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Ausgabe:

1954

Spalte:

614-615

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Werhahn, Heinz Martin

Titel/Untertitel:

Gregorii Nazianzeni Synkrisis biōn 1954

Rezensent:

Völker, Walther

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Theologische Literahirzeitung 1954 Nr. 10

614

nicht"; „zum Wesen des Glaubensaeons gehört der Zwang zur Unterscheidung
zwischen Gesetz und Evangelium, und das heißt auch zwischen
Paideia und Kyrios. Die vom Gesetz gezeichnete Erziehungsordnung
hört erst im Äon des Schauens auf. . ., bis dahin aber muß solche Erziehung
sein, und sie ist nur insofern wirklich Paideia Kyriu, sofern sie
en pistei vollzogen wird . . . auch die Gesetzesgestalt der Paideia wird
durch den Nomos Christi umgeformt und erfüllt" (198). „Die Kyrios-
Tatsache wird so zum Indikativ und die Paideia Kyriu zum daraus erwachsenden
Imperativ" (199).

Im Folgenden werden dann die neutestamentlichen Aussagen über
die „Stufen des jungen Lebens", über die Schätzung des Kindes in der
Umwelt des Neuen Testaments und in diesem selbst besprochen und
in dem Zusammenhang auch ein Wort über die Kindertaufe gesagt
(„Man nahm die Kinder so ernst, daß sie von dem Heil des neuen Evangeliums
nicht ausgeschlossen werden durften", 215). Dann werden die
Stellen des Neuen Testaments, in denen uns Jugendliche begegnen,
durchgegangen und über die Träger der Jugenderziehung („Von Paulus
aus gesehen, stehen Erzieher und Zögling in derselben Verdammnis der
Sünde, aber auch unter derselben Erlösung", 225 f.) und über die Grundfragen
erzieherischen Handelns gesprochen: über Erziehungsmethoden
und -Ziele (Diese „lauten nur: teleios und aner", 237). „Da das Neue
Testament Erziehung bejaht, bejaht es auch Erziehungsziele. Ziellos
kann man nicht erziehen. Das Neue Testament beantwortet aber — im
Unterschied zu seiner Umwelt — die Frage nach der Erziehbarkeit des
Zöglings und der Erreichbarkeit des Zieles mit dem im Sinne der Paideia
Kyriu geschriebenen Satz: ,Ich vermag alles durch den, der mir die
Kraft gibt, Christus' " (239). Über den Erziehungsraum wird gesagt, daß
die Paideia Kyriu weder zum religiösen Anhängsel der Polis wurde noch
eine staatliche Erziehung, die innerhalb der Grenzen ihrer Ordnung erzog
, ausschloß.

Zuletzt wird dann über die Paideia im Dienst der Verkündigung
gehandelt: es gab keine besondere Jugendmission; das Herz der Jugendseelsorge
schlug im Urchristentum in der Familie, besonders beim Vater.
Aus den neoteroi-Stellen des Neuen Testaments wird auf einen Jugendstand
innerhalb der urchristlichen Gemeinden geschlossen. Nachdem das
pädagogische Moment in Verkündigung und Seelsorge zur Sprache gekommen
ist, wird zuletzt über „Lehre und Katechumenat" gehandelt,
wobei Luk. 1, 4; Apg. 18, 25 f.; l.Tim. 4, 6; Hbr. 6, 1 ff. und Gal. 6, 6
zur Sprache kommen.

Abgeschlossen wird das ganze Buch durch einen Blick auf die
nachapostolische Zeit bis zu Clemens Alexandrinus unter
dem Stichwort „Von der Paideia Kyriu zum Erziehungschristentum";
bei Clemens haben wir es mit „einer groß angelegten Synthese von
Gnade und Natur . . ., Evangelium und Erziehung zu tun" (279).

Besonders etwa dem letzten Drittel des Buches gibt die Tatsache
ihr Gepräge, daß sich aus dem Neuen Testament direkt nur ein spärlicher
Befund erheben läßt, so daß es sich dort weitgehend um Rückschlüsse
handeln muß.

Es ist eine reiche Fülle von Fragen, Gesichtspunkten und
Antworten, die bei J. zur Sprache kommen. Das Neue Testament
wird immer wieder unter dem Gesichtspunkt, was es zur Erziehung
, besonders der Jugenderziehung, und zur Jugend überhaupt
sagt, durchgegangen. Zu vermissen ist allerdings eine ausdrückliche
Besprechung der Kirchenzuchtsteilen des Neuen Testaments.
Es ist aber J. zu danken, daß er dem neutestamentlichen Erziehungsdenken
in der Vielzahl seiner Fragen und Gesichtspunkte
nachgegangen ist und auch da, wo es uns nur spärlich Auskunft
gibt, Linien weitergezogen hat. Doch dürfte mit seinem Buch
noch nicht das letzte Wort gesagt sein. Mir scheint der Ansatzpunkt
nicht scharf genug herausgearbeitet zu sein. Der Unterschied
und Gegensatz von anthropozentrischem und theozentri-
schem Erziehungsdenken ist in den ersten Teilen zu sehr mit
dem von Bildung und Zucht zusammengesehen. Fruchtbarer und
auch der zeitgeschichtlichen Lage eher entsprochen hätte es, wenn
ein autonomes und ein heteronomes Erziehungsdenken in der
Alten Welt einander gegenübergestellt worden wäre, wobei jenes
die besondere Eigentümlichkeit nicht des Griechentums überhaupt
, wohl aber des Griechentums in seiner Selbstentfaltung
darstellt. Es wäre dann zu zeigen gewesen, wie dieser hoffnungslose
Gegensatz, bei dem beide Teile in gleichem Maße Recht und
Unrecht haben, schon im Alten Testaihent durch die Begründung
der absoluten Forderung Gottes in der Berufung Abrahams, dem
Auszug aus Ägypten und durch den Schöpfungsgedanken überwunden
wird. Weiter hätte, wo im neutestamentlichen Teil über
..Gott als Erzieher" ausführlich gesprochen wurde, auch die prophetische
Wirksamkeit (vgl. etwa Jes. 1, 5 f.) behandelt werden
müssen. Das ganze deuteronomistische Geschichtswerk ist von
der Pädagogik Gottes bestimmt. Dann hätte im Neuen Testament

die besondere „Heilspädagogik" Gottes in Christus herausgearbeitet
werden sollen und daraus hätte sich organisch die Fragestellung
„Evangelium, Bildung und Zucht" ergeben. Es wäre dann
auch die Hauptthese des Buches, daß das Neue Testament die
pädagogischen Anregungen seiner Umwelt übernehmen kann,
ohne an den pädagogischen Einzelheiten interessiert zu sein und
daß anderseits „Erziehung vom Herrn her" und Evangelium einander
nicht ausschließen, ans Licht gekommen. Es ist nicht so,
daß J. dies alles nicht im Auge hätte, es ist aber nicht systematisch
erarbeitet. So scheidet man von dem Buch mit dem Dank
dafür, daß dieses Thema gestellt und von vielen Seiten aus beleuchtet
ist, und auch mit dem Dank für die Anregung zu weiterem
Durchdenken.

Münster/W. Werner Foerster

KIRCHENGESCHICHTE: ALTE KIRCHE

Werhahn, Henricus Martinus: Gregorii Nazianzeni ZYTKP12I2
BIQN. Carmen edidit apparatu critico munivit quaestiones peculia-
res adiecit. Wiesbaden: Harrassowitz (in Komm.) 1953. XI, 104 S.
gr. 8° = Klassisch-philologische Studien hrsg. v. E. Bickel, H. Herter
und W. Schmid. H. 15. DM 9.—.

Seit jeher haben sich die Vertreter der klassischen Philologie
für Gregor von Nazianz interessiert, und es ist nicht zufällig
, daß v. Wilamowitz ursprünglich daran dachte, die ihm zum
60. Geburtstage überreichte Geldspende für eine kritische Gregor
-Ausgabe zu verwenden. Dies unterblieb, weil die Krakauer
Akademie es ebenfalls plante und schon bedeutsame Vorarbeiten
geleistet hatte, die leider infolge der beiden Weltkriege nicht
ausreifen konnten. Insonderheit bleibt es zu bedauern, daß
L. Sternbachs fast vollendete Ausgabe der Gedichte Gregors in
den Wirren des letzten Krieges spurlos verschwunden ist. Mustert
man die Verzeichnisse der Gregor gewidmeten Arbeiten, so beobachtet
man wieder das Vorherrschen des philologischen Interesses,
was natürlich das Erscheinen eines so bedeutsamen Werkes wie
das von Plagnieux über Gregor als Theologen (Paris, 1952) nicht
ausschließt.

Eine des öfteren verhandelte Teilfrage dreht sich um die
Würdigung von Gregors Poesie, wobei die Urteile diametral auseinandergehen
(Pellegrino und Wyss). Hier setzt Werhahns Arbeit
ein, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, e i n Gedicht sorgsam
und bis in kleinste Einzelheiten hinein zu interpretieren.
Er wählte dazu das Gedicht avyxQiai.Q ßlcov (comparatio vita-
rum) aus, das sich bei Migne in Band 37, 649—667 findet und
255 Verse enthält.

Die vorgelegte Arbeit ist rein philologischer Natur und berührt
theologische Fragen nur an der Peripherie. Die Prolegomena
(S. 3—20) behandeln in knapper Form alles Wesentliche über
Ausgaben und Handschriften, über die Zeit des Entstehens, über
Gregors metrische Kunst, über die Form des Gedichtes, sowie
über das Problem der Diatribe im allgemeinen. So vorbereitet
folgt die Edition des Gedichtes mit einem größeren kritischen
Apparat (S. 22—29), der sich ein eingehender Kommentar anschließt
(S. 30—74). Dessen Inhalt ist sehr mannigfaltig. Es werden
Lesarten, grammatische wie sprachliche Fragen behandelt.
Parallelen zu antiker Literatur aufgewiesen, wobei besonderer
Nachdruck auf das Aufdecken philosophischer Quellen gelebt
wird (bes. Plato, Stoa, die Diatriben-Literatur). So erkennt man
mit wachsender Deutlichkeit, daß Gregor für bestimmte Partien
seines Gedichtes in einer fest geprägten Tradition steht und nur
bekanntes Gut weiter gibt (es handelt sich etwa um 100 Verse,
die sich vorwiegend mit der Lebensweise der Reichen und deren
Gefahren beschäftigen, cf. S. 75).

Sodann richtet Verf. seine Aufmerksamkeit auf Parallelen
im Schrifttum Gregors selbst, in den Gedichten, bzw. in den Reden
, wobei er überraschend viele gleichlautende Stellen nachweisen
kann. Diese Erkenntnis ist gewiß nicht neu, Plagnieux hat
bereits darauf aufmerksam gemacht, und bei Gregor v. Nyssa liegen
die Dinge ähnlich. Aber die Interpretation des Gedichtes
wird dadurch sehr erleichtert.