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Ausgabe:

1954 Nr. 2

Spalte:

98

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Buisman, Wolfram

Titel/Untertitel:

Du und die Religion 1954

Rezensent:

Mensching, Gustav

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Theologische Literaturzeitung 1954 Nr. 2

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macht der Ätman offenbar Sein Wesen"; aber die Erwählung
durch Gott an dieser Stelle ist ein survival. Ferner: wenn Shan-
kara von Gott spricht, so verbirgt er nicht, daß er eine zwar
allen anderen überlegene, aber eben doch auch eine Erscheinungsform
des Brahman ist, also keine absolute, sondern eine nur auf
die Erscheinungswelt beschränkte Wirklichkeit besitzt.

Damit empfängt der zweite Vedänta-Lehrsatz, den I. ausführlicher
behandelt: „Es ist das Ziel des menschlichen Lebens,
diese göttliche Natur zu verwirklichen" (S. 9 ff.), sein eigentliches
Gepräge. Er besagt, daß der Mensch Gott als den Lirgrund
aller Dinge erkennen muß, so daß die Schranken, die beide trennen
, fallen. Aber das Letzte ist nicht diese Erkenntnis, sondern
der Gott und Mensch gleicherweise gesetzte Untergang im Brahman
. Diesem Letzten gegenüber stimmen nach dem dritten von
I- behandelten Lehrsatz des Vedänta „alle Religionen im wesentlichen
überein" (S. 17 ff.). I. rühmt in diesem Zusammenhang
die indische Duldsamkeit. Auch hier gilt es klarer zu sehen. Einmal
hat es in den Bezirken der „niederen Wahrheit", in denen
der Mensch noch mit Gott und der Verwirklichung seiner göttlichen
Natur beschäftigt ist, in Indien bis heute nicht an Intoleranz
gefehlt. Sodann aber erscheinen im Licht der „höheren
Wahrheit" mit ihrem Absolutheitsanspruch für das Brahman
jene Bezirke als eine quantite negligeable, deren Duldung keineswegs
als echte Toleranz zu bezeichnen ist. I. meint, der dritte
Lehrsatz sei zwar „vom psychologischen Standpunkt aus sehr
wichtig", mache aber „weniger Erörterung notwendig" (S. 17).
Das mag auf das Verhältnis des Vedänta zu den indischen Religionen
zutreffen; Christus und Allah jedoch fügen sich, anders
als etwa Vishnu und Shiva, in sein Toleranzschema nicht ein.
I. gibt das auch zu: „Christen und Mohammedaner (nicht Mo-
hamedaner!) bleiben dabei, ihre eigenen Religionen als den einzig
wahren Glauben anzusehen" (S. 17), und sollten sich doch, das
ist seine Meinung, dem — im Gewand der Toleranz dargebotenen
— Absolutheitsanspruch des Vedänta beugen! Anstatt nun,
darüber verärgert, die Nichtwilligen als „Sektierer und Dogma-
tiker" zu bezeichnen (S. 17), hätte I. das Wesen der Religionen,
auch der ihnen allen angeblich gemeinsamen Mystik, ausführlich
erörtern müssen. Dann hätte audi der Satz: „Der wahre Monist
verachtet den Dualismus niemals" (S. 18) sich in seiner Vorläufigkeit
erwiesen.

Was I. in seiner „Einführung", die auch kurz über das Leben
und Wirken Rämakrishnas und Vivekänandas berichtet,
„prüft", entfalten die folgenden Aufsätze in mannigfachen Abwandlungen
. Teils sind sie persönliche Bekenntnisse ihrer Verfasser
zum Vedänta, teils Versuche, die Wissenschaftlichkeit des
Vedänta zu beweisen, und als solche bestimmt „für alle, die sich
für Religion, als einer Vereinigung von Wahrheit und Liebe, interessieren
" (!; S. 72). Als drittes kennzeichnen sie das Bemühen,
Christus die Ehrfurcht zu erweisen, die ihm als einem in „einer
unbegrenzten Zahl persönlicher Aspekte" des „einen unpersönlichen
Brahman" gebührt (S. 18). Die rein religionsphänomeno-
logisch unmögliche Vereinerleiung von Gedanken und Worten
Jesu mit solchen indischer Religionsstifter und Heiliger macht
die Parole „Vedänta, ein wissenschaftlicher Zugang zur Religion"
(S. 67) von vornherein unglaubwürdig.

immerhin, der Vedänta bietet in diesem Buch der christlichen
Kirche und Theologie die Hilfe seiner „umfassenden und
scharfsinnigen Metaphysik" und seiner „praktischen psychophy-
sischen Technik" an (S. 483). Dies Angebot ist kurzschlüssig
und für sie unannehmbar. Aber auch der Vedänta - ganz gewiß
nicht, weil es einige wenige Vedänta-Gesellschaften im Westen
gibt, sondern als eine der eindrucksvollsten und geschlossensten
Unternehmungen des Menschen, sich selbst zu erlösen — ist einer
der vielen Anlässe, die die christliche Verkündigung nicht nur in
Indien, sondern auch im Westen immer neu zur Besinnung auf
ihren Auftrag rufen. Es sei dazu auf zwei Beiträge hingewiesen,
die das Evangelische Missions-Magazin in Basel in Heft 5 seines
96. upd Heft 1 seines 97. Jahrganges (1952 bzw. 1953) über
..Vedäntaphilosophie und Christusbotschaft" gebracht hat.

Tübingen Oerhard Rosenkranz

Buisman, Wolfram: Du und die Religion. Eine Einführung in das
religiöse Leben der Mensdiheit. Berlin: Deutscher Verlag [1952].
392 S. m. 230 Abb., 32 Taf. 8°. Lw. DM 18.50.

In einer Reihe „Unterhaltsame Wissenschaft" erschien dieses
Buch über die Religion, das man nach dem Thema und nach
der diesem Thema hier gewidmeten Behandlung eigentlich nidit
unter den Begriff „Unterhaltung" bringen sollte, zumal auch die
vom Verfasser ausgesprochene Absicht nicht darauf gerichtet ist,
den Leser zu unterhalten, sondern zu begründeter Entscheidung
für Religion zu leiten.

Das mit charakteristischem Bildmaterial vortrefflich ausgestattete
Buch ist in vier Abschnitte eingeteilt. Nach einem ersten
einleitenden Teil „Der Weg zur Religion" werden im zwei-
ten-Abschnitt „die Bausteine der Religionen" (die Vorstellungen
des Göttlichen, Formen der Frömmigkeit, Weltanschauung und
Lebensauffassung, Mythologie, Theologie und heilige Bücher)
erörtert. Es handelt sich hier also um eine Art Phänomenologie
der Religion. Der dritte Abschnitt zeichnet ein „Bild der Religionen
", ist also eine kurz gefaßte, sehr sachgemäße allgemeine
Religionsgeschichte. Der vierte Abschnitt handelt von „Wesen
und Wert der Religion".

Das Buch ist zwar ausgesprochen populär geschrieben, vermeidet
indessen in bemerkenswerter Weise jede Verflachung und
unsachliche Vereinfachung. Es zeugt von großer Sachkenntnis
und einem tiefen Verständnis für das innere Wesen religiösen
Lebens.

Im einzelnen wären natürlich viele kritische Anmerkungen möglich
. So scheint z. B. dem Ganzen noch eine evolutionistische Auffassung
der Religionsgeschichte zu Grunde zu liegen. Seite 86 wird behauptet
, Opfer und Gebet träten an die Stelle magischer Zauberhandlungen
. Abgesehen davon, daß auch Opfer und Gebete magische Struktur
haben können, sind Opfer und Gebet auch neben Zauberhandlungen
geschichtlich möglich. Der Abschnitt über die primitive Religion
(S. 123 ff.), der übrigens vieles aus Abschnitt 2 (S. 42 ff.) wiederholt
, leidet daran, daß allzu sehr bestimmte Vorstellungen und Kultformen
, wie z. B. mana und Geisterglaube, als allgemeiner Besitz der
Naturreligionen angesehen werden, während doch die verschiedenen
Naturreligionen sich erheblich von einander unterscheiden.

Diese und manche andere Einwendungen, die man noch
vorbringen könnte, beeinträchtigen nicht das Gesamturteil, daß
hier eine für ihren Zweck der verstehenden Einführung in die
Welt der Religion vorzüglich geeignete Darstellung vorliegt.

Bonn Gustav Mensching

Harva, Uno: Die religiösen Vorstellungen der Mordwinen. Helsinki:
Academia Scientiarum Fennica (in Komm, bei Otto Harrassowitz.
Wiesbaden) 1952. 456 S. m. 14 Abb., 1 Kt. gr. 8° = FF Communications
ed. for the Folklore Fellows by W. Anderson u. a. Vol. LX,
2, N: o 142. fmk 1300.

Die Mordwinen wohnen jetzt in einzelnen Siedlungen, die
auf dem großen Gebiet zwischen Nischni-Novgorod und Sara-
tov, aber auch östlich der Wolga, ja sogar bis Sibirien zerstreut
sind. Wir können dies finnische Volk bis auf Nestors Chronik
(im 11. Jh.) zurückverfolgen, wo sie noch geschlossen an der
Mündung der Oka wohnten, ja sogar bis zu einer gelegentlichen
Notiz in der Gotengeschichte des Jordanes. Im 15. Jahrh. setzen
unsere Zeugnisse für die Religion der Mordwinen ein und gegen
Ende des 19. Jahrh.s hat besonders Heikki Paasonen auf mehreren
Forschungsreisen Untersuchungen angestellt, dessen umfangreiches
Material neben anderem auch dem vorliegenden Buch zugrunde
liegt. Seit der Mitte des lS.Jahrh.s gehörten nach einer
Massenbekehrung die Mordwinen wenigstens dem Namen nach zur
griechisch-katholischen Kirche; doch haben sich viele heidnische
Bräuche und religiöse Vorstellungen bis an die Schwelle der
Gegenwart erhalten; russische und andere Einflüsse sind gelegentlich
nachzuweisen. In einer systematischen Darstellung wird von
dem (inzwischen 1949 verstorbenen) Verfasser der überlieferte
Stoff dargeboten, wobei die Quellen jeweils angegeben sind. Zunächst
wird der Seelenglaube und der Totenkult behandelt, dann
die einzelnen Gottheiten und schließlich eine Reihe von einzelnen
Festen und Bräuchen besprochen. Dabei kommen die Quellen
selbst ausführlich zu Wort, vergleichendes Material wird nur
ganz selten beigezogen, obwohl die einzelnen Vorstellungen