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Ausgabe:

1954 Nr. 11

Spalte:

671-674

Kategorie:

Altes Testament

Titel/Untertitel:

Archéologie de la ville 1954

Rezensent:

Eissfeldt, Otto

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Theologische Literaturzeitung 1954 Nr. 11

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ALTES TESTAMENT

[Vincent-Steve:] Jerusalem de l'Ancien Testament. Recherches
d'Archeologie et d'Histoire par le P. L. -Hugues Vincent des
Freres Precheurs avec la collaboration graphique du P. A. -M. Steve
des Freres Precheurs, Ouvrage publie avec le concours du Centre
National de la Recherche scientifique. lre Partie: Archeologie de la
Ville. Paris: Lecoffre, J. Gabalda et Cie, 1954. XII, 372 S.,
51 Taf., 4°.

Der zur ersten Generation der an der 1890 im Jerusalemer
Couvent des Dominicains de St. Etienne gegründeten ßcole pra-
tique d'fitudes bibliques oder — so ihr jetziger Name — Ecole Bi-
blique et Archeologique Francaise tätigen großen Gelehrten gehörige
, jetzt im 8 3. Lebensalter stehende R. P. L.-H. Vincent,
der sich seit mehr als sechs Jahrzehnten mit der Topographie,
Archäologie und Geschichte Jerusalems beschäftigt und außer
mannigfachen Aufsätzen 1912—1926 ein großes Werk darüber
veröffentlicht hat, legt in Gemeinschaft mit seinem jüngeren Ordensbruder
R. P. M.-A. Steve hier den ersten Teil eines „Jerusalem
de l'Ancien Testament" betitelten Werkes vor, das den
Abschluß und die Krönung seiner 1891 begonnenen und bis heute
fortgesetzten Untersuchungen zur Archäologie und Geschichte der
Heiligen Stadt bilden soll. Dieser erste Teil hat es — unter einstweiliger
Übergehung des Tempels und des ja eng mit ihm zusammengehörigen
Salomonischen Palastes — mit der Archäologie
der übrigen Stadt zu tun. Ein zweiter, der die Archäologie des
Tempels und der Palastbauten Salomos zum Gegenstand haben
wird, soll folgen, während einem dritten oder vermutlich mehreren
weiteren Teilen die Darstellung der Geschichte Jerusalems
vorbehalten bleibt. Was zur Archäologie der Stadt zu sagen ist,
faßt der vorliegende Teil in 13 Kapiteln zusammen. Das erste von
ihnen, „Die antike Stadt als ganze; ihre Beschreibung durch Jo-
sephus" (S. 1—26. Frontispice. Taf. I—II), gibt nicht nur des Jo-
sephus Aussagen über die Lage, den Umfang und die Bauten der
Stadt wieder, sondern wirft auch die Frage ihrer Zuverlässigkeit
auf, indem es sie einerseits auf ihre Vereinbarkeit mit den oro-
und topographischen Gegebenheiten, anderseits daraufhin prüft,
ob und wieweit Josephus damals wirklich vorhandene und von
ihm tatsächlich beobachtete Objekte ins Licht bestimmter, historisch
unzutreffender Vorstellungen gerückt und so ihrer Beschreibung
Züge beigemischt hat, die keinerlei Anspruch auf Glaubwürdigkeit
haben und „viel weniger eine ortsgebundene unbefangene
, wahrhaftige und zähe Tradition als vielmehr eine nur
allzu beredte persönliche Spekulation" darstellen (S. 19). Indem
es so die meisten der weiterhin behandelten Objekte vorläufig
nennt, nämlich die bei Josephus über sie zu findenden Angaben
mitteilt und auch die gegen diese geltend zu machenden Bedenken
andeutet, bildet das erste Kapitel einen guten Auftakt zu den
folgenden, von denen das zweite, „Umfang der antiken Stadt. Die
heutige Umwallung" (S. 27-50. Taf. III—XVI), das dritte, „Die
Umwallungen. - Die erste Mauer" (S. 51-89. Taf. XVII-XXIII),
das vierte, „Die zweite Mauer" (S. 90-113. Taf. XXIV-XXV),
das fünfte, „Die dritte Mauer" (S. 114—145. Taf. XXVI-
XXX), und das sechste, „Um eine bewegliche Mauer" (S. 146—
174. Taf. XXXI—XXXIX), es mit den verschiedenen Stadtmauern
zu tun haben; das siebente, „Die Festungen. I: Akra" (S. 175—
192. Taf. XL), das achte, „II: Die Antonia" (S. 193-221. Taf.
XLI-LIV) und das neunte, „Die Paläste" (S. 222-236. Taf. LV
—LX) die Akra, die Antonia sowie den Palast des Herodes samt
seinen nördlichen Türmen, den Hasmonäer-Palast und die Adia-
benischen Paläste behandeln; das zehnte, „Die Mauern Jerusalems
nach Nehemia" (S. 237—259. Taf. LXI), darlegt, was aus
Neh. 2, 12—15; 3; 12,30—40 über den damaligen Verlauf der
Stadtmauer sowie über die Lage der von Nehemia genannten Fe-
stungs- und Palästebauten zu erkennen ist; das elfte und das
zwölfte, „Die hydraulischen Installationen" (S. 260—288. 289—
312. Taf. LXII—LIX), die Wasserversorgungs-Anlagen und das
dreizehnte, „Die Nekropolen" (S. 313-371. Taf. LXX-C), die
Grabgewölbe der israelitischen und judäischen Könige, die Nekro-
pole der Königszeit, die monumentalen Grabanlagen im Kidrontal,
das „Grabgewölbe des Herodes oder der Familie des Herodes".
das Grab der Helena von Adiabene und einige Denkmäler der
nördlichen Nekropole zum Gegenstand haben.

Text und Abbildungen — zu dem Frontispice und den
100 Tafeln kommen noch 110 Textabbildungen hinzu — sind gut
aufeinander abgestimmt. Freilich ist das Maß der Bebilderung bei
den einzelnen Kapiteln recht verschieden. So weist — um von den
mit 8 Text-Abbildungen und 31 Tafeln ausgestatteten Kapiteln
XI und XII, die den hydraulischen Installationen gewidmet sind,
ganz zu schweigen — das der Antonia geltende VIII. Kapitel,
3 Text-Abbildungen und 13 Tafeln auf, während das die Akra
behandelnde VII. Kapitel nur mit einer Text-Abbildung und
einer Tafel bedacht ist. Aber das liegt an der Verschiedenheit
des für die einzelnen Objekte zur Verfügung stehenden Materials:
Die an der Nordwestecke des Haräm esch-Scherif gelegene Stätte
der Antonia ist seit langem eifrigen Nachforschungen zugänglich
gewesen und konnte so gründlich untersucht werden. Von der
Akra hingegen, die Vincent auf der zum Tyropoön-Tal vorspringenden
Ostspitze des Westhügels 150—200 m westlich des
im Südwesten des Haräm esch-Scherif gelegenen Silsile-Tores
sucht, hat sich, da die Gegend überbaut ist, bis heute keine Spur
feststellen lassen, so daß Vincent sich hier — Tafel XL — an
der Mitteilung eines den betreffenden Teil der heutigen Stadt
wiedergebenden Bildes genügen lassen muß.

Die durch die soeben mitgeteilten Kapitel-Überschriften angedeuteten
Fragen — denn es ist in der Tat an dem, daß alle diese
Überschriften ebensoviel Fragen aufwerfen — werden unter sorgsamer
Berücksichtigung aller jeweilig zur Verfügung stehenden
Quellen, der literarischen und der archäologischen, zu denen als
nicht minder wichtig die topographische Beschaffenheit der betreffenden
Stätte hinzukommt, und in gründlicher, oft sehr temperamentvoller
Auseinandersetzung mit den von anderen für sie
vorgeschlagenen Lösungen eingehend untersucht und beantwortet,
wobei erkennbar bleibt, ob für die jeweilige Antwort Sicherheit
und Endgültigkeit oder nur Wahrscheinlichkeit in Anspruch genommen
wird. An drei Beispielen mag hier die Art der Beweisführung
und der Sicherheitsgrad ihrer Ergebnisse, wie sie V i n-
cents Arbeit eigen sind, veranschaulicht werden.

Wie Vincent hinsichtlich des Verlaufs der ersten und der
zweiten Mauer seine eigene, von der anderer vielfach abweichende
Meinung vertritt, nämlich bei der ersten bestreitet, daß sie sich
bis auf die Zeit der Makkabäer oder gar die des Herodes auf die
Umschließung des östlichen Hügels beschränkt habe, und dem gegenüber
behauptet, daß das zur israelitischen Hauptstadt gewordene
Jerusalem sehr bald über den Umkreis der jebusitischen, auf dem
Südosthügel gelegenen Akropolis hinausgewachsen, sich über das
Tyropöon-Tal hinüber auf den Westhügel ausgedehnt und dessen
südliche Hälfte in den Mauerring einbezogen habe, und bei der
zweiten unter Abweisung eines ganz unangebrachten Skeptizismus
als sicher annimmt, daß sie in der Linie des Nordrandes des Haräm
esch-Scherif verlaufend, aber die Gegend der heutigen Grabeskirche
draußen lassend, schon in vorexilischer Zeit einen etwa
600 zu 400 m großen Komplex im Norden der ersten Mauer in
die Befestigung einbezogen habe, so geht er auch bei der dritten
seine eigenen Wege. Während diese — nach Josephus von
Agrippal (41—44 n. Chr.) begonnen und bei Beginn des ersten jüdischen
Aufstandes gegen die Römer 66 n. Chr. in Eile fertiggestellt
— vielfach mit den etwa 600 m nördlich der heutigen
Stadtmauer festgestellten Resten eines 1 km langen Mauerzuges
identifiziert wird, setzt sich Vincent mit großem Nachdruck
dafür ein, daß der von Josephus genannten dritten Mauer vielmehr
ein ziemlich mit dem Nordteil der heutigen Stadtmauer zusammenfallender
Verlauf zuzuweisen und daß in den weiter nördlich
beobachteten Mauerresten eine während des zweiten jüdischen
Aufstandes gegen die Römer, 131-135 n. Chr., in Hast errichtete
Befestigungsanlage zu erkennen sei, die man daher „die vierte
Nordmauer Jerusalems" oder die „Barkochba-Maucr" nennen
könne. Die von Vincent für diese Auffassung vorgebrachten
Gründe, unter denen der durch überzeugungskräftige Abbildungen
gestützte wiederholte Hinweis auf die Flüchtigkeit und Planlosigkeit
dieser vierten Nordmauer, die zu der von Josephus für Agrip-
pas Mauer gegebenen Beschreibung so gar nicht passen wollen,
aber sich aus den Verhältnissen des zweiten Aufstands leicht erklären
, besonders eindrucksvoll wirkt, haben in der Tat Anspruch
darauf, daß sie ernst genommen und bei allen weiteren Diskussionen
über die „dritte" und „vierte" Mauer sorgfältig berück-