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Ausgabe:

1955 Nr. 4

Spalte:

229-234

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Lillge, Otto

Titel/Untertitel:

Das patristische Wort oixouoIiia, seine Geschichte und seine Bedeutung bis auf Origenes 1955

Rezensent:

Lillge, Otto

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Theologische Literaturzeitung 1955 Nr. 4

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servative katholische Theologie wird es als zu nachgiebig ablehnen
. Es werden Fragen aufgeworfen, die viele nicht sehen
Wollen. Daß Francis Jeanson so über Sartre schreiben darf, wie
er es tut, zeugt von dem Mut derer, die ihn zur Mitarbeit eingeladen
haben. Es ist aber, wie ich zu zeigen versuchte, ein Buch,
das in keiner Weise die Grenzen römisch-katholischen Lehrens
überschreitet, das sich ihm gut einfügt. Es könnte wohl sein,
daß an den katholischen Fakultäten in Zukunft in diesem Sinn
gelehrt wird,

Bern Alfred de Quervain

Hering, Jean, Prof. D.D.: A good and a bad government. Accor-
ding to the New Testament. Springfield: Charles C. Thomas [1954].
V, 69 S. 8° = American Lecture Serics 221. $ 2.75.

In dieser — von O. Stilling ins Englische übersetzten — Untersuchung
fragt der Straßburger Neutestamentier nach einem
NTlichen Kriterium für eine theologisch-annehmbare Regierung.
Er findet dies in Rom. 13, wo der Staat als dem Christen akzeptabel
bezeichnet wird, der für „Recht" sorgt, indem er die
■■Gut-Handelnden" belohnt und die „Böse-Handelnden" bestraft
Diese Begriffe bestimmt H. näher aus den an Rom. 13, 1-7 sich
anschließenden Versen, in denen Paulus neben dem Gebot der
Nächstenliebe auf die Gebote der zweiten .Dekalogtafel verweist.
Der Staat braucht dabei nicht „christlich" zu sein oder sein zu
wollen, aber er muß diese (auch in den Verfassungen der antikheidnischen
Staaten wiederkehrenden und wohl auf dem „natürlichen
" Gesetz beruhenden) moralischen Gebote (als das „Recht")
selbst einhalten und schützen. Demnach hat Rom. 13 einen juridischen
(strafrechtlichen) Sinn, und der Staat hat nicht nach den
Motiven des Bürgers, sondern nach dessen legalem Handeln
(„äußerem Verhalten" — external behavior) zu fragen. Diese
überraschende (auf der Heranziehung von Rom. 13,8—10 zur
Auslegung von Rom. 13, 3—4 beruhende) Lösung führt das in
Deutschland viel diskutierte Problem um einen bedeutenden
Schritt weiter, setzt allerdings voraus, daß hinter Vers 7 keine
Caesur ist, die Verse 8—10 vielmehr zur Staatslehre des Paulus
hinzugehören. Zugleich hat H. die -Frage einer „natürlichen" Offenbarung
insofern bejaht, als demnach jedem Staat von Natur
aus die Möglichkeit zugeschrieben wird, seine „moralische Mission
" zu erkennen, was zwar eine schwach-belegte, jedoch ernstlich
erwägbare These bleibt. Der in Apok. 13—18 als Satans-Diener
gekennzeichnete Staat ist nicht der Staat schlechthin, sondern
der seine Mission verleugnende, d. h. der totalitäre Staat,
zu welchem sich der römische in den Christenverfolgungen entwickelte
. Der Staat als solcher hat das Recht zur Gewaltan-
Wendung im Dienste des Rechts; die Gewaltverzichtforderung
(Mt. 5, 39. — 1. Kor. 6, 7—8) will keine Staatsmoral sein, sie
gilt nur für das „Privatleben" der Christen, zumal Rom. 13 einen
heidnischen Staat voraussetzt. Diese richtige Erkenntnis gibt aber
die Frage auf, wie H. sich das Handeln des „christlichen" Staatsmannes
denkt. Aus der Tatsache, daß weder im NT noch im vor-
konstantinischen Christentum Heeres- oder Staatsdienst grundsätzlich
verweigert wurden (sondern nur bei Zwang zum Götzendienst
, d. h. bei totalitären Maßnahmen), folgert H, daß nach
Rom. l 3 auch den Christen die Gewaltanwendung im Staatsdienst
nicht verwehrt ist. Wenn einige Sekten und einige moderne Theologen
jegliche Gewaltanwendung ablehnen, so sieht H. darin
einen „optimistischen Spiritualismus", der die Martyriumsbereitschaft
des Christen für seinen Glauben auch vom Staat gegenüber
seinen Aggressoren fordert. Wer in solch „christlichen Nihilismus
" (Gleichsetzung von Polizist und Räuber) auch auf politischer
Ebene den Gewalt-Verzicht verkündet, empfiehlt dem
Volke, sich von den Bösen massakrieren zu lassen. Die Bibel dagegen
ist realistisch. Für die Haltung des Christen zum Staat ist
die Staatsform nicht entscheidend. Aber jeder Staat, der über
seine Röm. 13 festgelegte Aufgabe (das Halten und Schützen der
von Gott stammenden Gesetze) hinausgehend sich auch die Gewissen
der Bürger unterwerfen will, ist nicht mehr als Gottes-
^iener anzuerkennen, ist Satans-Diener, wie es sich im Totalita-
fisrnus zeigt. Daher spitzt sich nach H. die Staatsaufgabe (auch
tot den „christlichen" Staat) bzgl. des inneren Lebens der Bürger
auf Toleranz zu. Für die Außenpolitik gibt weder das NT noch

die Reformation hinreichende Richtlinien. Doch läßt sich Röm. 13
dahin prolongieren (und hierin liegt der eigentliche Fortschritt
der Moderne auf politischem Gebiet), daß die in der modernen
Welt sich bildenden überstaatlichen Organisationen (gewissermaßen
als Über-Staatcn) darüber — u. LI. mit Gewalt — wachen
sollen, daß kein Staat internationale Abkommen bricht und damit
zum Angreifer wird. H. stimmt bei seiner Unterscheidung
von christlichem „Privatleben" und politischem Handeln im wesentlichen
mit Luthers Lehre von den beiden Reichen überein, die
jedoch heute problematisch geworden ist und in Hs. Fassung den
im politischen Leben handelnden Christen auf die „natürliche"
Offenbarung verweist. Ein Eingehen auf die neuere Literatur
(Künncth, Schrey, Biencrt, Jentsch u. a.) hätte H. zur Erweiterung
und Vertiefung der Problematik dienlich sein können. Trotz
mancher Fragezeichen im einzelnen wird man den Grundlinien
zustimmen können und es begrüßen, daß H. vom NTlichen Fundament
her zu Gegenwartsproblemen Antworten oder auch Richtungsweisungen
gibt, an denen kein mit diesen Problemen Beschäftigter
vorübergehen sollte.

Köln Walther Bienert

PSYCHOLOGIE UND RELIGIONSPSYCHOLOG1E

March, Hans, Dr. med.: Lcbensschicksale in psychiatrischen Gutachten
. Beiträge zum Verständnis des Menschen. Stuttgart- Enke
1954. VII, 353 S. 8°. DM 17.-; Lw. DM 19.50.

Das Hauptanliegen dieses Buches formuliert der Vf. im Vorwort
so: die zentrale Bedeutung der persönlichen Haltung
und einer lebensnahen Ganzheitsschau des Mitmenschen zu
vermitteln, dem der Arzt, der Fürsorger, der Seelsorger helfen
soll. Was das im einzelnen bedeutet, wird in den ersten Kapiteln
„Grundsätzliche Gedanken über die ärztliche Haltung" näher ausgeführt
. Gefordert wird, dem Menschen, dem geholfen werden
soll, in einer Haltung zu begegnen, die frei ist von einer Wertung
, bezw. Abwertung.

Eine affektive, moralisch herabsetzende Tönung schwang
früher mit bei der Diagnose Hysterie, die aber — wie der
Vf. ausführt — „im früher gebrauchten Sinne aus ärztlichem
Munde heute nur noch äußerst selten begegnet". Dem gegenüber
habe die Verwendung der Diagnose Psychopathie
an Häufigkeit zugenommen und den Makel, der einst der Hysterie
anhaftete, übernommen und behalten.

Den Grund, warum die Psychopathieformen noch immer
nicht wertfrei genug betrachtet werden, sieht der Vf. darin, daß
ihre Phänomenologie bisher nicht ausreichend hinsichtlich ihrer
Werdensgeschichte wissenschaftlich erforscht worden ist. Die
Diagnose Psychopathie diene — ebenso wie die Diagnose Neurose
, Neurasthenie und Nervenschwäche — lediglich der wissenschaftlichen
Tarnung eines Eingeständnisses ärztlicher Grenzen.

Wo man sich der Verschwommenheit des Begriffes Psychopathie
bewußt geworden und die Verwendung der Diagnose
Psychopathie fragwürdig geworden ist, wird sie sicher seltener
gestellt werden und der Weg offen sein, den Psychopathen und
Neurotiker mit etwas ärztlicheren, d. h. menschlicheren Augen
zu betrachten. Der Patient rückt als Mensch näher. Die Tönung
wird anders. Man begegnet dem Patienten nicht mehr unernst,
ungeduldig oder gar verächtlich. Der Makel einer moralisch-
charaktcrlichen Minderwertigkeit wird genommen. Der Blick
wird geöffnet für den seelischen Leid-Gehalt und das schicksalhafte
Gewordensein, und erst so kann eine echte ärztliche, fürsorgerische
und auch seelsorgerische Haltung dem Psydho-Pathen
gegenüber geboren werden.

Daß für einen solchen grundlegenden Haltungswandcl die
Erkenntnisse der Tiefenpsychologie und psychosomatischen Medizin
wertvollste Hilfe zu leisten vermögen, ist für den Vf. eine
der Grundvoraussetzungen. Aneignung von „Erkenntnissen"
durch Lektüre einschlägiger Literatur genügt allein freilich nicht.
Unabdingbar sind Ein-sichten und Inne-werden durch eigenes Erleben
, neue Einstellung zu dem Nächsten und vielen überkommenen
Werten. „Erst wo dies neue Wissen auch durch unser