Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1954 Nr. 1

Spalte:

50-52

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Weber, Jean Julien

Titel/Untertitel:

Die Jungfrau Maria im Neuen Testament 1954

Rezensent:

Heiler, Friedrich

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

49

Theologische Literaturzeitung 1954 Nr. 1

56

-setzt sie als Symbol für die größtmögliche Annäherung des Menschlichen
an das Göttliche" (149).

Die Darstellung der Verfasserin zeichnet sich durch Gründlichkeit
und Sachlichkeit aus. Trotz alles Strebens nach größtmöglicher
Knappheit hat sie kein wesentliches Moment in der
Entwicklung der evangelischen Marienverehrung unberücksichtigt
gelassen. Obgleich sie selbst in dogmatischer Hinsicht eine konservative
Haltung einnimmt, ist sie zumeist bemüht, auch dem
Standpunkt der modernen Theologie gerecht zu werden. Immerhin
beklagt sie sich nicht nur über „die Aushöhlung des Christentums
im Rationalismus" (83), sondern spricht auch über die
religionsgeschichtliche Ableitung der evangelischen Kindheitsgeschichte
aus vorchristlichen Mythen gelegentlich ein unberechtigtes
Verdikt aus (119). Die Verfasserin will mit ihrer Studie
das Gespräch zwischen den Konfessionen und die Arbeit an der
Una Sancta fördern; sie gibt sich freilich einem zu großen Optimismus
hin, wenn sie glaubt, daß „das Assumptio-Dogma ein
Anstoß zu weiterer fruchtbarer Arbeit... der Konfessionen miteinander
werden könne" (135); gerade dieses Dogma und nunmehr
auch die Eröffnung eines marianischen Jahres haben ja die
Kluft zwischen der römischen Kirche und der evangelischen Christenheit
noch weiter aufgerissen. Der hohe Wert des Werkes
liegt in der sauberen, aus den Quellen gearbeiteten historischen
Darstellung; diese bildet einen wesentlichen Beitrag zu einer
Gesamtgeschichte des Madonnenkultes.

In der bevorstehenden Neuauflage sollten folgende Punkte verbessert
und ergänzt werden: Es ist ungenau, zu sagen, daß „in Rom
das Fest der Himmelfahrt Mariae seit dem 7. Jahrhundert gefeiert"
worden sei (15); es handelt sich um das Fest der Dormitio Mariae,
das ursprünglich mit der leiblichen Aufnahme Marias in den
Himmel nichts zu tun hatte; das bis zur Dogmatisierung der Assump-
tio 1950 gebräuchliche römische Meßformular enthielt keinen Hinweis
auf sie. — Die S. 1 5 angeführte Predigt Luthers dürfte es ausschließen,
daß er an der leiblichen Himmelfahrt Marias festgehalten habe. Das
ergibt sich noch deutlicher aus einer von der Verfasserin nicht erwähnten
Predigt der Hauspostille (Erl. 3* 418 f.), in welcher Luther
ausdrücklich u.a. erklärt: „Wir wissen von keiner Himmelfahrt...
denn von der einigen unseres lieben Herrn Jesu Christi". Überhaupt
sollte das Kapitel über Luther noch ausführlicher gehalten sein; es gibt
noch andere sehr kennzeichnende Äußerungen des Reformators über
die Gottesmutter. Auch fehlt ein Hinweis auf die Abhandlung von
Engelbert Krebs, Luthers Magnificat-Auslegung und die katholische
Marienverehrung, Oberrheinisches Pastoralblatt 1917, 177 ff. — Die
originellen Ausführungen Paul de Lagardes über den Madonnenkult
(86) sollten ausführlich wiedergegeben werden. — Die wichtigen Darlegungen
in Harnacks Dogmengeschichte (II4 476 ff., III' 65 5 ff.) sind
von der Verfasserin übersehen worden. Auch die Abhandlung von
Benrath, Zur Geschichte der Marienverehrung (Theol. Studien und
Kritiken 1886, 309 ff.) und von Rösch, Astarte Maria, (ebenda 1888,
265 ff.), desgleichen das grundlegende Werk von Ernst Lucius, Die
Anfänge des Heiligenkults in der christlichen Kirche (1904) sollten
nicht unerwähnt bleiben, ebenso zwei Studien protestantischer Frauen,
die sich um das Verständnis der Marienverehrung bemüht haben:
Grete Lüers, Marienverehrung mittelalterlicher Nonnen (1923) und
Maria Fürth, die Madonnenverehrung (1921) (nur im Literaturverzeichnis
erwähnt). Erwähnung verdient auch der Aufsatz des Schweizer
reformierten Pfarrers Jakob Amstutz, „Die Verehrung der Maria"
(„Der Bund", 4. und 5. 1 1951), und zwar als charakteristisches Beispiel
für die Stellung eines zeitgenössischen liberalen Theologen zur
Marienverehrung. — Das Gedächtnis der Gottesmutter in der hoch-
kirchlichen „Deutschen Messe" samt der Schlußdoxologie (129) entstammt
wörtlich der Chrysostomusliturgie. Aus jenem Meßformular
sollte die Präfation an den Marienfesten angeführt werden, weil sie
gerade ein Ausdruck des modernen Schlciermacherschen Verständnisses
des Madonnenideals ist. — Die verschiedenen Motive der neueren
Mariendichtung (136 ff.) sind nicht deutlich genug herausgearbeitet.
Es fehlt vor allem ein Hinweis auf die kosmische Auffassung von der
Gottesmutter, in welcher der uralte Kult der Mutter Erde wieder auflebt
. In diesem Kapitel sollte die Verfasserin die von ihr nur im
Literaturverzeichnis aufgeführte Dissertation von Marianne Hendricks,
Die Madonnendichtung des 19. und 20. Jahrhunderts (1948) stärker
auswerten. — Unter den zeitgenössischen Mariendichtern wäre noch
zu nennen Karl Bernhard Ritter als Verfasser einer Sammlung von
Mariengedichten „Die Mutter" (1944 als Handschrift gedruckt). — Der
Künstler der berühmten Stalingrad-Madonna, Kurt Reuber, ist nicht
verschollen (140), sondern in einem Kriegsgefangenenlager gestorben.—
Marburg Lahn Friedrich Heiler

Weber, Jean-Julien, Bischof von Straßburg: Die Jungfrau Maria im
Neuen Testament. [Aus dem Französischen übersetzt von Abbe
J. Zemb]. Kolmar: Verlag Alsatia [1951]. 170 S. 8°, kart. ffr. 300—.

Angesichts der Flut mariologischer Literatur, wie sie in
erster Linie über die romanischen Länder, nunmehr aber auch
über den deutschen Büchermarkt sich ergießt, berührt äußerst
wohltuend ein Werk, das sich freihält von aller Verherrlichung
krankhaften Visionärtums und vulgären Wallfahrtsbetriebes, frei
auch von allen Überschwänglichkeiten und Phantastereien einer
ungesunden Mariologie, das sich vielmehr strenge auf die neu-
testamentlichen Aussagen über die Mutter Jesu beschränkt. Das
vorliegende Werk, das „allen Christen, Jüngern und Brüdern
unseres Herrn Jesus Christus" zugeeignet ist, redet immer wieder
„unsere protestantischen Brüder" an und sucht ihnen einen
Zugang zur katholischen Marienverehrung zu erschließen, nicht
zuletzt durch den Hinweis auf protestantische Marienverehrer
(10 f.), zumal auf den Erneuerer des Mönchtums auf calvinischem
Boden, Max Thurian (145). Es ist freilich insofern apologetisch
orientiert, als es sich um den Nachweis müht, daß die Wurzeln
der gesamten katholischen Marienlehre, einschließlich der Dogmen
von der immaculata coneeptio und der assumptio corpo-
ralis, im neutestamentlichen Erdreich ruhen, daß alle diese Lehren
einfach „logische" Folgerungen neutestamentlicher Aussagen
bilden (39,43, 168). Dabei weist der Verfasser jede historischkritische
Fragestellung als Ausfluß eines weltanschaulichen Rationalismus
a limine ab. In einer Fußnote (22 Anm. 19) erklärt er,
es könne nicht seine Aufgabe sein, „auf alle Hypothesen einzugehen
, welche die rationalistische Exegese aufgestellt hat, und
die sich oft selbst widersprechen". Er beruhigt sich einmal mit
der Annahme, daß die „Glaubwürdigkeit" der neutestamentlichen
Urkunden „aus den exegetischen Untersuchungen hervorgehe
, die von den Wissenschaftlern aller christlichen Konfessionen
seit fünfzig Jahren sehr gründlich geführt worden" seien,
sodann mit dem Vorurteil, daß das „Ziel" der kritischen Exegese
„von vornherein darin bestanden habe, sich aller in den
Evangelien enthaltenen Wunder und auch der Berichte über die
Kindheit zu entledigen und den geschichtlichen Wert des Johannesevangeliums
zu schmälern". Auf diese Weise unbeschwert
von aller literarkritischen und erst recht von aller religionsgeschichtlichen
Problematik, welch letztere er überhaupt mit keinem
Worte erwähnt, vermag der Verfasser nach der harmonisierenden
Art der mittelalterlichen Exegese durch mosaikartige Aneinanderreihung
aller diesbezüglichen Stellen ein neutestamentliches
Marienbild zu gestalten. Dabei interpretiert er in einzelne Termini
, wie in die Anrede des Engels an Maria xtjaQawfxhi]
(Luk. 1, 28) die späteren römischen Dogmen von der unbefleckten
Empfängnis und leiblichen Himmelfahrt Marias hinein.
Umgekehrt sucht er die Jesusworte, in denen eine Zurückweisung
Marias ausgesprochen ist (Mk. 3, 31 ff.; Luk. 11, 27 f.; Joh.
2, 4) so zu deuten, daß sein dogmatisches Marienbild nicht gefährdet
erscheint. Der Verfasser glaubt auf diese Weise zu einem
„auffallend reichen Ergebnis" gelangt zu sein: „Dem Leser,
der mit gutem Willen und offenem Herzen uns folgte, wird dabei
klar, daß das Bild der Jungfrau nicht von den Träumen des
Volkes, der Phantasie der Dichter oder gar der verirrten Spekulation
der katholischen Kirche gestaltet wurde und sich deshalb
in unbestimmten Umrissen verliert, sondern daß es lebendig und
klar aus den heiligen Büchern uns entgegenleuchtet" (159). Es
ist jedoch weder Mangel an gutem Willen, noch „rationalistische"
Voreingenommenheit, noch Wunderscheu, noch fehlendes Verständnis
für die Werte des Madonnenkults, der kein bloß christliches
, sondern ein Menschheitsphänomen ist, sondern allein
Respekt vor den Dokumenten und Tatsachen der Geschichte,
wenn solche Forscher, welche alle religiösen Erscheinungen und
Urkunden nach den gleichen strengen Regeln der historischen
Kritik untersuchen, dem Verfasser auf seinem Wege der künstlichen
Harmonisierung und apologetischen Interpretation nicht
zu folgen vermögen. Wohl ist er im Recht mit der Behauptung,
daß die „Wurzeln" der Marienverehrung ins Neue Testament
zurückreichen; das gilt jedoch nicht von seinen ältesten, sondern
erst von seinen jüngsten Schichten, und zwar jenen Schichten,
die zur Einflußsphäre der Umweltsreligionen des jungen Christentums
gehören. Damit löst sich auch der Widerspruch, der zwi-