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Ausgabe:

1954 Nr. 2

Spalte:

96-97

Kategorie:

Religionswissenschaft

Titel/Untertitel:

Vedanta und wir 1954

Rezensent:

Rosenkranz, Günter

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Theologische Literaturzeitung 1954 Nr. 2

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penbildungen innerhalb der bestehenden Religionsgemeinschaften
führt, und den radikalen Protest, bei dem es zur Abspaltung
kommt. Was Wach hierbei über den vielverhandelten Sektenbegriff
ausführt, macht m. E. zweifelsfrei klar, daß z. B. eine „Konfessionskunde
" ohne soziologische Kategorien gar nicht auskommen
kann.

Der dritte Sachkreis ist wohl derjenige, welcher in dem Buch
am meisten mit religionsgeschichtlichem und völkerkundlichem
Material geladen ist. Hier verfolgt Wach unter geographischem
Gesichtspunkt, dann von den primitiven zu den höheren Kulturformen
aufsteigend und schließlich innerhalb der Weltreligionen,
wie sich die soziale Differenzierung, also die „Arbeitsteilung"
und ständische Schichtung in religiöser Hinsicht auswirkt. Bei der
Analyse der religionssoziologischen Strukturen in Asien, Europa
und Amerika tauchen in der Darstellung Wachs stärker, als es
sonst in dem Buche der Fall ist, Probleme der Spätentwicklung,
der Dekomposition und der Entkirchlichung auf. Doch sind diese
Fragen mehr nur angeschnitten, denn daß man sie als bewältigt
bezeichnen könnte.

Der vierte Fragenkreis betrifft das Verhältnis der Religion
zum Staat. Hierbei kommt nun auch das Problem des Rechtes
stärker als bisher in den Vordergrund. In gewissem Sinne wiederholen
sich hier die Formen der Identität zwischen natürlicher
und religiöser Gemeinschaft sowie die kritischen Formen des Auseinandergehens
, der Auseinandersetzung und des Gegenübers.
Dabei fällt ebenso ins Gewicht die Verhaltungsweise der staatlichen
Macht zu den religiösen Kräften wie die unterschiedliche
Einstellung der religiösen Gemeinschaften zum Staate. Es handelt
sich dabei nicht um eine im Einzelfall starre Typik, sondern
mitunter durchläuft das gegenseitige Verhältnis eine ganze Skala
von Wandlungen. Wach zeigt in diesem Zusammenhang am Beispiel
der Weltreligionen abrißhaft, wie das aussehen kann. Aber
der Wandel selbst hat dann typische Bedeutung.

Schließlich wendet sich das Buch noch den Typen religiöser
Autorität zu. Es überschneidet sich hierbei sachlich weitgehend
mit der Religionsphänomenologie von G. van der Leeuw (1933),
der in den Kapiteln „Der heilige Mensch" und „Stifter" etwa
denselben Themenkreis behandelt. Doch ist hier bei Wach nicht
nur der beherrschende Gesichtspunkt ein anderer, sondern in
jedem Fall kann ja bei der knappen Behandlung hier wie dort
eine Ergänzung und Bereicherung nur willkommen sein.

Von besonderem Wert ist das zusammenfassende Schlußkapitel
, in dem Wach abschließend noch einmal zur RS selbst
Stellung nimmt. Er betont, daß durch die ganze Fragestellung die
theologischen, philosophischen und metaphysischen Probleme nicht
beseitigt sind. Der Historismus ist vorbei. Aber auch eine vorschnelle
Verankerung in einer partiellen „Wahrheit" unter Absehung
von den über alles Menschliche hinübergreifenden Gesetzen
ist keine vertretbare Lösung. Wach weiß auch, daß die
bloße Typik nidit das Ganze ist, und daß sich bei immer näherem
Zusehen unendliche Spielarten finden, in denen sich die eigentlichen
Entscheidungen des menschlichen Lebens vollziehen. Aber
es ist gut, sich von der RS gewissermaßen einen Überschlag über
die wirkenden Kräfte geben zu lassen, über die zerstörenden ebenso
wie über die aufbauenden. Und es ist Wachs Überzeugung,
daß die konstruktive Kraft weit überwiegt. So weit, daß er geradezu
sagen kann: „daß die vollkommene Integration einer Gemeinschaft
ohne eine religiöse Basis niemals erreicht worden ist
noch erreicht werden kannn." (S. 438).

Die von Wach herangezogene Literatur ist geradezu erdrückend
. Sie entstammt freilich überwiegend der amerikanischen
Forschung und wird hierzulande vielfach kaum zugänglich sein.
Andererseits vermißt man, da die herangezogene europäische,
vor allem deutsche Forschung kaum über das Jahr 1930 hinausreicht
, manchen Titel. So wirkt das Buch wie ein Mahnzeichen an
den Stand der Wissenschaft in der westlichen Welt, wie eine Frage
vor allem an die deutsche Theologie, wie sie es denn seither mit
dem Erbe von M. Weber und E. Troeltsch gehalten habe.

Auch inhaltlich wirkt sich die amerikanische Forschungstradition
stellenweise fühlbar aus, vor allem in den zugrundeliegenden
Begriffen. Der Begriff der „Gesellschaft" vermag doch

nicht ganz dem gerecht zu werden, was „Volk" bedeutet. Ob der
Begriff des „Clans" allen Erscheinungen gerecht wird, die darunter
von Wach befaßt werden, ist mir ebenfalls fraglich. Der so folgenreiche
Begriff der „Amphiktyonie" (so! und nicht „Amphik-
tionie") kommt bezeichnenderweise nur einmal vor (S. 96). Daß
manche Tatsachenbereiche unbeachtet geblieben sind, würde Wach
selbst am wenigsten bestreiten. Ich möchte nur an die freilich
sehr schwer faßbare RS des Nomadentums erinnern, und an das
Wallfahrtswesen im Zusammenhang mit den Lokalkulten.

Überraschend ist es, daß die Probleme des religiösen Verfalls
, des „Aufhörens" der Religion, ihres Versinkens in der
Profanität von Fall zu Fall zwar flüchtig gestreift, aber nirgends
grundsätzlich behandelt wurden. Wenn schon Wach — mit allem
Vorbehalt — zwischen den ursprünglichen, tradierten und den
„neuen" Religionen unterscheidet, und dem Stadium des darüber
hinausliegenden „Protestes" eine so besonders liebevolle Aufmerksamkeit
zuwendet, liegt es dann nicht nahe, zu fragen, was
als „Phase darnach" etwa kommt — ein Problemkreis, der uns
so unmittelbar auf den Leib rückt?

Die protestantische Theologie hat sich seit einem Menschenalter
in zunehmendem Maße von den Problemen der Religionswissenschaft
dispensiert. Die Religionsphilosophie ist ohnehin
ad acta gelegt. Die Religionspsychologie kehrt langsam, aber von
außen, in den Kreis der Interessen zurück in dem Maße, wie die
Fragen des persönlichen Lebens brennend werden. Die Religionsgeschichte
klopft an die Tore der alttestamentlichen Wissenschaft
und der Missionskunde. Sie bringt beunruhigende Fragestellungen
mit. Möchte das gewichtige Werk Wachs, dessen großes Werk
zur Hermeneutik unvergessen und unveraltet unter uns ist, auch
dazu beitragen, jene Fragen dringend zu machen, die die moderne
Theologie nicht länger ignorieren kann. Denn die Religionswissenschaft
ist nun einmal die Unruhe in der modernen Theologie.

Göttingen Wolfgang Trillhaas

Isherwood, Christopher: Vedanta und Wir. Mit einer erläuternden
Einführung hrsg. Mit Beiträgen von Swami Adbhutananda, Sri Chai-
tanya, Amiya Corbin, John van Druten, Guido Ferrando, George Fitts,
Gerald Heard, Allan Hunter, Aldous Huxley, Christopher Isherwood.
Frederick Manchester, Swami Prabhavananda, Swami Shivananda, Swami
Vivekananda, Christopher Wood, Swami Yatiswarananda. Zürich: Rascher
1949. 512 S. 8°. Lw. DM 21.—

Der Titel der amerikanischen Originalausgabe dieses Buches
— „Vedanta for the Western World" — bringt deutlicher als
der Titel der deutschen Übersetzung zum Ausdruck, welches Ziel
der Herausgeber verfolgt: er möchte dem indischen Vedanta
Anhänger im Westen gewinnen, wie es sie in den Vereinigten
Staaten und in geringerer Zahl in England, Argentinien und
Paris bereits gibt. Die westlichen Vedäntisten haben sich zu
selbständigen Vedänta-Gesellschaften innerhalb der von Vivekananda
(f 1902) gegründeten und von ihm nach seinem 1886
gestorbenen Meister Rämakrishna genannten Rämakrishna-Mis-
sion zusammengeschlossen und unterhalten eine Zeitschrift, der
die 68 Aufsätze des vorliegenden Sammelbandes entnommen
sind.

Es ist der Vedänta des Shankara, zu dem sich die Räma-
krishna-Mission bekennt. Für ihn ist das absolute, eigenschaftslose
Brahman das allein Wirkliche, mithin die Welt zwar nicht
in ihrer Erfahrbarkeit, aber in ihrer Beziehung zum Brahman
nichtwirklich. Auch wo die Lehre der Rämakrishna-Mission, was
weitgehend der Fall ist, unter den Einflüssen westlichen Denkens
steht, ist ihr Wirklichkeitsbegriff dadurch nicht erschüttert.

I. „prüft" in seiner „Einführung" zunächst den ersten der
drei Vedänta-Lehrsätze: „Die wahre Natur des Menschen ist
göttlich" (S. 7). Sie ist göttlich, weil das Brahman, das den
Menschen als der Ätman innewohnt, mit Gott gleichgesetzt
wird. Es ist nicht unwichtig zu wissen, daß diese Gleichsetzung
in den Upanishaden, den heiligen „großen Worten" (mahäväkya)
des Vedänta nicht begründet ist. Zwar zitiert der Swdmi Pracha-
vänanda in seinem Aufsatz „Die göttliche Gnade" (S. 82 ff.) einen
Upanishaden-Vers — es handelt sich um Katha-Upanishad
2, 23 —: „Nur wen Er erwählt, von dem wird Er begriffen; ihm