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Ausgabe:

1955 Nr. 4

Spalte:

222

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Pergande, Kurt

Titel/Untertitel:

Der Einsame von Bethel 1955

Rezensent:

Frick, R.

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Theologische Literaturzeitung 1955 Nr. 4

222

das Werk eines originellen, aber darum oft auch einseitigen Geschichtsdenkers
. Es verbindet enorme eigene Kenntnisse mit geschickt
verarbeiteten Urteilen aus der Literatur, die man an manchen
Stellen durchschimmern sieht, geistesgeschichtliche Interessen
mit der Freude an der Individualität. Srbik hat Verständnis
für alle in der Geschichtsschreibung anwendbaren Methoden,
sucht alles zu verstehen, Gegensätze zu entsperren, viel mehr
anzuerkennen als zu verurteilen, ohne doch dabei einen eigenen,
wenn auch sehr weit gefaßten Standort zu verleugnen. So wird
die Wirkung des großen Werkes sicherlich die sein, daß es als
Ganzes auf lange hinaus nicht von seinem Platz verdrängt werden
und eine unversiegliche Anregungskraft ausstrahlen, im Grundsätzlichen
aber wie in den Einzelanalysen zu mancher Vertiefung
anreizen wird. Noch Generationen von Forschern aller historischen
Disziplinen werden durch Srbiks Vermächtnis — er hat den
Druck des zweiten Bandes nicht mehr erlebt — mit ihm in lebendiger
Verbindung bleiben.

Die Darstellung drängt rasch zur Aufklärungszeit. Nicht nur
weil hier die historische Forschung eigentlich erst zum Leben
kommt, sondern offenbar auch, weil Srbik den Jahrhunderten davor
fremder gegenüberstand, wie die etwas konventionellen
Ausführungen über das Spätmittelalter und den Humanismus und
die unpersönlichen Bemerkungen über die Reformation zeigen.
Er kennt als katholischer Österreicher die katholische Forschung
im allgemeinen besser als die evangelische. Seckendorffs, Löschers
u. a. reformationsgeschichtliche Arbeiten vermißt man ungern.
Der Rationalismus wird, nach romantischer Denkweise, direkt
und einseitig auf die Ansätze der Reformation zurückgeführt. In
der nun folgenden Grundlegung der neuen Historiographie ist
das Volkhafte und Individuelle in Herder und der Romantik vorzüglich
geschildert; es liegt Srbik näher als das strenge Geschichtsdenken
des Idealismus. Vor allem Hegel wird ins Imperialistische
übersteigert und leider gar nicht als der geistvolle
Historiker, der er zugleich war, gewürdigt. Dagegen kommt das
große, schöne Ranke-Kapitel, das auch die neueren Briefveröffentlichungen
benutzen kann, wieder aus einer Verwandtschaft
der Naturen. Freilich sieht man etwa an den Arbeiten von
C. Hinrichs. daß hier noch genauere und originellere Beobachtungen
zu machen sind.

Es ist unmöglich, hier zu verfolgen, wie Srbik der sich nun
uferlos ausbreitenden historischen Forschung mit bewundernswerter
Kenntnis, Geduld und Gerechtigkeit nachgeht. Audi
Versuche, wie die ökonomische Geschichtstheorie, Lamprecht,
Breysig u a. werden vorurteilslos dargestellt. Ein besonderes
Verdienst liegt in der umfassenden Schilderung der Geschichtswissenschaft
im gesamtdeutschen Kulturraum, in Österreich
, der Schweiz und dem Baltikum. Die gründlichen Ausführungen
über die österreichische Leistung, die eindringlich um
Verständnis und Beachtung für sie werben, sind das Herzstück
von Srbiks Testament. Natürlich kommt auch die Kraft eines so
vielseitigen Darstellers an ihre Grenzen. Man spürt das z. B. gegenüber
der Kirchengeschichte, und zwar auch dort, wo die
eigene religiöse Überzeugung gar keine Rolle spielt. Haucks Kirchengeschichte
Deutschlands, eine der gewichtigsten und dauerhaftesten
Leistungen der durch Ranke eröffneten Periode, wird
an einer unmöglichen Stelle (im Zusammenhang mit der österreichischen
Ficker- und Sickel-Schule I, 312 f.) mit ein paar Worten
hohen Lobes abgetan, während weit unbedeutendere Werke
eine um ein Vielfaches sorgfältigere Analyse erhalten. Auch
sonst sind manche Akzente nicht glücklich gesetzt, sowohl bei
den evangelischen Historikern (z. B. in der schwachen Schilderung
F. Chr. Baurs I, 194 f., Ritschis II, 293 und den Zufallsbemerkungen
zur Lutherforschung) wie bei manchen katholischen
. Zwar sind hier Srbiks Kenntnisse und Liebe unverkennbar
größer — die katholische und großdeutsche Geschichtsschreibung
fließen ihm von selbst zu einem ausführlichen Kapitel (II, 3 3 ff.)
zusammen —, aber gegenüber der verständnisbereit abwägenden
Würdigung Janssens, Denifles, Grisars u. a. war es ungerecht, die
Modernisten im Enzyklikenstil zu verwerfen (II, 68). Aber so
manches hier zu wünschen übrig bleibt, so wird man doch das
immer wieder spürbare Anliegen des Verf., Vorurteile zu zerstreuen
und durch geschichtliches Verstehen die Spannungen zwischen
den christlichen Kirchen lösen zu helfen, nur dankbar
begrüßen.

Fragt man nach den Fundamenten dieser Geistesgeschichte
der Geschichtswissenschaft, so erhält man im letzten Kapitel noch
einmal andeutende Antwort. Es ergreift durch die persönliche
Wärme, mit der Wahrheitsernst und vorurteilslose Weite, Universalität
und Treue zum eigenen Volk, Gerechtigkeit und Bescheidenheit
im Urteil den künftigen Historikern aufs Gewissen
gelegt werden. Aber zugleich zeigt sich, wie stark dieser für
Zeitideen sehr empfängliche Geist an seinen Standort gebunden
war. Ein idealistischer Personalismus im Gefolge Goethes, Rankes
und des an denkerischer Kraft überlegenen Meinecke und ein
um den „Verlust der Mitte" besorgter Hang zur Tradition verbinden
sich zu einem lockeren Ganzen, das mehr eine Epoche abschließt
als neue Wege weist.

Heidelberg Heinrich Bornkamm

Pergande, Kurt: Der Einsame von Bethel. Die Geschichte des
Pastors Bodelschwingh und seines großen Werkes. Stuttgart: Quell-
Verlag [1953]. 218 S., 23 Abb. auf Taf. 8°. Lw. DM 8.80.

Hinter dem merkwürdigen Titel — gemeint sind Bodelschwingh
, Vater und Sohn — verbirgt sich das Werk eines gewandten
Journalisten, der nicht etwa die Bodelschwingh-Biographien
um eine neue vermehren will, sondern aus der Geschichte von
Vater und Sohn Bodelschwingh einige Episoden heraushebt, die
für die beiden Männer charakteristisch sind. Er verbindet dabei
sorgfältiges Quellenstudium und das Bemühen um historische
Treue mit einer romanhaften Ausschmückung. Die Bedenken, die
gegen den historischen Roman überhaupt geltend gemacht werden
können, müssen auch für dieses Buch genannt werden. Es ist bewußt
einseitig. In der Schilderung des Vaters Bodelschwingh
nimmt den breitesten Raum die Beziehung zur Hohenzollern-
farnilie ein und dabei wieder die Auseinandersetzung zwischen
Bodelschwingh und Bismarck über die Rolle, die Bodelschwinghs
Vater, der Finanzminister Friedrich Wilhelms IV., 1848 bei der
Revolution gespielt hat. Hier hat sich der Verfasser gründlich in
die Quellen eingearbeitet und die Dinge wohl auch im ganzen
richtig dargestellt. Aber das Schwergewicht, das sie nach seiner
Darstellung haben sollen, haben sie im Leben Bodelschwinghs nun
doch nicht gehabt. Wichtiger ist die ausführliche und gründliche
Darstellung des Kampfes, den Pastor Fritz von Bodelschwingh gegen
die nationalsozialistischen Methoden zur Vernichtung lebensunwerten
Lebens geführt hat. Daß man diesen Mordaktionen den
euphemistischen Namen Euthanasie gab, ist noch in böser Erinnerung
. Hier hat Bodelschwingh wirklich nicht nur für die Kranken
von Bethel, sondern für die Schwachsinnigen, von der Welt als
lebensunwert Bezeichneten, weit über Bethel hinaus einen Kampf
auf Leben und Tod geführt. Die eingehende Darstellung davon
wünschte man in viele Hände. Das Buch ist gewandt geschrieben
und mit reichem und gutem Bildschmuck ausgestattet. Es kann und
wird seinen Dienst tun, vor allem bei denen, denen die Arbeit
von Bethel und das Werk der Inneren Mission im ganzen noch
fremd ist.

Kaiserswerth R. Friclc

B r a u b a c h, Max: Beiträge zur Geschichtsschreibung der neueren Zeit.
Historisches Jahrbuch 71, 1952 S. 356—373.

— Quellen, Forschungen und Darstellungen zur neuesten Geschichte.
Historisches Jahrbuch 72, 1953 S. 614—632.

C a 1 c a r, Theobald: Zwischen Augsburg und Dahlem.
Unterwegs 5/6, 1954 S. 285—292.

C o n r a d, Hermann: Der parlamentarische Kampf um die Zivilehe bei
Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich.
Historisches Jahrbuch 72, 1953 S. 474—493.

Franzen, A.: Eine Krise der deutschen Kirche im 17. Jahrhundert?
Römische Quartalschrift für Christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte
49, 1954 S. 56—111.

G o e t z, Walter: Die Historische Reichskommission von 1928.
Historisches Jahrbuch 72, 1953 S. 540—548.

Hallema, A.: Jezus' menswording als mariologisch probleem en leerstellig
geschil in de classis Breda, anno 1622.
Nedcrlands Theologisch Tijdschrift 9, 1954 S. 43—47.