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Ausgabe:

1954 Nr. 1

Spalte:

47-49

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Schimmelpfennig, Reintraud

Titel/Untertitel:

Die Geschichte der Marienverehrung im deutschen Protestantismus 1954

Rezensent:

Heiler, Friedrich

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Theologische Literaturzeitung 1954 Nr. 1

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ist1 , mit besonderer Schärfe betont, daß für das katholische I Notwendigkeit bestand für die Definition der Assumptio-Lehre
Dogma ausschließlich die Wahrheitsfrage von Bedeutung sei und j in keiner Weise. Jeder Lehrstreit darüber fehlte völlig, und über-
die pragmatistische Wertfrage völlig ausscheiden müsse: „Jeder dies betraf die Definition eine durchaus nebensächliche Frage.
Versuch, bloß aus dem Lebenswert des Dogmas seinen Wahr- ! Auf diese Weise hat der Papst selbst die Verteidiger seiner Un-
heitswert zu begründen, ist zuinnerst unkatholisch. Die Kirche j fehlbarkeit mit seinem dogmatischen Sprudi aufs schwerste desa-
stellt die V/ahrheit, das Dogma hin als eine unbedingt in sich j vouiert. Mit der Verkündigung des Assumptio-Dogmas ist so
ruhende Tatsache, die keiner Begründung aus dem Gebiet des ] der größte Stein des Anstoßes im bisherigen römischen Dogmen-
Sittlichen oder gar Nützlich-Brauchbaren bedarf. Die Wahrheit j gebäude, an dem letztlich die Annäherungsbemühungen aller anist
Wahrheit, weil sie Wahrheit ist. Es ist an und für sich völlig ; deren christlichen Kirchen gescheitert waren, ins Rollen gekom-
gleichgültig, was der Wille zu ihr sagt, und ob er mit ihr etwas 1 men. So sehr auf den ersten Blick die Fronten zwischen der rö-
anfangen kann". Die apologetische Literatur zum Assumpiio; ' mischen und der außerrömischen, zumal der reformatorischen
Dogma aber ist voll von Ausführungen über den „Lebenswert" i Christenheit sich verhärtet haben, insofern letztere niemals im-
des Dogmas, weil dieses eben durch kein Schrift- und Traditions- ; stände sein wird, ein Dogma anzunehmen, dessen Bejahung die
Zeugnis gestützt werden kann. i völlige Preisgabe der reformatorischen Geisteshaltung in sich
Die Erschütterung des Unfehlbarkeitsdogmas wird aber auch • schließt, ist durch die umwälzende Wirkung des Assumptio-Dog-
noch in anderer Weise deutlich. Seine Verteidiger hatten unab- ; mas der ganze Boden aufgelockert worden. Es besteht Hoffnung,
lässig hervorgehoben, daß nur im äußersten Notfalle, bei einem ! daß die unbefangenen katholischen Denker die Unhaltbarkeit des
Krisenzustand der Kirche und bei der Unmöglichkeit des Zusam- ; römischen Dogmensystems einsehen und nach einer anderen Ein-
mentrittes eines Konzils der Papst zu einem Kathedralspruch heit der Christenheit ausschauen werden als der bisher immer
schreiten werde, der nach der Formel des Vaticanum ex sese, > geforderten „Rückkehr" und „Unterwerfung" unter die Autori-
non ex consensu ecclesiae irreformabel ist. Eine solche ; tät des unfehlbaren Papstes.
,") Freiburg 195117, 81.

Schimmelpfennig, Reintraud, Dr.: Die Geschichte der Marienverehrung
im deutschen Protestantismus. Paderborn: Schöningh, 1952.
164 S. Kart. DM 4.80., Lw. DM 6.80.

Nach der landläufigen Auffassung bedeutet die Reformation
die Abschaffung des Madonnenkultes. Diese Auffassung entspricht
jedoch nicht den geschichtlichen Tatsachen. Die Verfasserin
korrigiert diese Meinung, indem sie zeigt, daß der „breite,
brausende Strom hochmittelalterlicher Marienfrömmigkeit" weitergeflossen
ist, wenn auch „in schmaleren Bahnen" (7).

Schon Luther hat trotz „leidenschaftlicher Kritik bestimmter Ausprägungen
des Madonnenkults nie aufgehört, die Gottesmutter in Wort
und Schrift zu preisen; bis zu seinem Todesjahr hat er stets an den
Marientesten gepredigt" (12). Er hält nicht nur an der Würde Marias
als Theotokos und Aeiparthenos fest, sondern vertritt sogar ihre Bewahrung
vor der Erbsünde im Sinne der franziskanischen Schulmeinung
und des späteren römischen Immaculata-Dogmas (12 ff.); er sieht in
ihr außerdem die Fürbitterin und das Vorbild der Christen in der Demut
(15 ff.). Die Marienverehrung ist nach ihm „tief in die Herzen
der Menschen gebildet" (18); doch muß sie stets christozentrisch ausgerichtet
sein. Ebenso betrachtet Zwingli Maria als Gottesmutter und
immerwährende Jungfrau; auch hält er das Spredien des Ave Maria für
zulässig (19 ff.). Audi andere reformatorische Persönlidikeiten wie Oslander
, Brenz, Bucer, Hunnius und Valentin Weigel vertreten die katholische
Lehre von Maria als viigo ante partum, in partu und post
partum (22 f.). Doch werden bald kritische Stimmen gegen die Lehre
von der unbefleckten Empfängnis laut (24 f.). Die Anschauung von der
leiblichen Aufnahme Marias in den Himmel wird von den Theologen
des 16. Jahrhunderts nicht abgelehnt, von einzelnen wie Bullinger sogar
ausdrücklich erhärtet (2 5 f.). Hinsichtlich der Anrufung der Fürbitte
Marias stehen ablehnende und bejahende Äußerungen einander
gegenüber (27 f.), während im Hinblick auf Marias Vorbildlichkeit
Einmütigkeit herrscht (28 ff.). Melanchthon vertritt auch die Auffassung,
daß Maria Typus und Repräsentantin der Kirche ist ^1). In den lutherischen
und reformierten Bekenntnisschriften wird die Gottesmutterschaft
und dauernde Jungfräulidikeit Marias ausdrücklich betont
(32 ff.). In den Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts werden die Feste
Mariae Reinigung, Mariae Verkündigung und Heimsuchung vorgeschrieben
, jedodi nur vereinzelt Mariae Geburt und Himmelfahrt
(34 ff.). Das evangelische Kirchenlied singt, zumal im Advent und am
Weihnachtsfest, aber auch an den Marienfesten, das Lob der Gottesmutter
und „reinen Magd" (37 ff.). Die weltliche deutsche Literatur
des 16. Jahrhunderts trägt jedoch im Hinblick auf die Marienverehrung
überwiegend polemischen Charakter (47 ff.). Die lutherische Orthodoxie
des 17. Jahrhunderts lehrt gleichfalls Marias Gottesmutterschaft
und Jungfräulichkeit (52 f.); dagegen lehnt sie die Lehre von der unbefleckten
Empfängnis ab (53). Die Lehre von der Assumptio spielt
kaum eine Rolle, abgesehen von Valerius Herberger (54 f.). Die Ablehnung
der Anrufung und Fürbitte Marias ist nunmehr fast selbstverständlich
geworden (5 5 ff.). Der Pietismus unterscheidet sich in seiner

Auffassung von Maria nicht von der Orthodoxie (57 ff.). Die Aufklärungszeit
(62 ff.) zeigt zwar kein „völliges Aufhören der Marienverehrung
", wohl aber „ein Erlahmen, ein Abgleiten von der Höhe der
religiösen . . . Verehrung der Gottesmutter zur Schätzung eines bloß
sittlichen Vorbildes" (67). Während im Kirchenlied des 17. Jahrhunderts
der Lobpeis der Gottesmutter und Jungfrau forttönt (67 ff.), verstummt
er in der Aufklärung (71). Und während die Kirchenordnungen
des 17. Jahrhunderts denen der Reformationszeit ähneln (71 f.), geraten
in der Aufklärungszeit die Marienfeste in Vergessenheit (72).
Dagegen setzen die großen Dichter des Barocks und der Vorklassik
von Opitz bis Herder den Marienpreis fort (73 ff.). Die kritische Theologie
des 19. Jahrhunderts bestreitet aufgrund historischer Feststellungen
die übernatürliche Empfängnis Jesu und Marias dauernde Jungfräulichkeit
. Mit Schleiermacher und Hase beginnt der moderne Protestantismus
in jeder Frau ein Abbild Marias zu ehren (81 ff.). In der
Erweckungstheologie und im lutherischen Konfessionalismus erwacht
wieder die dogmatisdie Auffassung der Reformatoren und Schultheologen
von der Gottesmutterschaft und Jungfräulichkeit Marias, vor
allem bei Löhe, Vilmar und Dietlein, dem Verfasser eines „Evangelisches
Ave Maria" betitelten Buches, in welchem er, wie auch Hengstenberg
, sogar das Immaculata-Dogma verteidigt (87 ff.). Einen viel
breiteren Raum als in der Theologie nimmt die Verherrlichung der
Madonna in der Dichtung der deutschen Klassik und Romantik ein
(98 ff.). Die kritische Theologie des 20. Jahrhunderts lehnt, bestärkt
durch die vergleichende Religionsgesdiichte, nodi entschiedener als die
des vorausgehenden Jahrhunderts, die Jungfrauengeburt als legendäre
Vorstellung außerchristlichen Ursprungs ab (115 ff.). Im Gegensatz dazu
vertreten nicht nur konservative Theologen wie Bornhäuser und
Köberle die dogmatische Verbindlichkeit der Lehre von der Jungfrauengeburt
, sondern auch Karl Barth, der in der Mariengestalt ein
unentbehrliches Element der biblischen Verkündigung und in der Bezeichnung
„Mutter Gottes" einen „notwendigen christologisdien
Hilfssatz" erblickt, die katholische Mariologie jedoch als eine „krankhafte
Wucherung" verwirft — „wo Maria verehrt wird, da ist die
Kirche Christi nicht" (123 (f.). Die Berneuchener Bewegung (Karl
Bernhard Ritter) wie die Hochkirchliche Bewegung versuchen einer
evangelischen Form der Marienverehrung in der Liturgie wieder einen
Platz zu verschaffen; in derselben Richtung geht auch Hans Asmussen,
der die Meinung vertritt, daß „man Jesus Christus nicht ohne Maria
hat" (13 3 ff.). Vor allem aber sind es die modernen protestantischen
Dichter, die das Madonnenideal als ein urmenschliches Symbol verherrlichen
(136 ff.). Abschließend stellt die Verfasserin fest, daß es im
deutschen Protestantismus immer eine Marienverehrung gegeben hat,
obgleich diese eine Vielfalt von Betrachtungsweisen zeigt (148). Die
evangelische Marienverehrung unterscheidet sich nach ihr von der römisch
-katholischen durch ihre Schriftgemäßheit: „Maria ist das menschliche
Gefäß göttlicher Erwählung", „die schlichte, demütige Jungfrau";
die protestantische Dichtung freilich, vor allem die der neueren Zeit,
hält sich nicht an diese Grenze, sondern „häuft unbekümmert alle
Prädikate", welche die katholische Tradition Maria gegeben hat, oder