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Ausgabe:

1954

Spalte:

93-96

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Wach, Joachim

Titel/Untertitel:

Religionssoziologie 1954

Rezensent:

Trillhaas, Wolfgang

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zung mit dem hebräischen Text gegen alle bekannten griechischen
Handschriften übereinstimmt. Ferner finden sich im sahidischen
Text eine ganze Anzahl von Dubletten, bei denen die hebräische
Lesart entweder zu dem gewöhnlichen Text hinzugefügt
ist oder beide vermischt erscheinen. Die Dublette folgt in jedem
Falle auf den ersten Text ohne besonderen Hinweis.

Origenes berichtet, daß er in der Septuaginta der Hexapla
solche Stellen, die im hebräischen Text nicht zu finden sind,
mit einem Obelos versehen habe, daß er andererseits anderes
nach den Parallelübersetzungen in Übereinstimmung mit dem
hebräischen Text zugesetzt habe, was sich in der Septuaginta
nicht finde, und daß er diese Zusetzungen mit einem Asterisk
versehen habe.

Wenn wir annehmen, daß in Septuaginta-Texten der Hexa-
pla Obelos und Asterisk fortgefallen sind, wie es oft der Fall
gewesen ist, so müßten wir da Dubletten finden, wie sie in der
sahidischen Übersetzung vorhanden sind.

Groussouw weist nach, daß bei den Kleinen Propheten an
175 Stellen die Angleichung an den Hebräer deutlich vorliegt.
An 104 Stellen davon sind die Lesarten der vier Parallel-Über-
setzungen (Aquila, Symmachus, Theodotion, Quinta) ganz oder
teilweise bekannt, und zwar ist an 56 Stellen das ganz sicher
nachzuweisen und an 34 weiteren Stellen sehr wahrscheinlich. In |
den übrigen 14 Fällen setzt die Übersetzung einen anderen Text j
voraus, aber an keiner dieser 14 Fälle kennen wir die Lesarten
aller vier Parallelversionen. Es ist also doch wohl, trotz Ziegler,
damit zu rechnen, daß die Angleichungen an den hebräischen
Originaltext in der sahidischen Übersetzung der Hexapla entnommen
sind.

Wenn wir uns nun der Tatsache erinnern, daß die sahidische
Übersetzung aus ganz offiziellen christlichen Kreisen hervorgegangen
und daß sie um die Mitte des 3. Jahrhunderts gemacht

worden ist, so liegt der Schluß nahe, daß der offizielle Septua-
ginta-Text, den Origenes für die 5. Kolumne der Hexapla festgestellt
hat, die Grundlage der sahidischen Übersetzung gebildet
hat. Das wird besonders nahegelegt durch die eigenartigen Dubletten
. Wir wissen von Origenes selber, wie er dazu gekommen
ist, sie in seinen Septuagintatext aufzunehmen, und finden sie
im sahidischen Text wieder. Wir wissen, daß der Septuagintatext
der Hexapla gerade im Laufe des 3. Jahrhunderts eine besondere
Rolle gespielt und hohes Ansehen genossen hat. Wir
denken daran, wie der Presbyter Pamphilus und sein Schüler
Eusebius eifrig bemüht gewesen sind, diesen Septuaginta-Text
immer wieder abzuschreiben und zur Geltung zu bringen. Wir
erinnern uns der interessanten Notiz aus dem Codex Sinaiticus,
auf die kürzlich wieder Sir Harold Idris Bell14 aufmerksam gemacht
hat, daß Pamphilus in der Kerkerzelle, in der er den Märtyrertod
erwartete, alttestamentliche Bibeltexte nach dem Septuaginta
-Text der Hexapla durchkorrigierte. Die Kirche hat den
Septuaginta-Text des Origenes bekanntlich nicht übernommen.
Der in ihr im 4. Jahrhundert offiziell gewordene Septuagintatext
hat mit dem Text der Hexapla nichts zu tun. Er geht auf
weit ältere Quellen zurück.

In der sahidischen Version der Kleinen Propheten haben
wir also sehr wahrscheinlich einen Zeugen für den Septuaginta-
Text des Origenes zu sehen, der vielleicht noch zu Lebzeiten des
Origenes oder jedenfalls sehr bald nach seinem Tode übersetzt
worden ist und der uns bereits im 4. Jahrhundert handschriftlich
belegt ist (Jona in Budge, Biblical Texts), ein Zeuge, der fast
400 Jahre älter ist als die von Paul von Telia im Jahre 616/7
übersetzte Syro-Hexaplaris, die bisher als die Hauptquelle für
die Septuaginta des Origenes gegolten hat.

14) Cults and Creeds in Graeco-Roman Egypt (Forwood Lectures
for 1952) Liverpool 1953, p. 101.

RELIGIONSWISSENSCHAFT

Wach, Joachim: Religionssoziologie. Nach der 4. Aufl. übers, v. Helmut
Schoeck. Tübingen: Mohr 1951. X, 461 S. gr. 8°. DM 29.50;
Lw. DM 32.50.

Als G. Mensching 1947 seine „Soziologie der Religion" vorlegte
, mußte er mit Recht darauf hinweisen, daß bislang eine
systematische Darstellung des Gebietes in Deutschland fehlte.
Das war und ist umso erstaunlicher, als ja in M. Weber und
E. Troeltsch zwei deutsche Forscher der Religionssoziologie (RS)
unverlierbare Anregungen und Gesichtspunkte mit auf den Weg
gegeben haben. Es bedeutet daher einen unschätzbaren Gewinn,
daß nunmehr neben dem genannten Werk von Mensching diese
großartige Gesamtdarstellung von Wach, nach der 4. Auflage von
H. Schoeck ins Deutsche übertragen, vorliegt. Denn in diesem
Werk begegnen sich amerikanische und deutsche wissenschaftliche
Tradition aufs glücklichste. Die systematische Kraft der Zusammenfassung
ist angesichts der Masse des bewältigten rcligions-
geschichtlichen Stoffes bewundernswert. Über Methode und Gesinnung
des Buches mögen Wachs eigene Sätze sprechen:

„Wir hoffen durch eine Prüfung der vielfältigen Wechselbeziehungen
zwischen Religion und sozialen Phänomenen zu einem besseren
Verständnis der Religion beizutragen. Vielleicht ist es nicht ihre vornehmste
Funktion, aber sicherlich eine wesentliche ... Wir können ...
Kundgebungen vom „Ende" der Religion, die vorwiegend auf einer
falschen Identifizierung von religiösem Erlebnis mit der einen oder anderen
seiner historischen Ausdrucksformen beruhen, nicht zustimmen.
Auf die Kategorien „wahr" und „falsch" kann, entgegen dem verbreiteten
Wunsch gewisser Historiker, niemals verzichtet werden. Das Problem
ist, die Bedeutung der Phänomene, die bewertet werden sollen,
korrekt zu interpretieren" (S. 5 f.).

In einem ersten, der Methodologie gewidmeten Teil spricht
sich Wach über die Stellung der RS neben der Phänomenologie,
Psychologie und Geschichte der Religion, nicht zuletzt auch neben
der Theologie aus. Sie ist eine deskriptive Wissenschaft und
will, typologisch und „verstehend" verfahren. RS handelt von

den Wechselbeziehungen zwischen Religion und Gesellschaft und
von deren Formen, wobei Wach eben das Gemeinschaftsleben
neben der Lehre und dem Kultus als den dritten entscheidenden
Ausdruck des religiösen Erlebens darstellt. Er zeigt dann, wie
sowohl die Lehre wie die Verehrung (der Kultus) ihre Integrationskraft
entfalten und religiöse Gemeinschaft erstehen lassen.

Die inhaltliche Entfaltung der RS unternimmt Wach in
5 großen Sachkreisen, deren Inhalt im einzelnen hier natürlich
nur skizziert werden kann. Er bespricht zunächst jene Gemeinschaftsformen
, in denen religiöse und natürliche Gruppierung zusammenfallen
. Er bezeichnet sie gelegentlich einfach als „identische
Gruppen". Er beginnt bei den Familienkulten, um dann
Verwandtschaftskulte und das weite und schicksalsreiche Gebiet
der Lokalkulte darzustellen. Nur mit größter und berechtigter
Zurückhaltung umkreist er dann das Problem der Rassekulte, um
sich den Nationalkulten und den gleichsam quergeschichteten, auf
Geschlecht und Alterstufung beruhenden religiösen Gruppierungen
zuzuwenden. Von diesen ganz auf den wachstümlichen Gemeinschaften
gegründeten und diese ihrerseits integrierenden religiösen
Gruppen unterscheidet nun Wach die „spezifisch religiösen
Gruppen". Damit treten wir in den 2. großen Sachkreis ein. Hier
handelt es sich um solche Gruppierungen, die sich von den
natürlichen Gemeinschaften absetzen und aufgrund eines „neuen"
und eigenen religiösen Erlebnisses entstehen. Hierher gehören
die verschiedenen Formen der Geheimgesellschaften, der Mysterienreligionen
, die sowohl innerhalb älterer Religionsgemeinschaften
als auch mitunter weit über deren Grenzen hinaus ein
eigenes Prinzip der Gruppierung erkennen lassen. Natürlich
spielen in diesem Zusammenhang die gestifteten Religionen eine
besondere Rolle. Ihrer sozialen Typik, dem Jüngerkreis, der
Bruderschaft, der zunehmenden „Verkirchlichung" bis hin zu den
immer wiederkehrenden Problemen der Verfassung, der Gleichberechtigung
und der Hierarchie ist eine reizvolle Darstellung
gewidmet. Sie muß dann zwangsläufig ihre Fortsetzung finden
in der Schilderung der verschiedenen Formen des Protestes gegen
die Veräußerlichung, Erstarrung u. dergl., wobei Wach die beiden
Typen unterscheidet, nämlich den inneren Protest, der zu Grup-