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Ausgabe:

1954 Nr. 3

Spalte:

141-144

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Aux sources de la tradition chrétienne 1954

Rezensent:

Schneemelcher, Wilhelm

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Theologische Literaturzeitung 1954 Nr. 3

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ALLGEMEINES: FESTSCHRIFTEN

[G o g u e 1 - Festschrift]: Aux sonrces de la tradition chretienne. Melanies
offerts ä M. Maurice Goguel ä I'occasion de son soixante-
dixieme anniversaire. Neuchdtel, Paris: Delachaux & Niestie [1950].
XVI, 280 S., 1 Titelb. gr. 8°. sfr. 12.-.

Zum 70. Geburtstag (20. 3. 1950) des großen französischen
Gelehrten Maurice Goguel haben sich 27 Schüler, Kollegen und
Freunde zusammengetan, um den Jubilar durch eine Festgabe zu
ehren. Es ist eine sehr reichhaltige Gabe, die — von Cullmann
und Menoud herausgegeben - vorgelegt worden ist. Nicht alle
Beiträge stammen aus der Schule des Altmeisters der französischen
neutestamentlichen Forschung, aber alle Mitarbeiter fühlen sich
ihm verbunden in der Arbeit am NT und an der Geschichte der
Alten Kirche. So spiegeln denn diese Aufsätze die Vielfalt und
den Reichtum des Lebenswerkes Goguels wider, von dem die
bereits 1946 veröffentlichte Bibliographia Gogueliana Coniec-
tanea Neotestamentica X, Upsala 1946) einen überwältigenden
Eindruck vermittelt hat.

Es ist wohl bei einer solchen Gemeinschaftsarbeit nicht zu
vermeiden, daß das Niveau nicht einheitlich ist. So wird man bei
manchen Beiträgen und Thesen Fragen und Bedenken anzumelden
haben. Der Rezensent dieser Festschrift muß sich allerdings mit
kurzen Hinweisen auf den Inhalt und auf offene Fragen begnügen
, ohne nun in die Debatte von Einzelheiten eingehen zu
können.

Die Beiträge sind alphabetisch angeordnet, werden hier aber
sachlich geordnet. Das Hauptgewicht des Bandes liegt naturgemäß
auf der neutestamentlichen Exegese.

4 Aufsätze sind Fragen der Synoptikerforschung gewidmet: W. G.
Kümmel (Das Gleichnis von den bösen Weingärtnern, Mark. 12, 1—9:
S. 120—131) analysiert dieses schwierige Gleichnis. Es handelt sich um
eine Allegorie, die nicht auf eine einfachere Urform zurückzuführen ist.
Die allegorische Schilderung betrachtet die Gegenwart als heilsgcschicht-
liehe Endzeit. Das bedeutet aber, daß die Perikope nicht von Jesus selbst
stammt, sondern „aus der Situation nach dem Tode Jesu und der Entstehung
der Urkirche mit ihrem Bekenntnis zum erhöhten Gottessohn"
(S. 131) zu erklären ist. Wichtig ist dabei das Problem der Bezeichnung
„Sohn Gottes" als Messias-Titel. R. E p p e 1 (L'interpretation de Mat-
thieu 16,18b: S. 71—73) versucht durch Rückübersetzung ins Hebräische
(m'iXat = T?"'1? dafür ~ nvXomol) den richtigen Text von
Mt. 16, 18 zu erweisen und damit die Einheit des Wortes 16, 18 sicher
zu stellen. Aber ist der hebr. Urtext des Mt. so sicher? Mit Rückübersetzungen
läßt sich alles und nichts beweisen I Vgl. zu der Frage jetzt
noch O. Cullmann, Petrus S. 227. J. Hering (Un texte oublie: Mat-
thieu 18, 10. A propos des controverses recentes sur le pedobaptisme:
S. 95—102) interpretiert SyyeXoc an dieser Stelle als contrepartie invi-
sible de son ätre und zieht Folgerungen für die Taufliturgie (nicht so
sehr der Gedanke der Todestaufe ist zu betonen, sondern der der Geistbegabung
), ohne daß diese Gedanken überzeugen. F. J. Leenhardt
(La parabolc du Samaritain. Schema d'une exegese existentialiste: S. 132—
138) bietet eine Meditation über Luk. 10, 25—37.

3 Aufsätze behandeln johanneische Fragen: F. M. Braun (Qui
ex Deo natus est. Jean 1, 13: S. 11—31) versucht die Lesart iynvv^tj
als die richtige und ursprüngliche zu erweisen. Er behandelt die äußere
Bezeugung, wobei vor allem die Benutzung und Verwertung der Zitate
aus der patristischen Literatur fragwürdig erscheint. Weiter werden
innere Gründe für diese Lesart angeführt, die aber von einem dogmatischen
Vorverständnis des Textes bestimmt sind. Und schließlich versucht
B. die Ursprünge der Lesart aufzuweisen und die Gründe für die
geringe Bezeugung. Der Aufsat: vermag nicht zu überzeugen (vgl. die
Anmerkung bei Bultmann, Joh. komm. S. 37; Bultmann wird von Braun
nicht zitiert). O. Cullmann (EtStn mü hfUntvotV. La vie de Jesus
, objet de la „vue" et de la „foi", d'apres le quatrieme Evangile:
S. 52—61) geht aus von der Meinung Goguels, daß auch das vierte
Evangelium Elemente enthält, die für den Historiker brauchbar sind, und
untersucht das Verhältnis von „Sehen" und „Glauben" im Johanncs-
evangelium, um die Korrespondenz dieser beiden Begriffe herauszuarbeiten
und insbesondere auf die Bedeutung des Begriffes der Heilsgeschichte
für das Verständnis des Johannesevangeliums hinzuweisen. „Les
evenements historiques sont comme une prefiguration de ce qui se
passe dans la vie de l'Eglisc, plus particulierement dans le culte et dans
les sacrements de l'Eglise" (S. 60). Die hier zu Tage tretende Auffassung
von der Botschaft des Johannesevangeliums und weiter von der

Aufgabe der NT-Theologie steht in erheblichem Widerspruch zu dem,
was etwa Bultmann in seinem Johanneskommentar vorträgt und was
er audi in diesem Band (s. u.) sagt. Es ist für die heutige Situation in
dieser Disziplin wohl höchst charakteristisdi. daß sie solche Gegensätze
umfaßt. C. S p i c q (L'origine johannique de la coneeption du Christ-
pretre dans l'Epitre aux Hebreux: S. 2 5 8—269) will den Zusammenhang
zwischen dem Hebr. und dem johanncischen Schrifttum (einschl. Apokalypse
) beweisen. Der zeit- und religionsgeschichtliche Hintergrund
(Opposition zu Kybelc und Attis) soll die Entstehung des Hebr. erklären
. Fraglich bleibt dabei, ob der Verf. nicht übersieht, daß die Vorstellung
von dem Hohenpriester im Hebr. nicht das verbindende Glied
zu dem Johanncsevangelium darstellt (die Apokalypse läßt man wohl
besser aus der Debatte).

Die Apostelgeschichte wird in 3 Beiträgen behandelt: L. Cerfaux
(Citations scripturaires et tradition textuelle dans le Livre des Actes:
S- 43—51) untersucht die alttestamentlichen Zitate in Act. und arbeitet
das Verhältnis zu dem Text der LXX heraus. Der Beitrag ist wichtig,
weil das Problem des Cod. D dadurch vielleicht eine Förderung erfahren
kann. Der Verf. meint: „D coinciderait avec la Constitution des collec-
tions de livres du Nouveau Testament; B representerait l'effort savant
de l'Eglise d'Alexandrie" (S. 51). Die Vermutung eines Zusammenhanges
des Luk. mit einer Zitatensammlung bleibt leider unbeweisbar. P. B e-
noit (Remarques sur les „sommaires" de Actes 2, 42 ä 5: S. 1—10)
analysiert die 3 Summarien Act. 2,42—47; 4,32—35; 5,12—16. Er
hält dabei 2,42. 46—47; 4,32. 34—35; 5,12. 15—16 für ursprünglich
(Tabelle S. 3). Zu beachten sind die wechselseitigen Beeinflussungen. Die
F.inschübe gehen auf einen Redaktor zurück, der die Summarien schon
vorfand. Dieser Redaktor ist nicht identisch mit Lukas. Die Zweiquel-
Ientheorie (Harnack) wird abgelehnt. Die Schlußthese des Verf. geht
dahin, daß er meint, die Apg. sei von Luk. nicht vollendet, sondern
von Schülern und Freunden herausgegeben. Einen sehr schönen Beitrag
liefert Ph.-H. Menoud (La mort d'Ananias et de Saphira. Actes 5,
1—11: S. 146—154). Er bietet eine einleuchtende Interpretation dieser
schwierigen Perikope, die doch einen einzigartigen Bericht darstellt, der
offensichtlich auf ein einzigartiges Ereignis zurückgeht. Nach der Meinung
des Verf. läßt sich dieses einzigartige Ereignis näher bestimmen:
es ist der Tod der ersten Christen in der Gemeinde nach Pfingsten.
Dieser Tod mußte von der Gemeinde, gemäß ihrem Selbstbewußtsein,
als Strafe für Sünde angesehen werden. M. vergleicht weiter die Aussagen
über den Zusammenhang von Sünde und Tod im übrigen NT
und meint, daß eine irrige Meinung früh aufkommen konnte, wonach
eben ein Christ nicht sterben konnte (vgl. auch 1. Kor. 11, 29—30).
„Si toutefois la mort fait son oeuvre, c'est qu'elle vient frapper des
croyants infideles ä leur vocation. Iis meurent, parce qu'ils ont eux-
memes rompu la communion qui les unissait au Christ vivant" (S. 153).

Den paulinischen Briefen ist nur ein Beitrag gewidmet, nämlich der
von Th. P r e i s s (Vie en Christ et ethique sociale dans l'Epitre ä Phi-
lemon: S. 171—179). Pr. versucht den Philemonbrief als weder revolutionär
noch konservativ zu interpretieren. Der Apostelbegriff, sowie der
Gedanke der gegenseitigen Repräsentation sind wichtig für das Verständnis
dieses kleinen Billets, das uns zeigt, daß auch die Sozialethik
im Zeichen des Sieges des neuen Menschen steht. 4 Aufsätze befassen
sich mit der religionsgeschichtlichen Umwelt des NT: Unter Anknüpfung
an die schwedische religionsgeschichtliche Forschung versucht J. G.
H. Hoffmann (Jesus messie juif: S. 103—112) nachzuweisen, daß Jesus
sich in seinem ganzen Leben und nicht nur in den letzten Stunden
als Messias gewußt hat und daß er dabei jüdische Vorstellungen vom
Messias benutzt und deren verschiedene Ausprägungen (Königsideologie,
Menschensohn) mit einander verbunden habe. Dabei erheben sich aber
gegen die einflächige und kritiklose Interpretation der evangelischen
Berichte schwere Bedenken. Auch dem Beitrag von J. Jeremias gegenüber
(Zum Problem der Deutung von Jes. 53 im palästinischen
Spätjudentum: S. 113—119) wird man manche Frage anzumelden haben.
J versucht darzulegen, daß man aufgrund der hexaplarischen Überlieferung
jetzt deutlich machen kann, daß Aquilas Übersetzung von Jes. 53
von der Absicht getragen ist, dem christologischen Schriftbeweis der
Christen den Boden zu entziehen. Die messianische Deutung von Jes. 53
war — so meint ]., aus diesem Tatbestand schließen zu können — im
palästinischen Judentum fest verankert und eingewurzelt. Auch das
Targum Pseudojonathan (5. Jhdt.) soll diese alte Tradition aufbewahrt
haben. Nun kann hier auf diese Frage nicht näher eingegangen werden.
Es sei darauf verwiesen, daß Jeremias inzwischen den Artikel jmfc &10O
im Theol. Wtb. veröffentlicht hat, in dem er seine These breiter unterbaut
hat, und daß andererseits die Kritik eines anderen Rabbinisten,
nämlich K. G. Kuhn (in ThLZ 1950, 399—408) mir mehr einleuchtet
als die Ausführungen von Jer. — T. W. Manson (Some Reflections on
Apocalyptic: S. 139—145) will die Beziehungen zwischen Apokalyptik
einerseits, Gesetz und Prophetie andererseits aufhellen. Am Beispiel der
Interpretation des Danielbuches durch Josephus zeigt er, wie man versucht
hat, im Spätjudentum mit der Apokalyptik fertig zu werden. Das
Vordringen der Thora zeigt ja audi eine gewisse Rationalisierung. Der