehen reicht bis v. 17a und
nicht, wie gewöhnlich angenommen wird, bis v. 16. Die Frage in v. 16
setzt eine affirmative Antwort voraus. Die Antwort selbst muß im
Lichte des Unterschiedes von Charisma und Agape verstanden werden:
Wird der christliche Partner in einer Mischehe zum Instrument für die
Bekehrung des anderen, so ist das eine „Gabe": ein Charisma;

viertens, die „parthenoi" in v. v. 25—3 8 sind charismatisch begabte
Jungfrauen, die mit nicht charismatisch begabten jungen Männern
verlobt sind (die Syneisaktenhypothese ist unhaltbar). Das Problem,
daß sich in dieser Bindung stellt, wird von Paulus so gelöst, daß das
Charisma der Jungfrauen der Agape untergeordnet wird;

fünftens, v. v. 39 u. 40 nehmen nicht den Gegenstand von v. v. 8
und 9 wieder auf; es handelt sich vielmehr um eine neue Frage. Der
Gegenstand dieser Frage kann nicht mit Sicherheit festgestellt werden.

Weber, Hans-Oskar: Die Stellung Cassians zur Mönchstradition.
Diss. Göttingen 1952, III, 186 S.

Biographisch sind die Ergebnisse von Ed. Schwartz (Lebensdaten
Cassians: ZNW. 38. 1939, S. 1—11) und H. I. Marrou (Jean Cassien ä
Marseille: Revue du moyen äge latin. 1. Lyon 1945, S. 5—26) noch nicht
überholt. Auf Veranlassung des Bischofs Castor von Apte schrieb Cas-

sian seine Werke „De institutionibus coenobiorum ..." (CSEL. 17)
zwischen 419 und 426 und „Conlationes XXIV" (CSEL. 13) zwischen
420 und 429.

Der I. Teil greift aus dem Reichtum des Cassian-Stoffes eine Anzahl
Stellen heraus und versucht, eine doppelte Aufgabe zu erfüllen. Einerseits
soll an diesen besonders deutlichen Beispielen das allgemeine Ziel
der Arbeit gezeigt werden: die Veränderungsmethoden Cassians. Anderseits
, jedoch aufs engste damit verknüpft, hat er ein spezielles Ziel,
feste Punkte zu gewinnen, mit deren Hilfe der Weg durch die einzelnen
Bücher zu ihren Quellen gefunden werden kann.

Beispiel für die Umformung einer sketisdien Lehre durch Cassian:
In einem einzigen Fall hat die cenodoxia für den Asketen eine günstige
Wirkung: der noch von „vitiis carnalibus" (Coli. V 12) belästigte
Anfänger soll sich einbilden, Priester zu sein, oder die öffentliche Meinung
sich vorstellen, dann wird er durch das kleine Übel der cenodoxia
das große der fornicatio zurückdrängen. Cassian kann sehr wohl den
Practicus des Euagrius Ponticus (MPG. 40 col. 1248C) zur Quelle haben
: der Dämon der xsvodo^ia widersteht dem der JiOQVcia. Wenn
der eine xifiri verspricht, wird der andere Anwalt der äxtfita. Die Gedanken
des entgegengesetzten Dämons soll man sich einbilden. Euagrius
nimmt beide als die jeweils aktiven Dämonen an, Cassian redet
nur von der fornicatio, gegen die dann die cenodoxia angewendet wird.
Bei beiden ist derselbe Skopus vorhanden: eine Pädagogik, die das größere
Übel durch das kleinere vertreiben lassen will. Eine ethische Wendung
haben also beide Texte. Während Euagrius im weiteren Verlauf
des 58. Kapitels Anweisung gibt, wie man sich der Anfechtungen zu
erwehren vermag (er fordert zu geistiger Zucht auf, die xsvodo^ia durch
Demut, die jzogveia durch Keuschheit zu vertreiben und dazu Gottes
Hilfe zu erbitten), führt auch Cassian den Gedanken weiter, jedoch in
anderer Richtung: er bekräftigt den Anspruch, daß einem Fall in die
fornicatio gar keine oder kaum eine Rettung folge, mit Jes. 48, 9. Diese
Leidenschaft ist sogar imstande, fährt C. fort, ein mehrtägiges Fasten
nicht verspüren zu lassen, und er benutzt diesen Übergang, um in einem
Apophthegma den Abbas Macarius über das Fasten reden zu lassen.
Cs. Abhängigkeit von der Lehre der ägyptischen Väter tritt in diesem
Punkte deutlich zutage. Der beiden Stellen gemeinsame Skopus wird
auf zwei verschiedene Arten erreicht. C. empfiehlt cenodoxia, mit deren
Hilfe das Schamgefühl erregt werden soll, als Mittel gegen fornicatio.
Euagrius rät lediglich zur xevobo^ia, ohne etwa einen Weg zum entgegengesetzten
Laster zu weisen, d. h. C. drückt die abstrakte Belehrung
durch einen konkreten Rat aus. — Beispiel für die Umformung von Wüsten
- in Klostermilieu: Ein Thebäer kommt zu Abbas Sisoes (Apophthegma
Sisoes 10, MPG. 65, col. 393C f.), um Mönch zu werden. Auf
die Frage, ob er noch einen Menschen in der Welt habe, antwortet er:
„Ich habe einen Sohn". „So wirf ihn in den Flußl Dann wirst Du
Mönch!" Als der Vater den Knaben ergriffen hat, schickt der befehlende
Greis einen Bruder, um die Ausführung des Auftrags zu verhindern. Der
Vater jedoch will sich nicht bedeuten lassen: er habe den Auftrag vom
Geron. Erst auf die Bekanntgabe der Gegenordre hin läßt der Postulant
ab, geht zu Sisoes zurück und wird ein Sdxi/iog fiova^ö? wegen seines
Gehorsams. C: Der Postulant verharrt mit seinem Sohn an der Klosterpforte
, bis beide aufgenommen werden (Inst. IV 27); man weist Vater
und Sohn verschiedene Zellen und Vorgesetzte zu, um die Gedanken an
weltlichen Besitz und darüber hinaus beim Vater das elterliche Gefühl
abzutöten. Der Knabe wird vernachlässigt und geschlagen, um zu prüfen,
ob der Vater mehr den Trieben seines Blutes folge oder auf Gehorsam
und Abtötung bedacht sei; aber er bleibt unbewegt: er ist mehr auf die
Liebe zu Christus und auf die Tugend des Gehorsams, auf seine eigene
Demut und Vollkommenheit bedacht, als auf des Kindes Ergehen.
C. nennt eine Stufenfolge von Proben, deren höchste erst der Befehl
ist, den Jungen in den Fluß zu werfen. C. intensiviert: das Kind wird
wirklich ins Wasser geworfen und von mehreren postierten Brüdern
erst kurz vor dem Ertrinken gerettet. Die in den Apophthegmen erhaltene
Form ist die frühere. Fragt man nach der Art der Umbildung,
so wird man sagen dürfen, daß die Überführung der Geschichte aus dem
Eremiten- ins Klostermilieu hier eigentlich nicht ein inhaltlicher Gestaltwandel
ist, wie etwa im vorigen Beispiel. Es ist hier die Hand eines
Malers am Werk, die grelle Farben verwendet, um die Kontraste recht
deutlich werden zu lassen. C. stellt das Übernommene in eigenen Zusammenhang
, macht es neuen Zwecken dienstbar und schafft so eine
Welt, die zwar gewiß Frucht und Folge jener klassischen Periode darstellt
, die aber zugleich ein Neues und der veränderten Umwelt Gemäßes
bedeutet, das nun eine eigene Geschichte beginnt.

Jener speziellen Absicht des I. Teils dient der IL, wo ein Großteil
der Cassian-Bücher auf seine Herkunft hin befragt wird. Während im
I. Teil also die Art der Quellenverwertung an einzelnen Teilstücken
untersucht wird, geschieht das im II. jeweils für ganze Bücher. Dabei
stellt sich als Ergebnis heraus, daß C. seine Quellen gelegentlich einfach
übernimmt, im übrigen aber auf verschiedene Weise verändert und so
weit geht, daß er den Skopus der Vorlage ins Gegenteil verkehrt. Besonders
beachtenswert sind dabei die Herausnahme einzelner Geschichten
aus den Wüstenverhältnissen, deren Verlegung in die Welt de»