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Ausgabe:

1955 Nr. 4

Spalte:

211-213

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Fascher, Erich

Titel/Untertitel:

Textgeschichte als hermeneutisches Problem 1955

Rezensent:

Kümmel, Werner Georg

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Theologische Literaturzeitung 1955 Nr. 4

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ruhenden) hermeneutischen Technik der frühen Tannaiten. Daß
das NT dieselbe Technik benutzt, wird dann in Kap. 4 an Beispielen
erläutert. Wenn Paulus 2. Kor. 3, 16 fiwk de eäv em-
axQEipij TtQog xvqiov, neQiaiQEirai xö xäXvfA{ia) Ex. 34, 34 als
Weissagung deutet, so beruht diese Exegese auf zwei Erwägungen
: 1) im hebr. Text steht das Itnperf. T?? (anders LXX
jieQiflQeiro), 2) Paulus wendet die exegetische Regel n?n
an, die besagt, daß die Schrift einen tieferen Sinn hat. Oder wenn
Act. 1, 5 f. auf die Ankündigung des Geistes die Frage der Jünger
folgt, ob Jesus in Bälde das Königreich für Israel aufrichten
werde, so ist das von Joel 3—4 her zu verstehen, wo anschließend
an die Ankündigung der Geistausgießung (Joel 3) von der Wiederherstellung
des Königreiches Israels die Rede ist (Joel 4). In
Kap. 5 wendet sich der Verfasser den Begriffen Königsherrschaft
Gottes, Menschensohn und Messias zu. Eindrucksvoll wird hier
gezeigt, welche große Bedeutung Dan. 7 für Jesu Aussagen
über die ßaadeia und über sich selbst als den Menschensohn
gehabt hat. Beispielsweise wird Lk. 22, 29 f. zunächst Dan. 7, 14
(der Menschensohn erhält die ßaadeia), sodann 7,18 (seine
Nachfolger erhalten sie) und schließlich 7, 22 (das Gericht wird
den Heiligen des Höchsten übertragen) aufgenommen. Und wenn
es Mtth. 5, 3. 10 heißt: avxüiv eanv y ßaadeia rtov ovgav&y,
so hat Jesus hier — ebenso wie Lk. 12, 32; Mtth. 12, 28 par —
Dan. 7,18 im Auge: VFty ^IP- ^'7°^ l*?P-3 Ja mehr!
Die eschatologische Fassung der ßaadeia stammt aus Dan. 7,14
und alle Stellen, die von der <5ofa bei der Parusie reden, beruhen
ebenfalls auf dieser Stelle "fl T^J? "''?).

Indes — schon bei dem zuletzt besprochenen Kap. 5, stärker
noch bei den beiden folgenden Kapiteln 6 (Two Midrashim
relating to the Resurrection of Christ in Acts [Act. 2, 24—31;
13,24—38]) und 7 (The Examination of Scripture and the Fixation
of traditional Material) erheben sich schwerste Bedenken.
Auf Schritt und Tritt mutet uns der Verf. jetzt zu, hinter schlichten
Aussagen der Synoptiker und der Apg. ganze Bündel von
ineinander verschlungenen midraschartigen Bezugnahmen auf
atl. Texte zu sehen. Er gleitet so völlig ins Phantastische ab,
daß leider die ganze Arbeit dadurch entwertet wird. So soll beispielsweise
hinter Mtth. 6, 1—18 eine Fülle von Bezugnahmen
auf Lev. 23 als Leitmotiv stehen (Lev. 23,22: Ackerwinkel für
die Armen; v24: Neujahr mit Trompetenblasen; Siphra zu
v24: Neujahrsbenediktionen, die Vater, Macht, Heiligkeit, Königsherrschaft
, Heiligung des Tages erwähnen; v27: Kasteiungen
am Versöhnungstag). Es hieße die Geduld des Lesers
mißbrauchen, sollte ihm in extenso vorgeführt werden, wie auf
diese Weise hinter der ganzen Bergpredigt lauter vermeintliche
Bezugnahmen auf Lev. 18—19. 23—25 gefunden werden, hinter
Mk. 2, 1—3, 6 solche auf Jes. 57, 13-59, 3 usw. So legt man die
Arbeit mit dem Bedauern darüber aus der Hand, daß ein guter
und richtiger Ansatz mit einer so unkritischen Einfallsfreudigkeit
durchgeführt wird, daß die Methode dadurch diskreditiert wird.

Güttingen Joachim Jeremias

F a s c h e r, Erich: Textgeschidite als hermeneutisches Problem. Halle/S.:
Niemeyer 1953. 108 S. 8°. DM 5.—.

Die wissenschaftliche Arbeit am Text des Neuen Testaments
ist in letzter Zeit in Deutschland nur noch wenig gepflegt worden
und vollzieht sich, von vereinzelten Aufsätzen abgesehen, fast
nur in den Lehrbüchern der Einleitung in das Neue Testament. Es
ist darum sehr begrüßenswert, daß E. Fascher sich in einer breit
angelegten Studie vor allem den methodischen Fragen der Textkritik
zugewandt hat. Er geht von der Klassifizierung der Textzeugen
durch Westcott und Hort aus, um festzustellen, daß auch
der von diesen Forschern als „neutral" bezeichnete Text der großen
ägyptischen Handschriften bereits eine Rezension wiedergibt,
und daß das Grundrätsel der Textkritik im 2. Jahrhundert liegt
(freilich auch ohne anzugeben, wie man zur Lösung dieses Rätsels
gelangen könne). Unter Hinweis auf die Empfehlung der Textkritik
durch Pius XII. und unter Ablehnung der versuchten Kanonisierung
des Luthertextes durch Echternach wird dann die Notwendigkeit

der textkritischen Arbeit betont und darauf verwiesen, daß die
Beobachtung der Varianten darauf führt, daß die Abschreiber ihren
Lesern ihre Deutung aufgenötigt haben und daß darin das her-
meneutische Problem der Textkritik liegt: es gilt herauszufinden,
welche exegetischen Überlegungen hinter den Textänderungen der
Abschreiber liegen.

Aber dieser methodische Ansatz wird in den folgenden Untersuchungen
nun nicht konsequent durchgeführt. Fascher zeigt auf
der einen Seite an Einzelbeispielen und ganz besonders an Textänderungen
des „westlichen" Textes in der Apostelgeschichte,
welche Tendenzen oder Interpretationen den Varianten jeweils zugrunde
liegen. Es ergibt sich dabei etwa die Tendenz zum Weitererzählen
im „westlichen" Text der Apostelgeschichte oder die bewußte
Beseitigung der Vaterbezeichnung für Joseph in der lukani-
schen Kindheitsgeschichte durch die Altlateiner. Breite Ausführungen
beschäftigen sich mit theologisch wichtigen Varianten im
Johannesevangelium, mit einzelnen Varianten in den Briefen und
mit Zusätzen und Auslassungen vereinzelter Handschriften. Freilich
ist das alles sehr assoziativ und weithin ohne erkennbare Ordnung
oder klares Auswahlprinzip nebeneinandergestellt, und beim Fehlen
eines Stellenverzeichnisses wird man die zahlreichen interessanten
Beobachtungen schwerlich wirklich auswerten können.

Diese hermeneutische Frage nach den Motiven der Varianten
wird aber nun durchkreuzt durch die ebenfalls hermeneutische
Fragestellung nach den richtigen textkritischen Urteilen des modernen
Exegeten, ohne daß das Auftreten dieser zweiten Fragestellung
deutlich gemacht wäre. In diesem Zusammenhang finden sich Ausführungen
über die Notwendigkeit des Rückgangs auf einen aramäischen
Urtext bei Überlieferungs Varianten der Synoptiker
und über die Notwendigkeit von Textkonjekturen und
Streichungen (ausschließlich an Beispielen aus dem Apparat des
Nestleschen Neuen Testaments). Zum Schluß findet sich dann
noch eine Erörterung über Varianten der Apokalypse, wobei
durch den Vergleich der Übersetzungen in den verschiedenen
Fassungen des Luthertextes erwiesen werden soll, daß der Luthertext
der Revision bedarf, wenn er mit dem Nestletext übereinstimmen
soll; diese Erörterung faßt die verstreut über die
ganze Arbeit begegnenden Bemerkungen zusammen über konfessionelle
Unterschiede im textkritischen Urteil und die etwaige
Möglichkeit eines für alle Konfessionen maßgebenden Urtextes.
Dieses Problem verdiente durchaus eine Erörterung, aber sie
müßte auf viel breiterer Basis erfolgen, und der nicht informierte
Leser wird auch in dieses Problem keine ausreichende Einsicht
erhalten. " < I

Durch das Schwanken zwischen Ausführungen, die nur für
den Fachmann von Interesse sind, und Darlegungen, die dem
Unkundigen ein Einzelproblem aufzeigen sollen, hinterläßt das
Buch einen zwiespältigen Eindruck und man bedauert, daß der
Vf. seine Arbeit nicht klarer aufgebaut und unter eine einheitliche
Problemstellung gebracht hat. Denn gerade bei der Textkritik
kann nur streng methodische Arbeit zu wirklich überzeugenden
Resultaten führen.

Mehrfach sind die Angaben des Verfassers fehlerhaft oder ungenügend
begründet. S. 4 erfährt der Leser nicht, daß Westcott und Hort
einen vierten Texttyp annehmen (Alexandrian), und daß es nicht erst
eine Vermutung des Verfassers ist, daß die Vertreter dieses Typs als
„leichte Rezension" gewertet werden könnten. — S. 5 ist bei der Besprechung
des Caesarea-Textes irrtümlich Euseb statt Origenes als der
Vater genannt, aufgrund von dessen Text diese Textgruppe mit Caesarea
in Verbindung gebracht wird. — Aufgrund von welcher quellenkritischen
Annahme behauptet der Vf. S. 16, daß die kürzere Form der
Täuferpredigt bei Markus „bewußt das Bild des Täufers vom Kommenden
" ändere? — S. 20 Z. 11 v.u. lies 0124 statt Ol24. — S. 28 Z. 5
lies p statt P. — S. 29 Z. 11 v.u. lies Ew statt Ku>.— S. 33 Z. 2 lies
äXXocg statt äMas; Z. 17 lies w syh statt W syh. — S. 38 ist nach F.
der Überschuß von D in Apg. 4, 24 „(nachdem sie gehört) und Gottes
Wirksamkeit erkannt hatten" im üblichen Text verkürzt „mit Rücksicht
auf die römische Obrigkeit, die ja auch sonst der Darstellung des
Lukas eine Zurückhaltung auferlegt"; das ist aber völlig unverständlich
, weil vom Dankgefühl der Christen die Rede ist und der kürzere
wie der längere Text die römische Obrigkeit nicht angreift. — S. 43
Anm. 1 Vers 29 lies im D-Text statt zä . .. tlmv vielmehr ä .. . eiolv.
S. 44 Absatz Z. 2 lies p sy" statt P syh; Z. 10 v.u. 6 IlavXog findet
sich im D-Text nicht, vgl. Nestle. — S. 47 Z. 16 v. u. lies p m statt P m.
S. 63 Anm. 1 Z. 2 lies ovöir statt oväe. — S. 78 Z. 5 u. 15 v.u. be-