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Ausgabe:

1955 Nr. 4

Spalte:

232

Kategorie:

Psychologie, Religionspsychologie

Autor/Hrsg.:

Natorp, Werner

Titel/Untertitel:

Quellen ärztlichen Handelns 1955

Rezensent:

Siebeck, Richard

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Theologische Literaturzeitung 1955 Nr. 4

232

eigenes Herz ging und uns fortan liebensfähiger machte, haben
wir es recht begriffen." Daß echtes Arzttum ebenso wie echtes
fürsorgerisches und seelsorgerisches Helfen eines ständigen Rechnens
mit metaphysischen und metapsychischen Gesetzmäßigkeiten
nicht entraten kann, wird dabei als selbstverständlich vorausgesetzt
.

Den „Grundsätzlichen Gedanken über die ärztliche Haltung
" folgen zwei Kapitel, die das im Titel angekündigte Anschauungsmaterial
bieten und den Hauptteil des Buches ausmachen
(Um eine Ehescheidung. Haftfähigkeit? Ein Heimkehrerschicksal
. Ein Krankenhauswanderer. Körperverletzung im pathologischen
Rausch. Ein Einbruchsdiebstahl. Ein Sittlichkeitsverbrecher
u. a.).

Die hier in Gutachten aufgezeigten Menschenschicksalc
hätten — wie der Vf. im Nachwort schreibt — ihren Zweck erfüllt
, wenn sie „so durch unser Herz gingen, daß sie auch unsere
Einstellung zum Menschen und seiner Not
wandeln, uns aus Wissenden gleichzeitig zu Liebenden machen
konnten. Denn erst dann wären wir zu besseren Helfern
bereitet, sei es als Arzt, Fürsorger oder Seelsorger".

Studium (nicht nur Lektüre) dieser neuen Arbeit von Hans
March, deren erste Kapitel in gedrängter Form Erkenntnisse der
medizinischen und psychologischen Wissenschaft vermitteln, wird
allen, für die sie geschrieben ist (angehenden Ärzten, Fürsorgern
und Seelsorgern), dringend empfohlen.

Berlin K. Böhme

Matussek, Paul, Dr. med. et phil.: Metaphysische Probleme der Medizin
. Ein Beitrag zur Prinzipienlehre der Psychotherapie. 2., erw. Aufl.
Berlin, Göttingen, Heidelberg: Springer-Verl. 1950. X, 161 S. gr. 8°.
Kart. DM 9.60.

Matussek, ein Schüler von Max Scheler und Nikolai
Hartmann, entfaltet aus dem Wesen der erschauten Phänomene
die metaphysischen Probleme, die auch in der heutigen Medizin —
unlösbar und unabweisbar — auftauchen, um von hier aus die
Reichweite der Erkenntnisse und Theorien von Sigmund Freud
zu prüfen. In der Einleitung wird zunächst die gegenwärtige
Lage der Medizin dargestellt, in der die Begriffe Seele und Geist
wieder aktuell wurden, ohne daß sie durch die akademische Psychologie
, etwa der von Wundt, befriedigend interpretiert werden
konnten. Zugleich begegnete die Medizin der Psychoanalyse
Freuds, die ihr wichtige Methoden der Erkenntnis und auch ganz
neue therapeutische Ansätze bot. Er schuf eine reine Triebpsychologie
, die im Grunde durchaus evolutionistisch und mechanisch
ist, aus der alles gestrichen wird, was nicht kausalgesetzlich zu
fassen ist. Freud ist also blind für personale geistige Akte.
Zweifellos, weil er fest und einseitig auf dem Boden des naturwissenschaftlichen
Weltbildes der Jahrhundertwende stand und
an Kranken arbeitete, die in einer scheinbar noch gesicherten
bürgerlichen Sicherheit lebten und ohne es zu wissen, an ihrer
Leere, an ihrer Ungeschütztheit und Verfallenheit litten. An drei
Problemkreisen macht Matussek die Grenzen der Freudschen
Theorie deutlich: das erste Kapitel handelt vom ärztlichen Anliegen
und den Grundlagen der Ethik, das zweite von Problemen
des Gewissens, das dritte von Unsterblichkeit und Neurose. Die
beiden ersten in sich zusammenhängenden Kapitel sind die
wichtigsten, weil hier eindrucksvoll gezeigt wird, daß die sittlichen
Prinzipien .apriorisch, psychologisch nicht zu entwickeln
sind. Schuld kann aus allen psychologischen, triebhaft gebundenen
Schuldgefühlen nicht abgeleitet werden, ist
vielmehr diesen vorausgegeben, ist absolut. Der Arzt muß immer
die biologischen, psychologischen, ästhetischen, soziologischen
und religiösen Gesichtspunkte erkennen, aber er muß den Kranken
dahin führen, daß ihm je in der konkreten Situation deren
Bedeutungsgehalt und Grenzen einsichtig werden. Der Neuroti-
ker leidet daran, daß er nicht zur Entscheidung findet, nur der
Arzt, der ihn darauf verweist, daß diese aus einem geistigen Akt
getroffen werden muß, kann ihm den Weg zur Heilung freilegen.

Im dritten Kapitel wird gezeigt, daß auch im Unsterblichkeitsglauben
psychologische Wurzeln aufzuweisen sind, daß damit
relative Teilwahrheiten erkannt werden, aber das Absolute

weder gesetzt noch abgeleitet werden kann. Die Kategorien
Freuds sind unzureichend.

Das Buch von M. ist ein sehr wichtiger und klarer Beitrag
zu der Wendung in der modernen Tiefenpsychotherapie, die auf
dem Wege ist, ihre Grenzen zu erkennen. Das ist von großer Bedeutung
für das ärztliche Erkennen und Handeln, in dem alles
Wissen nur in der Begegnung von Mensch zu Mensch, aus Teilnahme
und Hingabe wirklich fruchtbar werden kann. Wenn heute
die Grenzen der Freudschen Position besser gesehen werden, so
dürfen doch deswegen seine wegweisende Arbeit und seine tiefgründigen
Erhellungen keineswegs verkannt werden. Seine große
Bedeutung und seine Verdienste bleiben unangefochten, auch
wenn wir von seinen Deutungen abweichen und seine Methoden
und Ergebnisse in eine andere Sicht des Menschen einordnen müssen
. Vergessen wir nicht, daß Freud im Umgang mit seinen
Kranken mehr Geist und Liebe bewährt hat, als er in seiner
Theorie gelten lassen wollte.

Heidelberg R. Siebeck

Natorp, Werner, Dr. med.: Quellen ärztlichen Handelns. Stuttgart
u. Weil der Stadt: Hädecke [1951]. 46 S. 8°. kart. DM 4.50; Hlw-
DM 6.-.

In dem wertvollen kleinen Büchlein werden die Schwierigkeiten
behandelt, die für den Kranken und für den Arzt in der
Unruhe und Zerrissenheit der Zeit gegeben sind. Jeder leidet in
seiner Weise an ihnen, aber der Arzt muß die besondere „Not"
des Kranken erkennen oder besser „erfühlen". Von der Unruhe
des Herzens hat schon Augustin das Entscheidende gesagt. — So
wie die Wissenschaft eine ganz unerläßliche Grundlage der Medizin
ist, so hat die ärztliche Aufgabe am Kranken noch ganz andere
Wurzeln, denn wissenschaftliche Analyse deckt immer nur einzelne
Bezirke der Wirklichkeit auf, ist und bleibt Stückwerk.
Ohne unmittelbare Anschauung, ohne schöpferisches Handeln,
ohne Ehrfurcht vor dem Verborgenen im Leben kann der Arzt
seinen Beruf nicht recht erfüllen.

Heidelberg: R. Siebeck

Hiltner, Seward: Psychotherapy and the Christian Message: A Review
Article.

The Journal of Religion XXXIV, 1954 S. 211—215.
Hostie, R.: Psychologische Kroniek. Publicaties van en over
C. G. Jung.

Bijdragen. Tijdschrift voor Philosophie en Theologie 15, 1954
S. 417—420.

PRAKTISCHE THEOLOGIE

F e n d t, Leonhard, Prof. D. Dr.: Katechetik. Einführung in die Theologie
und Technik des kirchlichen Unterrichts. 2., völlig umgearb.
Aufl. Berlin: Töpelmann 1951. VIII. 105 S. 8° = Sammlung Töpel-
mann. 2. Reihe: Theol. Hilfsbücher Bd. I. kart. DM 8.—.

Die 1. Ausgabe des Werkes erschien 193 5. In der Zeit zwischen
den beiden Auflagen dieser Katechetik erörterte der Verfasser
das gleiche Sachgebiet auf neue Weise kurz in seinem
„Grundriß der Praktischen Theologie" (Tübingen 1938), S. 250
—286, und mit einem in wesentlichen Teilen wiederum anders
gefaßten Entwurf in der 2. Auflage des Grundrisses (ebda. 1949).
S. 103—144 der 2. Abtlg. Ein Vergleich der vier Darstellungen
wäre sehr förderlich, kann aber hier nicht durchgeführt werden.

Die Katechetik von 1951 kennzeichnet ihr Hauptanliegen
im Untertitel als das einer „Einführung in die Theologie und
Technik des kirchlichen Unterrichts." Das entspricht der „Theologie
und Technik der Predigt", die Fendt in seiner „Homiletik"
bietet, dem Parallelwerk der gleichen Sammlung, 2. Reihe,
Band 4 (Berlin 1949). Es geht ihm ebenso um die Befreiung der
Katechetik von dem Regiment der Methodik wie um die Freimachung
der Homiletik „von der Regierung der Rhetorik", allgemein
gesagt: um den Vorrang des Inhaltlichen vor dem Formalen
. Predigt wie Unterweisung sind ihm in erster Linie „Verkündigung
des Glaubens und seiner Inhalte", Homiletik wie
Katechetik „mit Vorzug die Lehre von der Bereitstellung dieser