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Ausgabe:

1954 Nr. 11

Spalte:

684-685

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Titel/Untertitel:

Dogmengeschichte des Mittelalters und des römischen Katholizismus bis zur Gegenwart 1954

Rezensent:

Stupperich, Robert

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Theologische Literaturzeitung 1954 Nr. 11

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scheidet er zwischen dem übergeschlechtlichen Idealmenschen, dem
eigentlichen Träger des Ebenbildes, der aber nur in Gottes Geist
existierte, und Adam, der unvollkommen an jenem teilhat. Gregors
Vermutung: y.ars/J-i^e n xai tov äXoyov rfj löiq eixovi
(de opificio hominis, MSG 44, 205 A) wird vom Verf. aber zu
einer leitenden Idee erhoben, die dem ganzen Bau Festigkeit verleiht
(S. 81, 8 5 u. ö.). Überhaupt sieht er in Gregors „Hypothesen
" le noeud de sa pensee (S. 10) und legt ihnen eine erhöhte
Bedeutung bei. Es fehlt auch nicht an selbständigen Weiterbildungen
der nyssenischen Ansichten. Es mag hier genügen, auf die
kosmischen Theorien hinzuweisen, auf die Deutung des Kosmos
als einer immanence divine (S. 34), auf die Aufgabe des Menschen
, qui porte Revolution du cosmos dans une direction spirituelle
et ascendante, von dem die kosmische Freiheit abhänge
(S. 50). Schließlich nimmt der Kosmos teil ä cette divinisation
eternelle (S. 206), indem er dem elan humain folge!

Bei diesem Bestreben, Gregor als selbständigen philosophischen
Denker zu würdigen, unterläßt es Verf. absichtlich, nach
den Quellen zu fragen (S. 8). Aber dieses geflissentliche Übersehen
der Tradition hat oft zur Folge, daß Gedanken als originell
ausgegeben werden, die es an sich nicht sind, und daß ihnen eine
Bedeutung beigelegt wird, die sie gemessen an der geschichtlichen
Entwicklung nicht haben. So gibt die Konzeption des von Gott
nur gedachten, übergeschlechtlichen Idealmenschen als des Trägers
des göttlichen Ebenbildes lediglich philonisches Gedankengut
wieder. Die Lösung des Freiheitsproblems durch die Annahme,
daß Gott aus erzieherischen Gründen den Menschen die Erfahrung
der Sünde machen läßt, um ihn von ihr desto gründlicher zu heilen
(S. 71, 108 u. ö.), hat bereits Irenaus vorgetragen (adv. hae-
reses IV 39, 1), und diese rationalen Erwägungen zählt man allgemein
nicht zu seinen tiefsten Gedanken. Daß die Dämonen den
Menschen täuschen, indem sie ihm die Sünde als etwas Verlockendes
hinstellen, ist eine clementinische Ansicht (cf. Strom. II 111,
3, II 173, 26 ff. Stählin). Gregor geht auch sonst in der Sündenlehre
in den Bahnen der Tradition. Wenn Irenäus die Sünde aus
einem Fehlen der rechten Erkenntnis ableitet (adv. haereses IV
37, 2), sowie aus der Tatsache, daß der Mensch als geschaffenes
Wesen nicht Gottes Unveränderlichkeit besitzen könne (IV 38, l),
so macht er doch andererseits energisch auf den Ungehorsam als
die eigentliche Sündenwurzel aufmerksam (IV 38, 3). Den Alexandrinern
ist diese doppelte Betrachtungsweise gleichfalls geläufig
, die auch Gregor sich zu eigen gemacht hat. Audi er vertritt
beides. Mit Nachdruck betont er die Rolle der 7iaQaxo/j
beim Ursprung der Sünde (cf. Horn, in Cant II, MSG 44, 793 B,
orat. dorn. IV, MSG 44, 1161 D u. ö.), was Verf. zu Unrecht bestreitet
(S. 104, 193) und leitet diese zugleich aus einem Mangel
an Erkenntnis ab. Um der Geschlossenheit des philosophischen
Systems willen verkürzt Verf. Gregors Gedanken, stellt den griechischen
Einschlag auf Kosten der christlichen Grundhaltung betont
heraus, löst jene aus dem Zusammenhang der Tradition heraus
und läßt sie origineller erscheinen, als sie es in Wirklichkeit
sind.

So wird Gregor als ein kühner, selbständiger philosophischer
Denker dargestellt, dessen System eine geschlossene Einheit bildet
. Getrennt von seinen geschichtlichen Beziehungen, kann dieses
dann auch mit modernen Systemen verglichen werden. Besonders
mit Spinoza stellt Verf. Übereinstimmungen fest (S. 120: une ana-
logie etonnante in der Fassung der Sünde, S. 202), ja er nennt
Gregor geradezu einen Spinoza chretien (S. 77). Aber auch auf
Pascal (S. 155), Kant (S. 73), Bergson (S. 155, 167) und Sartre
(S. 72) wird hingewiesen. Dies liest sich gewiß alles recht interessant
, und es ist schon anregend und reizvoll, vom Gedanken
der Freiheit aus die Geisteswelt Gregors zu durchleuchten und
verborgene Zusammenhänge sichtbar zu machen. Wenn so auch
die Einzelforschung nicht sonderlich gefördert wird, ja bereits gewonnene
Einsichten wieder preisgegeben werden, so wird ein solches
Buch gerade um seines großzügigen Versuches einer geistvollen
Synthese willen immer einen gewissen Wert behalten. Es
ähnelt in manchem v. Balthasars Monographie, wenngleich es auch
bei seiner Künstlichkeit und seinem Schematismus nicht dessen
großartige Schau und denkerische Kraft erreicht. Dagegen bildet
es zu Danielous Arbeit, die gerade mehr analytisch vorgehend
aus vielen Einzelbeobachtungen und aus einem sorgsamen Beachten
aller historischen Zusammenhänge ein getreues Gregor-
Bild zeichnen will, einen ausgesprochenen Gegensatz. Darin liegt
aber gerade eine fruchtbare Spannung beschlossen, die der Gregor
-Forschung wichtige Impulse verleihen könnte.

Mainz Walther Völker

Boll, Franz: Kleine Schriften zur Sternkunde des Altertums. Hrsg. u.
eingel. v. Viktor Stegemann. Leipzig: Köhler & Amelang 1950.
XXVIII, 450 S., 40 Taf. m. 60 Abb. und 4 Kt. gr. 8°. Hlw.
DM 22.50.

Eine Sammlung kleiner Schriften Franz Bolls, die schon kurz
nach seinem Tode (3. 7. 1924) geplant war, hat der inzwischen
auch der Forschung entrissene V. Stegemann in den letzten Kriegsjahren
fertiggestellt; der Druck ist erst 1950 erfolgt. Die Sammlung
umfaßt insgesamt 19 kürzere oder längere Aufsätze. Der
Herausgeber hat eine Skizze des Lebensganges und -Werkes Bolls
und eine eigene Nachschrift seiner Vorlesung aus dem W.S.
1922/23 über „Der Sternglaube in seiner historischen Entwicklung
" beigesteuert und ein Verzeichnis der wissenschaftlichen
Veröffentlichungen Bolls wieder abgedruckt. In einem Bilderanhang
sind 60 Abbildungen (darunter auch einige von Boll seinen
Aufsätzen nicht beigegebene) und vier Sternkarten geboten.
Ein Abschnitt „Querverweise und Anmerkungen des Herausgebers
" bietet ausgewählte Belege und Hinweise auf (auch neuerei
Literatur, ein vierfaches Register macht den reichen und vielfältigen
Inhalt des Buches leicht zugänglich.

Von den der antiken Astronomie und Astrologie gewidmeten
Aufsätzen seien genannt: Die Erforschung der antiken
Astrologie, Vom Weltbild des griechischen Astrologen, Über
Astrologie, Die Sonne im Glauben und in der Weltanschauung
der alten Völker, Der Stern der Weisen. Daneben sind neben
der umfangreichen Abhandlung über die Lebensalter besonders
beachtenswert die Studien über „Hellenismus und Orient" und
über „Vita contemplativa", eine ausführliche Besprechung von
E. Nordens Buch „Die Geburt des Kindes" und die nicht veröffentlichte
deutsche Fassung eines italienischen Vortrags über
Vergils 4. Ekloge.

Wenn auch die Wissenschaft nach dem Tode Bolls nicht stillgestanden
ist, so macht doch diese sorgfältige und umsichtige
Sammlung noch immer beachtenswerte, vielfach entlegene Ausführungen
eines der Bahnbrecher der Erforschung der antiken
Astrologie in dankenswerter Weise bequem zugänglich.

Münster/W. W. Foerster

KIRCHENGES CHICHTE : MITTELALTER

Loofs, Friedrich: Leitfaden zum Studium der Dogmengeschichte. 5.,

durdiges. Aufl., hrsg. v. Kurt A 1 a n d. 2. Teil: Dogmengeschichte des
Mittelalters und des römisdien Katholizismus bis zur Gegenwart.
Halle: Niemeyer 1953. XV u. S. 265—573 8°. Hlw. DM 6.90.

In Anbetracht der geringen Auswahl an dogmengeschichtlichen
Lehrbüchern, die sich gegenwärtig dem Studierenden für
seine Arbeit anbieten, aber auch in Anbetracht der besonderen
Vorzüge des Loofsschen Leitfadens ist es sehr zu begrüßen, daß
es dem Herausgeber der Neuauflage dieses gediegenen Arbeitsbuches
gelungen ist, den 2. Teilband in ausnehmend kurzer Zeit
vorzulegen.

Im Vergleich zur 4. Auflage hat sich der Text kaum geändert
. Die Zählung der §§ ist dieselbe und auch die Überschriften
sind die gleichen geblieben. Wenn der Umfang um 23 Seiten
kürzer ist, so liegt es lediglich am größeren Satzspiegel und engeren
Zeilenabstand. Nur an einzelnen Stellen sind neuere Ergebnisse
eingearbeitet oder Ergänzungen, z. B. hinsichtlich des neuen
Dogmas von der Himmelfahrt Marias, aufgenommen worden.
Andererseits sind ebenso vereinzelte Streichungen notwendig geworden
. Aufs Ganze gesehen, ist es überraschend festzustellen, wie
solide die gelegte Grundlage ist und wie treffsicher Loofs in seinem
Urteil gewesen ist.

Die größte Arbeit mußte der Bearbeiter auf die Umstellung
der Zitate auf neue Ausgaben und auf die neuen Literaturangaben
verwenden. Die bibliographischen Angaben sind dabei be-