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Ausgabe:

1954 Nr. 1

Spalte:

52-53

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Jetter, Werner

Titel/Untertitel:

Studien zur Geschichte der kirchlichen Tauflehre von Augustin bis zum jungen Luther 1954

Rezensent:

Jetter, Werner

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Theologische Literaturzeitung 1954 Nr. 1

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sehen den schroff ablehnenden Worten Jesu und den erhebenden
Worten des Lukas-Evangeliums über Maria besteht. Das Neue
Testament zeigt kein einheitliches Marienbild, sondern bezeugt,
wie in jeder anderen Hinsicht, auch hier einen fortschreitenden
Entwicklungsprozeß, der sich dann in der späteren Kirche fortsetzt
(vgl. die lehrreichen Ausführungen von H. F. K. Heuningen,
Die Gottesmutter im Neuen Testament und im katholischen
Dogma, Ökumenische Einheit Jahrgang 2, 161 ff.). Das vorliegende
Werk vermag darum nicht viel zum Verständnis der geschichtlichen
Gestalt Marias beizutragen, wohl aber ist es ein
lehrreiches Beispiel einer maßvollen und sowohl in ihrer bibli-
zistischen Beschränkung wie in ihrer Irenik ansprechenden Apologetik
der römischen Mariendogmen.

Es würde zu weit führen, alle Einwände gegen die Exegese des
Verfassers anzuführen, zumal da es sich um bekannte Probleme der
neutestamentlichen Wissenschaft handelt; es sei nur auf einzelne Punkte
hingewiesen. Unrichtig ist die verallgemeinernde Behauptung, daß die
protestantischen Glaubenszeugnisse die bildhafte Darstellung Marias
ablehnen (10); dies trifft auf die lutherischen Symbolschriften nicht
zu; in zahllosen lutherischen Kirchen sind die Marienbilder erhalten
geblieben. — Unzutreffend ist, daß der liberale Protestantismus die
Marienverehrung „radikal verneint" habe (10). Es sei nur auf die Marienpredigten
rationalistischer und liberaler Theologen hingewiesen, die
Reintraud Schimmelpfennig in ihrer „Geschichte der Marienverehrung
im deutschen Protestantismus" (1952) erwähnt. — Der Verfasser stützt
seine Betonung des biblischen Fundaments der päpstlichen Unfehlbarkeit
mit der Erklärung von Matth. 16, 18 durch Alfred Loisy (18 f., Anm. 16),
läßt jedoch die entscheidenden Sätze von ihm weg: „Dieser Passus
kann nur einer sekundären Schicht angehören, wahrscheinlich der letzten
Schicht der redaktionellen Arbeit, aus welcher das erste Evangelium
hervorgegangen ist. Sein Inhalt und die offensichtliche Interpolation in
die Erzählung des Markus erlauben es nicht, in ihm ein echtes Wort
Jesu anzuerkennen" (Les evangiles synoptiques II, 13 f.). Ungenau ist
auch die Behauptung, daß Loisy seinen Kommentar zu Matth. 16, 18
gegeben habe, als er „praktisch schon aus der Kirche ausgetreten" war.

Loisy ist überhaupt nicht ausgetreten, sondern vom Papst nach wiederholten
Unterwerfungserklärungen schließlich exkommuniziert worden,
und dies geschah erst nach dem Erscheinen des genannten Werkes
(vgl. Heiler, A. Loisy, 1948). — Das schwierige Problem des Stammbaums
Jesu wird völlig verharmlost (56 Anm. 31). Kein Wort von den
zahlreichen Varianten des Schlußgliedes des matthäisdien Stammbaums
(1, 16), gesdiweige denn ein Hinweis auf den Codex syrus Sinaiticus
und die judenchristliche Tradition, die in Joseph den wirklichen Vater
Jesu sahen. Wer so den geschiditlichen Dokumenten ausweicht, der
sollte diejenigen, die sie ernst nehmen, nicht des Rationalismus bezichtigen
. — Bei der Erklärung der Simeonschen Prophetie (Luk. 2, 3 5) von
dem „Schwert", das Marias Seele durchbohren wird (66 ff.), bleibt unberücksichtigt
, daß nach der Erklärung einzelner alter Väter damit der
Zweifel gemeint ist, der Maria bei Beginn der öffentlichen Wirksamkeit
ihres Sohnes befiel (Origenes, In Luc. hom. 17; Basilius,
Epist. 259). —Wenn der Verfasser sich bitter über jene „protestantischen
Autoren" beklagt, welche in den Brüdern und Schwestern Jesu Kinder
Marias sehen, die sie nadi Jesu Geburt von ihrem Manne Joseph hatte,
und ihnen Ehrfurchtslosigkeit vorwirft (119), so muß er diese Klage
zuerst gegen Tertullian, Irenäus und andere Kirchenschriftsteller der
ersten Jahrhunderte richten, bei welchen die Jungfräulichkeit Marias auf
die übernatürliche Empfängnis Jesu sich beschränkte. (Vgl. die sorgfältigen
Untersuchungen von Hugo Koch, Adhuc virgo; Marias Jungfrauenschaft
und Ehe in der altkirchlichen Überlieferung bis zum Ende
des 4. Jahrhunderts, Tübingen 1929; Virgo Eva — Virgo Maria, Neue
Untersuchungen über die Lehre von der Jungfrauenschaft und der Ehe
Marias in der ältesten Kirche, Berlin 1937). — Der Verfasser, der das
vierte Evangelium als historischen Bericht eines Augenzeugen, und zwar
des Sohnes des Zebedäus betrachtet (105), räumt ein, daß seine Erzählungen
„eine Bedeutung haben, die über den wörtlichen Sinn eines
Berichtes hinausgeht"; es sei „nicht ausgeschlossen", daß Maria im
vierten Evangelium „ein Vorbild der Kirche, der eigentlichen .Orante' ".
sei (115, 117). Mit dieser Erklärung entzieht er jedoch den Erzählungen
von der Hochzeit zu Kana und der Anwesenheit Marias unter dem
Kreuz Christi sowie den mariologischen Folgerungen, die er daraus
zieht, den historischen Boden.

Marburg:Lahn Friedrich Heiler

Referate über theologische Dissertationen in Maschinenschrift

(Fortsetzung von Heft 11 1953, Sp. 685-696)

Gilch, Gerhard: Die weltanschauliche Problematik des „naturwissenschaftlichen
Weltbildes" und ihre theologische Bedeutung. Diss. Tübingen
10. 11. 1953.

Unsere theologische Fragestellung geht davon aus, daß uns das
„naturwissenschaftliche Weltbild" primär kein naturwissenschaftliches,
sondern ein anthropologisches Problem sein müsse. Um das anthropologische
Problem jedoch sichtbar zu machen, müssen wir sehr eingehend
nach, der Struktur der Wirklichkeit und nach dem Wesen der Naturerkenntnis
fragen. Nur auf dieser Ebene ist der naturwissenschaftlich
denkende Mensch ansprechbar.

Die Klärung dieser Verhältnisse erwies sich von entscheidender
theologischer Bedeutung: Der Naturbegriff ermächtigt uns nicht zu weltanschaulichen
Konsequenzen! Das Phänomen der Natur ist in jeder Beziehung
vielschichtig, deshalb auch vielfach deutbar. Interpretation und
selektiv-perspektivische Erkenntnis ist eine Bedingung der Naturerkenntnis
. In ihr drückt sich immer eine wertende Stellungnahme aus.
Das physikalische wie das biologische Denken ist von dieser Erkenntnisweise
gekennzeichnet. Auch ein biologisches Menschenbild kann nur
von bestimmten Grundentscheidungen ausgehen, nicht von „rein" empirischen
Tatsachen.

Die Anerkennung der Realität voraussetzend, kann sich eine
naturwissenschaftlich fundierte Weltanschauung also nur auf abstrahierte
Natur-Kategorien oder auf die Interpretation des Naturganzen,
die an bestimmte empirische Ansätze gebunden ist, gründen. Ihr jeweiliger
Beweis ist Symptom einer ganz bestimmten weltanschaulichen
Entscheidung, der ein entsprechendes Naturfaktum „zugeordnet" wurde.
Insofern jede erkannte Tatsache ein gewerteter Befund ist, drückt sich
im naturwissenschaftlichen Beweis einer Weltanschauung das Wesen
der Naturerkenntnis in besonders extremer Weise aus.

Im heutigen Marxismus nimmt das naturwissenschaftliche Denken
einen breiten Raum ein. Es sucht in formaler Hinsicht den Anschluß
an die moderne naturphilosophische Problematik. Auf empirischer
Ebene wird der Versuch unternommen, die Dialektik als Prinzip des
Seins nachzuweisen. Das Wesen und die Erkenntnis der Dialektik betreffend
, ist in der marxistischen Literatur seit Engels ein eigenartiger
Bruch festzustellen. An die Stelle der „marxistischen Naturerkenntnis"

ist der wissenschaftlidie Beweis getreten. In ihm drücken sich ideolo-
gisdie Anliegen aus, die auch auf naturwissenschaftlichem Gebiet Ab-
solutheitscharakter beanspruchen.

Von der Forderung einer „Distanz vom Objekt" ausgehend, gelangte
Oswald Spengler zu einer Geschichtsschau, die das Wesen der
Historie in ihrer Gestalthaftigkeit erkannt haben will. Das Phänomen
„Gestalt" verbindet — nach Spengler — Natur und Geschichte. Diese
Zusammenschau ist aber nur möglich, weil Spengler eine Seinskategorie
auf das Ganze der Wirklichkeit überträgt und verkennt, daß er
einer „Welt von Gestalten und Wirklichkeiten" mit eigenen Zeitmodi
gegenübersteht. Sein morphologischer Aspekt erweist sich als der Ausdruck
einer bestimmten Antwort auf eine bestimmte Frage, die Spengler
an die Wirklichkeit stellt.

In Friedrich Nietzsdies Philosophieren läßt sich ganz besonders
deutlich der Zusammenhang der „ergriffenen" Naturtatsache mit der
ideologischen Ausgangs-Position aufzeigen. Die Natur läßt sich nicht
auf den „Willen zur Macht" reduzieren — wie Nietzsche meint; davon
zeugen ihre Planmäßigkeit und ihre festgefügten Ordnungsverhältnisse,
die allein der Mensch durchbrechen kann. Durch Projektion partikularer
anthropologischer Sachverhalte in die Natur gelangt Nietzsche
zu seinem Weltbild des Willens zur Macht.

Das wechselvolle Verhältnis von Nietzsches Anthropologie zur
Biologie seiner Zeit ist ein Spiegelbild seiner jeweiligen philosophischen
Entwicklung. Seine Deutung des Darwinismus versteht sich allein von
seinem obersten metaphysischen Wert, der Individualität her. Mit seinen
physikalischen Beweisen für die Wiederkunftslehre, die durch ihre
Bindung an den Raumbegriff von vornherein einseitig und von der
Opposition gegen den christlichen Schöpfungsglauben bestimmt sind,
drückt sich der Versuch aus, das nihilistische Dasein an eine „letzte
Instanz" zu binden und es aus ihr zu rechtfertigen.

Jetter, Werner: „Studien zur Geschichte der kirchlichen Tauflehre
von Augustin bis zum jungen Luther". Diss. Tübingen 1952. 412,
256 S.

Luthers Schrift über die Babylonische Gefangenschaft hat den
Bruch mit Rom unheilbar gemacht. Welche Entwicklung geht seiner