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Ausgabe:

1954 Nr. 11

Spalte:

694-695

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Holsten, Walter

Titel/Untertitel:

Das Kerygma und der Mensch 1954

Rezensent:

Schlunk, Martin

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Theologische Literaturzeitung 1954 Nr. 11

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vor" (aO 49). Dieses ist „Geist, Geist Gottes, nichts als göttlicher
Geist" (aO 5 6). Es ,,zielt daher... einzig und allein auf
einen gottförmigen Willen" (aO 59). Es wendet sich an den
homo spiritualis oder interior (aO 60), und „sein Wesen heißt
Charitas" (61), heißt Freiheit. Es verträgt keinen Zwang. Dieses
Naturgesetz ist universal, ist „das allgemeine Gesetz schlechthin
" (aO 63). „Die Promulgation vollzieht sich im Herzen des
Menschen, und zwar als Durchdringung des menschlichen Willens
seitens des göttlichen" (aO 63 f.). Sollen und Sein fallen
hier zusammen (aO 66). Zum göttlichen Naturgesetz tritt das
göttliche Recht, das es „mit den Ordnungsformen (Institutionen)
des geistlichen Gemeinlebens selbst zu tun" (aO 68) hat, hinzu.
„Für dessen Bau stellt Gott zwei Rechtseinrichtungen bereit, die
Kirche und die Ehe". So weit das Recht im Reich Christi.

Doch „mit dem Sündenfall verliert die menschliche Natur
ihre geistliche und leibliche Harmonie". „Das geistliche Naturgesetz
stößt (darum) auf ein Widerspiel, das weltliche Naturrecht
" (aO 71). Sein Wesen ist ebenfalls Liebe, aber nicht christliche
, sondern durch die Selbstsucht begrenzte Liebe, naturhafte
Liebe. „Seine bis heute vorbildliche Fassung hat das weltliche
Naturrecht unter materiellrechtlichem Gesichtspunkt im Dekalog
gefunden; genauer... in dessen zweiter Tafel" (aO 78). Aus
dem Naturrecht leitet sich das positive Recht ab. Zu seiner Entstehung
und zur Sicherung seiner Geltung muß zweierlei zusammenwirken
: „Erstens die innere Mächtigkeit, die auf der Beachtung
des Naturrechts beruht, zweitens das äußere Machtgebot
der weltlichen Obrigkeit" (aO 8 3). Auch dieses weltliche Recht
steht in Beziehung zu Gott. „Ohne Beziehung zu ihm läßt sich
überhaupt kein menschliches Recht denken, und zwar ist es nicht
der Mensch, der die Beziehung herstellt, sondern Gottes Wille
zieht ihn in diese Ordnung hinein" (aO 73). Gott macht dem
Menschen das weltliche Recht zu einer lex irae (usus theologicus)
und zu einer lex caritatis Iatens (usus politicus) (aO 93 f.).

So ergibt sich ein doppeltes Recht: „Das Richtmaß des Christen
in seinem privaten und öffentlichen Leben ist das göttliche
Naturgesetz . . . Seine Erfüllung ist nur im Glauben möglich und
schenkt das gute Gewissen vor Gott. Das Richtmaß für das Verhalten
des Nichtchristen ist das weltliche Naturrecht mit seiner
Forderung allgemeiner Menschenliebe so, wie sie dem natürlichen
Menschen möglich ist. Ihre Beachtung verleiht das gute Gewissen
vor den Menschen" (aO 133 f.). Wie gestaltet sich von
da her die Stellung der Christen im irdischen Rechtsleben? Zunächst
in der ecclesia universalis, in der sie mit Nichtchristen zusammenleben
, sollen sie das menschliche Kirchenrecht mit dem
Geist der christlichen Bruderliebe durchdringen und entsprechend
berichtigen (aO 139 f.). Geleitet werden sie dabei von der durch
den Glauben erleuchteten Vernunft. Das so zustande kommende
kirchliche Recht ist vom weltlichen Recht (es gibt also ein jus
utrumque!) dadurch grundverschieden, daß ,,sein Erlaß und Vollzug
ein actus charitatis spiritualis ist. Nicht auf den Nonnenbestand
kommt es an, sondern auf das konkrete Tätigwerden des
vom Glauben geleiteten Rechtssinnes" (aO 143). „Ein ganz
anderes Gepräge hat das weltliche Recht. Seine Übereinstimmung
mit dem weltlichen Naturrecht ist von jedem wirklich Einsichtigen
an äußeren Maßstäben zu erkennen, und darum ist schon der
Normenbestand als solcher, wenn er jenes Mindestmaß an innerer
Mächtigkeit besitzt, in den Augen der Menschen Recht. Diesem
weltlichen positiven Recht begegnet der Mensch, sobald er den
Rechtskreis der oeconomia und der politia betritt" (aO 144).

In beiden lebt der Christ aus seiner Bindung an das göttliche
Naturgesetz. Damit geht er über die Anforderungen des weltlichen
Eherechts weit hinaus. Ein kirchliches materielles Eherecht
kann es nicht geben, „weil die leibliche Kirche keine eigene
Rechtsgewalt über die gläubigen Christen besitzt" (aO 145).
Nicht einmal die kirchliche Trauung, so selbstverständlich sie für
eine christliche Ehe ist, gilt als ein „nötiges Gesetz". In der politia
lebt er „nicht als Bürger, sondern als Fremdling, aber als
einer, der durch Christus von der Herrschaft des dort geltenden
Rechts .ausgezogen', d. h. eximiert ist" (aO 147). Aber die
Liebespflicht begründet für den Christen einen (allerdings begrenzten
) freiwilligen Gehorsam gegen das weltliche Recht
(aO 149). Hier ergeben sich wichtige Folgerungen für das Widerstandsrecht
gegenüber dem Tyrannen (aO 154 ff.) und für die
Mitarbeit des Christen in staatlichen Ämtern (aO 159 ff.) sowie
für Luthers Lehre vom „christlichen Körper" (aO 167 ff.), vom
Widerstandsrecht gegen den Kaiser (aO 184 ff.) und von der cura
religionis des evangelischen Fürsten (aO 192 ff.).

„Damit ist die Beziehung zwischen Rechtfertigung und Recht
bei Luther hergestellt. Nur der gerechtfertigte Mensch hat die
Einsicht in die geistlichen Grundlagen der weltlichen Rechtsordnung
und erkennt sie an. Nur er erblickt in der politia eine
.Gemeinde Gottes'. Daher hat auch nur der gerechtfertigte Mensch
die geistliche Fähigkeit und Vollmacht, das menschliche Recht
und die politische Gewalt gemäß dem göttlichen Naturgesetz auszuüben
, während der natürliche Mensch bestenfalls im Sinne des
menschlichen Naturrechts handelt" (aO 179).

H.s aspektreiche Konzeption wird noch an den Quellen
nachgeprüft werden müssen. Terminologisch kann H. sie, wie er
selber weiß (aO 5 7373), bei Luther nicht durchführen. Aber das
will nicht allzu viel besagen. Sachlich fällt der ausgesprochene
Personalismus der Rechtsauffassung auf. Nicht nach dem Normenbestand
, sondern nach dem vom Heiligen Geist erfüllten Willen
wird gefragt. Es gehört zur Krankheit des weltlichen Rechts, insbesondere
des positiven, daß hier der Normenbestand eine relativ
selbständige Bedeutung bekommt. Aber ist damit nicht an
eine Spannung gerührt, die über jedem Recht waltet? Muß nicht
das Recht Normen setzen und gegen Übertretung schützen, obwohl
jede Rechtsnorm, auch wenn sie von einer durch den Heiligen
Geist vollkommen erleuchteten Vernunft stammt, die Gefahr
in sich birgt, den wahren Gotteswillen dem gottfernen
Menschen zu verhüllen? Auch die vollkommenste Rechtsnorm
kann zur lex irae werden, — und doch gibt es ohne Normen
kein Recht.

Halle/Saale E. Schott

MISSIONSWISSENSCHAFT

Holsten, Walter: Das Kcrygma und der Mensch. Einführung in die
Religions- und Missionswissenschaft. München: Kaiser 1953. 208 S.
8° = Theologische Bücherei. Neudrucke und Berichte aus dem
20. Jahrh. Systematische Theologie, Bd. I. Kart. DM 7.—.

Unter dem Titel: Das Kerygma und der Mensch verbirgt
sich, für den Laien nicht unmittelbar erkennbar, der Versuch einer
Einführung in die Religions- und Missionswissenschaft. Drei
große Vorzüge kennzeichnen diesen Versuch, erstens eine ausführliche
und erstaunlich genaue Literaturangabe, zweitens die
Absicht, der Missionswissenschaft und einer theologischen Religionswissenschaft
ihren Standort innerhalb der theologischen Disziplinen
und zugleich ihren theologischen Leitgedanken anzuweisen
, und drittens das bei dem Verfasser bekannte, mitunter
überspitzt kritische Denken, mit dem er unter Anerkennung des
bisher in beiden Disziplinen Geleisteten der Weiterarbeit die
Wege weisen möchte.

Er behandelt zuerst das geschichtliche Erbe und
stellt fest, wie stark Aufklärung und Pietismus bisher Religionsund
Missionswissenschaft bestimmt haben. Um beide aus ihren
Fesseln, die nach seiner Meinung ein echt theologisches Arbeiten
hindern, zu befreien, stellt er in seiner Grundlegung das
„Kerygma" für beide Disziplinen als maßgebend heraus und setzt
das Kerygma für beide in Beziehung zum reformatorischen M?n-
schenverständnis. Das gibt ihm Anlaß zu einem wertvollen
Exkurs über die Judenfrage. Als Hauptprobleme
der Religionswissenschaft nennt er die
natürliche Offenbarung und die Geschichtlichkeit der Religion, um
daraus den Unterschied zwischen theologischer und nicht-theologischer
Religionswissenschaft abzuleiten. Als Hauptprobleme
der Missionswissenschaft behandelt er
ganz kurz die Missionsgeschichte, dann aus der Missionslehre die
biblische Begründung der Mission, die Kirche als Trägerin und
Frucht des (missionierenden) Kerygma, und die Kirche als escha-
tologische und soziologische Größe. Das gibt ihm Gelegenheit zu
ausführlichen grundsätzlichen Auseinandersetzungen und noch
ausführlicheren Erörterungen über die Heimatarbeit in Gestalt