Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1954 Nr. 3

Spalte:

149-152

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Ackermann, Heinrich

Titel/Untertitel:

Jesus 1954

Rezensent:

Delling, Gerhard

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

149

Theologische Literaturzeitung 1954 Nr. 3

150

ordnet, sondern u. U. von einem zentralen Gesichtspunkt her
bestritten. Ob dabei die Grenzlinien immer so laufen, wie unser
Verfasser sie sieht, und ob dabei nicht Gewaltsamkeiten passieren
, wird der Leser wachsam prüfen müssen. Es droht die Gefahr
, daß das Problem der Geschichte verkürzt und seiner Vielgestaltigkeit
beraubt wird.

Auch ein kritischer Leser wird die Dankbarkeit nicht vergessen
, die das neue Lehrbuch der gegenwärtigen Theologie abnötigt
.

Tübingen O. Michel

Ackermann, Heinrich: Jesus. Seine Botschaft und deren Aufnahme
im Abendland. Göttingen: „Musterschmidt" Wissensdiaftl. Verl. 1952.
VI, 248 S. 8°. Lw. DM 14.80.

Das Budi scheint zunächst die Ergebnisse der Leben-Jesu-Forschung
der letzten hundert Jahre für einen größeren Leserkreis zusammenfassen
zu wollen. Von D. Fr. Strauß bis A. Sdilatter, von de Lagarde bis Stauf-
fer zieht Vf. eine Fülle von Autoren an, die ihm das Material für seine
Darstellung liefern. Dadurch, daß er ihre Namen z. T. recht häufig im
Text nennt, will Vf. wohl für den Nichtfachmann die wissenschaftliche
Fundierung seiner Thesen deutlich machen; die Einseitigkeit der Auswahl
und der Verwertung der Literatur wird dem letzteren jedoch so
kaum sichtbar.

Einleitend gibt A. einen Überblick über die Beurteilung der Synoptiker
durch „die »liberale« Theologie des Protestantismus — die eigentliche
protestantische Theologie" (die Formulierung S. 213; Kap. 1: S. 1—29),
ohne deren Skepsis vollständig zu teilen. A. bekennt sich zwar (S. 13)
zu der neueren Einsicht, daß ein „Leben Jesu" nicht geschrieben werden
kann; das „Leben Jesu" des recht kritischen, aber (m. E.) eben weithin
auch gegenüber den Evangelien keine anderen als die normalen Maßstäbe
historischer Forschung überhaupt anwendenden M. Goguel bezeichnet
A. als „einen eigentlichen Rückfall auf eine frühere Stufe der
Quellenbenützung" (S. 18). „Den meisten Berichten der Evangelien
kommt kein geschichtlicher Wert zu" (S. 13). Trotz alledem weiß A. in
Kap. II („Das Leben Jesu und die örtlichen Einflüsse auf seine Botschaft",
S. 30—68) aus den Synoptikern sogar mancherlei für die Jugend Jesu
zu erschließen: Jesus habe „voll Achtung und Liebe an seinem Vater
gehangen und den Verstorbenen sdimerzlich vermißt" (S. 38) usw.

Entscheidender ist Kap. III: „Die Botschaft" (S. 69—142). Die
„Urgestalt der Botschaft" Jesu läßt sich „nur innerhalb gewisser Umrisse
" erkennen (S. 70). Sie wurzelt in der Enderwartung der Gottesherrschaft
(ebd.). Glaube ist für Jesus gehorsames Vertrauen (S. 70 f.).
Hier zeigt Vf. bereits einmal die Wesensunterschiede zwischen indogermanischer
und semitischer Frömmigkeit, die den Willen anspricht,
auf (S. 72 f.). Jesu Religion ist, dem letzteren Typ zugehörig, Offenbarungsreligion
, sein Gottesbegriff transzendent (S. 72 f., vgl. 79); Gott
ist der Herr (S. 73), aber zugleich auch „der Sdiöpfer und die gütige
Vorsehung" (S. 76, vgl. 74. 81). Jesu Grundforderung geht auf den
Gesinnungswandel; die Gesinnung macht den Menschen vor Gott ge-
redit (S. 81 f.). Von einer Erneuerung des Menschen durch Gott kann
nach A. bei Jesus offenbar nidit die Rede sein (Matth. 7, 17 widerlegt
nach A. den Gedanken der allgemeinen Sündhaftigkeit [S. 94, vgl. 103] ).
Das umfassende Gebot der Nächstenliebe geht nicht — humanistisdi -
vom „Gedanken der Menschenwürde", sondern „vom Willen Gottes
aus (S. 92; vgl. 87). Von solcher heteronomen Ethik ist der Gedanke
der Vergeltung nicht ablösbar (S. 95-97). Endglaube, Sinnesänderung.
Gotteskindschaft (von der A. aber nur in gewisser Zurückhaltung reden
will) und Nächstenliebe bilden für A. den Kern der Botschaft Jesu
(S. 94. 97—102), die sich (wie A. betont) an den einzelnen wendet.

Jesus hat sich wahrscheinlidi als Prophet gefühlt (S. 109); lür den
Messias hielt er sich nidit (S. 112 ff.), ebensowenig für sündlos (er ließ
sich taufen und betete im Unser-Vater um Vergebung); er sah „die Befolgung
seiner Botschaft auch nicht für den einzigen Weg zum »Ewigen
Leben«" an (S. 115). Einer Geineindegründung durch Jesus widerspricht
die Naherwartung des Endes (S. 119—22; eine andere Möglichkeit erwägt
Vf. S. 150). Audi das Abendmahl „bedeutet keinen notwendigen
Bestandteil der Botschaft Jesu" (S. 122). Die synoptischen Einsetzungs-
Worte entsprechen der Gemeindetheologie etwa der Zeit Justins (S. 122;
eine andere Auffassung z.T. S. 146). — In einem letzten Abschnitt des
Kap. III wird Jesu Veranlagung als psychisch gesund (S. 129—34) und
als typisch semitisch (S. 136—41) gekennzeichnet.

Kap. IV behandelt „Die ersten Entstellungen der Botschaft" Jesu
(S. 143—75). Bereits „die Urgemeinde" (offensichtlich die jerusalemischc)
vergöttlicht Jesus (unter dem Einfluß der hellenistischen Mystericnreli-
gionen [S. 146—49] ). Bei Paulus setzt sich außer hellenistischen Vorstellungen
besonders wieder jüdisches Gedankengut durch: „Gott ist für
Paulus weniger der Vater als der eifersüchtig zürnende Jahwe, der
durch den Opfertod seines Sohnes versöhnt werden muß" (S. 154).
Semitisch ist nach A. die Betonung des Glaubens bei Paulus, der ein

Glaube „an bestimmte »Heilstatsachen«" sei (S. 155). Die paulinische
„Vorstellung von einer Verdienstlichkeit des Glaubens
" ist jüdisch (S. 157). „Gemildert sind die — im Vergleich zu
Jesu Frohbotschaft düsteren — Züge der paulinischen Glaubenslehre . . .
durch die »C h r i s t u s m y s t i k«" (S. 162), aber nur in bescheidenem
Maße: Paulus ist der Begründer des Dogmas und der Orthodoxie
(S. 164).

Im Joh.-Ev. erscheint Jesus „als ein magisch verklärter Halbgott"
(Joh. 17 [S. 167]). „Johannes wollte so etwas wie eine hellenische und
indogermanische Gottschau lehren" (S. 169, vgl. 212); aber in seiner
„Gottschau ist. . . der semitische Gedanke der Offenbarung erhalten
geblieben"; Joh. verkündigte „den Glauben an einen Erlöser", der in
der Geschichte „»Fleisch« geworden war" (S. 170), eine Erlösung „durdi
die Gnade . . .Gottes und durdi den rechten Glauben", im Unterschied
zu Jesus (S. 172).

Bei der starken Abhängigkeit des Vf. von der sekundären Literatur
sind Mißverständnisse nicht ausgeschlossen (z.B. S. 150). Auch
Unebenheiten sind dann schwer zu vermeiden (z. B. S. 124 gg. S. 126).
Vf. hat sich anscheinend mit beachtlicher Intensität in die Fachliteratur
vertieft; von den Quellen kann man das nicht in gleicher Weise sagen
(Vf. deutet das einmal an: Lukas verbessert „nach Aussage der Sprachkenner
" den Mk.-Text [S. lOj). So wird die Vokabel chiliasmos ganz
oltensichtlich wiedergegeben mit „Tausendjähriges Reich" (S. 39. 43;
der Text ist, obwohl tür einen weiteren Leserkreis bestimmt, ständig
mit fremdsprachigen Vokabeln durchsetzt, die dem deutsdien Wort in
Klammern folgen), yertä ist Lk. 11,29 die „Art" (nach Luther; A.
von der Wundersucht, nicht von den Menschen [S. 57] ). „Schriftgelehrte
" sind Leute, „die Rabbiner werden" wollen (S. 39); Jesus trat
als Glaubenslehrer auf „ähnlich wie Schriftgelehrte, Rabbinen und Pharisäer
" (S. 5 5), A. meint, daß „der Pharisäersdiüler Schaul . . . sich . . .
unter dem Namen Paulus . . . der Urgemeinde in Jerusalem anschloß"
(S. 152, entspr. 8). Mindestens eigenartig ist die Wiedergaße von „Monotheismus
" durch „Allgottglaube" (für Piaton; S. 202). Die fSaaikeia.
tür ovQavüjv ist bei Jesus „ein überirdisdies Reich aus sieben über einander
gelagerten Himmeln" (S. 44; anders 4 5 usw.); damit hängt wohl
die Behauptung zusammen, die Urchristenheit stehe in „Erwartung der
künftigen Festmahle mit dem Auferstandenen in den Himmeln" (S. 126).

Druckfehler werden sein der „Mithrastempel zu Saarburg" (S. 148),
„die aus dem Ende des 3. Jahrhunderts stammende Vulgata" (S. 206),
Jesu „Wiederkehr aus den Wolken des Himmels" (S. 23), vielleicht auch
„der erste thessalonische Brief des Paulus" (S. 145). Dagegen wird es
sich kaum um ein Korrekturversehen handeln, wenn S. 45 „der 17. Psalm"
unter Berufung auf Lietzmann, Geschichte der Alten Kirche I (1932)
S. 15 als ein Lied bezeichnet wird, „das etwa dem Messiasglauben der
Römerzeit entsprechen mag" — in Wirklichkeit handelt es sich natürlich
um Ps. Sal. 17, den Lietzmann S. 12—15 in Übersetzung wiedergibt
; Vf. hat Lietzmann nicht richtig gelesen und übrigens Ps. Sal. 17
auf S. 45 f. unzutreffend charakterisiert (richtig Lietzmann S. 15. — Der
formale und der sachliche Irrtum werden von A. S. 112 wiederholt).

Recht befremdlich sind doch Sätze wie die: „Lukas beherrscht die
griechische Umgangssprache der damaligen Zeit, die koine, besser als
Markus" (S. 10). Jer. 31, 15 (oder Matth. 2, 16 f.? Aber dann wäre die
Ausdrucksweise ebenso unrichtig) gehört zu den „bekannten vaticinia
ex eventu" (S. 23). „Nach pharisäischem Gebrauch feierte Jesus vor
dem Fest ein P a s s a m a h 1" (S. 63). Die Heils g e s c h i c h t e ist
der „ordo salutis, wie man dies seit pietistischer Zeit nannte" (S. 46,
entspr. 156).

Philologisdi einfach falsch ist der Satz, der l.Kor. 15, 3 5—40 wiedergeben
soll: „Die auserwählten Gerechtfertigten würden zu unleiblichen
Geistwesen verklärt werden"; A. stellt das offensiditlich mit dem
„Fortleben nur der Seele" auf eine Linie (S. 156). Philologische Willkür
ist die Deutung von eidcoXoXatgla in Gal. 5, 19 als „Andersgläubigkeit
" (S. 165). Geistesgeschichtlich unrichtig ist (abgesehen davon,
daß dort offenbar Ödipus angeredet ist) die Behauptung: in Soph. Oed.
Kol. 1267 f. „war Zeus schon als Vater angerufen..., also [l] schon
so empfunden worden, wie Jesus seinen Gott empfand" (S. 202).

Mit dem Genannten sind im allgemeinen wohl keine Behauptungen
des Vf. angegriffen, die wissenschaftlich zur Diskussion stehen; es sollen
hier keine Auseinandersetzungen über Einzelheiten geführt werden
— die Absicht ist nur, das vorliegende Buch zu kennzeichnen.

Wie sich die Arbeitsweise des Vf. in der ausgesprochenen Abhängigkeit
von der Literatur auswirkt, zeigt sich nicht zuletzt an seiner
Verwertung der neueren Funde vom Toten Meer. Hier folgt er ausschließlich
der Deutung der Handschriften durch A. Dupont-Sommer,
offenbar — und begreiflicher Weise — unter dem Eindruck seiner Gabe
der geistreichen und umfassenden Kombination und seiner mitreißenden
Darstellung (ein kurzes Referat gibt A. S. 50—52). Diejenige Theorie
des französischen Gelehrten, die von A. besonders verwendet wird
(S. 68. 114 usw.), ist die von dem als Märtyrer sterbenden und als richtender
Messias wiederkommenden „Lehrer der Gerechtigkeit": es wird