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Ausgabe:

1954 Nr. 1

Spalte:

58-59

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Lohmann, Theo

Titel/Untertitel:

Die Verwendung autoritativer Überlieferungen im Urchristentum mit besonderer Berücksichtigung der nachpaulinischen Briefliteratur 1954

Rezensent:

Lohmann, Theodor

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Theologische Literaturzeitung 1954 Nr. 1

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Der 6. Abschnitt verfolgt die Weiterentwicklung bis zu den Apostolischen
Vätern. Hier ist im allgemeinen die biblische Tradition beherrschend
geblieben, aber bei Ignatius liegt ein deutlicher Einfluß
gnostischen Denkens vor. Der letzte Abschnitt versucht einen Beitrag
zu dem schwebenden Problem der Gnosis zu leisten durch zusammenfassende
Beschreibung der Feuervorstellungen im Corpus hermeticum,
im koptisch-gnostischen Schrifttum und in der mandäischen Literatur
(Lehre vom „lebenden" und „verderblichen, lodernden" Feuer).

Lange, Erwin Rudolf: Sterben und Begräbnis im deutschen und slawischen
Volksglauben zwischen Weichsel und Memel. Eine religiös-
volkskundliche Untersuchung. Diss. Jena 1953, 1 85 S.

Aus der Erkenntnis, daß die mit Sterben und Begräbnis verbundenen
Bräuche ein deutliches Bild der Volksseele vermitteln, ist die
vorliegende Arbeit entstanden. Neben der Heranziehung der Quellen
konnte noch manches aus dem Volksmund erlauscht werden.

Der Hauptteil der Arbeit enthält die Darstellung der Sterbe- und
Begräbnisbräuche von der Urzeit bis zur jüngsten Vergangenheit, die
für das Land zwischen Weichsel und Memel mit dem Jahr 1945 ihren
Abschluß fand. Einleitend wird in Kürze über das Land und seine Bewohner
gesprochen. Der Rückblick auf die Urzeit an Hand der Ergebnisse
, die uns Funde vermitteln, und Vergleiche mit den Totenbräuchen
der heute noch lebenden Urvölker (Pygmäen) zeigt die Gemeinsamkeit
des Totenglaubens in seinen Wurzeln. Den Übergang zur Gegenwart
bildet der Abschnitt über die heidnische Zeit, aus der verläßliche Nachrichten
über die alten Preußen und alten Litauer vorliegen. Die weitere
Darstellung folgt nun dem Gang eines Begräbnisses von den Vorzeichen
und Träumen bis zu den Meinungen über das Leben nach dein Tode.
Es ergibt sich demgemäß eine Aufgliederung nach folgenden Gesichtspunkten
: Die Zeit vor dem Verscheiden. Erste Maßnahmen nach dem
Verscheiden. Versorgung der Leiche. Abschied vom Hause. Der letzte
Gang. Auf dem Friedhof. Leichenschmaus und Leidfarbe. Vampirismus
und lebender Leichnam.

Die Fülle des Stoffes erforderte Beschränkung und straffe Ordnung.
Um der Übersichtlichkeit willen sind die Ergebnisse jedes Abschnitts
abschliefend kurz zusammengefaßt, um in der Gesamtbeurteilung ausführlich
dargelegt zu werden. Diese Beurteilung erfolgt in volkskundlicher
und theologischer Sicht. Einige Sätze mögen das volkskundliche
Ergebnis andeuten: „Von der Urzeit bis in die Gegenwart läßt sich bei
allen Völkern die gleiche Linie verfolgen, die beides zum Ausdruck
bringen will: 1.) die Furcht vor dem Tode, 2.) den Schutz vor den
Toten. Alles, was in Sitte und Brauchtum um Sterben und Begräbnis
entstanden ist und gepflegt wird, kreist vornehmlich um diese beiden
Grundgedanken." (S. 175) In diesen Zusammenhang gehört auch ein
stark ausgeprägter Seelenglaube: Das Eigenleben der Seele überdauert
den Tod! Das ist heute noch oft feste Glaubensmeinung ganz christlicher
Menschen. „Im Blick auf den Wert der Volksmeinungen über
Sterben und Begräbnis ergibt sich die Erkenntnis, daß hier der Ansatzpunkt
zum Verständnis des Menschen in seinem Denken und Fühlen
überhaupt liegt." (S. 179) Die theologische Beurteilung findet ihre Antwort
auf Sterben und Ewigkeit allein in der Bibel. Grundsätzlich muß
festgestellt werden: „Die Kirche denkt ganz anders über Sterben und
Begräbnis, über den Tod und die Toten, als der Volksglaube." (S. 180)
„Von einer Macht der Toten, sei es in schädlichem, sei es in nützlichem
Sinne, weiß die Bibel nichts, sie kennt nur die Verheißung:
„Selig sind die Toten, die in dem Herrn sterben". Offenb. Joh. 14. 13.
(S. 182). Ebenso weiß der christliche Glaube nichts von einer Unsterblichkeit
der Seele, wohl aber von dem Gerichtsernst des Todes, der in Gottes
Hand liegt.

Abschließend wird der Kirche für die Zukunft zur Aufgabe gestellt,
der religiösen Volkskunde als Weg zur Kenntnis des Menschen mehr
Raum und Beachtung zu schenken.

Liebing, Heinz: Die Schriftauslegung Sebastian Castellios. Diss. Tübingen
19 53, XVI, 126 S.

Eine Bestandsaufnahme der bisherigen Castellioforschung zeigt, daß
die Thematik der vorliegenden Publikationen, abgesehen von den biographischen
Untersuchungen, überwiegend bestimmt ist durch den Gesichtspunkt
der Gegnerschaft Castellios zu Calvin in den Fragen der
Toleranz gegen Häretiker und der Prädestination. Als Vorarbeit für
eine Darstellung der Theologie Castellios fehlt bisher eine methodische
Untersuchung seiner Tätigkeit als Übersetzer und Ausleger der
Heiligen Schrift. Dafür bieten die Quellen reichliches Material. Die vorliegende
Abhandlung will demzufolge die Hermeneutik Castellios untersuchen
, sofern ihr Gegenstand die Bibel ist.

In einem ersten Hauptteil werden die historischen Voraussetzungen
für Castellios Schriftauslegung dargestellt. Dabei wirken
im Wesentlichen drei Komponenten: Die humanistische Bildung, die
ihm den Zugang zur klassischen Antike eröffnet; die Geschichte des
Christentums, die ihm die Kenntnis patristischer und scholastischer
Theologie und mittelalterlicher Mystik vermittelt; und schließlich seine
Umwelt, die im Zeichen der Durchsetzung der Reformation nach außen
und ihrer Differenzierung und Formulierung nach innen stand. Am
schwächsten ist in seinem Bewußtsein offenbar die katholische Tradition,
am stärksten wohl das von Castellio selbst kaum unterschiedene In-
und Miteinander von Humanismus und Reformation. Diese Stellung in
seiner Umwelt rückt ihn in die Nähe der spiritualistischen Strömung,
bringt ihn in Spannungen zu seiner Umgebung und gibt ihm zugleich
starke Impulse für seine literarische Tätigkeit. Die Entwicklung der
Theologie Castellios wird aus pädagogischen, gelehrten, erbaulichen
und polemischen Antrieben verständlich, wiewohl sie nicht einfach daraus
abgeleitet werden kann, ebensowenig wie der Inhalt seiner Theologie
aus Überlieferung und Umwelt. Seine markantesten Gedanken,
die ihn am stärksten von Tradition und Umgebung abheben, finden
sich in den nach seinem Tode gedruckten Schriften, besonders in dem
Traktat „De arte dubitandi". Die Schriftauslegung spielt ihrem äußeren
Umfang nach in Castellios Gesamtwerk eine überragende Rolle. Welche
Funktion ihr sachlich zukommt, ist das Problem, das der vorliegenden
Arbeit zugrunde liegt.

Der zweite Teil untersucht Castellios Anschauung vom Wesen
, von der Autorität und von der Verstehbarkeit der Schrift. Sie hat
ihre Würde darin, daß sie Produkt des Heiligen Geistes ist. Sie ist
aber zugleich relativiert dadurch, daß der Geist auch außerhalb ihrer
bleibt, ihr überlegen ist und sie einst überflüssig machen wird. Und sie
ist in sich selbst wieder abgestuft durch eine verschieden große Affinität
ihrer Teile zum Geist. Dieser Sachverhalt wird durch die Begriffspaare
„Spiritus" — „litera" und „verba" — „res" ausgedrückt. Der Kanon
ist praktisch aus der Tradition übernommen, prinzipiell jedoch
offen. Die Schriftautorität ist weder auf Inspiration noch auf kirchliche
Rezeption gegründet, sie beruht auf Inhalt und geschichtlicher Wirkung
der „Lehre" der Schrift. Die Schrift ist zur Entscheidung theologischer
Kontroversen nicht suffizient, weil sie „obscura" ist. Sie muß deshalb,
wenn sie als Autorität in Anspruch genommen und eindeutig verstanden
werden soll, von ihrem Urheber, dem Geist, interpretiert werden.

Der dritte Teil fragt nach einem hermeneutischen Prinzip
Castellios. Diese Untersuchung geht aus von einer Analyse des Geistbegriffes
, sofern er in hermeneutischem Zusammenhang begegnet. Der
Geist erscheint nach der einen Seite hin als materiales Prinzip dessen,
was in der Schrift wesentlich und heilsnotwendig, darum auch klar und
eindeutig ist, nämlich als „Wesen des Christentums", das in seiner
Moralität besteht. Heilige Schrift ist demnach, „was des Menschen
Besserung treibet". Nach der anderen Seite hin wird bei Castellio der
Geist als Kriterium der Evidenz der Schrift mit der menschlichen ratio
identifiziert. Die Einheit beider Prinzipien — der Moralität und der
Vernünftigkeit — liegt in ihrer Bezeichnung als „Geist", in ihrer gemeinsamen
allgemeinen und natürlichen Gegebenheit und in ihrer
Wechselbeziehung: Die Moral wird im Gewissen des Einzelnen wie in
der lex naturalis als aus der Vernunft abgeleitet verstanden, und der
rechte Gebrauch der Vernunft erscheint als moralische Tugend und sittliche
Forderung.

Im v i e r t e n Teil wird die hermeneutische Methode als Weg
von den gegebenen „verba" des Textes zur „res", das heißt zum „sen-
sus spiritualis", der Schrift an der Übersetzung, der Exegese und an
den Regeln des Verstehens aufgezeigt. Das Ziel der Auslegung, die
Schrift in ihrer Einheit und Verbindlichkeit verständlich zu machen,
erreicht Castellio, indem er die ihm überkommenen Formen der Interpretation
(buchstäbliche, allegorische und tropische Auslegung) frei verwendet
. Die Wahl des jeweiligen Verfahrens und das Ergebnis der Auslegung
sind präjudiziert und begrenzt durch die im dritten Teil herausgestellten
hermeneutischen Prinzipien: Moral und Vernunft.

Der abschließende fünfte Teil stellt das Verhältnis von Auslegung
und Anwendung der Schrift an Hand zweier Fragenkreise dar:
am Begriff von Kirche und Ketzer und an der moralischen Kritik der
Reformation, besonders der Rechtfertigungslehre. Für Castellio hat die
Reformation offenkundig nicht das geleistet, was sie sollte. Er macht
dafür letztlich ihre falsche Hermeneutik verantwortlich. Diesen Defekt
glaubt er durch eine moralische Erziehung zum rechten Vernunftgebrauch
heilen zu können.

L o h m a n n, Theo: Die Verwendung autoritativer Überlieferungen
im Urchristentum mit besonderer Berücksichtigung der nachpauli-
nischen Briefliteratur. Diss. Jena 1952.

Nur vereinzelt wurde bisher der Versuch gemacht, auf die histo-