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Ausgabe:

1954 Nr. 1

Spalte:

60

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Müller, Karl Ferdinand

Titel/Untertitel:

Die Neuordnung des Gottesdienstes in Theologie und Kirche 1954

Rezensent:

Müller, Karl Ferdinand

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Theologische Literaturzeitung 1954 Nr. 1

60

rische Bedeutung und die Lebendigkeit der Schriftverwendung im Urchristentum
hinzuweisen. Dabei zeigte sich vor allen Dingen der Mangel
, daß es sich bei den vorliegenden Studien meistens nur um Teilarbeiten
über einzelne Gebiete handelte. Deshalb ist es Aufgabe und
Ziel dieser Arbeit, an Hand der noch sehr wenig untersuchten nach-
paulinischen Briefliteratur sämtliche in Frage kommenden Einzelgebiete
heranzuziehen und sie zu einem einheitlichen Ganzen zu gestalten.

Ausgehend von der Frage, welche Überlieferungen für die Verfasser
der nachpaulinischen Briefliteratur autoritativen Wert haben,
wird festgestellt, daß die Bibel des Urchristentums nicht nur das kanonische
Alte Testament gewesen ist. Denn der Umfang der von den
Christen herangezogenen Überlieferungen ist wesentlich größer. Legendäre
, apokalyptische, hellenistisch-jüdische, heidnische, unbekannte,
christliche Überlieferungen und Sprichworte werden für den Schriftbeweis
verwendet. Freilich kommt unter diesen Überlieferungen der at-
Iichen die größte Bedeutung zu. Das wird nicht nur durch die Menge
der Zitate ersichtlich, sondern auch dadurch, daß es sich bei diesem
Überlieferungszweig meistens um „wirkliche" Zitate, ansonsten aber
sehr oft nur um lose Anspielungen, Begriffe und Vorstellungen handelt.

Der 2. Teil beschäftigt sich mit dem kanonischen Ansehen dieser
autoritativen Überlieferungen. Vor allen Dingen kommt es in diesem
Abschnitt auf die Feststellung an, daß das Urchristentum noch keinen
einheitlich-konstanten Terminus gekannt hat, der die Ganzheit der
atlichen Überlieferung bezeichnet hätte und auch nur einzig und allein
für diese in Anspruch genommen worden wäre. Denn die hier untersuchten
Begriffe ßiß).os, ßißkiov, yoäfifia, avyygaft/ia, ygacpr'j, ygatpai,
vofio; bezeichnen entweder nur einen Teil der atlichen Überlieferung
oder gehen weit über diese hinaus.

Ein weiterer wichtiger Gegenstand der Untersuchung ist das Problem
der Weissagung und Erfüllung und der Heilsgeschichte. Hier liegt
der Ton auf dem vaticinium ex eventu. Es soll dargestellt werden, wie
infolge des durch Christus herbeigeführten Heilgeschehens die autoritativen
Überlieferungen christologisch verstanden, und bestimmte
Schwierigkeiten und Widersprüche bei dieser Deutung geglättet werden.
Außerdem werden die heilsgeschichtlichen Perspektiven einzelner Verfasser
untersucht und auf deren Abweichungen voneinander hingewiesen.

Der 4. Teil trägt die Überschrift: Einwirkungen der christlichen
Frömmigkeit auf die Verwendung der autoritativen Überlieferungen. In
der Untersuchung zeigt es sich, daß die Art der Anführung der einzelnen
Zitate von der jeweils herrschenden Frömmigkeitsform stark abhängig
ist. Entsprechend dem Schwinden der eschatologischen Hoffnung werden
die Zitate, die für die Naherwartung von Bedeutung waren, getilgt und
nunmehr solche ausgewählt, die dieser neuen Situation Rechnung tragen
. Auch in Bezug auf die ethische Entwicklung im Urchristentum
wird ein Wandel in der Auswahl der Zitate deutlich. Allmählich werden
immer mehr solche Stellen ausgewählt, die von der allumfassenden
Liebe zu Gott und den Menschen nichts aussagen, sondern das Wesen
echt jüdischer Gesetzlichkeit und jüdischen Vergeltungsglaubens betonen
. Schließlich zeigt die Verwendung der autoritativen Überlieferungen
in Hinsicht auf die christologische Entwicklung, daß es infolge
der Vergöttlichung Christi zu Vorstellungen kommt, wonach der Christus
im Alten Testament als redend und handelnd gedacht wird und
auch auf sich selbst weissagt.

Was den Weg von der Geistes- zur Buchreligion betrifft, so darf
das Urchristentum nicht schlechtweg als Buchreligion bezeichnet werden.
Denn das allmählich zunehmende Wertlegen auf wörtliche Zitation und
die im Laufe der Zeit immer länger werdenden Zitate, die allmähliche
Anhäufung von Zitationsformeln und auch das quellenmäßig späte Auftreten
einer Vorlesung autoritativer Überlieferungen im Gottesdienst
lassen erkennen, daß erst mit dem Ausgang des Urchristentums auf das
schriftlich fixierte Wort und den Buchstaben besonderes Gewicht gelegt
wird.

In dem letzten Abschnitt, der sich mit den verschiedenen Auslegungsmethoden
befaßt, wird gezeigt, daß nicht Spitzfindigkeit und
Wortklauberei, sondern das Selbstbewußtsein der Christen und die Liebe
zu ihrem Meister die Motive für eine derartige Exegese gewesen sind,
die uns heutigen historisch und logisch denkenden Menschen einfach
verwehrt ist. — Besondere Beachtung in exegetischer Hinsicht verdient
der Hebräerbrief. Eine Spezialuntersuchung dieser Schrift führte zu der
These: Ausgangspunkt und Grundlage für die gesamte Exegese im Hebräerbrief
ist der Psalm 110.

Lohse, Bernhard: Das Passafest der Quartadecimaner. Diss. Göttingen
1952 (Ref. J. Jeremias, Korr. H. Dörries), 96 S.

Die quart. Frage erforderte eine erneute Untersuchung, da einmal

manche überholten Anschauungen noch immer nicht beseitigt sind, andererseits
neue Quellen berücksichtigt werden müssen (vor allem: Epi-
stola Apostolorum, Melitons Passahomilie). Ziel der Arbeit ist es, Inhalt
und Herkunft des quart. Passa zu ermitteln; der Weg dazu: 1. kritische
Quellenanalyse (Euseb h. e. V, 23-2 5 ist sehr tendenziös);

2. Untersuchung des Verlaufs des quart. Passa zum frühest feststellbaren
Termin; 3. Untersuchung des Ursprungs dieses Passa; 4. Ein Anhang
stellt die röm. Osterfeier dem quart. Passa gegenüber (p. 67—8 3).

Die Ergebnisse sind folgende: 1. Die Quart, feiern nur 1 Tag,
ohne voraufgehendes Fasten. 2. Das Passa findet zur gleichen Zeit wie
das jüdische statt: am Vorabend des 15. Nisan bis 3 Uhr morgens.

3. Der Inhalt ist folgender: a) das Passa wird durch stellvertretendes
Fasten für die Juden begangen; b: Ex. 12 wird verlesen und ausgelegt;
c) man erwartet die Parusie am Passatag; d) um 3 Uhr Feier der Agape
und der Eucharistie.

Das Fest hat manche Verwandtschaft mit dem jüdischen Passa
(passim). Andererseits zeigt sich aber gerade an der Fastenpraxis die
Selbständigkeit der ersten Christen gegenüber den Juden. Das quart.
Passa ist wahrscheinlich nichts anderes als die Passafeier der Urgemeinde.

Mann, Ulrich: Spiritualismus und Realismus im christlichen Offenbarungsverständnis
. Theol. Diss. Tübingen 1952, 315 S.

Der Ansatz der Untersuchung liegt in einer Besinnung über
Joh. 5, 17. Daß Christus wirkt wie Gott, ist Kerygma, und eben in,
mit und unter diesem Kerygma wirkt Gott am Herzen des jeweils Angesprochenen
, wirkt Gott also personhaft. Dieses Person-Wirken ist
nicht zu denken ohne Bezug auf Gottes Handeln in der Erniedrigung
des Sohnes bis zum Tode am Kreuz, also in der völligen Kondeszendenz
: Gott wirkt nicht halb, sondern radikal, und sein Wirken reicht
eben in seinem personhaft bestimmten Heilshandeln gänzlich bis in die
Sphäre des Naturhaften hinein. Von hier aus ist dann schließlich das
dritte Wesensmerkmal des Gotteswirkens zu betrachten: Gott allein
ist es letztlich, der alles in allem wirkt.

In dieser Reihenfolge nun muß theologisches Denken von allen
drei Wirkensweisen Gottes zu sagen wissen, will es nicht einer Atrophie
erliegen. Wie steht es in dieser Hinsicht um die heute maßgebende
Theologie?

Der erste Hauptteil der Untersuchung will am Beispiel von
K. Barth, F. Gogarten, und R. Bultmann zeigen, daß die moderne Theologie
zwar von Gottes personhaftem Wirken viel, von den anderen
Wirkensweisen jedoch zunehmend dürftiger zu reden weiß. Sie hat sich
ganz auf den Bereich des Existentiellen geworfen, den Bereich des Naturhaften
dagegen völlig preisgegeben. Die Nähe zur Gnosis hierin ist
nicht zu verkennen.

Der zweite Hauptteil untersucht nun den biblischen Realismus am
Beispiel von Luther, Hamann und Oetinger. Die Untersuchung kommt
dabei zu dem Ergebnis: Evangelische Theologie muß das Erste und Gewichtigste
zu Gottes Personwirken zu sagen wissen; sie darf aber von
den anderen Wirkensweisen nicht schweigen, muß sie vielmehr in ihrem
nachgeordneten Rang zu der ihnen zustehenden Geltung bringen. Dabei
darf es nur die eine Richtung des Betrachtens geben: vom Personhaften
zum Naturhaften; jede Umkehrung wäre natürliche Theologie, eine
heute besonders in Gestalt der neuthomistischen Lehre von der
analogia entis auftretende Denkweise, gegen welche die Untersuchung
sich deutlich abgrenzt.

Die somit herausgearbeitete Denkstruktur findet der Verfasser
vorgezeichnet in K. Heims dimensionalem Denken. Diese Denkweise
aber ist — auf diese These läuft der Gedankengang der Untersuchung
hinaus — die mit modernen Begriffen ausgedrückte Struktur der lutherischen
Lehre von der communicatio idiomatum.

Müller, Karl Ferdinand: Die Neuordnung des Gottesdienstes in
Theologie und Kirche. Ein Beitrag zur Frage nach den theologischen
Grundlagen des Gottesdienstes und der liturgiegeschichtlichen Entwicklung
in der Gegenwart. Diss. Kiel. Erschienen in: Theologie
und Liturgie. Eine Gesamtschau der gegenwärtigen Forschung in Einzeldarstellungen
, herausgegeben von Liemar Hennig, Johannes Stauda-
Verlag, Kassel 1952, S. 197—340.

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