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Ausgabe:

1954 Nr. 11

Spalte:

655-662

Autor/Hrsg.:

Stupperich, Robert

Titel/Untertitel:

Abendländisches Mönchtum in neuer Darstellung 1954

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Theologische Literaturzeitung 1954 Nr. 11

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Sprung hatte die rationale Mystik des Euagrios Pontikos, die
starke Wirkungen ausüben konnte, bis sie im Zeitalter Justinians
der Verurteilung verfiel. Schließlich aber ist hier auch ein Wildbach
entsprungen, der abseits seinen oft stürmischen und wechselvollen
Lauf gesucht hat und der durch den Namen des „Makarios"
bezeichnet ist.

Schon Euagrios, erst recht „Makarios"' haben zwar vieles
von dem festgehalten und weitergeleitet, was sie von ihren kap-
padokischen Lehrmeistern überkommen hatten, aber sie gaben
dem eine so eigenwillige Form und Richtung, daß am Ende etwas
Neues und nur sich selbst Gleiches daraus geworden ist. Euagrios
suchte seinen Weg zu den klassischen Stätten des Mönchtums in
Ägypten und bemühte ich um ein Verständnis seines ursprünglichen
Sinnes, mit nur eingeschränktem Erfolg; Symeon aber hat
sich einer im Osten verbreiteten asketischen Bewegung angeschlossen
, die im allgemeinen unliterarisch geblieben ist, aus der
aber auf syrischem Sprachboden ein beachtliches Werk wie der
„Liber Graduum" hervorgegangen ist. Eine solche Richtung mag
gerade in ihrer Radikalität einen Menschen angezogen haben, dem
die hier zur Grundlage einer den ganzen Menschen fordernden
Lebensform gemachten Erfahrungen seine eigenen bestätigten.
Ihre Deutung gewann er mit Hilfe der Ideen und Begriffe, die er
von den großen Theologen seiner Zeit, insbesondere von Gregor
von Nyssa gelernt hatte. So blieb er dessen Schüler und entfernte
sich doch von ihm, in schließlich selbständiger Ausgestaltung
einer Lehre, die schulmäßige und enthusiastische Züge ver-

•) Es scheint gar, als habe es eine Beziehung zwischen Euagrios
und dem Verfasser der Homilien gegeben (Horn. 4; vgl. ep. 29 des
Euagrios bei W. Frankenberg, Euagrios Ponticus, Abh. d. kgl. Gesellsch.
d. Wiss. zu Göttingen 1912, p. 587).

einigte. Seine Wirkungen sind groß und weitreichend gewesen,
auch nachdem sie von der Person dieses Predigers und seines unmittelbaren
Kreises abgetrennt und nur mehr literarisch vermittelt
waren.

Wohl war mir seit langem klar, daß man, wie für Euagrios
Pontikos, so auch für Symeon bei den Kappadokiern und ihrer
Theologie anzufangen habe, um sowohl seine Ausgangsstellung wie
auch die Richtung seiner Weiterentwicklung feststellen zu können;
sie ist ja nur durch das Verhältnis des Eigenen zum Festgehaltenen
zu bestimmen. Aber der neugefundene Traktat schärft diese
Aufgabe noch ein, und zwar in einem besonderen Sinne. Denn
nicht so sehr jene Schülerschaft ist dort zu studieren (so erkennbar
sie bleibt) — dafür wird man sich an frühere Schriften halten
müssen — als die Wegstation, an der sich Symeon von dem älteren
Meister trennt, wo also das Eigene beginnt.

Es sind nur einige erste Bemerkungen, die hier ihre Stelle
haben mögen. Erst eine eindringende Untersuchung kann zu gesicherten
Ergebnissen führen. Aber auch, wenn sie einiges von
dem hier Gesagten bekräftigen und von den vielen sich zu Wort
meldenden Fragen manche anders beantworten sollte, als der Entdecker
des Traktats und verdiente Herausgeber es getan hatte, so
bleibt doch vieles von seinen Ergebnissen bestehen; vor allem
hat er selbst — nicht allein durch die Entdeckung des Traktats,
sondern auch durch die so schön begonnene Ausgabe der anderen
asketischen Werke Gregors — erst die Möglichkeit geschaffen,
diesen Zusammenhängen nachzuforschen. Von ihm sind die Fundamente
gelegt, auf denen alle Späteren weiterbauen müssen.
,,Le but de la dispute ou de la discussion ne doit pas ctre la vic-
toire, mais l'amelioration!"

Abendländisches Mönchtum in neuen Darstellungen

Von Robert S t u p

Die Neigung zum Mönchtum ist im modernen Katholizismus
, gemessen an der Literatur über große Heilige und Mönche,
in erheblichem Maße vorhanden. Allein was in den letzten drei
bis vier Jahren auf diesem Gebiet von wissenschaftlicher wie
von publizistischer und kirchlicher Seite an Darstellungen vorgelegt
wurde, stellt nicht nur zahlen-, sondern auch leistungsmäßig
eine recht stattliche Reihe dar. Manche Motive wirken
zusammen, die die Neigung zum asketischen Leben innerhalb der
römisch-katholischen Kirche in den letzten Jahren befördert haben
. Diese Motive sind einmal religiöser Art und sind in der
Nachkriegszeit wie in überwiegend katholischen Ländern so auch
in Deutschland deutlich zutage getreten. Zum anderen sind die
Motive, die zur Beschäftigung mit dem monastischen Ideal Anlaß
geben, auch historischer Art. Zahlreiche geschichtliche Erinnerungen
bestimmen auch wissenschaftliche Kräfte, bedeutende
Mönchsgestalten zu beschreiben, um die in ihnen wirksamen
Kräfte der Gegenwart nahezubringen. Wenn es erklärlicherweise
zum größten Teil Verfasser sind, die aus der römisch-katholischen
Kirche kommen, so erschöpft sich doch gegenwärtig das
Interesse am Mönchtum keineswegs nur auf dieser Seite. Es muß
in diesem Zusammenhang daran erinnert werden, daß bis in
evangelische Kreise hinein die Ehrfurcht vor Gestalten wie Franz
von Assisi von jeher groß war und daß es immer Verfasser aus
evangelischen Reihen gegeben hat, die mit größter Objektivität
dem Phänomen des Mönchtums gegenübertraten. War es einst
Heinrich Boehmer, der mit seinen „Analecta zur Geschichte des
Franz von Assisi" die anerkannte quellenmäßige Grundlage für
die Beschäftigung mit der größten Gestalt des abendländischen
Mönchtums gegeben hat, so hat in unseren Tagen in ganz anderer
Weise wieder ein evangelischer Kirchenhistoriker sich Ansehen
auch in katholischen Kreisen durch seine Darstellung der
großen Heiligen wie neuerdings auch der großen Mönche verschafft
: W. Nigg. Und nicht nur in der evangelischen Kirche
finden sich solche, die einen Franciscus als „Evangelisten" verehren
, die Hinneigung zu ihm wirkt sich auch in anthroposophisch
bestimmten Kreisen bemerkbar aus.

Unsere Aufmerksamkeit zieht zunächst die Darstellung von

p e r i c h, Münster

Walter Nigg1 auf sich. Es liegt in der Linie der bisherigen
Veröffentlichungen Niggs, daß er sich auch der Geschichte des
Mönchtums zuwandte. Nun ist sein neues Buch keine wissenschaftliche
Darstellung in üblichem Sinne. Sie ist für weitere
Kreise berechnet und beschränkt sich dementsprechend auf die
hauptsächliche Linienführung. Sein Hauptanliegen ist dabei, das
Wesen des Mönchtums aus seinen geschichtlichen Erscheinungen
abzulesen. Daß er mit dem östlichen Mönchtum beginnt und chronologisch
verfährt, braucht nicht zu der Ansicht zu verleiten, als
schriebe er die Geschichte des Mönchtums. Auswahl und Quellennachweise
zeigen, wie eklektisch er dabei verfährt. Der Verfasser
spricht selbst davon, warum er dieses Verfahren gewählt habe,
das nach seiner Meinung schneller an das Entscheidende heranführt
und nicht im Vorfeld bleiben läßt. Die streng wissenschaftliche
Darstellung bedarf nach dieser Auffassung einer Ergänzung.
Der Verfasser meint, mit der „religiösen Ehrfurcht" die bisherige
Betrachtung überhöhen zu können. Was seine „neue Sehweise"
ist, wird zwar nicht ganz deutlich und was sie erbringt, nicht
recht ersichtlich. Was er aber meint, ist wohl dem, der durch
gründliche geschichtliche Forschung gegangen ist, selbstverständlich
und daher keineswegs neu.

Für Nigg ist „das Mönchtum eine legitime Ausprägung des
Christentums". Er sieht es von der urchristlichen Gemeinde her
in der ganzen Ostkirche lebendig. Seine wesentlichen Züge zeigt
er im Kampf der Mönche mit der Versuchung und in der mystischen
Versenkung auf. Über Antonius, Pachomius und Basilius
wird der Bogen zum westlichen Mönchtum gespannt, um in Augustin
und Benedikt eine neue für Jahrhunderte maßgebende
Grundlage zu gewinnen. Die Betrachtungen sind anregend, und
es finden sich manche gute Beobachtungen und Feststellungen
darin. Es ist auch dieses Buch für Niggs Art typisch und zeigt
seine Vorzüge durchaus, wenn es andererseits auch wieder trotz
gewisser Zurückhaltung überschwenglich wirkt. Aus dem weiteren
Inhalt dieses Buches sind die Essays über Bruno, Bernhard

*) N'gg. Walter: Vom Geheimnis der Mönche. Zürich: Artemis-
Verlag 11953]. 421 S. gr. 8°. Lw. DM 24.80.