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Ausgabe:

1954 Nr. 1

Spalte:

53-54

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Kirsten, Johannes

Titel/Untertitel:

Abrenuntiatio Diaboli - eine Untersuchung zur Bedeutungsgeschichte des altkirchlichen Taufrituals 1954

Rezensent:

Kirsten, Johannes

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Theologische Literaturzeitung 1954 Nr. 1

54

gewaltigen Neukonzeption der Sakramentslehre voraus? Üblicherweise
datiert man seine neue Sakramentsanschauung vom Hebräerbriefkolleg
an. Geben seine Frühschriften wirklich nicht mehr Aufschlüsse
über das Werden der reformatorischen Theologie auf diesem Gebiet?

Um in dieser Frage zuverlässige Erkenntnisse zu erlangen, wird
hier I.) die Entwicklung der kirchlichen Tauflehre von Augustin bis
zum jungen Luther ausführlich — in Haupt-Typen — dargestellt und
2.) über die Tauflehre im engeren Sinn hinaus eine Untersuchung über
die jeweiligen Probleme der allgemeinen Sakramentslehre in die Darstellung
einbezogen; denn die sog. „Allgemeine Sakramentslehre" ist
„am Paradigma der Taufe" gebildet worden. Der umfangreiche Stoff
ist in drei Kapitel gegliedert. Die Ergebnisse sind nach den Hauptabschnitten
thesenartig zusammengefaßt.

Kap. I untersucht A u g u s t i n s Lehre von der Taufe zuerst in
der Zeit der antidonatistischen, dann der antipelagianischen Kämpfe.
Hier wird der Grund zur abendländischen Sakramentslehre gelegt:
hier empfängt auch die Tauflehrc ihre im wesentlichen bis heute gültige
Ordnung. Dabei hat Augustin in einem großen Spannungsbogen
trotz situationsbedingter Akzentverschiebungen im Ganzen eine einheitliche
, die Mitte zwischen Sakramentsmagie und Spiritualismus
suchende Konzeption durchgehalten, mit dem Erfolg freilich, daß er
sowohl der Scholastik die Formeln als auch der Reformation nicht
wenige Impulse verschafft hat. Um ein Einzelergebnis zu markieren:
Augustin ist nicht als Begründer der mittelalterlichen Lehre von der
character-Wirkung der Taufe anzusehen; die Scholastik hat etwas
Neues geschaffen, als sie das augustinische Bild zu dieser Lehre ausbaute
.

Kap. II führt 3 Haupttypen scholastischer Tauflehre vor. Zuerst die
Frühscholastik in der Gestalt des Petrus Lombardus, wobei einerseits
auf die Entwicklung des katholischen Sakramentsrechts bis zum
Gratianschen Dekret und andererseits auf die Sakraments- und Taufanschauungen
des Hugo von St. Victor zurückgegriffen wird; Exkurse
skizzieren beiläufig Bernhards und Abälards Anschauungen. Es ergibt
sich an der Schwelle zur klassischen mittelalterlichen Theologie das
Bild einer stark juridifizierten und liturgisierten Sakramentsanschauung
, die, von einem quantitierenden Gnadenbegriff getragen, dem
Taufakt alle Aufmerksamkeit zuwendet und schier ausschließlich der
Frage nach der aktuellen Taufwirkung verfällt, den Taufgebrauch aber
und also die eigentliche Intention der augustinischen Tauflehre und
damit die geistliche Bedeutung der Taufe immer mehr aus den Augen
verliert.

Dann ist es Thomas von Aquino, mit dessen Sakraments- und
Tauflehre das große, bleibende Gegenspiel zur reformatorischen Lehre
gezeichnet wird — mit einem Exkurs über die thomistische Gnadenlehre.
Und schließlich wird als spätscholastischer Typ der für Luthers Werden
unmittelbar einflußreiche, mit seinem Occamismus die Positionen des
Duns Scotus mildernd vereinigende Gabriel Biel eingehend untersucht
Hier haben die theologischen Begründungen der verteidigten Praxis
bereits das eigene Haus zu unterhöhlen begonnen. Das Kapitel schließt
mit einer Zusammenfassung der Tauflehre in der gängigen exegetischen
Tradition des Mittelalters (G 1 o s s a ordinaria und L y r a).

Eine ausführliche Vorüberlegung über die Bedeutung des Sakraments
beim jungen Luther am Be"ginn des Kap. III ergibt, daß die
eigentümliche Zurückhaltung des jungen Luther in Sachen des Sakraments
schon eine Ankündigung von etwas Neuem, mit seiner reformatorischen
Position Zusammenhängendem ist. Es wird dann versucht,
in einem dreifach gegliederten Gang die Sakraments- und Taufaussagen
der Quellen zum jungen Luther vollständig auszuschöpfen und
so einen bisher wenig beachteten Baustein zur Genesis seiner Theologie
beizubringen. Aus der Zeit des Sententiars lassen sich wohl nur
gewisse Keime des Kommenden ertasten. Ein ausführlicher Exkurs über
den Sprachgebraudi von sacramentum-exemplum läßt aber die Entwicklungslinie
seiner Theologie deutlich erkennen. Die erste Psalmenvorlesung
enthält schon klar die wesentlichen Keime seiner neuen
Sakramentsauffassung. Die Probleme der spezifischen Sakramentswirkung
treten völlig zurück hinter der Frage nach dem Sakramentsgebrauch
. In den Jahren 1515—1518 gewinnt Luther dann, was hier breit
in die Gesamtentwicklung seiner Theologie eingebaut wird, vollends
die Basis zur bewußten, systematischen Revision der katholischen
Sakramentslehre.

Kirsten, Johannes: Abrenuntiatio Diaboli — eine Untersuchung
zur Bedeutungsgeschichte des altkirchlichen Taufrituals. Diss. Heidelberg
1952.

Die Arbeit macht es sich zur Aufgabe, die altkirchlichen Taufliturgien
des Ostens und Westens darüber zu befragen, was sie über
Gestalt und Wesen der Taufe in der frühest zugänglichen Zeit bis zum
Beginn des Mittelalters auszusagen haben. Mit Bedacht wurde als Ansatzpunkt
die Abrenuntiation gewählt, nicht nur weil in der Fülle ihrer
Formen — nicht weniger als etwa 60 verschiedene Abrenuntiationsfor-
meln aus den Schriften der Väter und den Taufritualen werden herangezogen
und untersucht — die Geschichte des Taufrituals sich vielfältig
widerspiegelt, sondern weil tatsächlich die Abrenuntiation, einer der
zentralen Akte des Taufgeschehens neben Immersion und Glaubensbekenntnis
, sich geradezu als der Schlüssel erweist dafür, wie jeweils
die Kirche ihre Taufe verstanden hat.

Die Untersuchung, die historisch und systematisch zugleich vorgeht
, setzt mit Tertullian (l.Kap.) ein, dem ersten Zeugen einer
eindeutigen Abrenuntiationsformel („renuntio diabolo et pompae et
angelis eius"), die bei ihm nicht weniger als dreimal wiederkehrt, und
sucht von diesem sicheren Ausgangspunkt eine Linie zum NT zurück-
zuverfolgen (2. „Die Absage im NT und bei den apostolischen Vätern
"), ohne hier allerdings zu mehr als Wahrscheinlichkeitsresultaten
zu führen. Nur für Justin und damit für das Rom der ersten Hälfte
des 2. Jahrhunderts als frühestes Datum überhaupt läßt sich der Nachweis
des Vorkommens der Handlung mit einigermaßen überzeugender
Sicherheit führen.

Im weiteren Verfolg werden nun Formeln und Formen
der Taufabsage von Justin bis zur endgültigen Fixierung im Sacramen-
tarium Gelasianum im Westen („Satanae et Omnibus operibus et Omnibus
pompis eius", saec. VII) und in den teilweise noch heute gebrauchten
vielfältigen Ritualien der Ostliturgien einer eingehenden Untersuchung
unterzogen. Interessant und bedeutsam ist dabei die Feststellung
, daß sämtliche Liturgien des Ostens wie des Westens zu allen
Zeiten an der Abrenuntiation unbedingt festhalten — bis auf eine einzige
, die nestorianische Taufliturgie, und daß auch bei dieser die Spu-
r«n der Tilgung derselben aus dogmatischen Gründen noch deutlich erkennbar
sind. Mehr beiläufig ergibt sich, daß die großen liturgischen
Familien, die bereits für die Meßliturgien nachgewiesen wurden (Lietz-
mann, Messe und Herrenmahl), sich audi für die Taufliturgien aufzeigen
lassen und damit jene bestätigen.

Das wichtigste Kapitel dürfte das 5. sein, das sich mit der S t e 1-
lung der Abrenuntiation im Taufritual befaßt, da
an Hand derselben ein für das Verständnis der Taufe hochbedeutsamer
Entwicklungsvorgang aufgedeckt und untersucht werden kann, der der
Exorzisierung des Taufhandelns der Kirche in West und Ost, ein
Vorgang, der ie länger desto mehr sich als ein das ursprüngliche Taufverständnis
des NT und der ältesten Kirche verdeckendes und zerstörendes
Element erweist. Demgegenüber wird der ursprüngliche Bekenntnis-
charnkter der Abrenuntiation aufeezeigt (als Absage neben der Zusage
im Glaubensbekenntnis) und werden zwei Urtypen der Taufe für West
und Ost nachgewiesen, deren Linien ganz deutlich in einer Urform der
Taufe zusammenlaufen, in der auf Wasser- und ölweihe im Anfang Absage
mit Ölung, Zusage und Untertauchung gefolgt sind. Geschichtlich
kann genau belegt werden, wie dann der eigentliche Taufkern — bestehend
aus Absage, Zusage und Untertauchung — dadurch gesprengt wurde, daß
die W a s s e r w e i h e, magisch-exorzistisch mißverstanden und darum
in ihrer Bedeutung weit überschätzt, sich in die Mitte der Handlung
eindrängte und ihren sinnvollen Ablauf bis zur Unkenntlichkeit
zerstörte, bis die Taufliturgie — in Ost und West verschieden — schließlich
zu jenem bizarren und unverständlichen, exorzistisch überfremdeten
Gebilde wird, als das sich die Taufriten des Mittelalters namentlich in
den Ostkirchen darbieten.

Es ist das unzweifelhafte Verdienst Luthers, in intuitiver Schau —
ohne wesentliche Kenntnis der geschilderten geschichtlichen Vorgänge —
im Taufbüchlein die Taufe aus dieser Verzerrung ihres Sinnes und ihrer
Gestalt erlöst zu haben und ihr in kühnem Wurf bei weiser Beschränkung
auf das Wesentliche die Form zurückgegeben zu haben, die sie
bereits in ihrer frühest nachweisbaren Gestalt besessen hat.

Koch, Klaus: Sdq im Alten Testament. Eine traditionsgeschichtliche
Untersuchung. Diss. Heidelberg 1953.

Die Arbeit versucht, in der vielverhandelten Frage nach der „Gerechtigkeit
" im alttestamentlichen Verständnis dadurch einen neuen
Weg zu gehen, daß sie zuerst den „Sitz im Leben" des Wortes sädäqi
sedaqa und die damit verbundenen Traditionskreise zu bestimmen
sucht. Eine stattliche Zahl von Belegen, vor allem in den Psalmen, läßt
direkt oder indirekt auf das israelitische Herbstfest als den Ort schließen
, wo der Wortstamm in einem ausgezeichneten Sinn verwendet
wurde. Sädäqlsedaqa ist hier die H e i 1 s t a t und H e i 1 s g a b e,
die Jahwe, indem er in einer Theofanie erscheint, seinem Volk übereignet
; sie besitzt drei „Erstrcckungen": a) die Wohlfahrt des Volkes,
besonders die Fruchtbarkeit von Feld und Tier und Mensch, b) die Ermöglichung
zum Tun des Guten und c) die Sieghaftigkeit über die
Volksfeinde. Diese Übereignung wird als Wiederholung der