Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1955 Nr. 4

Spalte:

205-208

Autor/Hrsg.:

Rost, Leonhard

Titel/Untertitel:

Der gegenwärtige Stand der Erforschung der in Palästina neu gefundenen hebräischen Handschriften 1955

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

205

Theologische Literaturzeitung 1955 Nr. 4

206

gel der Überlieferung hineingewagt hat und fast nie leer zurückgekehrt
ist. So wird man mir hoffentlich verzeihen, daß ich diese
Anzeige dazu benutzt habe, meinen Dissensus in Bezug auf einige

Punkte anzudeuten, und auch darin ein Zeichen dafür sehen, wie
hoch ich Alts Einsatz schätze. Für eine nähere Begründung meiner
abweichenden Ansichten gibt eine Besprechung keinen Raum.

Der gegenwärtige Stand der Erforschung der in Palästina neu gefundenen hebräischen Handschriften

28. Zum „Buch der Kriege der Söhne des Lichts gegen die Söhne der Finsternis"

Von Leonhard Rost, Berlin

L

Seit kurzem liegen in vorzüglicher Reproduktion und fast
fehlerfreier Transliteration die drei von dem allzu früh der Wissenschaft
entrissenen israelischen Forscher Sukenik unter starkem
persönlichen Einsatz erworbenen Handschriften von Hirbet
Qumran vor: die stark beschädigte und dabei hauptsächlich die
zweite Hälfte bietende Jesajarolle, das Buch der Kriege der Kinder
des Lichts und der Kinder der Finsternis und schließlich die
Psalmen. Die interessanteste Rolle ist ohne Zweifel die zweite:
das Buch der Kriege. Es handelt sich um eine aus 4 aneinandergehefteten
Lederstücken zusammengesetzte Rolle von 2, 90 m
Länge mit 19 Spalten, die durchschnittlich bis zur 15. und 16.
Zeile erhalten sind. Es fehlt also außer dem Schluß — der linke
Rand zeigt Heftspuren eines 5. Lederstücks — der ganze untere
Rand der Rolle, der nach Analogie der Hödäjöt, des Manual und
des Habakkuk-Kommentars zum wenigsten weitere 7—10 Zeilen
Text enthalten haben muß. Es ist also mindestens ein Drittel
des Textes nicht erhalten. Der Anfang der Rolle ist vorhanden,
wie der überbreite rechte Rand vor Spalte 1 zeigt. Der Schluß
der Rolle fehlt.

Der Inhalt des Buches der Kriege ist folgendermaßen gegliedert:
'•1—7 Einleitung mit Nennung der Gegner. I, 8 ff. Endkampf und Endziel
samt den Gruppen der Kämpfer. II, 1—16 Die Durchführung des
Altardienstes und der Plan des 40jährigen Krieges. III, 1—11 Die Kriegstrompeten
, ihre Bestimmung, ihre Aufschriften, ihr Einsatz. III, 12 —
'V, 5 Die Feldzeichen. V, 3—14 Die Bewaffnung der Truppen. V, 16—
yi. 6 Die Aufstellung zum Kampf. VI, 8—VII, 7 Das Lebensalter der
einzelnen Truppenteile. VII, 9—IX, 9 Die Aufgaben der Priester im
Kampf. IX, 10 ff. Taktische Manöver besonders ausgerüsteter Truppen,
deren einzelne Reihen unter dem Schutz von namentlich genannten
Engeln stehen. X, 1—XIV, 1 Gebete und Ansprachen anscheinend des
Hohenpriesters, wohl vor dem Kampf. XIV, 2 ff. Gebet nach dem Sieg.
XV, l ff. Gebete bei der Ablösung des ersten Treffens durch das zweite.

Zusammenfassend läßt sich daher das Anliegen der Rolle
dahin feststellen, daß sie den eschatologischen Endkampf planen
und für die Durchführung dieses 40jährigen Ringens die nötigen
Dienstvorschriften bieten will. Die alte Hoffnung, die die Pro-
Phetie immer wieder vorgetragen hat, daß die Heilszeit unmittelbar
bevorstehe, wird hier in neuer Gestalt vorgetragen und die
Uberwindung der Gott-feindlichen und damit dem Anbruch des
Heils hindernd im Weg stehenden Mächte als zu bewältigende
Aufgabe der Söhne des Lichts hingestellt, und zwar in der Form
einer sehr nüchternen militärischen Dienstanweisung. Dabei ist
für den Verfasser entscheidend die Berücksichtigung der gesetzlichen
Vorschriften, wie sie durch die Priesterschrift aufgestellt
worden sind und wie sie die Kriegführung der Chronik und der
Makkabäerbücher weithin berücksichtigt hat. Nur ist der Chronik
gegenüber die Einschränkung zu machen, daß das prophetische
Element, das in der Chronik noch gelegentlich eingreift, hier
völlig fehlt. Die ganze Kriegführung läuft beinahe wie ein Uhr-
Werk nach einem festgelegten Plan ab, der keine Zwischenfälle
und erst recht keine Niederlagen kennt, und erreicht in der vorgesehenen
Zeit das angestrebte Ziel, den Anfang der Heilszeit.
Uie Leitung des Kampfes liegt bis in alle Einzelheiten hinein in
den Händen der Priester, so daß wohl in ihren Kreisen der Verfasser
gesucht werden darf.

II.

Vergleicht man die Schrift mit den übrigen bisher bekannt
gewordenen Handschriften von H. QumrSn, so fällt auf, daß in
Spalte 1 dreimal (Zeile 9. 10. 13) das persische Fremdwort "nanu
auftaucht, d. h. daß der Purismus etwa des Manual hier nicht

durchgeführt ist. Dieser Tatbestand legt nahe, das Buch der
Kriege etwas von den übrigen Handschriften abzurücken.

In die gleiche Richtung weist die Tatsache, daß zwar das
Wort -rrr mehrmals begegnet, aber nie in der spezifischen Bedeutung
wie sie aus dem Manual, den Hödäjöt und Damaskusschrift
B bekannt ist. Aber nicht nur hier zeigt sich eine Verschiedenheit
gegenüber dem Kreis der einschlägigen Schriften,
sondern auch der Terminus „Söhne des Lichts und Söhne der
Finsternis" ist hier anders gebraucht. Nach 1,2 gehören zu den
Söhnen des Lichts die Leviten, Judäer und Benjaminiten, wobei
sichtlich die Leviten nicht nur als Priesterstamm, sondern auch
als Kontingent des militärischen Aufgebots analog I. Chr.
12, 27 ff. auftreten. Zu den Finsterlingen zählen dagegen nach
1, 1 f. Edom, Moab, Ammon, die Hetiter, Philister und assyrischen
Kittäer und die gegen den Bund schuldig Gewordenen, also
in der Hauptsache Fremdvölker samt einigen Überläufern. Die
Grenze zwischen den beiden Gruppen fällt also weithin mit den
Volksgrenzen zusammen. Dagegen stehen im Manual und in den
mit ihm zusammenhängenden Schriften die beiden Gruppen
innerhalb des Judentums, sind Parteien, die sich gegenseitig
verfluchen.

Und ein weiteres ist zu beachten: Die Söhne des Lichts in
dem Buch der Kriege sind leidenschaftliche Kämpfer für die Sache
ihres Gottes, die des Manual sind Quietisten, die die Rache
ihrem Gott überlassen, dessen Eingreifen sie erst am Ende der
Tage erwarten.

Und nun noch ein Letztes! Das Buch der Kriege leet sehr
viel Gewicht auf die Durchführung des Tamidopfers im Tempel
und beauftragt damit, um das militärische Kontingent nicht zu
schwächen, die über 50 Jahre alten Priester und Leviten. Das
Manual, die Damaskusschrift, der Habakkukkommentar stellen
umgekehrt fest, daß die Priesterschaft des Tempels nicht den
Vorschriften gemäß amtiert und daß daher eine Beteiligung am
Tempelkult den Mitgliedern der Gruppe nicht möglich ist.

Alle diese Tatsachen führen darauf, daß das Buch der Kriege
nicht innerhalb der Gruppe entstanden sein kann. Wenn diese
Rolle trotzdem im Kreise dieser Gruppe tradiert ist. dann geschah
dies kaum, weil man in ihr verpflichtende und bindende
Weisungen für das eigene Verhalten erblickte. Eher könnte man
mit einer gewissen Sorge um die Vollständigkeit der Bibliothek
zu rechnen haben. Man könnte Wert darauf gelegt haben, Werke
anderer Richtungen, sei es aus polemischen, sei es aus informatorischen
Gründen, zur Hand zu haben. Aber vielleicht ist diese
Vermutung doch etwas zu modern gedacht. Vielleicht ist die Lösung
in anderer Richtung zu suchen. Dabei könnte man von dem
verschiedenen Begriffsumfang des Ausdrucks „Söhne des Lichts
und Söhne der Finsternis" ausgehen, ebenso von der unspezifischen
Verwendung des Wortes irr in dem Buch der Kriege. Es
ist wahrscheinlich, daß die unspezifische Verwendung älter ist,
wie auch der Weg von der Bezeichnung des Gesamtvolks als
Söhne des Lichts zur Bezeichnung einer Gruppe eher denkbar ist
als der umgekehrte. Daraus wäre zu folgern, daß das Buch der
Kriege älter ist als die übrigen bisher bekannt gewordenen Schriften
von H. Qumrän.

In die gleiche Richtung führt m. E. eine Überprüfung der
Zeitangaben in 2, 6 ff. Der Text lautet hier — im Anschluß an
die Anweisungen über die Sicherung des Tamidopfers:

!6l „Alles dies sollen sie ordnen am Fest des S'mittä-Jahres,
und in den 3 3 verbleibenden Kriegsjahren sollen die namhaften
Leute, l7l die zum Fest Geladenen und alle Häupter der Vaterhäuser
der Gemeinde für sich Kriegsleute für alle Länder der Heiden
aus allen Stämmen Israels wählen. Sie sollen ausrüsten Isl für