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Ausgabe:

1954 Nr. 2

Spalte:

105

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Titel/Untertitel:

Jahresberichte für deutsche Geschichte; N.F. 1,1949 1954

Rezensent:

Steinborn, Erwin

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105 Theologische Literaturzeitung 1954 Nr. 2 106

KIRCHEN GESCHICHTE: ALLGEMEINES

Jahresberichte für deutsche Geschichte. N. F. 1. Jahrg. 1949. Im Auftrage
d. Deutschen Akademie d. Wissensch, zu Berlin hrsg. v. Albert
Brackmannf und Fritz Härtung. Berlin: Akademie-
Verlag 1952. XI, 80 S. gr. 8°. DM 7.—.

Es ist hocherfreulich, daß die für die Geschichtswissenschaft
unentbehrlichen Jahresberichte nach einer Pause von 10 Jahren
dank der Förderung durch die Deutsche Akademie der Wissenschaften
zu Berlin wieder erscheinen können. Der verdiente langjährige
Herausgeber, Albert Brackmann, hat leider das Erscheinen
nicht mehr erlebt. Der erste Band der Neuen Folge, der von den
Bibliothekaren Dr. Konrad Kettig und Dr. Heinrich Kunze
mustergültig bearbeitet ist und die Literatur des Jahres 1949
verzeichnet, führt 964 Titel von Büchern, Dissertationen und
Aufsätzen an; er zeigt, daß nach dem Zusammenbruch von 1945
die wissenschaftliche Arbeit wieder in starkem Aufstieg begriffen
ist. Während die Jahresberichte früher aus 2 Teilen, der Bibliographie
und den Forschungsberichten, bestanden, sind die Forschungsberichte
leider fortgefallen; an ihre Stelle treten bei manchen
Titeln kurze Inhaltsangaben. Die Herausgeber selbst bezeichnen
dies als einen bescheidenen Ersatz. Ihre Absicht, die
Berichterstattung auszubauen, kann man nur begrüßen.

Das Werk umfaßt drei Teile: einen allgemeinen Teil (z.B.
Neuere deutsche Geschichtsschreibung, Historische Hilfswissenschaften
), die allgemeine deutsche Geschichte in chronologischer
Reihenfolge und die einzelnen Zweige des geschichtlichen Lebens
(Rechts-, Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte, Wirtschafts-
und Sozialgeschichte, Kirchen- und Kirchenverfassungsgeschichte,
Staatsanschauungen und Geistesgeschichte). Ein für bibliographische
Ermittlungen sehr nützliches Verfasser- und Titelregister
erhöht den Wert des Werkes.

Die Leser der ThLZ werden sich vor allem für die Literatur
zur Kirchen- und Kirchenverfassungsgeschichte (S. 51—59) interessieren
. Man sieht hier, wie die vor dem Zweiten Weltkriege
blühende territoriale und lokale Kirchengeschichtsforschung wieder
einsetzt.

Hoffentlich ist es möglich, die folgenden Bände in kürzerem
Abstand zu den Berichtsjahren herauszubringen.

Münster (Wesll.) Erwin Steinborn

BI in zier. Joseph: Das Turiner Grablinnen und die Wissenschaft.

Ettal: Buch-Kunstverlag [1952]. 56 S. gr. 8°. Kart. DM 4.80.

Vor einiger Zeit wurden in dieser Zeitschrift (ThLZ 76, 1951,
553-5 5 5) zwei Publikationen angezeigt, die sich mit dem sogenannten
Turiner Grablinnen befassen: Das Buch des Hauptvertreters
der Echtheitshypothese, des Arztes R. W. Hynek, und eine
kleine Schrift des Lutheraners K. A. Meissinger, der sich für die
Echtheit dieser Reliquie einsetzte. Es wurde damals darauf hingewiesen
, daß nach wie vor von einem Beweis der Echtheit dieses
Tuches nicht gesprochen werden kann, daß hier vielmehr in hochgelehrt
aussehendem Gewand der kirchlichen Öffentlichkeit etwas
angepriesen wird, was keinen Anspruch auf hohes Alter und
Echtheit erheben kann. Nun legt J. B 1 i n z 1 e r — durch seine
gründliche und gelehrte Arbeit über den Prozeß Jesu wohlbekannt
— eine kleine aber äußerst wichtige, ja man kann wohl
sagen vorläufig (nämlich bis zur Freigabe des Tuches für eine
genaue Untersuchung) abschließende Studie zu diesem Problem
vor. Es geht dem Verf. darum, „jene an der Frage interessierten
Christen, die nicht in der Lage sind, sich die ausgedehnte, zum
überwiegenden Teil im Ausland erschienene neuere Literatur zu
besorgen, über den gegenwärtigen Stand des Problems knapp
und zuverlässig zu informieren" (Vorw.). Nicht nur diesen Zweck
hat die Schrift voll und ganz erreicht, sondern noch mehr: Es ist
nach den Ausführungen BI.'s kein Zweifel mehr möglich an der
Tatsache, daß das sogen. Turiner Grabtuch ein Erzeugnis des
14. Jahrhunderts ist (näherhin der Jahre 1353—55, vgl. S. 31),
und daß damit dieses Tuch nun endgültig aus der wissenschaftlichen
Diskussion zu verschwinden hat.

In 5 Abschnitten geht Bl. sorgfältig allen Einzelfragen nach. Unter
der Überschrift: ,,Das faszinierende Antlitz. Grundsätzliches zum üblichen
Beweisverfahren" rechnet er zunächst (S. 7—10) mit der Methode
ab, die bisher die Diskussion auf der Seite der Echtheitsfanatiker bestimmt
hat. Die wichtigsten Verfechter dieser Hypothese werden aufgezählt
, und es wird gezeigt, wie sie — trotz der Beteuerung ihrer Wis-
sensdiaftlichkeit — doch immer vom Gefühl her argumentieren. Wahr
ist, was gefällt: das ist ihr LeitmotivI Bl. stellt dagegen mit Recht
fest: „Die Debatte um Turin wird nie zu einem Ende kommen, wenn
sie nicht, frei von leidenschaftlichem Überschwang und billiger Schlagwortpolemik
, ausschließlich auf der Ebene sachlicher, verantwortungsbewußter
Prüfung ausgetragen wird" (S. 10). Der 2. Abschnitt ist der
„Geschichtlichen Bezeugung" gewidmet (S. 11—13). Besonders wichtig
sind dabei die zu diesem Abschnitt gehörigen Anmerkungen 22—27
(S. 36—44). Hier wird unter genauester Prüfung der Zeugen und der
Dokumente nachgewiesen, daß es sich bei diesem Tuch um ein Kunstwerk
eines Malers aus der Mitte des 14. Jahrhunderts handelt, das
bereits in seiner Zeit als Gemälde und nicht als Reliquie angesehen
worden ist. Anm. 22 geht allen Einzelheiten der Bezeugung nach, um
zu zeigen, daß das Grabtuch nicht vor 13 53 bekannt war, daß es vor
allem nicht identisch sein kann mit einem oder mehreren Tüchern in
Konstantinopel, und daß schließlich auch die in Konstantinopel bezeugten
Reliquien nicht vor dem 11. Jahrhundert nachweisbar sind. (Allerdings
ist mir fraglich, ob die Stelle bei Joh. Damasc, De imag. or III
34 — zitiert S. 38 — nicht doch darauf schließen läßt, daß man zu dieser
Zeit schon eine solche Reliquie kannte. Aber das wäre auch die
älteste Bezeugung und trägt vor allem für unsere Frage nichts aus.
Meine seinerzeit geäußerte Vermutung, eine derartige Reliquie könne
aus der Zeit der Helena stammen, läßt sich nicht halten!)

„Die Sindone di Torino feierte ihren Geburtstag in den fünfziger
Jahren des vierzehnten Jahrhunderts", so hat schon 1903 P.M. Baumgarten
geschrieben (zitiert S. 44). Leider hat sich die Fortsetzung dieses
Wortes („zu Grabe getragen wurde sie mit großem Gefolge und wenigen
Leidtragenden im Jahre 1903. Eine Auferstehung wird ihr niemals
mehr beschieden sein") nicht erfüllt, denn sonst wäre ja auch die
Schrift von Bl. nicht mehr nötig gewesen. Wie nötig sie ist, zeigt aber
auch die Bestreitung der Kompetenz der Historiker in dieser Frage
durch Hynek und andere, die mit Hilfe der Naturwissenschaft meinen,
die Echtheit beweisen zu können. Es ist nun äußerst eindrucksvoll, wie
Bl. in dem 3. Abschnitt („Der Indizienbeweis vom Objekt her",
S. 14—19) all diese Phantastereien entkräftet und die pseudo-natur-
wissenschaftlichen Lösungsversuche als fragwürdige Hypothesen erweist.
Insbesondere betont er, daß ein Indizienbeweis vom Objekt her bisher
immer unzulänglich bleiben mußte, weil er als Objekt ja nur die photographische
Aufnahme, niemals aber das Grabtuch selbst benutzte. Mit
Recht betont der Verf., daß es höchste Zeit wäre, endlich einmal das
Tuch selbst zu untersuchen. Aber offensichtlich haben gewisse Kreise
ein Interesse daran, eine solche Untersuchung, die ja wohl sicher die
Uncchtheit erweisen würde, zu verhindern.

Der 4. Abschnitt ist der Exegese der neutestamentlichen Berichte
gewidmet („Der biblische Befund", S. 20—27). Bl. will hier zeigen,
„daß und wie die scheinbar differierenden Überlieferungen (sc. der
Synoptiker einerseits und des Johannes andererseits) in Einklang zu
bringen sind und in welcher Umhüllung der Leichnam des Herrn am
Abend des Karfreitags ins Grab gelegt wurde" (S. 20). Bl. sieht in dem
Johannesbericht (Joh. 19, 40—42) den genaueren und die Aussagen der
Synoptiker weiterführenden Bericht. Der Sprachgebrauch wird von ihm
genau untersucht, und vor allem wird durch einen Vergleich mit Joh. 11
versucht klarzustellen, daß es sich bei dem Grabtuch Jesu nicht um
e i n Tuch, sondern um mehrere Tuchstreifen gehandelt habe. Auch die
sogen. Kinntuch-Hypothese wird genauestens widerlegt (S. 25). „Was
die Evangelien von Jesu Bestattung und von den dabei verwandten Tüchern
berichten, macht die These von der Echtheit des Turiner Grabtuches
nicht bloß unwahrscheinlidi, sondern schlechthin unmöglich."
Der Verf. weiß selbst, daß seine Ausführungen in diesem Abschnitt auf
einer bestimmten Auffassung vom Geschichtswert des Johannesevangeliums
beruhen, die nicht von allen Forschern, insbesondere nicht von
protestantischen Exegeten, geteilt wird (vgl. Anm. 67). Ich meine allerdings
audi, daß hier einige Fragen zu einflächig gesehen werden, kann
aber nicht näher darauf eingehen.

In einem Schlußabschnitt („Die vermutlichen Entstehungsverhältnisse
und Endurteil") faßt Bl. zusammen: „Das Turiner Linnen kann
nicht identisch sein mit einem der Tücher, die bei Jesu Grablegung
Verwendung gefunden haben" (S. 28), um dann noch die Zeit und die
Art und Weise der Entstehung zu skizzieren. Besonders eindrucksvoll
ist das Bild bei S. 33, das den modernen Abdruck einer Büste des Malers
Gericault zeigt. Dieses Bild ist das Ergebnis eines Versuches von
Prof. Clement-Paris, mit dem er den technischen Vorgang der Entstehung
des Turiner Tuches deutlich erklärt hat.

?24 Anmerkungen (S. 3 5—54), auf deren Bedeutung schon hingewiesen
wurde, unterbauen die Ausführungen des Verf., ein Literatur-