Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1954 Nr. 3

Spalte:

162-164

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Titel/Untertitel:

Der Geist der Orthodoxie 1954

Rezensent:

Adam, Alfred

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

161 Theologische Literaturzeitung 1954 Nr. 3 162

aber nach Inhalt und Fundort genau verzeichnet. Nicht einmal in Regestform
aufgenommen werden konnten freilich Urkunden, in denen
Zeugen mit in Nürnberg vorkommenden Personennamen, aber ohne
jeden Hinweis auf ihren Zusammenhang mit Nürnberg erscheinen. Auf
sie wurde nur gelegentlich verwiesen, wenn der Zusammenhang mit
Nürnberg offenkundig war.

Außer den eigentlichen Urkunden werden auch — in Fußnoten am
jeweiligen zeitlichen Ort — chronikalische Nachrichten gebracht, so daß
damit wirklich das ganze literarische Quellenmaterial für die Geschichte
Nürnbergs jener Frühzeit vorliegt.

Sehr wertvoll ist es, daß auch das Fehlen urkundlicher Belege für
Nachrichten, die in der Literatur über die nürnbergische Geschichte vorkommen
, vermerkt wird. Dadurch wird außerordentlich viel vergebliche
Arbeit erspart. Alle Datierungen sind noch einmal überprüft, wobei nicht
selten — unter genauer Begründung — von bisherigen Ansätzen abgewichen
wurde. Auch verfälschte und gefälschte Urkunden werden gebracht
, wobei sie von vornherein als solche kenntlich gemacht sind.
Gründe für die Annahme der Fälschung werden kurz zusammengestellt.
Sorgfältig wird angegeben, wo die Urkunde und auch wo die darin behandelte
Sache — hier natürlich mit der sehr notwendigen Einschränkung
— besprochen wird. Die Satzanordnung ist sehr übersichtlich, der
Druck sorgfältig. Alles, was vom Herausgeber stammt, ist in Kursivschrift
gesetzt. Urkundentexte, Zitate aus ihnen oder aus ähnlichen
Quellen sind sofort kenntlich durch ihren Antiquasatz.

Im gegenwärtigen Stand der Veröffentlichung stört es etwas, daß
die Nachrichten über den Heiligen Sebald oder die über die Gründung
des Egidienklosters nicht bei den Jahren gebracht werden, bei denen man
sie an sich suchen möchte, sondern erst gelegentlich eines späteren urkundlichen
Anlasses. Aber dieser Mangel verschwindet ja, wenn die
Register, die für die letzte Lieferung in Aussicht gestellt sind, erscheinen
. Erst Register machen ja naturgemäß ein Urkundenbuch, das nur in
den allerseltensten Fällen einmal vom ersten bis zum letzten Blatt
durchstudiert wird, für weitere Forscherkreise voll benützbar. Dem Register
sind offenkundig auch mancherlei Ergänzungen, die man jetzt
noch vermißt, vorbehalten — so vor allen Dingen die Bestimmungen
der in den alten Urkunden vorkommenden Ortsnamen.

Zum sachlichen Inhalt des Urkundenbuches Stellung zu nehmen
, hieße beinahe, die Geschichte Nürnbergs neu zu schreiben.
Was in dieser Hinsicht das Urkundenbuch enthält, ließ der Festvortrag
seines Herausgebers anläßlich des 75. Gedenktages der
Begründung des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg bereits
ahnen. Möchte dieser seine intensive Beschäftigung mit der
Gesamtheit der älteren Geschichte der Stadt Nürnberg nun auch
dahin ausnützen, daß er der Öffentlichkeit die seit langer Zeit
schon nötige neue wissenschaftliche Gesamtdarstellung der Geschichte
Nürnbergs schenkt. Daß der Ertrag des Nürnberger Lirkundenbuches
nicht auf Nürnberg allein beschränkt ist, sondern weit
darüber hinausgeht, ist von vornherein selbstverständlich. Die
Kaiserurkunden, die in Nürnberg ausgestellt wurden, betreffen
ja nicht nur Örtlichkeiten in Nürnberg und Franken, sondern
reichen durch ganz Deutschland und das christliche Abendland.
Vor allem kommt natürlich die Umgebung Nürnbergs reichlich
vor. Aber auch andere Wissenschaften ziehen Gewinn, wie etwa
aus der Zusammenstellung der Quellen, die dafür sprechen, daß
der Minnesänger Tannhäuser aus Nürnberg stammt, oder aus dem
Hinweis darauf, daß sich aus einer am 8. Dezember ausgestellten,
aber nicht auf Maria Empfängnis datierten Urkunde von 1290 die
Frage erhebt, ob der Charakter dieses Tages damals noch nicht
im Volksbewußtsein feststand. Verhältnismäßig wenig Neues
bietet der Band für die Nürnberger Kirchengeschichte. Nachrichten
über die kirchlichen Verhältnisse Nürnbergs treten ja überhaupt
erst verhältnismäßig spät auf. Die ältesten Quellen waren
zudem, was bei der Entstehungsgeschichte des Urkundenbuches
von vornherein klar ist, auch bisher bereits bekannt und ausgiebig
ausgewertet.

Mit großer Spannung wird von Wissenschaft und Heimatforschung
der baldige Abschluß des Lirkundenbuches, das ja erst
nach Erscheinen des Registers seinem ganzen Reichtum nach ausgeschöpft
werden kann, erwartet. Der Dank aller daran interessierten
Personen und Kreise ist dem verdienstvollen Bearbeiter
aber jetzt schon sicher.

Nürnberg M. Simon

KUICHENGESCHICHTE: REFORMA TIONSZEIT

Weber, Hans Emil: Reformation, Orthodoxie und Rationalismus.

Zweiter Teil: Der Geist der Orthodoxie. Gütersloh: Bertelsmann
1951. XXVIII, 215 S. gr. 8° = Beiträge zur Förderung christl. Theologie
, hrsg. v. P. Althaus u. J.Jeremias. 2. Reihe: Sammig. Wissenschaft
!. Monographien. Bd. 51,2. DM 24.— ; Lw. DM 27.—.

Hans Emil Weber hat in seinem auf vier Teilbände berechneten
Lebenswerk nicht eine umfassende ,,Dogmengeschichte des
Protestantismus" erstrebt, sondern in einer systematischen Besinnung
über die geschichtliche Entwicklung der Rechtfertigungs-
lehre seit der Reformation einen Beitrag zur Klärung der Grundlagen
des gegenwärtigen theologischen Denkens geben wollen.
Er hat sein Werk nicht vollenden können: der Tod setzte seiner
Arbeit am 13. Juni 1950 ein Ziel, und „Tragik" ist das letzte
Wort des letzten Bandes. Bd. I, 1 war 1937 erschienen und legte
die „entscheidungsvolle Wende zur Orthodoxie" dar; Bd. I, 2
folgte 1940 und behandelte das Werden des orthodoxen Systems.
Der Ertrag dieses zweiten Teilbandes ist der genaue Aufweis, wie
bereits in dem methodischen Ansatz der Orthodoxie die Wendung
sowohl zum Rationalismus als auch zum Pietismus anzutreffen
ist. Da die ThLZ keine Besprechung gebracht hat, sei auf
die ausführliche Würdigung durch Arvid Sjöstrand (Theol. Blätter
1938, Sp. 97-100) und durch Ernst Bizer (ebenda 194!,
Sp. 65—67) verwiesen.

Der vorliegende dritte Teilband (in der Zählung des Werkes
: II) führt in vier Kapiteln einen Teil der Aufgabe für das Gesamtsystem
der Orthodoxie durch. Geplant waren weitere sechs
Kapitel, die das „System der Heilsgeschichte", die orthodoxe
Theologie der biblischen Heilsgeschichte und den Übergang zum
Supranaturalismus darstellen sollten, woran sich die Analyse des
Supranaturalismus und der Anfänge des Rationalismus angefügt
hätte. — Johann Gerhard hatte die clavis aurea der reformatorischen
Theologie, die Rechtfertigungslehre, folgendermaßen definiert
: .Justificatio est actio Dei Patris, Filii et Spiritus saneti,
qua ex mera gratia et misericordia propter Christi mediatoris ac
redemtoris obedientiam et satisfactionem homini peccatori vere
in Christum credenti gratis sine operibus aut meritis propriis
peccata remittit, justitiam Christi imputat, et ad vitam aeternam
cum aeeeptat, ad divini nominis sui gloriam et hominis salutem"
(Bd. VII S. 317 Cotta; loc. XVI §251 Preuß). In dieser Definition
sind remissio, imputatio, aeeeptatio als die verschiedenen
Seiten des einen Vorgangs unterschieden, und alleiniges Werkzeug
der Rechtfertigung ist das Wort, das in das Leben hineingreift.
Hier aber erhebt sich eine Gefahr: sobald sich der Glaube dem
Worte nur als intellektueller Wahrheitsglaube zuwendet, sieht
er sein Objekt, die fides quae creditur, allein als rechtfertigend
an. W. zeigt, daß ein wesentlicher Schritt auf dem Wege zum
Säkularismus, der die Rechtfertigungstheologie zersetzt und ent-
mächtigt hat, die rein rationale Behandlung des Wortes als Gegenstand
der notitia gewesen ist. Solange Orthodoxie und Erbauungsbewegung
eng verbunden miteinander lebten, blieb diese-
Gefahr gebannt: „Vom urreformatorischen Zeugnis erhält sich
noch ein Zusammendenken von Rechtfertigung und Wiedergeburt
" (S. 38) und die unio-Lehre wurzelt „in der Wahrheit der
Rechtfertigung" (S. 41). Vernunft und Erfahrung, die später auseinandergingen
, hatten in der Orthodoxie noch einen festen Zusammenhalt
(S. 29 Anm. 1), und zwar in der lebendigen Verbindung
mit Christus, dem Haupt und Weinstock (S. 53). — Nachdem
diese ursprüngliche Einheit in der vollendeten Systematisierung
zerfallen war, erscheint die Rechtfertigung als „Effekt" des Glaubens
, und der Glaube, als menschliche Bedingung gewertet, nimmt
die Färbung der Leistung an (S. 66 f.). Sobald die Rechtfertigung
zum Korrektiv geworden ist, wird die Vergebung entleert zur
Aufhebung der obligatio ad poenam (S. 71 f.). Jetzt erst erhält
die Ethik systematische Selbständigkeit, mit allen Folgerungen
für die Selbständigkeit der weltlichen Dinge. In einem gewichtigen
Exkurs (S. 91—94) ist in Auseinandersetzung mit Troeltsch
und Holl die Bedeutung der altprotestantischen Ethik hervorgehoben
. — Im dritten Kapitel schildert W., wie sich im Calvinismus
von der Rechtfertigungslehre aus allmählich die Prädesti-