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Ausgabe:

1955 Nr. 3

Spalte:

181

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Ruppoldt, Lieselotte

Titel/Untertitel:

Die theologische Grundlage des Bittgebetes im Neuen Testament in religionsgeschichtlicher Beleuchtung 1955

Rezensent:

Ruppoldt, Lieselotte

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181

Theologische Literaturzeitung 1955 Nr. 3

182

Die Beschäftigung der katholischen Theologie mit D. folgt der
••Entdeckung" D.s auf Seiten der evang. Theologie zeitlich nach und
steht von Anfang an im Dienste der Tendenz, das Verhältnis der Ideenwelt
der D.sdien Romane zum katholischen Dogma zu bestimmen. Dabei
gehen einige, wie z. B. R. Guardini und Th. Steinbüchel in ihrer
Einfühlung sehr weit, während andere sie mit den Maßstäben des
römischen Dogmas messen.

Verf. kommt zu dem Schluß, daß alle Deuter des russischen Dichters
mehr oder minder sich selbst in D. hineingelescn haben. Dies erklärt
, weshalb er als Kronzeuge für die verschiedensten theologischen
Meinungen und Richtungen aufgerufen werden konnte.

Am Schluß wird die Frage berührt, ob D. Christ oder Nihilist
gewesen sei. Im Spiegel der oben erwähnten konfessionellen Deutungen
kommen diese beiden gegensätzlichen Behauptungen und mehrere dazwischen
liegende Antworten vor. Verf. ist der Meinung, daß diese
Frage sich nicht mit voller Gewißheit entscheiden lasse. Vielleicht
gehört es zur Größe des Dichters D., daß er sowohl das Evangelium wie
den Nihilismus in bestimmten Gestalten anschaulich-glaubhaft zu schildern
verstand.

Die neuere, nachrevolutionäre russische Literatur über D. ist nicht
berücksichtigt. Das lag nicht im Rahmen des Themas, das Verf. sich
gestellt hatte. _

Ruppoldt, Lieselotte: Die theologische Grundlage des Bittgebetes
im Neuen Testament in religionsgeschichtlicher Beleuchtung. Diss.
Leipzig 1953.

Der 1. Teil der Arbeit (Erhörung und Nichterhörung des Bittgebetes
) erklärt, welcher Erfolg vom Bittgebet erwartet wird im Neuen Testament
und in den Religionen seiner Umwelt. Er beantwortet die Frage,
°b man nur dann von Gebetserhörung sprechen kann, wenn der im
Gebete ausgesprochene Wunsch von der Gottheit erfüllt wird. Letzteres
■*t der Fall im Bereich der Magie und der stoischen Philosophie. Eine
Sonderfunktion hat das Gebet in den antiken Mysterienreligionen: Es
dient der Vereinigung mit der Gottheit (Ausnahme Samothrake). Im
Alten Testament bahnt sich der Gedanke an, daß auch ein scheinbar
niditerhörtes Gebet von Erfolg gekrönt sein kann. Diese Ansicht von
der inneren, segensreichen Wirkung des Betens vertreten auch die jüdischen
Gelehrten, sie zeigt sich bei Philo und im Neuen Testament,
allem in der Gethsemaneerzählung und dem Bericht des Paulus
"ber sein Gebet zum Herrn IL Kor. 12.

Der 2. Teil (Die Art der Wirkung des Bittgebetes und seine theologische
Grundlage) erläutert die Beziehung zwischen Gebet und den
Jeweiligen Vorstellungen von dem Verhältnis zwischen Gott und
Menadi. Der Grieche betet zu einem ihm nahe stehenden göttlichen
Wesen, dem er durch allerhand Mittel menschlicher Beschwörungskünste
jeden beliebigen Wunsch abzuringen vermag. Grundlage des jüdischen
Gottesglaubens ist das Gefühl der Ehrfurcht und Furcht vor einem über
alles erhabenen Gott-König. In Bezug auf das Verhältnis zwischen Gott
ynd Mensch stehen rechtliche Gedanken im Vordergrund. Dieses Rechtsverhältnis
verpflichtet den Menschen zur Gesetzeserfüllung und verschafft
den Gebeten Zugang zu Gott. Philo beseitigt die Auffassung
der Gebetserhörung als eines Verdiensts des Beters und leitet sie ab
aus dem gütigen Wesen Gottes, das nicht nur sittlich Vollkommene,
sondern auch Sünder umfasse. Der Christ betet zu einem persönlichen
Vater-Gott. Das gottbestimmende Motiv der Erhörung ist niemals im
Menschen zu suchen, sondern allein in Gottes Liebe. Deshalb ist weder
bei Jesus noch bei Paulus die Rede von Gebetserhörung als einer unter
dem Drucke menschlicher Bemühungen erzielten Handlungsweise Gottes.
y Ein letzter Teil behandelt das Problem Bittgebet und Vorsehung.
Keinerlei Bedeutung haben Bittgebete für einen selbstgenügsamen,
transzendenten Gott, der die Welt nach Art eines wohlgeordneten
Staatswesens leitet, wie ihn Philo beschreibt. Zwar gibt es Gebet, aber
nS 'st dem göttlidien Weitenlenken eingegliedert und nur scheinbar ein
Kuren aus der menschlichen Sphäre. Nicht ganz so streng urteilt die
stoische Philosophie. Götter kommen auf Grund der Gebete zu Hilfe
jn dem, was vom Menschen abhängt: Zustimmung zu dem ihm vor-
"timmten, unabänderliohen Schicksal. Im Judentum begegnet sowohl
'u erzeugung' daß wegen Gottes Allmacht, Allwissenheit und Vorübung
Bittgebete als unnötig erscheinen, als auch die Gewißheit, Got-
'* Wollen und Handeln durch Gebete beeinflussen zu können. Jesus
g. • daß Gottes Heilswille oberste Instanz und somit die Grenze des
'ttgebetes ist (Gethsemane). Aber Gott wird als persönliches Gegen-
Der. als Vater, die Gebete seiner Kinder stets berücksichtigen und
SeWem Heilswillen entsprechend beantworten.

Scharfenberg, Joadiim: Johann Christoph Blumhardts Bedeutung
™r die Seelsorge. Diss. Kiel 1953. 191 S.

ni , Arbeit, die sich vornehmlich auf bisher unveröffentlichtes oder
g]/1' mehr zugängliches Quellenmaterial stützt, versucht die Gestalt
■nhardts auf dem Hintergrund der gegenwärtigen Probleme evangelischer
Seelsorge zu sehen. Es werden daher, nach einem Überblick über
die Blumhardt-Literatur und den Stand der gegenwärtigen Blumhardt -
Forschung, die Hauptprobleme der Seelsorge entfaltet und deren historische
Ursprünge und ihre Entwicklung aufgezeigt.

Blumhardts Seelsorge selbst wird zunächst von ihren subjektiven
Voraussetzungen her untersucht, jenen Ereignissen, die als „der Kampf ,
„die Erweckung" und „die Heilungen" bekannt geworden sind. Sie
haben Blumhardt zunächst ganz unmittelbar zu letzten Einsichten über
das Objekt der Seelsorge, den Menschen, geführt. Seine Anthropologie
verzichtet auf jegliche inhaltliche Bestimmung des Wesens des Menschen
losgelöst von der Tatsache der Inkarnation und führt ihn zu der
Erkenntnis, daß der Mensch sich überhaupt nicht selbst „bestimmen
kann; entweder er ist Gottes oder des Satans. Zwei Erscheinungen, die
die Verfallenheit des Menschen an satanische Mächte in besonderer
Weise demonstrieren, sind Sünde und Tod. Erstere wird weder moralisch
mißverstanden noch als Verhängnis einfach hingenommen, aber sie verwandelt
das menschliche Sein durch Krankheit und Übel zu einem Sein
zum Tode. Aus der Verbindung von Sünde und Tod resultiert die
menschliche Existenz als eine Seinsweise der Angst.

Die objektive Voraussetzung seiner Seelsorge bildet Blumhardts
Christologie, in der vor allem drei Seiten in ihrer „Bedeutsamkeit" betont
werden: Jesu Inkarnation, Jesu Sieg und Jesu Stellvertretung. Das
Wesen der Seelsorge wird demzufolge als Fortsetzung des Kampfes
Christi durch brüderliche Vermittlung angesehen. Die Möglidikeit zur
Seelsorge gibt es nach Blumhardt nur auf Grund der Wirklichkeit des
heiligen Geistes, womit zugleich ihre Schranke gesetzt ist, denn der
persönliche Pfingstgeist, wie er dem biblischen Zeugnis entspricht, kann
nicht mehr in ganzer Fülle gegenwärtig sein; die Seelsorge ist im wesentlichen
auf Hoffnung gestellt, und die Hoffnung auf eine neue Geist-
ausgießung wird zum Zentralanliegen Blumhardts.

Als Mittel der Seelsorge stehen für Blumhardt Wort und Sakrament
im Mittelpunkt der Betrachtungsweise, als deren Realisation Beichte
und Absolution wichtig werden. In seiner Behandlung von Gesetz und
Evangelium als Mittel der Seelsorge vermag Blumhardt wichtige Hinweise
zur Bestimmung des Verhältnisses beider Größen zueinander zu
geben, indem er die rechte Unterscheidung von Gesetz und Evangelium
als eine Funktion des heiligen Geistes ansieht, jedoch beide Größen
auf einen gemeinsamen Einheitspunkt hin ausgerichtet sieht: die Verheißung
Gottes. Das Gebet hat in Blumhardts Seelsorge naturgemäß
einen zentralen Platz. Es ist für ihn die einzige menschliche Möglichkeit
des Protestes gegen das Übel in der Welt, es beruht ganz und gar auf
der Tatsache der Inkarnation und ist Ausdruck der vollkommenen und
bedingungslosen Anerkennung des eigenen Unvermögens einerseits, und
des vollkommenen und schrankenlosen Vertrauens in Gottes Sdiöpfcr-
macht andrerseits.

Als Frucht der Seelsorge sieht Blumhardt in erster Linie de« Glauben
an, den er gegen ein einseitiges gefühliges oder intellektualisieren-
des Mißverständnis abzugrenzen und durch die Bezeichnung „Hingabc
des ganzen Menschen an Christus" zu erläutern sucht. Dieser Christusglaube
ist stets Glaube zur Buße, er ist Glaube contra aspectu, und er
ist wesenhaft Heilsglaube. Dieser Heilsglaube führt zu Blumhardts Konzeption
des Wunders. Sie beruht auf folgendem Gedankengang: Wirkliche
Hilfe gibt es nur von-Gott. Sofern sie als solche vom Menschen
anerkannt wird, trägt sie für ihn den Charakter des Wunders. Wenn
Gott aber wirklich hilft, dann ist seine Hilfe nicht nur partiell, sondern
total. Sofern sie sich auf den ganzen Menschen erstreckt, ist sie auch
stets Heilung.

Als das Ziel der Seelsorge bezeichnet Blumhardt das Reich Gottes,
dessen soziologischer Aspekt ihm identisch sein kann mit dem terminus
Kirche. Der eschatologische Charakter des Reiches Gottes aber besagt,
daß Geschichtsdeutung, ebenso wie die Deutung des Geschehens in der
Scelsorge, nur von ihrem Ende her möglich ist, das heißt aber von
ihrem verheißenen Ausgang: Jesus ist Sieger. Einer solchen Botschaft
entspridit die menschliche Haltung des Wartens und Eilens auf eine
letztliche Heilszeit hin, in der die Verheißungen Gottes dodi letztlich
zur Erfüllung kommen werden. Das ist das eigentliche Ziel der Seelsorge
.

Als Zusammenfassung und Ergebnis glaubt die Arbeit, Blumhardts
Bedeutung für die gegenwärtige Problematik der Seelsorge vor allem
auf drei Gebieten sehen zu dürfen:

1) Dem fortschreitenden Zerfall der Einheit evangelischer Seelsorge
und der einseitigen Überbetonung einzelner ihrer Funktionen
stellt Blumhardt sein Verständnis der Seelsorge als eines Kampfes mit
dämonischer Wirklichkeit entgegen und schafft somit eine einheitliche
Frontstellung, der das Phänomen des irrenden, moralisch versagenden,
kranken oder geistlich unerwedeten Menschen lediglich zum Symptom
einer dahinterliegenden Wirklichkeit wird.

2) Der mangelhaften Verarbeitung von subjektiv und objektiv
bestimmter Seelsorge stellt Blumhardt sein Verständnis der Seelsorge
als einer Funktion des heiligen Geistes entgegen, das es ihm erlaubt,
beide Seiten gleichmäßig zu betonen.