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Ausgabe:

1954 Nr. 12

Spalte:

731-738

Autor/Hrsg.:

Hase, Hans Christoph

Titel/Untertitel:

Zum Selbstverständnis der Diakonie 1954

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Theologische Literaturzeitung 1954 Nr. 12

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ereignet sich eigentliche Geschichte: nicht aus einem Anfang zum
Ende hin, sondern vom Ende her im Anfang. (Siehe auch das
letzte Kapitel von Gogartens Buch „Der Mensch zwischen Gott
und Welt".)

„Christentum und christlicher Glaube" (189—216) — in der
Anmerkung S. 189 ist vor der Seitenangabe zu ergänzen:
Troeltsch, Die Absolutheit usw.; vgl. auch bei Gogarten S. 149—
dürfen also weder verwechselt noch vermischt werden. Man muß
den Ort des Glaubens richtig bestimmen. Denn die Entscheidung,
daß ich mein Menschsein als Sohnsein coram deo entschieden
sein lasse, fordert, daß ich in solchem Entschiedenwerden meiner
Existenz und also am Wort davon bleibe, und das kann jeder
nur „in der Welt und in den Entscheidungen, die ihm ihr gegenüber
aufgegeben sind", also in den „Werken" (197). Allein
„durch" den Glauben bin ich nur „in" den Werken gerechtfertigt
, niemals außerhalb ihrer, also nur im „Wandel", wie das
Neue Testament sagt. Gott will unsere „Selbständigkeit" ganz.
Er will sie der Welt gegenüber, so daß wir der Welt Heil als
Gottes Schöpfersein bewahren, und er will, daß wir ihm selber
gegenüber selbständig bleiben, indem wir, eben in jenem Bewahren
, von unserer Freiheit aus Gott und vor Gott für die
Welt Gebrauch machen (199). Das geschieht, indem wir zwischen
Glauben und Werken scharf unterscheiden, so daß wir den uns
zugewiesenen Platz zwischen Gott und der Welt einhalten, also
dort „bleiben", wo Gottes Gottsein und der Welt Weltsein „geschieht
". Wir haben nicht etwa der Welt unsern Glauben als
Antwort auf ihre unaufhörliche Frage nach dem „Ganzen" (das
den Menschen heute ja nicht mehr wie im mythischen Zeitalter
umschließt!) anzubieten. Tut man das doch, so macht man das
Heil (den „Gegenstand" des Glaubens) zur „Utopie", wie das
diejenigen tun, die das Ganze der Welt ohne Gott heilen wollen.
Gerade das Christentum verfehlt dann Gottes „Zukünftigkeit",
von der es zeugen sollte, am schrecklichsten, und entartet so zu
dem Ungebilde eines „christlichen Säkularismus" (204). Der
Glaube hat vielmehr das Unheil der Welt wahrzunehmen und
Liebe zu üben, indem er ein Glaube bleibt, der sich nicht mit
den Werken vermischt, so daß er Gottes schöpferische Macht
und unsere Nichtigkeit in ihrem Widerspruch erträgt und so
„beieinander" hält (207). So hütet der Glaube Gottes Macht in
Gottes Wort, indem er das, was Gottes ist, mit den Werken unverworren
sein läßt und die Werke „in der ihnen zukommenden

irdisch-weltlichen Bedeutung bewahrt" (208). Statt utopische
Antworten zu geben hält er sich und die Welt „in der Richtung
auf das Heil" (208). Eine wirklich christliche Ethik gibt deshalb
keine Weisungen für das Tun, sondern unterweist uns im 1. Gebot
, in dem „Brauch", mit dem Gott uns alle in allem als Personen
zu brauchen vorhat (21 3—215). Diese Unterweisung, betont
Gogarten zum „Schluß" (216—220), würde der „christlichen" Sittlichkeit
die Rückkehr aus dem Säkularismus in die Säkularität
offenzuhalten haben, so daß in dieser Ethik „so wie es dem Denken
und den ihm überantworteten Entscheidungen zukommt, das
Geschick des Menschen in seiner Geschichtlichkeit" und das hieße,
in der Richtung auf das im Säkularismus verlorene „Gegenüber
", „besorgt" wird. „Nur so behält auch der Glaube den Bereich
, in dem allein er Glaube zu bleiben vermag" (220). —

Wir können also sagen: Verhängnis und Hoffnung der Neuzeit
entscheiden sich an der Selbständigkeit, die im Beieinander
von Glauben und Säkularität gerade heute von uns allen gefordert
wird. Weil sich in dieser Forderung Gottes Gabe birgt, richtet
sich die Forderung allererst an das Christentum. So verweist uns
die Problematik unserer Tage auf die von Luther klargelegte Relation
zwischen Glauben und Werken zurück. Gogarten hat aber
zugleich erwiesen, daß und wie diese Relation dem für unsere
geschichtliche Lage bezeichnendsten Problem, dem Problem der
Säkularisierung, beizukommen vermag. Der meisterhaften Geschlossenheit
seiner auch für einen weiteren Leserkreis geeigneten
Schrift ist in dieser Hinsicht nichts hinzuzufügen. Der für
die Charakteristik des Sakraments verwendete religionsphäno-
menologische Begriff der „Begehung" (156) bedürfte freilich
noch der Limitierung. In diesem Punkt scheint mir die Schrift
über „Entmythologisierung und Kirche" näher bei der Sache zu
sein. Tatsächlich unterliegt aber das Verständnis des Menschen
zwischen Gott und der Welt auch in dieser neuen Schrift einer,
ja „der" Synekdoche von „Gabe" und „Sein" bzw. von
„Werk" (opus dei) und „Person": wir sind das, was wir im
Wort haben, oder anders ausgedrückt: wir sind, was wir sind,
vor Gott. Denn im Wort haben wir das: „vor Gott". Daß das
Beieinander von Sein und Haben nicht metaphysisch multipliziert
, sondern synekdochisch verkündigt und geglaubt werden
will, eben dies ist das Geheimnis der Geschichte und der Grund
für die Säkularisierung, das Geheimnis des deus incarnatus.

Zum Selbstverständnis der Diakonie

Von Hans Christoph

Seit dem Zusammenbruch von 1945 ist das Gespräch um ein
neues Selbstverständnis des diakonischen Auftrags der Christenheit
bei uns wie in der Ökumene, in der Kirche wie in den freien
Werken in vollem Gange. Befruchtet durch die ungeheuren Aufgaben
nach der Katastrophe und die Entfaltung der ökumenischen
Diakonie, stößt diese Besinnung auf ihre theologischen Grundlagen
vor.

Das in zahlreichen Aufsätzen geführte Gespräch hat sich in
drei wichtigen Werken kristallisiert: Gerhard N o s k e, W i-
cherns Plan einer kirchlichen Diakonie1, und
in den Sammelbänden: Werk und Weg, Festschrift für
D. Otto O h F, und: Das diakonische Amt der
Kirche, hrsg. von Dr. Herbert Krim m

Es ist gut, zunächst nach dem Buch von N o s k e zu greifen,
um sich zu erinnern, daß Wichern vor hundert Jahren programmatisch
die Themen so formuliert hat, wie sie uns auch heute
noch gestellt sind. Es kommt in der Theologie nicht oft vor, daß
zeitgeborene Begriffe nach so langer Zeit die Diskussion noch
völlig beherrschen. Im Zentrum des Buchs stehen Zitate aus
Wicherns Vortrag „Über kirchliche, bürgerliche und freiwillige

') N o s k e, Gerhard: Wicherns Plan einer kirchlichen Diakonie.
Stuttgart: Evang. Verlagswerk [1952]. 119 S. 8°. kart. DM 5.40.

-) [Ohl-Fest schrift:] Werk und Weg. Festschrift für D.
Otto Ohl. Essen [1952].

3) Krimra, Herbert, Doz. Dr. theol.: Das diakonische Amt der
Kirche hrsg. Stuttgart: Evang. Verlagswerk [1953]. 546 S. gr. 8°.

von Hase, Herford

Armenpflege" (18 5 5) und seinem Gutachten von 1856 für König
und Generalsynode „Die Diakonie und den Diakonat betreffend
" (S. 29 ff.). Noske weist nach, daß Wichern die „innere
Mission" (klein geschrieben, angelsächsisch „Home Mission") als
den Auftrag der Kirche zur inneren Selbstmissionierung erkannt
und ihn von den freien Liebeswerken der „Inneren Mission"
(groß geschrieben) unterschieden hat (17). Sein Ziel war, die aus
der Erweckung entstandenen Vereine, das „flüssigere innere
Missionselement" mit einem „festen amtlichen" zusammenzufassen
und den „Reichtum der Ämter" in der Gemeinde wieder-
zuerwecken, bis das erstere sich darin „selbst auflösen" könne.
Seine Absicht war dabei, die charismatisch gewachsenen Kräfte
sich frei auswirken zu lassen, ihren zufälligen und „willkürlichen
" Charakter aber zu überwinden und durch einen geordneten
„Diakonat" (mit freiwilligen Subdiakonen, vollberuflichen
Diakonen und dem Archidiakon in der Kirchenleitung 48 ff.)
jeder Gemeinde und der Gesamtkirche die Diakonie zur Pflicht
zu machen, damit das Werk nicht von der „Willkür", dem vorhandenen
oder nicht vorhandenen Interesse des Pfarrers abhängig
sei. Wicherns Thesen zur Ordination des Diakons (48) und zur
Verankerung des Diakonats im Gottesdienst (43) sind ebenso
aktuell wie seine Antwort auf die Frage, ob die zur „Amtspflicht
" gemachte Diakonie eine „Mechanisierung" mit sich führen
müsse. W. sieht in der „freien Diakonie" der Gemcinde-
glieder das erste (54), sie soll den Diakonat „wie eine Wolke
umgeben". Durch diesen geordnet, sollen daraus die großen
Werke der Inneren Mission erwachsen. Nach dem „heutigen