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Ausgabe:

1954 Nr. 12

Spalte:

753-754

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Schlier, Heinrich

Titel/Untertitel:

Die Verkündigung im Gottesdienst der Kirche 1954

Rezensent:

Beckmann, Joachim

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Theologische Literaturzeitung 1954 Nr. 12

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geriet und an all seinem Streben verzagte. Gott hat ihn dorthin
geführt, wo er imstande war, die Frohbotschaft richtig zu vernehmen
. Es enthüllt sich der geheime Sinn der jahrhundertelangen
kirchlich-mönchischen Erziehung: einer muß jetzt zuende denken;
er darf aussprechen, was offenbar viele mit ihm dunkel empfunden
haben. Fortan kennt er kein Sowohl- Als auch mehr, nur
noch ein Entweder-Oder.

Hier darf doch nur mitreden, wer wenigstens von ferne das
coram Deo mit Luther durchlitten hat. Daß sich seit den Tagen
des Jakobus Gewissen und Persönlichkeitsgefühl im christlichen
Raum verfeinert haben, ist doch auch als eine Führung des Geistes
anzusehen.

Die Frage der Rechtfertigung war für Luther die Frage, worauf
der Christ vor Gott seine Zuversicht für Zeit und Ewigkeit
bauen dürfe. Th. Häring berichtet in seiner Glaubenslehre ein
damals in manchen Gegenden Württembergs verbreitetes Scherzwort
, daß die Römischen auf dem Sterbebett lutherisch würden.
Das rühre wohl von der nicht genau verstandenen Tatsache her,
daß in den alten Meßgebeten, die in jener Lage besondere Bedeutung
gewinnen, mit großem Nachdruck Gott nicht als „Schätzer
des Verdienstes", sondern als „freier Spender der Gnade"
bezeichnet werde. Wodurch darf sich der Christ, wenn er sein
Leben bedenkt, gerechtfertigt, von Gott angenommen wissen?
Soll er in der einen Hand seinen Glauben, in der anderen sein
Lebenswerk, so reich es immer ist, vor Gott bringen und sprechen
: da bin ich, ich habe geglaubt, ich habe auch Verdienste erworben
, für das alles erbitte ich die Anerkennung? Wäre dabei
der Glaube nicht auch sofort zum Werk geworden? Und wenn er
wirklich vor Gott, vor seinem alldurchdringenden Auge, vor seiner
heiligen Majestät steht, wird nicht die Hand, die sein Lebenswerk
umfaßt, niedersinken, wird er nicht auch an einem
Glauben, der sein Werk wäre, irre werden müssen? Aber daß ihn
Gott in Christus zu sich kommen läßt, daß der Christ von allem,
was sein Werk ist, absehen darf — wie ungereimt ist es, hier
von Krampf zu reden —, daß Gott uns befiehlt (ein Grundgedanke
der Apologie), seiner Zusage zu trauen, das ist doch unser
einziger Trost im Leben und im Sterben. Was wird aus unserer
evangelischen Seelsorge, wenn wir diese Wahrheit nicht mehr der
Christenheit ins Herz senken dürfen?

Noch sei bemerkt, daß sich zum Moralismus des Verfassers
begreiflicherweise ein magischer Sakramentalismus gesellt. In der
Taufe wird in den unmündigen Säugling der eigentliche Lebenskeim
der Wiedergeburt als Wirkung des Hl. Geistes hineingelegt.
In gleichem Maß wird die Kirche, die Gemeinschaft der Gläubigen
, zum objektiven Heilsinstitut. So hat es Vilmar gelehrt.
Neutestamentlich und reformatorisch ist diese Auffassung nicht,
das darf man ruhig behaupten.

Selten hat mich ein Buch so gepackt, so beschäftigt, so umgetrieben
wie diese exegetisch-dogmatische Studie von Lackmann
, die sich übrigens durch eine erstaunliche Belesenheit in
älteren und neueren Kommentaren auszeichnet. Durch sie werden
wir genötigt, unser Verständnis und unsere Schätzung Luthers
von neuem zu prüfen und uns auf die Tragweite des pau-
linischen Rechtfertigungsgedankens zu besinnen. Es sind kräftige
Stöße, die der Lutherfreund aushalten muß, aber sie können uns
aus einer falschen Sicherheit herausreißen. — Die Verhandlung
über die These Lackmanns wird wohl sehr lebhaft werden.

Tübingen Oeorg Wehrune

PRAKTISCHE THEOLOGIE

Schlier, Heinrich: Die Verkündigung im Gottesdienst der Kirche.

Köln: Bachem 1953. 68 S. 8°. DM 3.50.

Diese kleine Schrift, R. Grosche gewidmet, ist eine Meditation
über drei Schriftworte (1. Kor. 11, 23-29; Eph. 5, 15-21;
1-Kor. 14, 23-25) unter dem Thema der Erbauung der Gemeinde
durch die „Verkündigung". Der erste Abschnitt zeigt,
wie im Herrenmahl die „grundlegende" Verkündigung
geschieht. Es wird als die „das zentrale Heilsgeschehen wieder
vorstellende Verkündigung des Herrn und Weltrichters, die zur
Prüfung und Entscheidung des Gehorsams fordert", definiert.

Im zweiten Abschnitt wird die ,,L i t u r g i e" als die „durch
die sacramentale Proklamation des Todes Christi" hervorgerufene
„andere Verkündigung" interpretiert.

Der dritte Teil definiert die Predigt als die zum Herrenmahl
und zur Liturgie hinzukommende dritte Weise der Verkündigung
als „Aufdeckung des menschlichen Herzens und die
Überführung des Menschen in die Wahrheit".

Die in einer überaus konzentrierten und sorgsamen sprachlichen
Form niedergelegten Gedanken enthalten viele beachtliche
und wohl auch gegenüber verbreiteter „protestantischer" Exegese
zutreffende Beobachtungen der neutestamentlichen Texte, aber
man kann nicht verkennen, daß diese Schriftauslegung von der
dogmatischen Grundentscheidung getragen ist, die ihr Verfasser
inzwischen durch seinen Übertritt zur römisch-katholischen Kirche
auch öffentlich vollzogen hat.

Am deutlichsten wird dies an der Stelle seiner Interpretation
der Einsetzungsworte des Abendmahles, wo er sagt: „Es ist von
dem Apostel Paulus her legitim, daß die Darbringung ausdrücklich
wird in der Anamnese und daß die Anamnese lautet: Undc
et memores... offerimus. Alles ist in den beiden einfachen
Sätzen gesagt: .Dieses tut zu meinem Gedächtnis'. ,So oft ihi
dies Brot esset und den Becher trinket, verkündigt
ihr den Tod des Herrn" (S. 27). Das heißt doch: der Kanon der
römischen Messe ist die legitime Entfaltung der Verba Testa-
menti. Leider gibt der Verfasser eine Begründung für seine weittragende
Behauptung nicht, und das wäre gerade hier nötig gewesen
, weil hier eben die Entscheidung zwischen Luthers Exegese
des „Testaments Christi" und dem sacrifiziellen Verständnis der
römischen Kirche fällt.

Düsseldorf j. Beckmann

Bartsch, Hans-Werner: Christus ohne Mythos. Die Botschaft der
Evangelien für Jedermann. Stuttgart: Evang. Verlagswerk [1953].
83 S. 8°. kart. DM 4.50.

Der Leser empfängt hier ein Schulheft der „Entmythologi-
sierung" (= E.), näherhin (wäre nur der Ausdruck nicht so anrüchig
!) einen „Schulungsbrief" der E./ Der Verfasser, Hans-
Werner Bartsch, hat 1948 das Sammelwerk „Kerygma und Mythos
" herausgegeben, in dessen „Vorwort" er betonte, es sei
mit der E. „eine Grundfrage" angerührt, „vor die der akademische
Lehrer auf dem Katheder ebenso gestellt ist wie der Pastor bei
seiner Predigtvorbereitung". Das vorliegende Heft nun ist (trotz
der Adresse „an Jedermann") speziell der kirchlichen Verkündigung
zugewandt; es bringt ein Vorwort, einen Vortrag „Jesus
Christus für den modernen Menschen", eine Predigt „Vom Wunder
", schließlich eine Paraphrase des Mc: „Ein Evangelist an
einen Menschen des 20. Jhdts. nach dem Text des Mc-Evange-
liums".

Das „Vorwort" skizziert die Absichten des Büchleins dahin:
Die „modernen" Menschen davon überzeugen, daß die Botschaft
des Evangeliums ihnen noch etwas zu sagen hat — die Christen,
die dieser Botschaft glauben, auf den Punkt hinweisen, wo der
Glaube sein Zentrum hat — die Verkündiger dahin belehren, wie
sich die Verkündigung des Evangeliums „bei grundsätzlicher,
wenn auch nicht vorbehaltloser Zustimmung zu dem von Bultmann
aufgestellten Programm" gestaltet — die Kritiker davor
zurückhalten, „allzu eifrig ihre Verdikte zu sprechen" — „Zeugnis
geben von der Freudigkeit, die die Verkündigung dadurch
gewonnen hat, daß ihr eigentlicher und einziger Gegenstand dadurch
wieder neu zu erkennen gegeben worden ist".

Der „Vortrag" setzt die Theologie der E. als das hermeneu-
tische Prinzip an und sucht von dieser Theologie aus exegetisch
einen Standort zu gewinnen, auf welchem die alte Frage: „Ist
das historisch gewiß oder nicht?" jedenfalls der kirchlichen Verkündigung
nie mehr das Konzept verderben kann, ja auf welchem
das Evangelium erst recht seinen Ursinn enthüllt. Diesen
Standort findet Bartsch dort, wo man in der Verkündigung des
NT auf die (mit Bultmann zu reden) „Heilsbedeutung", die
„Heilsbedeutsamkeit" des Textes hinausgeht (mit Melanchthon
zu reden: auf das nosse beneficia Christi, promissiones. quae
per evangelium sparsit in mundum, Apol. art. IV 101) — und
die „Heilsbedeutung" meint Jesum Christum selbst, wie er die