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Ausgabe:

1954 Nr. 10

Spalte:

608-610

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Kraus, Hans-Joachim

Titel/Untertitel:

Die Königsherrschaft Gottes im Alten Testament 1954

Rezensent:

Maass, Fritz

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Theologische Literaturzeitung 1954 Nr. 10

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kann die Abgrenzung gegen das Heidentum nicht mehr klar sein. Dies
zeigt sich dann vor allem in einem spiritualistischen Gottesbegriff, der
der Bibel als ganzer nicht entspricht. So ist z. B. auch das neutestament-
liche Verständnis von Gottesdienst ganz und gar auf das AT gegründet
und ohne dies unmöglich zu begreifen. Darum kann der in den letzten
Jahrzehnten geprägte Satz, Christus sei der Schlüssel zum AT, nicht
ohne den anderen sein, daß das AT den Schlüssel zum Verständnis des
Christus darstellt.

Das zweite Kapitel: Theologie als Darstellung (theology as re-
cital; diese Vokabel ist im Deutschen kaum genau wiederzugeben) entfaltet
die wesentliche These des Vf. Während bisher die biblische Theologie
weithin von dogmatischen oder systematischen Interessen beherrscht
war, fordert Wright eine biblische Theologie, die ihre Struktur
nicht in einem von außen an sie herangetragenen „System", sondern
direkt von der Bibel selbst hat. Die Ganzheit der Bibel aber ist
keine gedankliche, sondern eine geschichtliche; eine Ganzheit von Fakten
, von Gottesfakten. „Biblische Theologie ist zuerst und vor allem
eine Theologie der Darstellung, in welcher die Menschen der Bibel ihren
Glauben durch Rezitieren der bestimmenden Ereignisse ihrer Geschichte
als erlösendes Wirken Gottes bekennen." Aus dieser einfachen
Erkenntnis ergeben sich weitreichende Konsequenzen: Während die alt-
testamentlichen Theologien der letzten Jahrzehnte noch durchweg ein
gedankliches oder dogmatisches oder systematisdies Ganzes im Auge
haben, während die alttestamentlichen Religionsgeschichten die Geschichte
religiöser Institutionen und Ideen darstellen wollen, wäre die
eigentliche Aufgabe einer alttestamentlichen Theologie die einfache
Wiedergabe der in den Bekenntnissen Israels als Gottes Taten bekannten
Ereignisse, angefangen mit der Errettung von der ägyptischen Knechtschaft
. Alle aus diesen Ereignissen gezogenen theologischen Schlüsse,
alles Nachdenken darüber, alle theologischen Begriffe wären diesem Ganzen
des Handelns Gottes einzuordnen. Aber dieses Handeln Gottes
gibt es niemals ohne irgendeine positive oder negative Antwort des /
Menschen. Die beiden folgenden Kapitel (3. und 4.) geben daher die beiden
Hauptthemen dieser alttestamentlichen Theologie wieder: „Was
Gott getan hat", „Was der Mensch getan hat". Die Theologie hat
dialogischen Charakter (dieselbe These vertritt, von gänzlich anderen
Voraussetzungen herkommend, Rosenstock-Huessy: „Heilkraft und
Wahrheit", Stuttgart 1952, S. 44 ff. Theologie kann nur dialogisch sein.
Hier auch diesselbe radikale Ablehnung des theologischen Systems). —
Die andere Konsequenz ist, daß dann alttestamentliche und neutesta-
mentliche Theologie unmöglich, so wie es jetzt meist ist, nebeneinander
her laufen können. Die hier gesehene Ganzheit der Taten Gottes umfaßt
Gottes Handeln von der Schöpfung bis zum Jüngsten Tag; es kann
dann nur eine biblische Theologie geben, die dieses gesamte Handeln
Gottes umfaßt. „Wir können die vorliegende Aufgabe nicht als eine
solche des Erforschens der neutestamentlichen und der alttestamentlichen
Theologie in besonderen Abteilungen ins Auge fassen und dann
versuchen, sie zusammenzusetzen" (30). Bei dem, „was Gott getan
hat", baut Wright ganz auf den Forschungen von Rads und Noths auf.
Der grundlegenden Bedeutung des „geschichtlichen Credo" für das Alte
Testament entspricht das ebenfalls im Kern geschichtliche Credo im
Neuen Testament (nadi den Arbeiten von Cullmann und Dodd), wobei
in der apostolischen Predigt die Fakten der Gottesgeschichte von Abraham
oder vom Exodus bis zur Auferstehung Christi als eine Ganzheit
begriffen werden. „Die hauptsächlichen Ereignisse der Heilsgeschichte von
den Taten Gottes sind also genau das, was die bekennende Zusammenfassung
von Act. 13, 17—23 von ihnen sagt" (81).

Was die Bibel vom Menschen sagt, „ist abgeleitet von dem, wie
er in Entsprechung zum Wirken Gottes handelt" (87). Daher, ist eine
„biblische Anthropologie", eine „Lehre vom Menschen" eine bloß gedankliche
Konstruktion, die der Wirklichkeit der Bibel nicht entspricht.
„Die Bibel ist nicht am Wesen des Menschen interessiert, sondern an
dem, was er getan hat" (50). So ist es auch nicht möglich, aus dem, was
die Bibel vom Widerstreit und Ungehorsam des Menschen gegen Gott
berichtet, eine abstrakte Lehre von der Sünde abzuleiten. „Die Wurzeln
und die Gelegenheiten der Sünde in der Bibel sind so vielfältig,
wie das Leben und die Geschichte vielfältig sind" (93). Gemeinsam ist
allen diesen Möglichkeiten der Sünde nur, daß es stets ein Handeln dem
lebendigen Gott gegenüber, eine verfehlte Antwort ist: „Alle Sünde
ist gegen Gott selbst." Dasselbe gilt entsprechend für alle Aussagen
vom Menschen in der Bibel.

Im letzten Kapitel geht der Vf. auf die theologische Situation der
Gegenwart, vor allem die Diskussion um die „Entmythologisicrung"
ein. Er warnt hier vor der Ausweitung des Begriffes Mythos auf beiden
Seiten der Diskussionspartner und sagt mit Recht, es gehe mit dem
Begriff Mythos und mythisch ganz ähnlich wie vorher mit dem Begriff
Mystik und mystisch: die Verbreiterung beider Begriffe ist an einen
Punkt gekommen, wo sie für eine sachliche Diskussion unbrauchbar
werden. Er erinnert dabei an eine Definition des Mythos bei Ernst
Cassirer (An Essay on man, New Häven 1944 S. 82 f.), der ihn aus
seinen Ursprüngen erklärt und bestimmt, die zeitlich und strukturell
weit jenseits der neutestamentlichen und der alttestamentlichen Sphäre

liegen, und kommt zu dem Schluß: „the term .mythology' confuses
rather than clarifies" (128).

Die Arbeit Wrights scheint mir von weitreichender Bedeutung
. Es ist ein erfreuliches Zeichen, daß die Grundzüge der Auffassung
des AT mit denen übereinstimmen, wie sie in Heft l/2
1952 der „Evangelischen Theologie" von Noth, von Rad, Zim-
merli u. a. dargelegt wurden. Jedoch werden hier die Linien weiter
ausgezogen in Richtung der Bedeutung dieser Sicht des AT
für die gesamte Theologie. Man wird gegen die Arbeit einwenden
können, daß die Linien oft nur skizzenhaft sind und daher die
Tatbestände im AT zu sehr vereinfachen, gelegentlich auch vergröbern
. Man wird ganz vermissen ein Eingehen auf die Sicht
des AT, wie sie von der skandinavischen Schule, von Mowinckel
ausgehend, in einer Fülle von Arbeiten herausgearbeitet wurde;
denn in dieser Sicht liegt die eigentliche, umfassende Antithese
zu der These Wrights. Man wird weiter ständig beachten müssen,
daß dem Vf. in erster Linie die theologische und kirchliche Situation
in Amerika vor Augen steht, auch wenn er ganz erheblich
auf Forschungen deutscher Alttestamentler aufbaut; manches
aus seiner Polemik ist nur aus seiner Situation recht zu werten
. — Es bleibt dann doch die beherrschende These der Arbeit
Wrights als eine sehr ernst zu nehmende Frage in unsere
gesamte theologische Arbeit hinein. Es wäre erfreulich, wenn
das Buch ins Deutsche übersetzt werden könnte.

Berlin Claus Wettermann

Kraus, Hans-Joachim: Die Königsherrsdiaft Gottes im Alten Testa-
^1 J[ ment. Untersuchungen zu den Liedern von Jahwes Thronbesteigung.
Tübingen: Mohr 1951. XII, 155 S. gr. 8° = Beiträge zur historischen
Theologie, hrsg. v. G. Ebeling, H. 13. DM 15.—.

Der Verf. führt in gefälliger und einprägsamer Diktion durch
acht Paragraphen den folgenden Weg:

1. Eine Analyse der Thronbesteigungspsalmen
(als solche gelten wie bei Gunkel nur 47. 93. 96. 97. 99) ergibt
als Charakteristika dieser Gattung: Inthronisationsruf, Verherrlichung
Jahwes, Preis seiner Wundertaten, gewaltige Wirkungen
seiner Epiphanie und Erwähnung eines Gesetzes. Eißfeldts allgemein
-präsentische Erklärung des jahwe malak (ZAW 1928) wird
mit dem Hinweis auf den Ton der Überraschung und „unerhörten
Neuigkeit", der bei diesem Inthronisationsruf auffälligerweise
mitschwinge, abgelehnt. Die Spannung zwischen diesem Ton und
der Tatsache, daß Jahwes Königsherrschaft in Israel von alters-
her bekannt ist, wird als besonderes Problem hervorgehoben.

2. Der Verf. deutet die Thronbesteigungspsalmen wie
H. Gunkel kultisch-eschatologisch und lehnt die
zeitgeschichtliche, die rein eschatologische, aber auch die kultischmythische
Deutung Mowinckels ebenso wie dessen Annahme
eines selbständigen Thronbesteigungsfestes in Israel ab.

3. II Sam 7 (Erwählung Davids) sanktioniere die Überführung
der Lade nach Jerusalem II Sam 6 (= Erwählung des Zion);
beide Kapitel gehören zusammen und bilden den bei einem
„königlichen Zionfest" Jahr für Jahr kultisch aufgeführten
hieros logos des jerusalemischen Heiligtums. Verkündigung
und Feier der Erwählung Jerusalems (mit einer Ladeprozession
zum Zion) und der Daviddynastie hätten die beiden Akte
dieses Festes gebildet. I Kön 8, besonders V. 16, gilt als Bestätigung
dieser Hypothese.

4. Bei der Suche nach der K u 111 y r i k des „königlichen
Zionfestes" scheiden die Thronbesteigungspsalmen aus, weil
ihnen jede Bezugnahme auf das Haus Davids fehlt. Aber Ps 132
(bes. V. 8. 10. 11. 13) wird der „schlagende Beweis" für die
Richtigkeit der Annahme eines königlichen Zionfestes genannt.
Andere Stützen seiner Hypothese gewinnt K. aus Ps 78, 65—72.
24 B. 2. 72. 89, 4f. 20-38 und den Zionsliedern (Ps 84. 87. 122).

5. Wichtige Übereinstimmungen zwischen der „Liturgie des
königlichen Zionfestes" (Ladeprozession, Königstitel Jahwes in
Ps 24 B) und den Thronbesteigungspsalmcn, geben dennoch
Grund, auch sie mit diesem Fest in Verbindung zu bringen. Die
Frage, ob das „königliche Zionfest" etwa in spätvorexilischcr
Zeit in ein Thronbesteigungsfest Jahwes umgewandelt wurde, weil
die meisten Davididen versagten, wird besonders unter Hinweis
auf II Kön 22, 1—3 verneint.