Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1955 Nr. 3

Spalte:

184-185

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Seils, Martin

Titel/Untertitel:

Theologische Aspekte zur gegenwärtigen Hamann-Deutung 1955

Rezensent:

Seils, Martin

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

183

Theologische Literaturzeitung 1955 Nr. 3

184

3) Dem ungeklärten Verhältnis von Gesetz und Evangelium in
der Seelsorge stellt Blumhardt sein Verständnis der Seelsorge als eines
eschatologischen Geschehens entgegen, das sehr wohl eine Unterscheidung
von Gesetz und Evangelium zuläßt, aber doch nicht deren endlichen
Einheitspunkt, der in der Verheißung Gottes gegeben ist, aus
dem Blickfeld verliert.

S c h i 11 e, Gottfried: Liturgisches Gut im Epheserbrief. Diss. Göttingen
1953. VI, 159 S.

Anders als in früheren Versuchen wird das Problem der Deutero-
paulinen von deren liturgischer Diktion her aufgenommen: a) Welche
Stellen in Epheser und Kolosser darf man als „Hymnen" betrachten?
(1. Abschnitt, Analysen) — b) Welche Form kennzeichnet diese Stücke?
(2. Abschnitt, Gattungsgeschichte). Dabei ergibt es sich, daß die Lieder
Eph. 2, 14—18 (ohne „denn", „die Feinschaft" v. 14, „tötend die Feindschaft
in ihm" v. 16, „euch" v. 17 und „die beiden in einem Geiste"
v. 18) und Kol. 2, 9—15 (stark glossiert) zur Gattung der „Erlöserlieder"
gehören, welche „Taten des Erlösers im Hinblick auf deren Bedeutung
für die Preisenden schildern". Das Proömium des Epheserbriefes (1,3—12,
bis „zum Lob seiner Herrlichkeit") wie das des Kolosserbriefes (vgl.
E. Käsemann in der Festgabe R. Bultmann) rechnen wir zur Gruppe der
„Initiationslieder", Hymnen, in denen der einzelne oder die Gemeinde
Gott für die Erlösung danken, daß Gott gemäß seinem ewigen Plane
durch die Tat seines Sohnes und die Offenbarung der Heilsbotschaft
Menschen in das neue „Erbe" und „Los" führte. Das Lied Eph. 2, 4—10
(ohne „aber" v. 4 und die Glosse Vers 8 f.) dürfte eine stärker liturgisch
gebundene Form aufweisen; ein Überblick über einige Formen
taufliturgischer Art bestätigt dies noch. Endlich kann die Form der
Worte von Eph. 5, 14 als die des „Weckrufes" bestimmt werden; die
hymnologische Entsprechung, das „Wecklied", ist besonders in den Oden
Salomonis belegt.

Die liturgisch gebundene Rede beherrscht nicht nur die Anfangsteile
der Deuteropaulinen, sondern deren gesamten Aufbau. Beachtenswert
sind vorwiegend folgende Momente: a) Nach der hymnischen Basis
des Briefes reden Epheser- und Kolosserbrief vom Apostel, Propheten
etc. als den autorisierten Zeugen für die Adressaten; die verwendeten
Wendungen haben nächste Parallelen in der Damaskusschrift und
anderen (urchristlichen) Schriften (tauf-)paränetischer Art. b) Nicht nur
die einzelnen Mahnungen sind traditionell; die Paränese scheint auch
im Rahmen einem (bereits vorchristlichen) Ermahnungsschema zu folgen,
welches den neuen Weg des Glaubenden umreißen will und daher von
dessen Abkehr vom Bösen, von seiner Hinwendung zu Gottes- und Liebesdienst
in der Gemeinde und endlich von dem Kampf in der Anfechtung
(eschatologische Mahnungen) redet, c) Ein weniger traditionelles
als konkret-liturgisches Element der Neulingslehre ist die Fürbitte im
Epheserbrief (3, 17 ff. 20 f.). Der Apostel bittet, Gott möge den Lesern
zur dargebotenen „Erkenntnis" hinzu die rechte „Liebe" schenken,
ohne die kein neuer Wandel gedeiht, d) Betrachtet man die Stellung
des Verfassers zur Tradition, so steht er nicht nur dieser Tradition —
den Hymnen wie den Mahnungen — wegen ihrer hellenistisch-vor-
paulinischtn Denkweise gegenüber, sondern setzt sich mit ihr ganz in
der Weise der authentischen Paulusbriefe auseinander. Hat Paulus oder
ein Paulusschüler im Epheserbrief (und weniger deutlich auch im Kolosser
) jene Ermahnung durchgeführt, die neu gewonnenen Christen jeweils
nach ihrer Taufe vom Apostel, Lehrer oder einem anderen autorisierten
Glied der Gemeinde dargeboten zu werden pflegte?

Dann erhebt sich die Frage, welche Bedeutung das liturgische Gut
des Epheserbriefes habe, welches nach dem Proömium und vor den
situationsbedingten Mahnungen in Kapitel 1 und 2 erscheint. Bereits
die Verse 1, 20 ff. enthalten eine Art „Hymnus", welcher mit dem Lied
2, 4 (f. aufs engste verbunden ist. Die Motive beider Stücke weisen uns
auf die Taufliturgie. Entsprechendes gilt jedoch für das ganze Gebet
Eph. 1, 17 ff., zu welchem die Verse 20 ff. den Abschluß bilden. Gehört
das liturgische Gut in Epheser 1, 17 bis 2, 18 im Ganzen enger zu einer
urchristlichen Taufliturgie? Ein Vergleich mit Ode Salomonis 41 und
den coli. 10 und 11 der neugefundenen Sektenschrift scheint unsere Frage
zu bestärken. Nur ergibt sich die Frage, ob und wie weit sich noch
aus dem Neuen Testament andere Elemente der frühchristlichen Taufliturgie
erkennen lassen. Denn das liturgische Gut des Epheserbriefes
dürfte nur ein kleines Fragment aus einem größeren Rahmen sein: Ein
Stück der grundlegenden Geistmitteilungsliturgie wird am Anfang dieses
Schreibens wiederholt, weil die Taufe und insbesondere die Gabe
des Geistes Basis des neuen Lebens ist. zu welchem die Leser durch
den Brief aufgerufen werden sollen.

Schmidt, Johann Dietrich: Die theologischen Wandlungen des
Christoph Friedrich von Ammon. Ein Beitrag zur Frage des legitimen
Gebrauches philosophischer Begriffe in der Christologie. Diss. Erlangen
1953. 203, XXVII S.

Die theologischen Wandlungen Chr. Friedr. v. Amnions, des Erlanger
und Göttinger Theologen und späteren Dresdener Oberhofpredigers
(1766—1850), haben nicht nur biographische Bedeutung. Sein reiches
Schrifttum, das sich über sechs Jahrzehnte erstreckt, reflektiert die gesamte
entscheidungsvolle Bewegung der Theologie dieser Zeit von der
Einwirkung Kants über einen späten Rationalismus zur Restauration und
noch ein Stück darüber hinaus. Die Dissertation zieht in ihrem ersten
Teil die Verbindungslinien zur zeitgenössischen Theologie und Philosophie
und zeigt, wie Ammon mit erstaunlicher Reaktionsfähigkeit und
Wendigkeit in immer neuen Ansätzen an der Bewegung teilnimmt. Er
hat sich auf fast allen Gebieten der Theologie betätigt und z. B. für
die „biblische Theologie" wie für die Dogmengeschichte wirksame Anregungen
gegeben. Konstant bleibt in allen Wendungen das apologetische
Motiv, das den gesamten alternden Rationalismus auszeichnet,
und das bei Ammon auch die Episode der Einwirkung Schleiermachers
und der Erweckungsbewegung überdauert hat. Ammon ist das hervorragende
Paradigma des Apologeten, der im Verhältnis von Theologie
und Philosophie das eigentliche Lebensproblem der Theologie erblickt.

Der zweite Teil der Arbeit analysiert die Theologie Ammons unter
systematischen Gesichtspunkten, insbesondere seine Bemühungen um
eine „vernünftige" Christologie. Ammon löst die altkirchliche Zweinaturenlehre
wie das Trinitätsdogma auf, zuerst mit philosophischen
Argumenten, später mit biblisch-kritischen und dogmengeschichtlichen,
sucht jedoch bei jedem neuen Ansatz in seinem Offenbarungsrationalismus
für die Person Christi eine zentrale Stellung zu gewinnen. Sein
unter dem Einfluß Kants limitierter Rationalismus stellt die auch heute
nicht überholte Frage nach der Legitimität philosophischen Denkens in
der Theologie vor. Er zeigt jedenfalls, daß nicht jede Philosophie dazu
geeignet ist.

Seils, Martin: Theologische Aspekte zur gegenwärtigen Hamanndeutung
. Diss. Rostock 1953. 159 S.

Die Hamanninterpretation befindet sich gegenwärtig in einer zwiefach
zukunftsträchtigen Situation: Einerseits liefert die seit ca. dreißig
Jahren andauernde „Hamannrenaissance" erste Deutungen von befriedigender
Tiefe, andererseits ist mit dem Erscheinen der ersten umfassenden
hist.-krit. Hamannausgabe Josef Nadlers der „wirkliche
Beginn der Forschung" zu erwarten. In dieser Lage will die vorliegende
Arbeit einen Beitrag evangelischer Theologie zur Klärung der
notwendigen Grundsätze und Ansätze jeder Hamannforschung und
-deutung liefern.

Diskussion von Hamanndeutungen kann nur da stattfinden, wo
ein eigener Deutungsmaßstab vorliegt und selbst zur Erörterung gestellt
wird. Dieser Maßstab wird hier aus Hamanns unverändert christusbezogener
Grundhaltung durch eine Analyse der ersten und letzten Lebensbeichte
des Magus, also des Erweckungsberichtes und des sog. „letzten
Blattes", entwickelt: Hamann ist „vir christianus". Von dieser Position
aus unternimmt die Arbeit „Aspekte" zum philosophischen, ästhetischen
und theologischen Deutungsbereich und vertieft jeweils, angeregt von
den dabei aufgeworfenen Fragen, ihre eigene Grundintention.

Im philosophischen Umkreis fand K ä t e Nadler in ihrer Studie
„Hamann und Hegel" unter antithetischem Bezug auf Kierkegaard bei
Hamann einen „ideellen Realismus", der sich absolut auf die Substanzdialektik
von Sein und Sinn bezog. Josef Nadler hingegen deutete
in seiner Hamannbiographie den Magus als „Zeugen des Corpus mysti-
cum", Botschafter einer vom Geschlecht durchwalteten, auf das Humanuni
bezogenen und kosmologisch umfaßten Gott-Mensch-Spekulation
. Käte Nadler gegenüber stellt die Arbeit — an Hand von Kierke-
gaards Hamannverständnis — Fragen nach der Transzendenzbezogenheit
in Hamanns „Substanzdialektik" und sucht Josef Nadler gegenüber -
auf Grund einer Einzeluntersuchung seiner Interpretation — anstelle
des „Corpus mysticum" das „Corpus Christi" als das von Hamann
eigentlich Gemeinte in Sicht zu bringen. Dann weist sie in einem Gang
durch den Werk-Inhalt aller wesentlichen Hamann-Schriften auf den
„vir christianus" als „Metakritiker zur Hoffnung": Hamanns „demi-
nuierende" Philosophie will Christus in die Gleichzeitigkeit hineingebären
.

Im literarästhetischen Bereich suchte Rudolf Unger in seinen Werken
: „Hamanns Sprachtheorie" und „Hamann und die Aufklärung",
eine platonisch geprägte „theozentrisch-symbolische Weltauffassung"
beim Magus nachzuweisen. Neuerdings faßte Johann Brändle „das Problem
der Innerlichkeit" Hamanns im goetheschen Umkreis als das Problem
eines Wegbereiters, der zwar „Gott-in-sich-fühlt" und ihn „erinnern
" möchte, jedoch noch nicht „die Seele in sich aufgenommen''
hat. Die Arbeit weist bei Unger einen gedanklichen circulus vitiosus
nach, der vom Stil auf den Menschen, vom Menschen auf die Sprachtheorie
und von dort aus wieder auf den Stil schließt, aber versagen
muß, wenn sich herausstellt, daß Hamanns Stil nur Mittel seines Wollens
ist. Brändle gegenüber wird betont, daß Hamann dem Geist der
Goethezeit insofern fremd ist, als die Gleichung Innerlichkeit = Gott-
in-sich-fühlen für ihn keine Gültigkeit hat. Dann geht es in einer Untersuchung
der Sprach-Gestalt der Hamannschriften um den „vir christianus
" als „Nachahmer der Gottesrede": Hamanns „metaschemati-