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Ausgabe:

1954 Nr. 3

Spalte:

144-146

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Rudolph, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Esra und Nehemia 1954

Rezensent:

Meyer, Rudolf

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143

Theologische Literaturzeitung 1954 Nr. 3

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Verf. scheint mir zu übersehen, daß das entscheidende Moment der Apo-
kalyptik, nämlich der Dualismus, nicht innerjüdisch zu erklären ist. Die
religionsgeschichtliche Sicht fehlt und auch die negative Stellung der
Rabbinen zur Apokalyptik wird nicht berührt. Unter der Überschrift
„Cadre de la mystique hellenistique" bietet A. J. Festugiere
(S. 74—85) ein apercu systematique, d.h. eine — ursprünglich für das
Reallexikon für Antike und Christentum bestimmte — Skizze der Grundgedanken
der hellenistischen Mystik. Weitgehend versteht der Verf.
dabei unter diesem Ausdruck das, was wir als Gnosis zu bezeichnen
pflegen. Die Skizze ist ausgezeichnet, und man hofft, daß der Verf. auch
noch die seinerzeit verloren gegangenen Anmerkungen wiederherstellt.
Jedenfalls lohnt sich die Lektüre dieser kurzen Darlegung der Hauptgedanken
der spätantiken Religiosität.

Fragen der neutestamentlichen Theologie werden in 6 Beiträgen
behandelt: R. Bultmann (Das Problem des Verhältnisses von Theologie
und Verkündigung im Neuen Testament: S. 32—42) gibt eine kurze
Darstellung der Geschichte der „Theologie des Neuen Testaments" als
Disziplin, wobei die Kritik an F. Chr. Baur, an der sogen. Religionsgeschichtlichen
Schule und an Schlatter besonders wichtig ist, und führt
dann aus, wie er das Verhältnis von Theologie und Kerygma faßt, das
ja tatsächlich das Grundproblem der neutestamentlichen Theologie ist.
Etwas ausführlicher kehren diese Ausführungen wieder in der Theol. d.
NT von B., S. 577—591. Ed. Schweizer (Zur Interpretation des
Kreuzes bei R. Bultmann: S. 228—23 8) will durch seinen Beitrag die
Debatte um die Entmythologisierung fördern, indem er auf das Problem
des Kreuzes bei B. hinweist. Sch. empfindet die Bultmannsche Interpretation
(das Kreuz als eine Tatsache, die zu der rettenden Änderung des
Selbstverständnisses führen soll) als ungenügend und versucht von drei
Seiten her, Anregungen zu einer besseren Beantwortung der Frage zu
geben. Er verweist auf das Faktum eines „vierfachen Geschichtsberichtes
", den die frühchristlichen Gemeinden dem NT vorangestellt hätten
(der Ausdruck ist äußerst gefährlich und fragwürdig!), sowie auf das
Problem des Glaubensaktes und schließlich auf die Frage der Offenbarung
der Liebe Gottes am Kreuz. Die Ausführungen scheinen mir aber
nicht sehr weiterführend. H. Riesenfeld (La descente dans la
mort: S. 207—217) gibt einen kurzen Überblick über die Vorstellungen
vom Tode im AT und im Judentum und analysiert dann die Aussagen
des NT über den Tod. Nach dem NT gibt es für den Menschen eine
doppelte Möglichkeit, den Tod zu begreifen: descente definitive dans
la mort für den Menschen, der unter der Sünde steht, oder Tod als
überwundene Größe dadurch, daß der Christ durch das Kreuz Christi
und die Taufe Anteil am Siege Christi über den Tod erhält. Auch wenn
manches im einzelnen fragwürdig bleibt, so ist dieser kleine Aufsatz
doch recht beachtenswert. B. R e i c k e (The New Testament Concep-
tion of Reward: S. 19 5—206) betrachtet den Lohngedanken im NT von
drei Seiten aus. 1. Die Inanspruchnahme des Menschen durch Gott,
2. Der Dienst des Menschen hier auf Erden, und 3. Die Vergeltung im
Eschaton. Der eigentliche Lohn ist die Gnade Gottes, die in der Gemeinschaft
mit ihm durch Christus in der Kirche sich dokumentiert.
R. weist weiter darauf hin, daß das ntl. Missionsdenken die Bekehrten
als Lohn betrachtet. Jedenfalls ist der Lohngedanke ein notwendiger
Teil der christlichen Theologie. F. C. G r a n t (The Impracticability of
the Gospel Ethics: S. 86—94) geht dem Problem der Ethik nach und
meint unter ständiger Bezugnahme auf aktuelle Probleme (Eigentum,
Ehe, Rassenfrage), daß eine neue Moraltheologie nottut, wobei die Gefahr
der Kasuistik vermieden werden muß, auch wenn eine gewisse Kasuistik
nicht zu umgehen ist. Man wird von der idealistischen Interpretation
der Predigt Jesu nicht restlos überzeugt. J. M u n c k (Discours
d'adieu dans le Nouveau Testament et dans la litterature biblique:
S. 155—170) untersucht, ausgehend von den alttestamentlichen und
spätjüdischen Vorbildern der Abschiedsreden, Act. 20, 17—38; I.Tim.
4, 1 ff.; II. Tim. 3, 1 ff. und weitere Ausprägungen dieser literarischen
Form im NT (II. Petr., Joh.). Er weist eindrucksvoll die Unterschiede
zu den jüdischen Vorbildern auf, die sachlich begründet sind. Vor allem
ist wichtig der Hinweis auf die Bedeutung des Todes der Apostel für
die antihäretische Ausgestaltung dieser Abschiedsreden.

Schließlich sind noch 6 Beiträge zu nennen, die sich mit Problemen
der Alten Kirche befassen: M.Simon (Retour du Christ et recon-
struetion du Temple dans la pensee chretienne primitive: S. 247—257)
erörtert die Stellen des NT und der späteren christlichen Literatur, an
denen vom neuen Tempel und von der Erscheinung des wiederkehrenden
Christus die Rede ist. Während das judenchristliche Element der frühen
Christenheit eine Synthese der beiden Gedanken des neuen Tempels
und der Wiederkehr Christi vertritt, kennt die heidenchristliche
Predigt nur die Parusie. Später verschiebt sich die Problematik: Christo-
zentrische Mystik und Ekklesiologie treten an die Stelle der alten Vorstellungen
. Die Studie ist ganz ausgezeichnet! Der Beitrag von N. A.
Dahl (La terre oü coulent le lait et le miel: S. 62—70) ist eine sorgfältige
und überzeugende Interpretation der schwierigen Stelle Bam. 6,
8—19, die darüber hinaus grundsätzlich für das Verständnis des Barnabasbriefes
wichtig ist. J. De Zwaan (Some Remarks on the „Church-

idea" in the Second Century: S. 270—278) geht den Wandlungen der
Vorstellungen von der Kirche nach. An dem Material des NT und der
nachkanonischen Literatur des 2. Jahrhunderts zeigt der Verf., wie sich
die Bilder und Vorstellungen gewandelt haben. Wichtig ist die Warnung
, nicht zu sehr mit dem Begriff „Kirche der ersten drei Jahrhunderte
" zu operieren. Man wird aber zu fragen haben, ob die Vorstellung
von der Kirche im NT nicht bereits vielschichtiger ist, als es vom
Verf. dargestellt wird (Luk., Past.f). H. Ch. P u e c h (Origene et l'exe-
gese trinitaire du Psaume 50, 12—14: S. 180—194) liefert einen wichtigen
Beitrag zur Geschichte der Exegese. Er macht klar, daß die in der
lateinischen Kirche seit Ambrosius und bis ins Mittelalter hinein begegnende
trinitarische Auslegung von Psalm 50, 12—14 auf Origenes
zurückgeht. In dem von Cadiou herausgegebenen Psalmenkommentar des
Cod. Vindobon. 8 begegnet diese Bezugnahme zum ersten Mal. Eine
Untersuchung der Echtheit dieser Auslegung rundet die Untersuchung
ab. W. S e s t o n (A propos de la Passio Marcelli centurionis. Remarques
sur les origines de la persecution de Diocletien: S. 239—
246) untersucht die Einzelheiten dieses Martyriums und zieht zum Vergleich
die anderen Soldaten-Martyrien aus dem Ende des dritten und
dem Anfang des vierten Jahrhunderts heran: Es handelt sich um Martyrien
, die aus der Abwehr der göttlichen Verehrung der „Jovier und
Herculier" heraus erfolgt sind und die in Kriegszeiten stattgefunden
haben. Die Revolution des Herrscherkultes unter Diocletian ist der
letzte Anlaß zu diesem Blutzeugnis, nicht aber eine antimilitaristische
Haltung, wie der Verf. auch durch einen Vergleich mit Tertullian deutlich
zu machen weiß. Eine Ergänzung zu seinem Artikel xolatp{£a>
im Theol. Wörterbuch bietet K. L. Schmidt ('foaovs Xgiardg xo-
XcKpiiößevoc: und die „colaphisation" der Juden: S. 218—227). Ausgehend
von einer Analyse der Verspottungsszene (Mk. 14, 65 par. und
15,16—20 par.) untersucht Schmidt die Nachgcschichte des Wortes
xolcuptCco, insbesondere im Französischen, und zeigt auf, wie der Sprachgebrauch
durch einen mittelalterlichen Volksbrauch bestimmt ist: In der
Osterzeit wurden Juden als Vergeltung der Mißhandlung Jesu mißhandelt
. Wichtig ist diese Studie auch für II. Kor. 12,7. Weiter wird auch
der sprachliche Einfluß der Vulgata deutlich, wobei zu beachten ist, daß
auch die Vetus latina xolarrttw als Fremdwort übernommen hat (jedenfalls
a, d, c; ffJ und q haben colaphis agere; f, 1 und aur: colaphis
caedere).

Der ganze Sammelband, dem ein Bild des Empfängers dieser
Ehrengabe beigegeben ist, stellt so eine schöne Gemeinschaftsleistung
dar, durch die dem Dank für die vielfachen Anregungen
und Förderungen, die die neutestamentliche Wissenschaft und die
kirchengeschichtliche Forschung durch Goguel erfahren haben, ein
würdiger Ausdruck gegeben wird.

Güttingen W. Schneemelcher

ALTES TESTAMENT

Rudolph, Wilhelm: Esra und Nehemia samt 3. Esra. Tübingen:
Mohr 1949. XXXII, 220 S. gr. 8° = Handbuch zum Alten Testament,
hrsg. v. Otto Eißfeldt. Erste Reihe 20. DM 15.60; geb. DM 18.—.

Nachdem W.Rudolph erst 1947 in Eißfeldts Handbuch seinen
Jeremia-Kommentar hat erscheinen lassen, legt er bereits
zwei Jahre später einen wissenschaftlichen Kommentar über Esra
und Nehemia einschließlich 3. Esra vor.

In der umfangreichen Einleitung, die der Einzelauslegung
vorausgeht und die einen sehr guten Überblick über deren Ertrag
liefert, bespricht Verf. zunächst das Kanonproblem, das mit dem
gesamten chronistischen Werke verbunden ist. Hieraus ergibt
sich von selbst die Behandlung des apokryphen 3. Esra-Buches.
Dabei wird das Augenmerk vor allem auf das Sonderstück
3. Esra 3, 1—5, den Wettstreit der drei Leibwächter des Darius,
gelenkt. Besonders verdienstvoll ist es, daß Verf. im Anhang
(S. 216—219) eine neue kritische Übersetzung dieser apokryphen
Tradition vorlegt, als deren Wurzel er nach Vorgang anderer
eine Erzählung griechischer Herkunft ansieht, die sekundär jüdisch
überarbeitet wurde (S. V). Im übrigen ist 3. Esra in bezug
auf die Textgeschichte der Teile, die es mit der kanonischen
chronistischen Literatur gemeinsam hat, von besonderer Bedeutung
(S. XV f.). Weiterhin wird der Text der kanonischen Bücher
Esra und Nehemia behandelt. Hierauf folgt der geschichtliche
Aufriß in der Gestalt, wie der Chronist sich die Folge der Ereignisse
vorgestellt hat, und anschließend werden die Quellen besprochen
, die dem Chronisten mutmaßlich vorgelegen haben. Bezüglich
der Abfassungszeit des chronistischen Werkes vertritt
Verf. die Meinung, daß der Chronist „um 400 oder wenig spä-