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Ausgabe:

1954 Nr. 10

Spalte:

624-625

Kategorie:

Liturgiewissenschaft, Kirchenmusik

Autor/Hrsg.:

Roth, Erich

Titel/Untertitel:

Die Geschichte des Gottesdienstes der Siebenbürger Sachsen 1954

Rezensent:

Graff, Paul

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Theologische Literaturzeitung 1954 Nr. 10

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das neulateinische. Ihn berechtigt hierzu die literarische Physiognomie
einer Epoche, in der, wie im Barock, die weltliche Dichtung
an Masse eben bei weitem von der geistlichen Dichtung
übertroffen wird (S. 243). In letzterer legt Newald wieder ein
Hauptgewicht auf die katholische Literatur, auf die Werke evangelischer
Konvertiten und auf die von Jesuiten, deren Bedeutung
für die Anknüpfung unseres Schrifttums an das spanische er richtig
erkennt, aber auch auf die Werke anderer Ordensgeistlicher
und Theologen. Gewürdigt wird ferner das in anderen Literaturgeschichten
zumeist vernachlässigte katholische Kirchenlied und
die Erbauungsliteratur, auf deren Wichtigkeit schon Vietor in seinen
„Problemen der deutschen Barockliteratur" hinwies. Newald
macht uns so auch mit bisher kaum beachteten, ja
kaum gekannten Persönlichkeiten und Literaturgebieten vertraut
. Um die gerade in der Darstellung der religiösen Literatur
des Zeitraums erzielte Fülle des Buches auch nur
einigermaßen zu veranschaulichen, müßte man den einer Rezension
gezogenen Rahmen völlig sprengen. Einige Wünsche
für eine farbensattere Zeichnung des geistesgeschichtlichen Hintergrundes
bleiben freilich übrig. Gern erführe man Näheres über
die Gedankenwelt Schwenckfelds und über die Streitigkeiten in
der zerfallenden lutherischen Orthodoxie, auf die wiederholt
verwiesen wird. Auch in das Tohuwabohu der pansophischen
Strömungen hätte sich durch schärfere Herausarbeitung ihrer
neuplatonisch-gnostischen Grundlagen größere Klarheit bringen
lassen. Manchmal verengt Newalds überwiegendes Interesse für
das religiöse Schrifttum auch etwas seine Sehweise. Kaspar Brü-
low eröffnet ihm S. 94 z. B. Ausblicke auf das Jesuitendrama,
aber keine auf das Drama Shakespeares und der englischen Komödianten
.

Diese Darstellung der deutschen Barockliteratur hat den
Charakter eines Lehrbuches, der sich zuweilen allerdings auch in
den eines Grundrisses verwandelt, was dem mit vorzüglichen Registern
ausgestatteten Buch als einem Nachschlagewerk zugute
kommt. Kaum läßt sich eine Epoche unserer Nationalliteratur so
schwer gliedern wie die Barockzeit. Das muß billigerweise betont
werden, wenn man Newald vorhält, daß er in dieser Hinsicht am
allerwenigsten befriedigt. Er v/ill die mit dem Barock anhebende
„neuere" deutsche Literatur nicht erst mit Opitz, sondern schon
mit dem ausgehenden Späthumanismus, also etwa mit 1570 beginnen
lassen. Unleugbar sind auch schon um diese Zeit Ansätze
zum Literaturbarock vorhanden. Aber durch die radikale Rückverlegung
des Epochencinschnitts zerstört der Verf. den organischen
Zusammenhang mit den früheren Jahrzehnten. Ihm kommt
da eine stattliche Anzahl von Dichtungen in den Weg, die ihrem
Wesen nach noch zur Literatur der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts
gehören und daher auch einer Darstellung dieser Periode
vorbehalten bleiben müßten. Wichgref wäre neben Stym-
mel zu stellen, auch wenn sein „Cornelius relegatus" 51 Jahre
später ercheint als Stymmels „Studentes". Das „Speculum vitae
humanae" des österreichischen Erzherzogs Ferdinand hat Züge,
die es unbedingt noch in die Dramatik des früheren 16. Jahrhunderts
einreihen, und Stricker wäre im Zusammenhang mit Macro-
pedius und den anderen Dramatikern des Hecastus-Stoffes zu behandeln
. Auch weiterhin trennt Newalds Gliederung oft gewaltsam
geistes- und gattungsverwandte Werke. Weil Opitz Barclays
„Argenis" übersetzte und die Schäferdichtung mit anbahnte,
wird nicht nur die Argenis im individuellen Kapitel „Martin
Opitz" besprochen, sondern ebenda auch der Reiseroman charakterisiert
und die Entwicklung des Schäferromans skizziert, und
die „Adriatisdie Rosemund" von Zesen wird in dem gleichfalls
individuellen Abschnitt „Zesen" behandelt, während dies alles
doch besser in einem synthetischen Kapitel über den barocken
Roman unterzubringen gewesen wäre. Und warum wird Gref-
lingers Chronik des dreißigjährigen Krieges S. 197 nicht neben
die anderen dürftigen Versuche dieser Zeit im heroischen Epos
gestellt, und warum seine ,,Cid"-Übersetzung nicht neben die
anderen ersten deutschen Übersetzungen der tragedie classique?
Oft ist der Weg von einem Kapitel des Buches zum andern, ja
von einem Abschnitt zu seinen Unterabschnitten eine ftetdßaoic
eis aV.o ytvog.

Wohl um Raum zu sparen, wird fast im Übermaß auch pe-
tit-Druck angewendet, ohne daß dieser Wechsel im Schriftgrad

aber immer zur Unterscheidung von Wichtigem und Unwichtigem
diente. Das vermindert die Übersichtlichkeit eines Buches
, das an sich Gefahr läuft, die Schwerpunkte in der Darstellung
nicht unvoreingenommen zu verteilen, weil es sich weithin
eben gerade am liebsten und auch erfolgreichsten auf einem von
der Forschung noch kaum betretenen Boden bewegt. Wie mager
nimmt sich nicht der Abschnitt über den doch schon vom Euphu-
ismus und von Anakreon beeinflußten Georg Rodolph Weck-
herlin (S. 43 f.) aus neben dem Abschnitt über einen Abraham
von Dohna! (S. 36 f.). Schwer zu verstehen ist, daß Fischarts
„Glückhaftes Schiff" und Spangenbergs „Ganskönig" nur mit
paar Sätzen im Kleindruck abgetan und die Titel der beiden das
Rosenkreuzertum heraufbeschwörenden Schriften „Fama frater-
nitatis" und „Confessio" S. 142 gar nicht genannt werden, während
wir doch von ziemlich belanglosen Erbauungsschriften sogar
Inhaltsangaben erhalten.

Selbstredend werden sich in einem Buch, das einen so gewaltigen
Stoff zu meistern hat, auch immer noch ein paar Lücken
finden. Nur einiges sei hier vermerkt: Entgangen ist dem im
religiösen Schrifttum so bewanderten Verfasser Scherffers Übersetzung
der Pia desideria des Holländers Hugo, nicht erwähnt
wird von ihm Gichtel, der verdienstvollste Böhme-Apostel, desgleichen
die realistische Satire „De dänische Dörp-Pape" von
Anna Owena Hoyers. Warum wird, wenn schon der Einführung
des Epigramms in die geistliche Dichtung durch Czepko gedacht
wird, nicht auch auf die Einführung des Sonetts in die geistliche
Poesie durch Plavius und Fleming verwiesen?

Aber alle meine kritischen Bemerkungen wollen, sollen und
können auch gar nicht den hohen Wert von Newalds Leistung
herabsetzen. Beziehen sie sich doch zumeist auch nur auf das äußere
Gefüge seines Werkes, und ihnen wird daher eine für spätere
Auflagen vorgenommene Neubearbeitung leicht den Boden
entziehen. Mit seinem Buch, das von einer erstaunlichen Belesenheit
und von einer äußerst gewissenhaften Verwertung der einschlägigen
Fachliteratur zeugt, hat uns der auch in den antiken
Sprachen sattelfeste Verfasser eine Lebensarbeit dargeboten.
Durch sie fällt auf Gebiete unserer Nationalliteratur, die bisher
in tiefem Schatten lagen, endlich Licht. Aber auch viele uns vertraute
Persönlichkeiten und Schriftwerke des Zeitraumes werden
in diesem Band der von de Boor und Newald herausgegebenen
Gesamtdarstellungen weit ausführlicher behandelt und viel einsichtsvoller
beurteilt als in früheren Literaturgeschichten, so daß
auch uns schon längst Bekanntes Bereicherung erfährt oder doch
Erhellung und Klärung aus ganz neuer Sicht.

Halle/Saale I erdinand Josef Schneider

L1TVRGIEW1SSEN SCHAFT

Roth, Erich, Prof. Dr.: Geschichte des Gottesdienstes der Sieben-
biirger Sachsen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1954. 282 5.=
Forsch, z. Kirchen-u. Dogmengesch. Bd. 3. DM 19.80; Lw. DM 23.—

Die vorliegenden Ausführungen über die Geschichte des
Gottesdienstes der Siebenbürger Sachsen gehen zurück auf des
Verfassers gründliche Dissertation: Der Durchbruch der Reformation
in Siebenbürgen 1943 und auf die ebenso gründliche
Habilitationsschrift: Die Reformation Siebenbürgens, 2. Teil»
beide Göttingen, Maschinenschrift, wodurch sich der Verfasser
als ein kenntnisreicher Forscher auf diesem Gebiet auswies. Au1
diesen Untersuchungen baut sich nun eine Gesamtgeschichte des
Siebenbürger Gottesdienstes auf, und zwar nicht nur des reformatorischen
. Wir ersehen, namentlich aufgrund der Lektionsreihen
, Sequenzen und Benediktionen, daß die Siebenbürger ur
sprünglich im Dreieck Trier, Aachen, Luxemburg gesessen haben
müssen und von dort ihre Gottesdienstordnungen mitgenommen
haben. Dieser Teil umfaßt ein Viertel der Gesamtuntersuchung-

Diese leidet nun allerdings sehr unter der bereits im vor'
reformatorischen Mittelalter vorhandenen Uneinheitlichkeit des
Gottesdienstes gerade in Siebenbürgen. So gelten auch die
Agenden und Kirchenordnungen der Reformations- und Nach-
reformationszeit immer nur für einzelne Landesteile. Die früheste
Nachricht von einer Veränderung im gottesdienstlichen Leben