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Ausgabe:

1954 Nr. 2

Spalte:

104

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Sahlin, Harald

Titel/Untertitel:

Die Beschneidung Christi 1954

Rezensent:

Jeremias, Joachim

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103

Theologische Literaturzeitung 1954 Nr. 2

104

Bei der Feststellung des in der Urkirche vorliegenden Tatbestandes
bedarf es — sagen wir einmal: einer schonungslosen
Unbarmherzigkeit gegenüber der eigenen Dogmatik. Wer biblische
Theologie treiben will, muß sich rücksichtslos in das Fleisch der
eigenen Dogmatik schneiden können. Diese Fähigkeit vermissen
wir bei unserem Verfasser. Wenn auch unabsichtlich, vergewaltigt
er die geschichtliche Wirklichkeit. Mit Kleinigkeiten fängt
es an. Der Satz (S. 41), daß in der Apostelgeschichte niemals
Kinder ausdrücklich genannt werden, ist zumindest mißverständlich
. Apg. 2, 39 sind die Kinder vielleicht sogar in Verbindung
mit der Taufe gebracht. Jedenfalls aber sind sie 21, 5 als Gemeindeglieder
erwähnt. Was die Oikosstellen betrifft, so ist es
ein Fehlschluß, daß Ign. Pol. 8, 2 die Kleinkinder nicht einbegriffen
seien, texvcl bezeichnet hier sichtlich erwachsene Kinder,
die bereits einen eigenen Hausstand haben, vielleicht im Hause
der wohl verwitweten Mutter. Ob diese „Kinder" ihrerseits wieder
Kinder haben, darüber ist nichts gesagt. Für den biblischen
Sprachgebrauch beweist die Stelle angesichts der vielen anderweitigen
Belege vollends nichts. Für die nicht gerade neue These,
daß die Säuglingstaufe eine Erfindung des endenden zweiten Jahrhunderts
sei, ist auch der Verfasser jeden Beweis schuldig geblieben
. Der ganz vereinzelte Widerstand gegen die Säuglingstaufe bei
Tertullian hat sichtlich dogmatische Hintergründe und beweist gegen
die durch den consensus der ganzen Kirche, ausdrücklich von
Origenes bezeugte apostolische Tradition der Kindertaufe nichts.
Gerade in neuester Zeit haben sich die patristischen Zeugnisse für
das höhere Alter der Kindertaufe von Justin und Polykarp ab
gemehrt. Ist die Taufe auch nirgends ausdrücklich erwähnt,
so ist sie doch gemeint. Damit wird Verf. auf sieben Zeilen (0
fertig. Will er uns auf sein noch ausstehendes größeres Werk vertrösten
? Eine ausführlichere Erörterung wäre schon jetzt nötig
gewesen. Daß man über die Kindertaufe erst zu reden begann,
als sie nicht mehr selbstverständlich war, ist erklärlich. Vollends
befremdlich ist die Ablehnung der Analogie der Proselytentaufe.
Verf. hält die Heranziehung der „späten" Zeugnisse der Mischna
zur Erklärung des NT für „methodisch unzulässig", verwendet
aber selbst wenige Zeilen später (S. 21) den Babli, vielleicht gar
den erst um 1300 nachweisbaren, sachlich zwar älteren Talmudtraktat
Gerim anstandslos in seinem Sinn. S. 36 müssen Talmudstellen
auch als Gegenargument gegen „Familiensolidarität
" dienen. Sie reden aber nur von Mann und Frau, nur
einmal von erwachsenen Kindern. Über 1. Kor. 7, 14 ff.
gehen bekanntlich die Meinungen auseinander. Deutlich ist
aber, daß Paulus mit einer Art von „Kollektivheiligkeit"
rechnet (v. 14), diese aber als Heilsgrundlage nicht gelten
läßt (v. 16) und daher an der Notwendigkeit der Taufe für
jedes einzelne Familienglied festhält, was auch für die Kinder
gelten wird. V. 14b betrifft wahrscheinlich nur die Mischehenkinder
und wirft kein Licht auf die herrschende Taufsitte.
Ist die Taufe die Eingliederung in den Leib Christi, so entsteht
die Frage, ob die Kinder nicht zu ihm gehören, vielmehr erst als
Heiden aufwachsen müssen. Sollte Paulus der Meinung gewesen
sein, daß die Kinder der Israeliten von den Wundererfahrungen
des Wüstenzuges ausgenommen waren, oder daß für sie der
Durchzug durch das Rote Meer, das Wandern unter der Wolke
keine Gottesbegegnung, Manna und Wasser aus dem Felsen keine
pneumatische Speise, kein pneumatischer Trank gewesen seien,
weil sie noch nicht glaubten? Die Argumentation von 1. Kor. 10,
1—13 beruht doch gerade darauf, daß selbst die Ungläubigen und
Ungehorsamen real die Gnadengaben Gottes empfangen, wenn
auch nicht zum Segen.

Nach allem muß es nach wie vor als höchst wahrscheinlich
gelten, daß schon die Urkirche die Kindertaufe geübt hat. Ob
uns das lieb oder leid ist, gibt nicht den Ausschlag. Hinter der
Bestreitung der These steckt nicht bessere geschichtliche Erkenntnis
, nicht strengere Methodik, sondern ein dogmatisches Werturteil
. Kann wenigstens dies sich auf das NT berufen? Der Satz:
,,Es wird... im ganzen NT niemandem das Heil zugesprochen,
der nicht zuvor an Christus glaubt" (S. 39) steht im Widerspruch
zu Mk. 10, 14 f. Um einen bloßen Vergleich handelt es sich hier
nicht, denn Jesus will ja gerade begründen, daß die Kinder zu ihm
gebracht werden, also am Heil Anteil haben sollen. Die Taufe ist
zwar buchstäblich nicht erwähnt, aber daß die Überlieferung der

Kindersegnungsperikope mit ihr mancherlei zu tun hat, ist nicht
Vorurteil „lutherischer" Dogmatik, sondern das haben gerade die
neuesten Verhandlungen seit Windisch wahrscheinlich gemacht.
Von ihr führt ein Weg zur urchristlichen Sakramentsauffassung,
und für sie dürfte bei dem Verf. das volle Verständnis fehlen.
Er kämpft mit vollem Recht, im Sinne des gesamten NT, gegen
ein magisches Sakramentsverständnis, vermag aber als Gegenglied
der Antithese nur ein sacramentum fide formatum zu sehen. Die
Wirkung des Sakraments beruht auf einer Addition von hypothetischer
göttlicher Selbstdarbietung und menschlichem Glauben,
und eben das ist unbiblisch. Gott macht wirksam den Anfang, und
dadurch wird der Mensch in die Entscheidung gestellt. Jene Additionsvorstellung
vermag nicht einmal vor dem Zurückgleiten in
magische Vorstellungen zu schützen. Verf. kann schreiben, daß
die Taufe im Sinn des Paulus den Christusgläubigen „verwandle"
(S. 48). Das ist gerade nicht die Meinung des Apostels, der die
Gläubigen und Getauften ermahnt, zu sein, was sie sind.

Die ausführliche Besprechung möchte gezeigt haben, daß wir
dem Verf. für viel Richtiges und Wichtiges zu danken haben und
daß wir ihm auch dann bereitwillig in die Auseinandersetzung
folgen, wenn er uns Wege führt, die von unserer „Dogmatik"
abführen. Überzeugt hat er uns freilich trotz aller aufgewandten
Mühe nicht.

Leipzig Albrech» Oe pke

Symbolae Biblicae Upsalienses. Supplementhäften tili Svensk Exe-
getisk Arsbok 12. Harald Sah 1 in: „Die Beschneidung Christi".
Poul Nepper-Christensen: Wer hat die Kirche gestiftet? —
Comptes rendus par E. Dhorme et H. H. Rowley. Lund: Glcerup;
Kopenhagen: Munksgaard 1950. 53 S. 8°. Kart. skr. 5.—.

H. S a h 1 i n bietet eine Auslegung von Eph. 2, 11—22, die
nachweisen möchte, daß die Parallelisierung von Taufe und
Beschneidung der Schlüssel zum Verständnis des Abschnittes sei
(was man kaum wird sagen können). — Treffende Beobachtungen
bringt der Aufsatz von P. N e p p e r-C hristensen. In Auseinandersetzung
mit W. G. Kümmel lehnt er dessen These, daß
das Kirchenbewußtsein der Urgemeinde aus ihrer Geschichtsdeutung
entstanden sei, als moderne Konstruktion ab („Kann ein
Kirchenbewußtsein wie das urchristliche wirklich durch eine Art
.Schlußfolgerung' entstehen?" S. 23). Er stellt dem die These entgegen
: Jesus weiß sich als den verborgenen Messias, der schon
jetzt das neue Gottesvolk um sich schart. „Ostern und Pfingsten
haben nichts prinzipiell Neues geschaffen, sie haben aber das,
was Jesus sagte und wollte, bestätigt, erfüllt, verwirklicht"
(S. 29). — Den Schluß bilden zwei sehr ausführliche Rezensionen.
E. D h o r m e bespricht S. Nyström, Beduinentum und Jahwis-
mus, Lund 1945 (zurückhaltend), H. H. R o w 1 e y äußert sich
zu G. A. Danell, Studies in the Name Israel in the Old Testament
, Uppsala 1946 (bei aller Anerkennung starke methodische
Bedenken, vor allem wegen der Ablehnung der Literarkritik).

Güttingen Joachim Jeremias

Dibelius, Otto, Bischof D.: Die werdende Kirche. Eine Einführung
in die Apostelgeschichte. 5., neu durdiges. Aufl. Hamburg: Furche-
Verl. [1951]. 334 S. 8° = Die urchristliche Botschaft. Eine Einführung
in die Schriften des NT, hrsg. v. O. Schmitz. 5. Abt. Lw.
DM 12. 80.

In 5., neu durchgesehener — aber nicht viel veränderter —
Auflage liegt nunmehr der Kommentar zur Apostelgeschichte
von Otto Dibelius vor. In seinem Charakter hat er sich nicht
verändert; er will, wie es der Sammlung „die urchristliche Botschaft
" entspricht, nur eine Einführung bieten, ist sehr lebendig
und gegenwartsnah geschrieben und für jedermann verständlich.
Er ist für die Hand des Nicht-Theologen bestimmt. Im Vorwort
heißt es: .....unter den Laien ist (in der Kirche) eine Bewegung
spürbar geworden. Man will für das Leben der Kirche eine
Mitverantwortung tragen. Man will mitarbeiten auf allen Gebieten
der kirchlichen Arbeit. Man will seinen Mann stehen gegen
alle Bedrohung und Bekämpfung des christlichen Glaubens. Man
sucht dafür Anleitung..." Unter diesen Gesichtspunkten ist dieses
Buch von der Werdenden Kirche entstanden. Es wird darum
von vielen auch in seiner neuen Auflage mit Dankbarkeit in die
Hand genommen werden.

Frankfurt/M. H. Seesemann